Jung als Führungskraft : Chefsache: eine Frage des Alters und des Geschlechts?
Grau meliertes Haar, eine akkurat gebundene Krawatte, der glatt gebügelte Anzug: Führungskräfte in Deutschland sind männlich, jenseits der 50 und haben genügend Berufserfahrung, um ihrem Team zielsicher den Weg zu weisen. Was wie ein Klischee klingt, ist die weitverbreitete Realität. Aber nicht nur das: Viele wünschen sich diesen Typ Leader. Junge Menschen – vor allem, wenn sie weiblich sind – haben es nach wie vor schwer, als Vorgesetzte akzeptiert zu werden.
2018 lag das Durchschnittsalter einer deutschen Führungskraft bei 51 Jahren (Quelle: statista). 2020 hatten 72 Prozent Männer und 28 Prozent Frauen eine derartige Position inne (Quelle: Statistisches Bundesamt). Karriere ist also eine Frage des Alters. Und des Geschlechts. Weibliche Chefs unterliegen einer strengeren Erwartungshaltung: Verhalten sie und ihr männlicher Kollege sich gleich, sanktionieren Mitarbeitende die Chefin härter.
Der Grund: Das Gehirn setzt die idealisierte Führungskraft mit typisch männlichen Merkmalen gleich. Was bei einem Mann selbstverständlich ist, legen Angestellte Frauen eher negativ aus. „Chefinnen sind sanfter. Sie sind empathischer“, so die Annahme. Sind sie das nicht, wirken sie narzisstisch, karrieregeil und kalt. Anders beim Mann. Von ihm erwartet niemand sonderlich viel Empathie. Auch stellt niemand sein Streben nach Karriere infrage.
Chefsein – wenn der eigene Jahrgang zur Hürde wird
Zum Frausein kommt Jungsein als Hürde für eine reibungslose Ausübung einer leitenden Position hinzu. Laut einer Studie[1] der Amsterdamer Business School und der Jacobs Universität Bremen spielt das Alter eine entscheidende Rolle dabei, ob Personen als Führungskräfte akzeptiert werden oder nicht.
Eine Forschergruppe befragte nach zwei Pilotstudien 773 Mitarbeitende und Führungskräfte aus 83 Teams im Bereich Kundenservice und Verkauf. Das Augenmerk legten die Forscher dabei auf Teams der unteren Hierarchieebene. Ihre Ergebnisse: Das Alter eines Vorgesetzten lässt das gleiche Führungsverhalten in einem anderen Licht erscheinen. Älteren Führungskräften wird Akzeptanz zugeschrieben, ungeachtet dessen, ob sie ihre Macht nutzen oder teilen. Jüngeren bietet sich die zweite Option (Machtteilung) hingegen kaum bis gar nicht.
Außerdem wirkt sich ein akzeptiertes Verhalten positive auf den Verbleib im Unternehmen aus: Werden Vorgesetzte von ihren Teammitgliedern geschätzt, binden sie sich länger und intensiver an den Arbeitgeber.
Akzeptanz – nicht nur eine Frage des Alters
Ob Mitarbeitende Vorgesetzte in der Rangordnung akzeptieren, hängt in der Regel von drei Faktoren ab:
- der formalen Rolle und den damit einhergehenden Befugnissen sowie Rechten,
- der Kompetenz im weitesten Sinne (Fähigkeiten, Lebenslauf, Glaubwürdigkeit, Erfolge aus der Vergangenheit)
- und der Zugehörigkeit (Lebensalter, Job-Alter, Erfahrung).

Nehmen wir ein fiktives Beispiel. Anton Bartels ist 29 Jahre alt und leitet seit kurzem den Vertrieb in einem mittelständischen Unternehmen. Würde er all diese drei Faktoren in seiner Person vereinen, würde es ihm vermutlich leichtfallen, sein Team auf sich einzuschwören. Fehlt es in den Augen der Kollegen aber an Kompetenz oder Zugehörigkeit, weil die Mitarbeitenden Bartels aufgrund seines Alters den Job nicht zutrauen, benötigt der 29-Jährige andere Fähigkeiten, um nicht allzu bald wieder von der Karriereleiter zu stürzen.
[1] Buengeler, C./Homan, A.C./Voelpel, S.C. (2016): The challenge of being a young manager: The effects of contingent reward and participative leadership on team-level turnover depend on leader age. In: Journal of Organizational Behavior, DOI: 10.1002/job.2101
Mit Respekt an die Chefsache herangehen
Und diese sind vor allem im Bereich der sozialen Kompetenzen verankert. Dazu zählt zum einen Respekt. Sind die Mitarbeitenden, die Bartels führen soll, deutlich älter, ist es jetzt wichtig, dass er den Erfahrungsvorsprung der Damen und Herren wertschätzt.
Beispielsweise, indem er seine Teammitglieder bei der Bewältigung seiner Führungsaufgaben um Unterstützung bittet. Das bietet ihm die Chance, vom Wissen seines Teams zu profitieren: Schließlich sind solche Angestellten wertvolle Berater.
Niemand anderes kennt die Branche und die Besonderheiten der Berufsgruppe so gut wie sie.
Respektvoll zu sein, heißt aber, dass Bartels die gängigen Höflichkeitsregeln ernst nimmt. Ebenso das Alter. Wichtig ist, dass der 29-Jährige etwaige Einschränkungen seiner älteren Kollegen – wie Leistungsabfall oder Schwierigkeiten im Umgang mit dem technischen Fortschritt – mit Diskretion und Fingerspitzengefühl behandelt.

Richtig kommunizieren
Möchten Alt und Jung reibungslos miteinander zusammenarbeiten, kommt es zum anderen auf die richtige Kommunikation an. Lässt der Jungspund den Boss raushängen, könnte das gerade älteren Mitarbeitenden aufstoßen. Auf Augenhöhe zu kommunizieren, heißt, den Befehlston lieber in der Schublade zu lassen. Stattdessen sind Bitten und ein Dankeschön die bessere Wahl. Gleiches gilt für Bewertungen.
Ältere Mitarbeitende lassen sich ungern von jemandem, der deutlich jünger ist, beurteilen. Zu Recht – schließlich machen sie den Job schon viele Jahre länger. Lob oder Kritik sollte sich Bartels deshalb lieber ganz sparen und stattdessen in Ich-Botschaften kommunizieren. „Das hat mir geholfen“ oder „Ihr Beitrag war für mich ein wertvoller Input“ sind Beispiele dafür, wie ein solches Gespräch beginnen könnte.
Ganz vermeiden lassen sich Beurteilungen freilich nicht. Spätestens beim Mitarbeiterjahresgespräch gehören sie auf die Tagesordnung. Wichtig ist hier: Fachlich bewerten ja, persönlich nein. Bartels sollte sich also voll und ganz auf Ersteres konzentrieren. Objektiv und sachlich bleiben – auch das ist in dieser Situation das Gebot der Stunde.
Fazit: Jeder hat eine Chance verdient
Leider – und das zeigt, dass unsere Gesellschaft nach wie vor in alten Rollenbildern festhängt – erschwert Führungskräften das Jungsein und/oder Frausein die reibungslose Ausübung ihrer leitenden Position. Je nach Teamkonstellation lohnt es sich, diesen Fakt offen anzusprechen und zu signalisieren: „Hey, ich möchte, dass wir alle einen adäquaten Umgang damit finden!“ Denn auch wenn es jüngeren Menschen an Erfahrung fehlt: Kreative Ideen, Innovation und auch ein Gespür für die neue Arbeitswelt können durchaus positive Attribute sein, die ihnen bei der Ausübung ihrer Rolle zugutekommen.
Philipp R. Kinzel