Konfliktmanagement : „Es ploppen gerade jede Menge Konflikte hoch“
Das RIK/Institut für Konfliktforschung und präventive Beratung an der Rheinischen Fachhochschule Köln hat seit 2020 kontinuierlich die Stimmungslage bei Führungskräften zum Thema „Konflikte während der Corona-Krise“ erhoben. Dabei kam heraus, dass die Corona-Krise bereits vorhandene Konflikte verstärkte und neue entstehen ließ. Wie HR-Verantwortliche dem begegnen können, erklärt die Initiatorin und Leiterin des Projekts, Dr. Bettina Janssen.
Frau Dr. Janssen, Ihre Befragungen haben ergeben, dass die Solidarität unter Mitarbeitenden und Führungskräften im Verlauf der Krise abgenommen hat. Wie erklären Sie sich das?
Führungskräfte mussten eine hohe Kommunikationskompetenz an den Tag legen – obwohl sie selbst persönlich belastet waren, hatten sie zum normalen Geschäft auch noch Hygienekonzepte, Homeoffice-Regelungen und vieles andere zu diskutieren. Durch das Homeoffice blieben zudem viele Schwierigkeiten unsichtbar, manche Mitarbeitenden entzogen sich komplett, hielten nur ein freundliches Gesicht in die Kamera. Doch die Konflikte schwelten weiter und kommen nun sukzessive ans Tageslicht.
Welche Folgen hat das?
Die Anzahl der Konflikte in Unternehmen nimmt gerade extrem zu, das merken meine Kolleginnen und ich gerade deutlich an unserer Auftragslage. Häufig wird versäumt, die Krise aufzuarbeiten und zu schauen, welche Lessons to Learn sie bereithielt. Diese Reflexion machen die allerwenigsten Unternehmen.
Welche Konflikte sind besonders häufig?
Ganz vorn liegen Konflikte, die auf mangelnder Kommunikation beruhen. In der zurückliegenden Zeit wäre es neben allem organisatorischen Stress auch wichtig gewesen, zu fragen: „Wie geht es dir denn eigentlich? Was brauchst du?“ Aber genau das wurde vernachlässigt, weil die Führungskräfte ja jeden Tag damit beschäftigt waren, die akute Situation in den Griff zu bekommen.
Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Ein im März 2020 für Vollzeit eingestellter Controlling-Mitarbeiter sollte von einer Teilzeitkraft mit 20 Stunden eingearbeitet werden, die mit vier Kindern und krankem Mann extrem anderweitig belastet war. Die Frau gab sich zwar alle Mühe, verwies unter anderem immer wieder auf Unterlagen aus dem Internet. Als der Mann dann Verbesserungsvorschläge machte, missverstand dies die Frau als Kritik an ihrer Person; die Führungskraft war an dieser Stelle kommunikativ komplett überfordert. Die Sache schaukelte sich derartig hoch, dass man sich am Ende auf öffentlichen Plattformen gegenseitig beschimpfte.
In einer solchen Situation ist es wahrscheinlich schwierig, überhaupt erst einmal die Wogen zu glätten …
Ja, genau. Das gilt aber generell bei allen Konflikten, wenn die Fronten verhärtet sind. Das Wesentliche ist, sie frühzeitig zu erkennen und anzusprechen und sich gegebenenfalls auch externe Kompetenz bei der Konfliktklärung zu holen. Sonst geht es am Ende nur noch darum, wie man sich am besten trennt, aber nicht mehr darum, gemeinsam tragfähige Lösungen für einen guten weiteren Weg im Team zu finden.
Eine erschwerte Kommunikation, fehlende Motivation sowie erhöhter Stress unter den Teammitgliedern wiesen schon im vergangenen Jahr auf Konflikte hin, die im weiteren Verlauf eskalieren könnten – was hat Ihre Umfrage hier genau ergeben?
Im April 2020 gaben noch 83 Prozent der Führungskräfte an, dass die Solidarität in der Corona-Krise gewachsen sei; im Dezember sagten bereits 14 Prozent, dass die Solidarität abgenommen habe. 44 Prozent der Befragten stellten außerdem bereits im Mai eine Verschlechterung der Stimmung im Team fest. Was die Kommunikation angeht, stellte sich heraus, dass Häufigkeit, Intensität und auch Emotionalität deutlich zugenommen haben, Konflikte und ein härterer Ton im Führungskreis sich häuften.
Der fünfte und voraussichtlich letzte Teil der Befragung hat gerade begonnen. Ganz unabhängig davon, was raten Sie HR im Hinblick auf die Befunde?
HR hat ja immer diese Scharnierfunktion zwischen den Führungskräften und den Mitarbeitenden. Deshalb liegt es auch an den Mitarbeitenden dort, das Management dafür zu sensibilisieren, dass sie durch aktives Konfliktmanagement Folgeprobleme vermeiden und wie sie letztlich dadurch Ressourcen und Kosten sparen können. Das A und O ist immer die Bereitschaft aller Beteiligten, die Dinge präventiv und systemisch anzugehen.
Es nützt nichts, einen Mediator zu beauftragen, um das Problem schnell aus den Füßen zu bekommen, und dann zur Tagesordnung überzugehen. Perfide ist auch die Praxis, eine Streitbelegung nur formal durchzuführen, wenn schon klar ist, dass man eine Person eigentlich loswerden will und mit einer – erfolglos durchgeführten – Mediation nur versucht, seine Chancen vor dem Arbeitsgericht zu verbessern.
Gibt es ein idealtypisches Vorgehen beim Konfliktmanagement?
Erfahrungsgemäß: ja. Zunächst müssten die Führungskräfte präventiv in Konfliktmanagement geschult werden, insbesondere, damit sie verstehen, dass es keine Schwäche ist, sondern vielmehr eine Chance sein kann, wenn man einen Konflikt frühzeitig anspricht und gegebenenfalls auch Externe zur Beilegung hinzuzieht. Es geht ja darum, ein gutes Miteinander
hinzubekommen. Im zweiten Schritt – in der akuten Situation – kann ein Konfliktcoach sehr hilfreich sein. Ihn oder sie sollte man allerdings hinzuziehen, ehe allzu viele Beteiligte bereits mitgeredet haben und die Situation dadurch verfahren geworden ist. Der dritte Punkt liegt ein bis zwei Monate nach der Mediation: Hier geht es nochmal um ein Follow-up, um zu reflektieren, wie es jetzt tatsächlich läuft und was vielleicht noch angepasst werden sollte.
Welches sind – ganz unabhängig von der Pandemie – weitere klassische Konfliktfelder, auf die HR ein Augenmerk legen sollte?
Tatsächlich ist das, neben Diversity und der Generationenthematik, in vielen Unternehmen die schleppende Digitalisierung. Hier hat Corona zwar vieles zwangsbeschleunigt, über einiges aber auch nur zeitweise den Mantel des Schweigens gelegt. Teilweise haben die Firmen neue Kräfte eingestellt, mit der Aufgabe, innerhalb von Teams mit schwelenden Konflikten die Digitalisierung voranzutreiben. Das Ergebnis ist dann vorprogrammiert: Mitarbeitende, die seit 20 Jahren und mehr genau so und nicht anders arbeiten und den „ganzen Computerkram“ einfach nicht mitmachen wollen. Aus dieser Sackgasse durch Mediation oder Ähnliches herauszukommen, ist schwierig und braucht häufig eher eine klare Ansage der Führungskraft.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Alexandra Buba, M. A., Wirtschaftsredakteurin, buba.medientext

