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Im Blick: Arbeitsrecht

Lesezeit 15 Min.

Urlaubsanspruch trotz Corona-Quarantäne

Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 27.01.2022 – 5 Sa 1030/21

Aufgrund der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (nachfolgend „LAG“) Hamm besteht eine Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Frage, wie mit Urlaubstagen umzugehen ist, an denen der Arbeitnehmer sich in einer angeordneten Quarantäne befindet.

Die überwiegende Auffassung der Landesarbeitsgerichte geht davon aus, dass auch diese Tage auf den Urlaubsanspruch angerechnet werden. Erst im Februar 2022 hat das LAG Kiel hierzu entschieden und sich den Landesarbeitsgerichten Düsseldorf und Köln angeschlossen, die 2021 zu ähnlich gelagerten Fällen urteilten. Danach werden Urlaubstage auch dann auf den Jahresurlaub angerechnet, wenn ein Arbeitnehmer sich in Quarantäne befindet. Anders sieht dies nur das LAG Hamm.

Verortung des Urteils

Das LAG Hamm vertritt – im Gegensatz zu der bisherigen Rechtsprechung – eine gegenteilige Rechtsauffassung zu der Frage, ob Urlaubstage während einer angeordneten Corona- Quarantäne auf den Jahresurlaub angerechnet werden.

Es gelten folgende Grundsätze: Während einer Arbeitsunfähigkeit kann kein Urlaub wirksam gewährt werden. Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, werden die durch ärztliches

Attest nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet (§ 9 Bundesurlaubsgesetz (BurlG)). Hintergrund ist, dass der Erholungszweck des Urlaubs bei einer Krankheit nicht erfüllt werden kann.

Letztes Jahr befassten sich unterschiedliche Gerichte mit der Sonderkonstellation „Corona-Quarantäne“ und der Frage, was in Fallkonstellationen einer angeordneten Quarantäne während des Urlaubs gilt. Einhellige Meinung war danach, dass es für eine Nichtanrechnung von Urlaubstagen nach § 9 BUrlG eines ärztlichen Attestes bedarf. Eine behördliche Isolierungsanordnung allein reicht hierfür nicht. Schließlich ist maßgeblich, dass eine Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers erfolgt.

Entsprechend entschieden das Arbeitsgericht Bonn (Urteil vom 07.07.2021; Az.: 2 Ca 504/21), das Landesarbeitsgericht Köln (Urteil vom 13.12.2021; Az.: 2 Sa 488/21) sowie das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urteil vom 15.10.2021; Az.: 7 Sa 857/21), dass eine Nachgewährung von Urlaubstagen bei einer Quarantäneanordnung wegen einer Corona-Infektion ohne ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit nicht in Betracht kommt. Auch das LAG Kiel (Urteil vom 15.02.2022; Az.: 1 Sa 208/21) schloss sich dieser Auffassung an.

Anders jedoch das Landesarbeitsgericht Hamm. Die Revision wurde zugelassen und die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wird mit Spannung erwartet.

Der Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Gutschrift von acht Urlaubstagen für das Jahr 2020. In der Zeit vom 12.10.2020 bis zum 21.10.2020 gewährte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß Urlaub im Umfang von acht Tagen. Am 14.10.2020 erließ die Stadt Hagen eine Ordnungsverfügung, mit welcher sie die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 09.10.2020 bis zum 21.10.2020 anordnete, da er zuvor mit einem bestätigten COVID-19-Fall in Kontakt gekommen war.

Der Kläger informierte die Beklagte unverzüglich über die Quarantäne. Das Zeitkonto des Klägers wurde nach dem 21.10.2020 mit acht Urlaubstagen belastet. Mit Schreiben vom 17.11.2020 sowie 30.11.2020 forderte der Kläger die Beklagte auf, seinem Urlaubskonto acht Tage gutzuschreiben. Eine Reaktion seitens der Beklagten erfolgte nicht, woraufhin der Arbeitnehmer Klage einreichte. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.

Die Entscheidung

Das LAG Hamm gab der Klage statt und entschied, dass die Urlaubstage, an denen sich der Arbeitnehmer in der behördlich angeordneten Quarantäne befand, analog § 9 BUrlG nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen sind. Der Urlaub gilt insoweit nicht als erfüllt und der Kläger konnte zu Recht verlangen, dass diese Tage dem Urlaubskonto wieder gutzuschreiben sind.

Das LAG Hamm hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Fall einer angeordneten Quarantäne mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers vergleichbar sei, und wendet § 9 BUrlG analog auf den Quarantänefall an.

Die Voraussetzungen einer Analogie seien gegeben, da es sich insoweit um eine planwidrige, also vom Gesetzgeber ungewollte Regelungslücke handle. Insbesondere im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur „Urlaubsrichtlinie“ sei eine analoge Anwendung möglich.

Zudem muss berücksichtigt werden, dass eine verhängte Quarantäne einer selbstbestimmten Gestaltung des Urlaubs entgegensteht, so das LAG Hamm. Der Arbeitnehmer solle aber nach § 1 BUrlG zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden, um ihm die uneingeschränkte Möglichkeit selbstbestimmter Nutzung seiner Freizeit zu geben. Die Quarantäne-Bestimmungen verhinderten dieses jedoch, da sie bestimmen, wo sich eine Person aufzuhalten habe, mit wem sie Kontakt haben dürfe und ob sie sich gegebenenfalls Untersuchungen unterziehen müsse. Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass dieser Zeitraum auch mit der Belastung verbunden sei, jederzeit einen schweren Ausbruch der Erkrankung erfahren zu können.

Damit kommt das LAG Hamm zu dem Ergebnis, dass die Anordnung einer Quarantäne einer freien, selbstbestimmten Gestaltung des Urlaubszeitraums diametral entgegenstehe, unabhängig davon, wie der einzelne Betroffene diese persönlich empfindet. Entsprechend stehen dem betroffenen Arbeitnehmer – nach der Auffassung des LAG Hamm – die Urlaubstage zu, an denen er sich in der angeordneten Quarantäne befand.

Kurz erklärt

  • Die meisten Arbeitnehmer wissen: Wenn ich in meinem Urlaub arbeitsunfähig erkranke und dies dem Arbeitgeber nachweise, bekomme ich den „ausgefallenen“ Urlaub nachgewährt. Dies lässt sich auf eine durch das Gesundheitsamt angeordnete Quarantäne nicht übertragen – jedenfalls dann nicht, wenn man der überwiegenden Auffassung der Landesarbeitsgerichte folgt.
  • Voraussetzung für die Nichtanrechnung von Urlaub nach § 9 BUrlG ist, dass die Tage der Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs durch ärztliches Attest nachgewiesen sind. Der Bescheid

des Gesundheitsamtes belegt lediglich, dass der Betroffene aufgrund eines COVID-19-Befundes als Kranker i. S. von § 2 Nr. 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG) gilt. Es findet sich jedoch keine gesetzliche Regelung, aus der sich die für § 9 BUrlG notwendige Schlussfolgerung ergibt, dass eine Erkrankung im Sinne des IfSG unmittelbar zu einer Arbeitsunfähigkeit führt.

  • Die vom LAG Hamm angeführte Analogie zu § 9 BUrlG erscheint nicht nachvollziehbar, da es hierfür bereits an einer planmäßigen Regelungslücke fehlt. Zwar kann man mit Blick auf den Erholungseffekt des Urlaubs sagen, dass dieser durch die Quarantäne begrenzt bzw. eingeschränkt sein kann, hierauf kommt es jedoch für die Frage, ob der Urlaubsanspruch „verbraucht“ wird, nicht an. Der Arbeitgeber schuldet schließlich nur die Urlaubsgewährungund keinen Urlaubserfolg.
  • Ob Arbeitgebern nun tatsächlich eine Welle von entsprechenden Urlaubsnachforderungen droht, wird das BAG entscheiden. Es besteht jedoch die Vermutung, dass sich das BAG nicht der arbeitnehmerfreundlichen Rechtsprechung des LAG Hamm anschließen wird.

Praxistipp

Arbeitgeber, die mit ähnlichen Forderungen konfrontiert werden, sollten sich auf den Standpunkt der anderen Landesarbeitsgerichte stellen und argumentieren, dass sie mit der Festlegung des Urlaubszeitraums und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts ihre Pflichten i. S. von § 7 Abs. 1 BUrlG erfüllt haben. Alle nach Festlegung des Urlaubszeitraums eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen grundsätzlich in die Sphäre des Arbeitnehmers. Zudem liegt bei einer bloßen Quarantäneanordnung (ohne ärztliches Attest) keine gesetzlich in § 9 BUrlG normierte Ausnahme vor.

Rechtsprechungsänderung – BSG gewährt Unfallschutz im Homeoffice

Bundessozialgericht, Urteil vom 08.12.2021 – 2 B U 4 / 21

Das Bundessozialgericht (nachfolgend „BSG“) stärkt die Rechte der Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten. Damit ändert das BSG seine bisherige Rechtsprechung. Arbeiten im Homeoffice hat durch Corona erheblich an Bedeutung gewonnen und ist in vielen Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Entsprechend groß ist die Relevanz der Entscheidung.

Verortung des Urteils

Die Entscheidung betrifft den Themenkreis „Arbeitsunfall“. Liegt ein Arbeitsunfall vor, ist dies ein Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung. Die maßgebliche Frage ist dabei stets, ob es sich tatsächlich um einen Arbeitsunfall oder um einen privaten Unfall handelt. Die gesetzliche Unfallversicherung ist nur bei Ersterem zuständig.

Ein Arbeitsunfall liegt bei vor, wenn

  • ein Versicherter in der gesetzlichen Unfallversicherung
  • im Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit
  • einen Unfall erleidet.

Umstritten ist oftmals der zweite Punkt. So auch in dem kürzlich ergangenen Urteil des BSG. Der Zusammenhang zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit muss in der Weise gegeben sein, dass der Versicherte infolge der versicherten Tätigkeit der Unfallgefahr ausgesetzt ist. Nicht versichert sind eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten, d. h. Tätigkeiten, mit denen der Versicherte persönlich und private Anliegen verfolgt. So ist beispielswiese die Benutzung von Arbeitsgeräten zu privaten Zwecken während oder außerhalb der Arbeitszeit nicht versichert.

Besonderheiten gelten bei Wegeunfällen. Ein solcher liegt vor, wenn der Versicherte einen Personenschaden auf dem Weg zur Arbeit erleidet. Dieser gilt gesetzlich als Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 2 SGB VII). Der versicherte Weg beginnt jedoch erst mit dem Verlassen der Wohnung. Gemeint ist damit das Durchschreiten der Ausgangstür. Mangels Durchschreitens der Ausgangstür kann qua Definition bei einer Tätigkeit im Homeoffice kein Wegeunfall vorliegen. Allerdings kann – wie die Rechtsprechung des BSG zeigt – ein Arbeitsunfall vorliegen.

Unabhängig davon sorgt auch die Gesetzesänderung durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz für Rechtsklarheit bei Tätigkeiten im Homeoffice. Seit dem 18.06.2021 gilt bei einer Tätigkeit im Homeoffice der gleiche Versicherungsschutz wie bei einer Tätigkeit im Unternehmen. Diese Neuerung betrifft sowohl Arbeits- als auch Wegeunfälle.

Der Sachverhalt

Ein Außendienstmitarbeiter, der sich im Jahr 2018 morgens auf dem Weg zwischen Schlafzimmer und Homeoffice auf der Treppe einen Brustwirbel brach, verklagte die Berufsgenossenschaft (nachfolgend „BG“) auf Feststellung über das Vorliegen seines Arbeitsunfalls. Beim Beschreiten der die Räume verbindenden Wendeltreppe rutschte er aus und brach sich einen Brustwirbel. Üblicherweise beginnt der Kläger im Homeoffice unmittelbar zu arbeiten, ohne vorher zu frühstücken.

Die BG vertrat die Ansicht, dass der Unfallversicherungsschutz in einer Privatwohnung auf dem Weg zum Zwecke der erstmaligen Arbeitsaufnahme erst mit Erreichen des Homeoffice beginnt. Der erstmalige morgendliche Weg ins Homeoffice sei kein Betriebsweg, sondern eine unversicherte Vorbereitungshandlung, die der eigentlichen versicherten Tätigkeit nur vorausgehe.

Anders das Sozialgericht, das dem Kläger Recht gab und in dem Weg vom Schlafzimmer ins Homeoffice einen versicherten Betriebsweg sah. Das Landessozialgericht lehnte diese Auffassung ab. Entsprechend wurde die Entscheidung des BSG mit Spannung erwartet.

Die Entscheidung

Das BSG teilte die Auffassung des Klägers und urteilte, dass der Kläger einen Arbeitsunfall auf dem morgendlichen Weg ins Homeoffice erlitten hat. Soweit es sich aus der bislang veröffentlichten Pressemitteilung entnehmen lässt, diente das Beschreiten der Treppe ins Homeoffice allein der erstmaligen Arbeitsaufnahme und ist deshalb als Verrichtung im Interesse des Arbeitgebers als Betriebsweg versichert. Für die Beurteilung sind jeweils die objektiven Umstände maßgeblich, die in dem entschiedenen Fall gezeigt haben, dass der Kläger beabsichtigte, mit seiner Arbeit zu beginnen und eben nicht erst zu frühstücken. Das Hinabsteigen der Treppe sei daher unmittelbar unternehmensdienlich gewesen.

Kurz erklärt

  • Die Entscheidung zeigt, dass die früher vom BSG gezogene Grenze, dass der versicherte Weg zur Arbeit erst „mit Durchschreiten der Haustüre“ beginnt, für das Homeoffice aufgegeben wurde. Vielmehr ist nach der Auffassung des BSG ein Beschäftigter, der auf dem direkten Weg vom Bett ins Homeoffice stürzt, durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützt.
  • Interessant ist, dass sich der entschiedene Fall noch vor der Corona- Pandemie ereignete und die pandemiebedingte Homeoffice- Pflicht damit noch keine Rolle spielte. Auch erging die Entscheidung unabhängig von der mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz normierten Erweiterung des Unfallschutzes. Entsprechend groß ist die Relevanz dieser Entscheidung für alle Unfälle, die vor der gesetzlichen Änderung des § 8 Abs. 1 S. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) VII geschahen.
  • Nun gilt aufgrund der gesetzlichen Neuerungen ohnehin eine Gleichstellung zwischen einer Tätigkeit im Homeoffice und einer Tätigkeit im Betrieb. § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII lautet wie folgt: „Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz im gleichen Umfang wie bei der Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.“ Zudem gibt es Neuregelungen bei Tätigkeiten im Homeoffice in Bezug auf die Wegstrecken zu einem Kindergarten oder einer anderen Kinderbetreuungsstätte in § 8 Abs. 2 SGB VII.
  • Die gesetzlichen Neuregelungen haben Auswirkungen auf die Frage von Arbeits- und Wegeunfällen. Nach wie vor muss bei Arbeitsunfällen der betriebliche Zusammenhang vorliegen. Stürzt ein Arbeitnehmer, der im Homeoffice arbeitet, auf dem Weg zur Tür, um dem Postboten die Tür aufzumachen und eine private Postsendung entgegenzunehmen, handelt es sich nach wie vor um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Mangels eines betrieblichen Zusammenhangs ist dies kein versicherter Arbeitsunfall. Hingegen sind Wege zur Nahrungsaufnahme oder zum Toilettengang nach den gesetzlichen Neuregelungen vergleichbar zu Wegen, die im Betrieb zurückgelegt werden müssen. Bei einem Unfall kann es sich also – anderes als noch vor den Neuregelungen – um einen Arbeitsunfall handeln.

Praxistipp

Tätigkeiten im Homeoffice werden durch die geänderte Rechtsprechung des BSG und die gesetzlichen Neuregelungen aufgewertet, sodass sich diese Tätigkeiten noch größerer Beliebtheit als Dauerlösung erfreuen könnten.

In vielen Unternehmen war Homeoffice gestern, heute ist mobiles Arbeiten oder Remote Working angesagt. Mobile Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass die Arbeitnehmer von nahezu jedem Ort außerhalb des Büros arbeiten können. Der Begriff ist also weiter als der Begriff des Homeoffice. Die Grenzen zwischen den betrieblichen und den persönlichen Belangen sind bei mobiler Arbeit noch fließender als bei einer klassischen Tätigkeit im Homeoffice. Entsprechend schwieriger kann es sein, den betrieblichen Zusammenhang bei einem möglichen Arbeitsunfall darzulegen. Vertragliche Regelungen, die beispielsweise die zeitliche Erreichbarkeit der Arbeitnehmer regeln, können hier helfen.

Vorsicht ist geboten, wenn es sich um Homeoffice-Konstellationen im Ausland handelt. Inwieweit in einer grenzüberschreitenden Konstellation der Versicherungsschutz der Arbeitnehmer gegeben ist, ist je nach Einzelfall zu prüfen.

Dies ist insbesondere in den Fällen wichtig, die unter den neuen Begriff „Workation“ fallen, was eine Zusammensetzung aus Arbeit (= Work) und Urlaub (= Vacation) ist. In der Regel liegt der Fokus dieser Konstellationen auf dem privaten Anlass, dem Urlaub. Nur wenn es sich um eine betrieblich veranlasste Auslandstätigkeit handelt und der Arbeitgeber hierfür ein entsprechendes A1-Formular beantragt hat, das belegt, dass sämtliche deutschen Sozialversicherungszweige auch für die Tätigkeit im Ausland weiterhin gelten, ist auch die deutsche Unfallversicherung für Unfälle im Ausland zuständig.

Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags braucht keine Bedenkzeit

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.02.2022 – 6 AZR 333/21

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (nachfolgend „BAG“) muss ein Aufhebungsvertrag nicht zwingend eine Bedenkzeit für den Arbeitnehmer enthalten. Soweit das Angebot nur zur sofortigen Annahme offeriert wird, liegt allein hierin kein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns vor. Die Rechte der Arbeitnehmer sind vielmehr ausreichend über die Anfechtungsmöglichkeiten wegen Täuschung und Drohung geschützt.

Verortung des Urteils

Aufhebungsverträge sind ein beliebtes Mittel, um Arbeitsverhältnisse rechtssicher zu beenden. Aus Arbeitgebersicht ist dabei besonders attraktiv, dass – anders als bei dem Ausspruch einer Kündigung – kein langwieriges und teures Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang droht.

Grundsätzlich kann ein Aufhebungsvertrag zwischen den Parteien frei verhandelt werden. Allerdings entschied das BAG bereits im Jahr 2019, dass ein Aufhebungsvertrag unwirksam ist, wenn er unter Missachtung des Gebots des fairen Verhandelns geschlossen wird (BAG, Urteil vom 07.02.2019; 6 AZR 75/18). Dieses Gebot ist beispielsweise verletzt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter Androhung einer Kündigung dazu bringt, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben, und ein vernünftig denkender Arbeitgeber diese Kündigung jedoch (z. B. wegen offensichtlicher Unwirksamkeit) nicht aussprechen würde. Der entschiedene Fall konkretisiert diesen Punkt.

Der Sachverhalt

Die Parteien stritten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Der Geschäftsführer und der Rechtsanwalt des Arbeitgebers konfrontierten eine Arbeitnehmerin in einem persönlichen Gespräch mit dem Vorwurf, dass die Arbeitnehmerin unberechtigt Einkaufspreise in der EDV abgeändert und dadurch höhere Gewinne vorgespiegelt haben soll.

Nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die Gesprächspartner schweigend im Raum saßen, unterzeichnete die Arbeitnehmerin den vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Die Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag, der u. a. eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2019 vorsah, erfolgte am 22.11.2019. Die ordentliche Kündigungsfrist betrug sechs Monate; eine Abfindung enthielt der Aufhebungsvertrag nicht.

Die Arbeitnehmerin erklärte am 29.11.2019 die Anfechtung des Aufhebungsvertrags wegen widerrechtlicher Drohung. Sie behauptete, ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige angedroht worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und rechtlichen Rat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Damit habe die Beklagte gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen. Das Arbeitsgericht folgte der Ansicht der Arbeitnehmerin, das Landesarbeitsgericht derjenigen des Arbeitgebers und wies die Klage ab.

Die Entscheidung

Die Revision der Arbeitnehmerin war ohne Erfolg und der Aufhebungsvertrag beendete wirksam das Arbeitsverhältnis.

Das BAG konnte keine widerrechtliche Drohung erkennen. Es fehlte an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung. Ein verständiger Arbeitgeber durfte, so das BAG, im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen.

Weiter teilte das BAG die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, nach der der Arbeitgeber auch nicht unfair verhandelt habe. Die Entscheidungsfreiheit der Arbeitnehmerin wurde nicht dadurch verletzt, dass ihr der Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme angeboten wurde und sie deshalb sofort eine Entscheidung treffen musste.

Kurz erklärt

  • Die Leitplanken des Gebots des fairen Verhandelns werden durch die genannte Entscheidung konkretisiert, was sehr erfreulich ist. Bislang war unklar, ob allein die Vorlage eines Aufhebungsvertrags ohne Bedenkzeit gegen dieses Gebot verstößt. Nun ist klar, dies ist nicht der Fall.
  • Die noch ausstehenden vollständigen Entscheidungsgründe des Gerichts werden sicherlich noch mehr zur Rechtssicherheit beitragen. Die Aussage, dass ein Aufhebungsvertrag auch an die Bedingung der sofortigen Annahme geknüpft werden darf, ist aus Arbeitgebersicht bereits erfreulich.
  • Für Arbeitnehmer besteht – unabhängig von dem Gebot des fairen Verhandelns – ein ausreichender Schutz durch die Regelungen zur Anfechtung wegen Täuschung und Drohung. Da die Drohung oftmals im angekündigten Ausspruch einer Kündigung liegt, ist für die Frage einer widerrechtlichen Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) allein maßgeblich, ob der Arbeitgeber für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags widerrechtlich eine Kündigung ausgesprochen hätte. Das BAG stellt eindeutig fest, dass der Arbeitgeber in der konkreten Situation sowohl eine außerordentliche Kündigung als auch eine Strafanzeige in Betracht ziehen durfte. Deswegen musste auch eine widerrechtliche Drohung verneint werden.
  • Aus der bisher vorliegenden Pressemitteilung lässt sich zudem entnehmen, dass bloßer Zeitdruck nicht automatisch Ausdruck unfairen Verhandelns ist. Maßgeblich sind jedoch immer die Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall.

Praxistipp

Da es für die Beurteilung der Einhaltung des Gebots fairen Verhandelns auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt, empfiehlt es sich, Gesprächsumstände und den Gesprächsverlauf zu dokumentieren. Arbeitgeber sollten Trennungsgespräche immer im Beisein von Zeugen führen und entsprechende Gesprächsprotokolle anfertigen.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, ADVANT Beiten

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