Hinterfragt! : Öffentlicher Dienst, ein Arbeitsmärchen aus alter Zeit (Teil 1)
Wer früher in den öffentlichen Dienst ging, dem schien eine schöne (lebens)lange Laufbahn mit „eingebautem“ Aufstieg ziemlich sicher. Als die Staatsverschuldung in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder stieg, wurden „Schuldige“ gesucht und der öffentliche Dienst als Kostentreiber mitverantwortlich für die hohe Staatsverschuldung gemacht – auf Verdacht auch im Personalbereich. Aus Arbeit und Ämtern, in denen die Beamten oder Angestellten der öffentlichen Hand eigentlich Problemlöser für die Bürger hätten sein sollen, wurde auf lange Sicht ein Problemfaktor für die öffentliche Arbeitswelt gemacht.
Der demontierte „Staatsdiener“?
Der einstige historische Grundgedanke vom gutgestellten (und damit loyalen) „Staatsdiener“ war damit grundlegend auf den Kopf gestellt worden – und es sollte geschüttelt und gerüttelt werden, bis (ein)gespartes Geld an den unterschiedlichsten Ecken herausfallen würde: Der langjährige Trend zum Personalabbau seit Anfang der 1990er im öffentlichen Dienst ist wesentlich auf Rationalisierungs- und Sparmaßnahmen zurückzuführen. Eine Haltung, die der öffentliche Dienst dabei nicht ablegte: umso weiter oben (positioniert), umso wichtiger – das hielt sich noch in anderen Bereichen, wie im nächsten Teil gezeigt wird. An welchem Ende „der Nahrungskette“ dann vor allem gespart wurde (und weiter wird), da muss sicherlich gar nicht groß geraten werden.
Der laute Schrei nach sparender Effizienz?
Die Hauptkritikpunkte waren: Das Arbeiten im öffentlichen Dienst sei nicht effizient, Steuermittel würden verschleudert werden. Es war überall die Rede von „chronischer Ineffizienz“, hausgemachter Schwerfälligkeit und unnötiger Luxus(dienst)leistungen. Während der Staat sich viele Jahre „zu Tode sparte“, redete die Wirtschaft stets von Wachstum und Wachstumssteigerung.
Das roch zwar noch lange nicht nach „heiler“ Arbeitswelt, aber immerhin nach Zukunft. Also hielten in den Behörden ebenfalls Methoden und Instrumente aus der freien Wirtschaft Einzug – wie wirtschaftlich und „modern“ das diese Institutionen machte, steht auf einem ganz anderen Blatt, genauso wie die Frage, wie sozial sich die künftige öffentliche Beschäftigungslandschaft überhaupt noch gestalten ließe. Um der neuen „heiligen Kuh“ hinterherzulaufen, leistete sich die eine oder andere Behörde ganz „sparsam“ so nebenbei eine schicke Unternehmensberatung…
Ganz schön gesundgeschrumpft?
In Deutschland waren 2020 fast fünf Millionen Frauen und Männer im öffentlichen Dienst beschäftigt – ein Viertel weniger als noch im Jahr 1991. Als einziger Bereich weist die Sozialversicherung im Vergleich zu 2020 mit 370.000 Beschäftigten deutlich mehr Personal auf im Vergleich zu 1991. Dass dem öffentlichen Dienst der Nachwuchs fehlt, ist längst ein offenes Geheimnis: Laut der zu Jahresbeginn veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung McKinsey & Company geht beispielsweise fast jeder vierte Landesbeschäftigte bald in Rente. Die kontinuierlich vorangetriebene Personalschrumpfung: ein zunächst gewaltsam gewollter Effekt, bei dem es sich eindeutig rächen wird, dass „weniger einmal mehr sein sollte“.

Von der „ruhigen Kugel“ zur Lachnummer?
In fernerer Vergangenheit eher angesehen, wurde der Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes mit der Zeit durchaus immer häufiger auch belächelt oder gar verhöhnt als „Nichts(er)schaffer“. Während sich dieses Gerücht hartnäckig hält, dass jeder Beschäftigte im öffentlichen Dienst, wenn er wollte, (s)eine ruhige Kugel schieben könne, gilt er bei den Jüngeren schlichtweg eher als unattraktiver Arbeitgeber – auch weil diese etwas bewegen wollen. Letzteres liegt aber nicht nur nicht nur allein daran, dass das Arbeiten dort längst nicht mehr hält, was es einst positiv versprochen hat. Es hat natürlich insgesamt auch damit zu tun, dass sich die Arbeitswelt (drinnen und draußen) schneller und in ganz andere Richtungen gedreht hat und weiterdreht – während der behäbige Staats- und Beamtenstaat tief und fest im selbstverliebten Dornröschenschlaf verharrte.
Bereits 2017 hatte die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) auf der Basis von Daten des Wirtschaftsforschungsinstituts WifOR eine zur absoluten Besorgnis ermahnende Prognose erstellt – bereits da mit äußerst alarmierenden Zahlen: Diese Prognose wies überaus deutlich darauf hin, dass der Fachkräftemangel sich deutlich mehr als in anderen Branchen bemerkbar machen würde. Vor allem fehlen jetzt schon seit langem: Lehrer, IT-Spezialisten, Ingenieure, Mitarbeiter in Gesundheitsberufen und Verwaltungsexperten. Aber der öffentliche Sektor ließ (und lässt) weiterhin viele Chancen ungenutzt, um als (attraktiver) Arbeitgeber für sich zu werben bzw. auch einer zu werden.
Aber so etwas von sicher – und gut versorgt?
Der „sichere“ Arbeitsplatz mit anschließender guter Versorgung: lange Zeit das „Totschlagargument“, um in den öffentlichen Dienst zu gehen. Im Königreich des „hohen Rosses“ galt da aber im Laufe der Zeit nicht das gleiche Recht für alle. Mit den befristeten Arbeitsverträgen brachte sich vor allem der öffentliche Dienst auf die sichere Seite, dass mit viel Ehrgeiz und Hoffnung der maximale Output ziemlich gewiss sein würde – je nach Berufsziel vielleicht noch als „Upgrade“ von mageren Volontariatsjahren (mit Einkünften im Bereich des Existenzminimums) – flankiert von zahlreichen Hoffnungsträgern der „Generation (unbezahltes) Praktikum“, von der es dort nicht selten eine Vielzahl mehr brauchte als in der freien Wirtschaft. Die „niederen“ Tätigkeiten ließen sich „staatlichsparsam“ pseudo-outsourcen, indem verschiedene Interessenlagen zusammengeführt wurden und der Zugriff auf den zweiten und dritten Arbeitsmarkt ganz selbstverständlich ermöglicht und genutzt wurde und weiterhin wird. Gerade Letzterer war und ist ein sozialpolitisches, kein arbeitsmarktpolitisches Instrument – für manch einen das sichere berufliche Abstellgleis, für andere die erste oder garantierte Eintrittskarte in die Altersarmut. Unter dem „Deckmäntelchen des Guten“ bleibt nämlich hier der soziale Gesichtspunkt auf traurige Weise nicht immer gewahrt.
Worauf schauen wir jetzt eigentlich erst einmal (zurück)?
In den vergangenen Jahren sind insgesamt viele verschiedene Prozesse in Gang gesetzt worden, die nun heftig mit dem Thema Fachkräftemangel kollidieren werden – aber auch auf interne Verbesserungen sollte aus Sicht eines guten Arbeitgebers großes Augenmerk gelegt werden, wie der folgende Teil noch zeigt. Selbst wenn modernere Recruiting-Maßnahmen da oder dort bereits erfolgreich ziehen sollten, wird das Thema Selbstverständnis im Hinblick auf die nachrückenden Generationen von wachsender Bedeutung werden. Beim Thema fehlende Fachkräfte bzw. kaum zu gewinnender Nachwuchs in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) ist das Geheule um potenzielles passendes Personal jetzt schon besonders laut. Das kommt allerdings davon, wenn man nun eben (berechtigt) hintanstehen darf, weil man zu lange auf dem hohen Ross saß – und auch immer noch viel zu sehr die Mentalität hat, zu fordern, anstatt zu bieten.
Ein kurzes trauriges Schlaglicht auf unsere Situation heute zeigt die deutlichsten Auswüchse von allem: marode Brücken, fehlende Kinderbetreuungs- und Pflegemöglichkeiten, aber auch Diskussionen zum Thema Gewährleistung der inneren Sicherheit im Lande – bei gleichzeitig wachsenden Krankenständen in allen Bereichen. Und das schon längst nicht nur in diesen Bereichen der öffentlichen Hand. Was aber führte genau dazu, dass aus der einstigen Chance auf glanzvolle Karrieren in so vielen Bereichen die traurige Wahrheit einer anderen Welt wurde? Woraus kann man lernen, worauf kann man bauen und was könnte der Weg sein, um den öffentlichen Dienst wieder zu einem der „ersten Arbeitgeber“ im Lande zu machen?
Lesen Sie auch „Analyse und Aussicht – öffentlicher Dienst, ein Arbeitsmärchen aus alter Zeit (Teil 2)“.
Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin und Jobcoach
