Analyse und Aussicht : Öffentlicher Dienst: Ein Arbeitsmärchen aus alter Zeit? (Teil 2)
Geprägt von tiefgreifenden Transformationen in den vergangenen Jahrzehnten, aber insbesondere auch in den letzten Jahren, wirkten sich zuletzt Themen wie die Digitalisierung gravierend aus – inklusive E-Government – und die Pandemie „erzwang“ nun erste Zugeständnisse im Bereich New Work. Für die Analyse und einen Ausblick wird der „wirtschaftliche Wandel“ in der öffentlichen Arbeitswelt ganz genau unter die Lupe genommen.
Für eine echte Einschätzung reicht es nicht aus, nur die Ergebnisse zu betrachten. Maßgeblich sind ebenso die Faktoren der Veränderung und die Art der Auswirkung: Was haben beispielsweise das Kostenstellenbewusstsein, die Einführung des Projektmanagements inklusive „planbarer“ Budgetierung mit dem Arbeitsumfeld und den Beschäftigten gemacht?
Ist öffentliche Beschäftigung noch sozial und sicher? Stimmen die Themen Miteinander und Führen denn eigentlich? Wie zeitgemäß sind die Arbeitsprozesse und die (digitale) Ausstattung? Und woher kommt (vielleicht) das nicht mehr ganz so gute Ansehen der Beschäftigung im öffentlichen Dienst – vor allem auch bei den nachwachsenden Generationen – außer über das Thema Geld? Was sollte das Recruiting von morgen unbedingt leisten?
Gut gebündelt?
Befragt man verschiedenste Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes, was sich am meisten geändert hat, bekommt man im Grunde eine Antwort: mehr Qualität und Quantität mit weniger Personal. Natürlich kann man jetzt gleich argumentieren: Kennt man aus der Wirtschaft auch, aber da befindet man sich eben nicht.
Ein echtes Problem: Langzeitkrankheiten, Elternzeit und Co. können nur schwer arbeitstechnisch anderweitig ausgeglichen werden (Stichwort Pflichttagespensum), was wiederum die Krankenstände erhöht. Statistiken belegen, dass „wenige Anwesende“ die Arbeit vieler anderer ständig mitmachen müssen – obwohl es rein organisatorisch und auch kostenstellentechnisch so nicht für den Regelbetrieb vorgesehen ist, und das kann schon mal Jahre lang gehen. Dass das nicht gut ist, darüber muss man nicht diskutieren.
Das heißt dann auch für viele, nicht nur ständig am Anschlag zu arbeiten, sondern über das eigentliche angesetzte Arbeitspensum hinaus. Dass das nicht attraktiv ist, muss ebenfalls nicht bestritten werden. Und nicht jeder traut sich da mehr, alle Überstunden aufzuschreiben – vor allem, wenn man erst neu oder auch schon etwas älter ist. Wer sagt, dass man auch hier (noch) automatisch fest im Sattel sitzt und im Zweifelsfall eben doch nicht verlängert oder aus „organisatorischen“ Gründen versetzt wird? Absoluter Stressmodus vor (und nach) dem Urlaub? Für viele inzwischen der Regelfall – von wegen „eine ruhige Kugel schieben“ … Stress, Überstunden und Termindruck bestehen vor allem für diejenigen, die eben nicht im (erhaltenen) Elfenbeinturm sitzen – den es tatsächlich durchaus noch gibt.
Vielleicht „bürgernah“ gedacht, aber zu einem „hohen Preis ausgerollt“ auf dem Rücken des ausführenden Personals: die Bündelung von Aufgaben. Es mag gut gedacht sein, dass es in manchen Behörden nur noch einen Ansprechpartner gibt für eine dem Bürger zugeordnete Kundennummer. Aus einstigen ausgebildeten „Experten“ wurden aber „Generalisten“ gemacht, die nun trotz allem genauso gut und fit auf jedem der anderen (für sie neuen) Sachgebiete sein sollen.
Selbst, wenn Fortbildung fast überall sehr großgeschrieben wird, bedeutet das eine unglaubliche Verdichtung der Arbeitsfelder – einhergehend mit mehr Verantwortung bei zunehmender Komplexität der Arbeitsgrundlagen. Für die Weiterqualifizierung auf wichtigen Gebieten, wie (neue) Einnahmequellen, gibt es neuerdings auch noch engere Filter, so dass nur noch zwei statt bisher sechs Mitarbeiter in Betracht gezogen werden könnten. Können muss man alles am Ende trotzdem zur Zufriedenheit aller.
Obwohl hier für die Arbeit auch generell mehr Geld geboten werden könnte, bleibt sie im Empfinden mancher zu selbstverständlich. Der generelle Kulturwandel sei nicht nur spürbar, sondern offensichtlich: Aus ehemaligen Bürgerdienstleistern sind „Einnahmequellen“ gemacht worden. Anstatt die dort stattfindende Erwirtschaftung zu würdigen, würden nur noch die Defizite hervorhoben werden.
Für die Mitarbeiter „unten“ seien die „fetten Jahre“ längst vorbei, die hätten sich runtergebrochen – da käme nicht mehr viel an, stattdessen Listen um Listen, die brav abgearbeitet werden sollen bis zur Deadline.
Als der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) umgewandelt wurde und eine leistungsorientierte Bezahlung umgesetzt werden sollte, sollte anfangs ein Prozent der gesamten Gehälter auf alle verteilen werden – bei besonderen Leistungen. Was dabei gut klang: Solche Leistungsprämien sollten von nun an nicht mehr nur „Nasenprämien für Best-Buddys“ sein.
Mögliche „Hilfskriterien“ zur Beurteilung sollten unter anderem sein: sozial, quantitativ, qualitativ … Was aber stattdessen stattfand, war eine Nivellierung nach „Ergebnis“. Denn: je höher die Entgeltstufe, desto besser die Eingruppierung. Hier kamen dann doch wieder „alte Denkstrukturen“ zum Tragen, anstatt etwas zu verbessern: je niedriger die Stufe, desto geringer die Anforderungen (so dachte und denkt man wohl weiterhin oft). Das Ergebnis: Die Demotivation vieler war und ist extrem hoch, weil sich Leistung nicht auszuzahlen scheint – auch nicht in der eher symbolischen Anerkennung.
Die daraus resultierende ohnehin geringere Motivation der Mitarbeiter rührt zusätzlich daher, weil es eben ohnehin nicht viel Geld gibt. Es geht dabei einfach rein um „Scores“ – also immer um „Vergleiche“, was sogar eher zur Steigerung der Unzufriedenheit beiträgt. Das Gefühl der „Leistungsbemessenen“: Eine positive Umsetzung des Ganzen (auch im Hinblick auf Entwicklung) ist überhaupt nicht geschehen, sondern das Prinzip wird sogar noch negativ umgekehrt.
Sozial – stets – gut versorgt?
Natürlich gewöhnen sich Mitarbeiter schnell an positive Veränderungen oder Vergünstigungen, wie Gleitzeitmodelle und Abbaumöglichkeiten von Überstunden, Teilzeitjobangebote und Elternzeitregelungen, Homeoffice-Vereinbarungen und eine angeschlossene Kantine. Aber nicht nur diese „Benefits“ haben, ebenso wie Jobtickets oder E-Bikes, Unternehmen längst für ihr Recruitment für sich entdeckt. Das ist nichts, wo der öffentliche Dienst unbedingt „ungeschlagen“ konkurrieren könnte in Sachen Personalgewinnung.
Diejenigen, die erst einmal oder auch wiederholt befristet beschäftigt sind (oder im Volontariat), buckeln meist sehr ambitioniert Vollzeit, in der Hoffnung auf eine (weitere) Verlängerung, die selten vorgesehen ist – oder eben für ein möglichst gutes Zeugnis „für später“. Sie bekommen, aber gleichzeitig nicht unbedingt den benötigten Kredit oder eine angemessene Wohnung für einen guten „Start“ in den neuen Job, der zunächst keine wirkliche Perspektive bereithält.
Das wird ganz gern vor allem da gemacht, wo Bewerber aufgrund ihrer fachlichen Spezialisierung ohnehin „froh sein sollen“, überhaupt etwas zu bekommen – und dies betrifft ganz gern auch hochqualifizierte Akademiker, die davon ausgehen sollen, dass es ihnen später ohnehin „ganz sicher mal“ gut gehen wird … Solche „Spiele“ können sogar so weit getrieben werden, dass Beschäftigungsverhältnisse in Dauerhäppchen aufrechterhalten werden – bis zu 15 Jahre lang – aufgrund unterschiedlichster Befristungsgründe. Sicherlich könnte man so etwas vielleicht dann irgendwann arbeitsgerichtlich anfechten, aber wer tut das schon, wenn er den Job dringend braucht und dann inzwischen auch längst keinen „Vorzeigelebenslauf“ mehr vorweisen kann für etwas „Besseres“. Wer am längeren Hebel sitzt, ist in der Sache definitiv auf der sicher(er)en Seite.
Wer es glücklich bis zur Rente geschafft hat, freut sich natürlich über eine Zusatzversorgung – für alle anderen gilt, dass sie die Anwartschaft erfüllt haben müssen. Kurz mal in den öffentlichen Dienst lohnt sich hier also weniger. Etwa sicherer kann man sich – im Vergleich zur freien Wirtschaft – fühlen, wenn man länger krank wird. Die Furcht, den Job zu verlieren, darf hier durchaus geringer sein. Ob das Betriebliche Gesundheitsmanagement immer dann gut greift, wenn nach längerem Wegbleiben „adäquate“ Wieder- und Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gefunden werden sollen, hängt allerdings sehr stark von der Stelle ab, an der man sich gerade befindet.
Was nach längerer Krankheit dazu dienen sollte, das Leben in den erneuten Jobeinstieg zu erleichtern, dauert oft lange, bis es wirklich gut ist. Die Mitarbeiter fühlen sich nicht selten gebrandmarkt in ihrer schweren Situation und sind bei ihrer Rückkehr oft unsicher ohne Ende. Das hilft dann bei keinerlei Form der Genesung – (innerlicher) Druck wird sogar oft zusätzlich aufgebaut. Dann geht unter Umständen alles erst recht schief – unter dem äußerlich wohlwollenden Deckmäntelchen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.
Auch hier zeigt sich das gesamtgesellschaftliche Problem genauso stark wie andernorts in Wirtschaft und Gesellschaft: Man „darf einfach nicht“ an der Seele krank werden oder sein. Weiterhin Belastete können durch Kollegen nicht (mehr) mit durchgezogen werden – vor allem bei den Pflichtaufgaben. Manch einer bezeichnet das System daher als „pseudosozial“. Hier kann es durchaus im schlimmeren Fall auch noch passieren, dass man dann massiv in die Frührente gedrängt wird, was im öffentlichen Dienst ja viel „einfacher“ geht. Die öffentliche Hand leistet es sich eben längst nicht mehr in dem Maße, „Schwächere“ mitzuziehen, wie man es einst von ihr als soziale(re)m Arbeitgeber gewohnt war – eine menschlich gesehen dunklere Kehrseite der Medaille in Form von Kosteneffizienz.
Was man natürlich positiv hervorheben muss für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, sind die Arbeitgeberkindergärten und weitere Betreuungsmöglichkeiten. Hier hat man nicht das Problem mit endlosen Wartelisten, sondern spurt die Vorteile der Bevorzugung ganz deutlich – der Kindergartenplatz ist den Mitarbeitern ziemlich sicher, wenn entsprechende Einrichtungen angebunden sind. Auch gibt es mancherorts temporär bei bestimmten Vorfällen die Möglichkeit, ein eigenes Notbüro in Anspruch zu nehmen, wo sich das Kind während der Arbeitszeit mit aufhalten darf. Was die Arbeitszeitmodelle betrifft, so macht der öffentliche Dienst je nach Einsatzort fast alle Teilzeit-Kombinationen möglich – auch für Paare, wenn beide diesem angehören und beide in Elternzeit gehen wollen. Daher wird dieses Thema hier auch vermehrt von Vätern gelebt, dies war vor etwa zehn Jahren noch ganz anders.
(Arbeits-)Zeit furs Zwischenmenschliche?
Auch im öffentlichen Dienst hat man, im Vergleich zu früher, im Arbeitsalltag mittlerweile deutlich weniger Zeit für die schönen Dinge neben der Arbeit. Gestrichen wurden in vielen Behörden und Institutionen inzwischen die Bereichsweihnachtsfeiern, der Beginn von Abteilungs- oder Teamweihnachtsfeiern im Laufe des Arbeitstages, ein halber freier Geburtstag (wenn man davor anwesend und „arbeiten“ war). Zudem wurden auch die Rahmenbedingungen für gemeinsame Ausflüge geändert, indem der eigene Freizeitanteil dafür heraufgesetzt wurde.
Auf den ersten Blick mag der Vergleich hier nicht passen, dass viele Firmen gerade das Miteinander (wieder) vermehrt in die Unternehmenskultur und das Arbeitsleben einbringen wollen – vor allem Startups. Aber warum sollte so etwas auch mit öffentlichen Mitteln bezahlt werden? Hier kommt genau das Bild zum Tragen, dass im öffentlichen Dienst ohnehin „nichts erwirtschaftet“ wird, was ja oft gleichgesetzt wird mit „nicht(s) leisten“. Und daher will es sich die öffentliche Hand als solche ebenfalls keinesfalls (mehr) leisten, einstigen „Feierkulturen zu frönen“. Es muss deshalb auch an der Freude gespart werden, denn die könnte ja zu viel kosten und zu wenig (ein)bringen … Wer nur „mit dem Rotstift“ schauen kann, dem wird sich der vielleicht nicht direkt bemessbare Mehrwert von bereichsübergreifendem Austausch ohnehin genauso wenig erschließen wie der Mehrwert von Spaß an oder bei der Arbeit.
Schöne „neue“ Digitalisierung?
Befragt man verschiedene Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, wie sie den Wandel durch Digitalisierung empfunden haben, so bekommt man nicht selten zu hören, es seien einfach nur jede Menge digitale Prozesse eingeführt worden – diese seien aber bei Weitem nicht ausgegoren. Sie geben an, ihr Arbeitsleben sei dadurch sogar erheblich verkompliziert worden. Statt dem eigentlichen Arbeiten gebe es im Grunde genommen sogar noch mehr Selbstverwaltung, als es ohnehin schon der Fall gewesen wäre – sei es bei Themen wie Finanzen oder der Archivierung.
Für einige habe sich das Dokumenten- Management-System insgesamt im Laufe der Zeit sogar noch verschlechtert, z. B. bei der einfachen Suche nach bestimmten Handakten, die nun nicht einmal mehr per Stichwortsuche ermittelt werden können. Ein großes Problem seien ebenso die Abbildung in mehreren Systemen und die fehlende Synchronisation, so dass Auffindbarkeit und Aktualität schon mal Glückssache sein können. Ähnlich „spannend“ sei es bei dem digitalen Abzeichnungsprozess, da die Systeme nicht richtig eingerichtet seien. Theorie und Praxis würden hier extrem auseinanderklaffen.
Die „Gemengelage im digitalen Chaos“: Berechtigungen sind nicht immer gegeben, Vorlagen können nicht eingesehen werden oder falsche Versionen sind (noch) hinterlegt. Wegen mangelnder Zugriffsrechte würden relevante Informationen von außen (z. B. von Verbänden und Bürgervereinen) nicht an die richtigen Stellen weitergegeben bzw. dort eingekippt werden. Aber auch da, wo schlichtweg E-Akten fehlen, kommt es zu Komplikationen, weil Vorgänge nicht (abschließend) bearbeitet werden können. Nicht selten würden Sachbearbeiter zudem Arbeitsvorgänge verkomplizieren und die Zuständigkeiten seien oft nicht immer ersichtlich. Also würde man sich vieles gegenseitig zuschieben – und damit auch die Verantwortung, wenn es dann mal so richtig schiefgeht.
Am „Ende“ käme es dann eben zusätzlich zu menschlichen Reibungsverlusten – dabei seien ebenso die vielen parallelen Systeme das Problem wie selbstgestrickte (von der Basis her veralteten) Programme, deren Ersteller ihr Know-how mit in die Rente genommen hätten. Das Fazit der Mitarbeiter insgesamt: Die ITInfrastruktur sei immer noch zu „unausgegoren“, egal wie sehr man sich täglich damit zu arrangieren versucht. Manche Behörden denken da bereits vermehrt über Outsouring nach, wo technische Personal fehlt. Aber wie schnell wird ein Dienstleister da sein können, wenn der Server sich ausklinkt oder auch nur, wenn einzelne Rechner nicht mehr funktionieren? Sicher nicht sofort …
Auch agiles Arbeiten und Homeoffice?
Wer im öffentlichen Dienst nicht im Bereich der Pflichtaufgaben, sondern im Arbeitsumfeld der freiwilligen Aufgaben eingesetzt ist, muss mittlerweile sehr agil arbeiten können. Die Arbeitsweise wird durch das Tempo und die Wechselhaftigkeit der Politik bestimmt. Eines nach dem anderen abzuarbeiten – wie man es sich im „klassischen Beamtentum vorstellt –, ist hier gar nicht möglich. Man probiert täglich eine „innere Priorisierung“, die dann garantiert von außen zerhagelt wird. Das kostet viel Energie – bei wenig Unterstützung von oben. In diesen Bereichen gestaltet sich die Arbeit gefühlt so, als reagiere man nur, anstatt konzeptionell zu arbeiten, und man „spiele eigentlich nur Feuerwehr“. Für manche Stellen hat die Zentralisierung von Verwaltungen zu einer deutlichen Erschwerung der „Arbeitsbeweglichkeit“ geführt. Wo die einen von der neuen Souveränität durchaus profitieren, stehen andere vor dem Problem, dass nicht jeder Bedarf (sei es an Personal oder Mitteln) drei Monate im Voraus vorhergesehen und beantragt werden kann – da fehlt es dann schnell mal an vielem. Durch Corona wurde die Einstellung der Vorgesetzten zum Thema Homeoffice nun endlich positiv beeinflusst. In manchen Bereichen ist die Möglichkeit von bis zu 50 Prozent geblieben, woanders sehen Betriebsvereinbarungen immerhin einen Tag die Woche vor, wenn sich dies mit den Präsenzanforderungen bewerkstelligen lässt. Es wäre nun auch unmöglich gewesen, etwas komplett rückgängig machen zu wollen, was man zwischendrin zwanghaft eingefordert hatte von Arbeitgeberseite, „damit der Laden (weiter-)läuft“. Nun nimmt man auch im öffentlichen Dienst die Nachteile der Nichterreichbarkeit in Kauf. Aber natürlich sind viele Amtsleitungen weiterhin davon überzeugt, dass Produktivität weiterhin an Präsenz geknüpft sein muss. Das „falsche Denken von oben“ ist damit längst kein „Schnee von gestern“ und führt nicht selten weiterhin zur misstrauischen Zwangsumkehr gegenüber den Mitarbeitern. So manch einer nutzt das „etwas stillere“ Homeoffice für sich als wichtige Aufarbeitungszeit, die er sonst nie hätte, was man nicht wirklich als verwerflich ansehen kann.
Auf jeden Fall gibt es nun bereits nachhaltige Veränderungen: Arbeitsplätze wurden – so gut es ging – Homeofficetauglich gemacht, was natürlich überall unterschiedlich ausfiel: bereitgestellte Bildschirme, Tablets und Diensthandys bleiben im Großen und Ganzen – natürlich orientiert sich der gelieferte Extra- Bürostuhl für zu Hause eher wieder an der „Wichtigkeit der Person“, also an der Hierarchie. Was ebenso bleibt, sind die Videokonferenzen, für die mittlerweile bessere Zeitfenster gefunden werden können, wenn das Thema Anwesenheit vor Ort bzw. Anfahrt wegfällt. Das mag zwar insgesamt natürlich so seine Vorteile haben. Manche beklagen aber wiederum, dass die Anzahl der Besprechungen dadurch zugenommen hätte und nun sogar noch mehr „zerredet“ würde, als dies zuvor der Fall gewesen sei.
Große Vorteile durch mittlerweile getroffene Homeoffice-Regelungen bleiben natürlich auch vor allem für die Pendler, die nun nicht mehr für alles Urlaub nehmen müssen, was es sonst noch für sie privat zu erledigen gibt. Die Gleitzeit in Kombination mit Homeoffice fördert ganz klar das Thema Work-Life-Balance in hohem Maße. Beides kennt man aus der freien Wirtschaft – aber das neue Gefühl für Beschäftigte im öffentlichen Dienst ist, dass hier nun etwas „eingefordert“ werden kann und dass es sich hier endlich um einen Bereich der eigenen Arbeitswelt handelt, der auch mal Geben und Nehmen beinhaltet und nicht nur das bisherige Nehmen, weil es die „Vorschriften“ eben so vorsehen.
Prima Personal(-Führung)?
Auch wenn Personal längst fehlt, dann wird eines weiterverfolgt und „gelebt“: An Personal soll am besten immer gespart werden im öffentlichen Dienst. Fragt man Betroffene, so suchen die Personaler bei den Ämtern meist nicht die Lösungen, sondern die Probleme. Regelmäßige Krankschreibungen von Kollegen (z. B. durch Klinikaufenthalt) bedeuten permanentes Ausbaden des Arbeitspensums durch die „verbliebenen“ Kollegen. Eine dauerhafte Entlastung durch neue Ausschreibungen gibt es nur selten. Ein unbestrittener Vorteil im öffentlichen Dienst ist andererseits, man muss nicht kündigen, wenn einem der Job oder das unmittelbare Arbeitsumfeld nicht gefällt, man kann sich adäquat versetzen lassen.
Und wenn „Vertretungs“-Stellen doch mal geschaffen werden, dann unterliegen sie dem Versuch, alles, was an zusammengefassten Stellenanteilen in der Abteilung aufzufangen wäre, mit hineinzupacken – am besten Elternzeit und Krankheitsvertretungen in einem. Hauptaugenmerk dabei: Alles muss vor allem rechtlich einwandfrei sein. Das kann dann so weit gehen, dass sich die beschäftigte Person bei einer Elternzeit erst acht Wochen nach der Geburt offiziell erklärt über die voraussichtliche Wiederaufnahme der Arbeit. Dann wird erst die Stelle ausgeschrieben, die schon längst einer Vertretung bedurft hätte. Andersherum hingehalten werden ganz gern die befristet Beschäftigten, um die Leute so lange wie möglich trotzdem zu halten, da sie derzeit ja noch benötigt werden. Hier wird immer noch zu oft eine schlechte Kommunikation gelebt, die ganz und gar nicht auf Augenhöhe ist. Man praktiziert in diesem Fall gern ein „vorschriftsmäßiges“ Rumgeeiere, das sich in Wirklichkeit nicht anders darstellt als gewolltes unsoziales Verhalten durch Vorgesetzte. Generell vermittle die ganze Personalpolitik, „rechtlich einwandfrei“ zu handeln, stünde überall absolut über dem Menschlichen – selbst, wenn es dazu diene, sich selbst bloß dahinter „zu verstecken“.
Ämterübergreifend verschanzt man sich inzwischen zudem gern hinter seinen Bergen an Arbeit: Aufgrund der aufgelaufenen Menge an Aufgaben wird sich gegenseitig zugeschoben, was geht – und das ämter- und dezernatsübergreifend. Auch das, was man früher einmal gemeinsam gelöst hätte. Und da das jeder macht, kommt es oft wieder zu einem zurück.
Der Drang zur Selbstdarstellung auf Führungsebene hat definitiv zugenommen. Die Amtsleitungen und Dezernenten sind mittlerweile viel mehr auf das (äußere) Image bedacht als früher. Stark zugenommen hat die Tendenz, nach außen glänzen zu wollen, bei gleichzeitig sinkender Überzeugung (auch gegenüber den Mitarbeitern), wirklich etwas gestalten zu wollen. Was unten immer mehr ankommt, ist, dass durchzunehmende Controlling-Instrumente aus der Wirtschaft das Gefühl des (gegenseitigen) Vertrauens den Bach runtergeht – wo doch Loyalität einst einmal die Basis der Berufsverbindung darstellte.
Bereits angekommen im Recruiting von morgen?
Wenn sich an einer Stelle das Vorurteil der Schwerfälligkeit des öffentlichen Dienstes weiterhin bewahrheitet, dann bei der Besetzung höherer Stellen. Aber bei der Entgeltstufe „E 14“ muss ja neben dem Personalausschuss auch noch der Gemeinderat hinzugezogen werden. Hier zeigt sich eine Seite der „traurigen Wahrheit“ des Recruitings: Der Arbeitsmarkt ist zu schnell geworden. Der Bewerber soll oft noch bis zu drei Monate warten bis zum Abschluss des Bewerbungsverfahrens. Dem öffentlichen Arbeitgeber sind hier zwar wirklich die Hände gebunden. Das wird aber oft zu schlecht kommuniziert – und ganz ehrlich: Wer will schon so lange warten auf die Zu- oder Absage, ohne sonst planen zu können? Gerade auch, wenn man in seinem Job gut und hochqualifiziert ist?
Insgesamt versucht die öffentliche Hand durchaus, Anschluss an das moderne Recruiting zu bekommen. Das macht sich insgesamt schon inhaltlich bei den Ausschreibungen bemerkbar – auch im Hinblick auf Aspekte der Attraktivität oder der garantierten Übernahme nach der Ausbildung. Im IT-Bereich versucht man hier zusätzlich bereits mit der Vergütung etwas Anschluss zu finden, da dort händeringend Personal benötigt wird. Quereinstiege im öffentlichen Dienst sind weiterhin nur schwer möglich. Die Qualifizierung muss passen – und wenn es „nur“ die kaufmännische ist. Beim Thema „vergleichbare Qualifikationen“ dominieren immer noch die Zeugnisse und Zertifikate, adäquate oder ähnliche Tätigkeiten oder Erfahrungen finden immer noch wenig bzw. kaum Berücksichtigung. Hier sollte man (weiterhin) lernen, Lebensläufe (noch) kreativer zu lesen.
Von Vorteil für die zeitgemäße Personalgewinnung sind sicherlich auch eigene Plattformen wie INTERAMT – und auch in Social Media versucht sich die eine oder andere Behörde inzwischen mehr oder weniger gut. Zum Abschluss daher noch zwei Beispiele des Versuchs der Personalgewinnung, bei dem das eine dafür steht, wie und wo falsch über das Ziel hinausgeschossen wird, und das andere zeigt, wie Aspekte des modernen Recruitings clever und gleichzeitig der Sache angemessen und bodenständig funktionieren können: Eine Bäderverwaltung, die für die Schwimmaufsicht in der Ausschreibung mit „Spaß und Action“ wirbt, dabei junge Leute anspricht, die „gern den ganzen Tag an der Sonne arbeiten wollen“ und den „Lifeguard“ im Hashtag versteckt, spricht die vermeintliche Zielgruppe mit (völlig) falschen Vorstellungen von der eigentlichen Tätigkeit an. Dass es heute und in Zukunft in ganz großem Maß um „Attitude“ geht und gehen sollte, setzt die Stadtverwaltung Stuttgart derzeit schon sehr schlau und charmant mit dem Slogan: „non Beruf Stuttgart“ in verschiedenen ihrer Stellenausschreibungen um.
In Zukunft wird die Einstellung in der Arbeitswelt das sein, was von enorm großer Bedeutung werden wird – denn alles andere an Wissen und Fertigkeiten lässt sich auch später (noch) vermitteln. Insgesamt bleibt zu sagen: Dieser Artikel über die öffentliche Arbeitswelt erhebt in keinster Weise einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit (oder Vollständigkeit), er legt aber bewusst die „Finger in bestehende Wunden“. Es ist wahrlich nicht alles schlecht – aber vieles kann und sollte besser werden, damit die öffentliche Hand wieder zu einem der Top-Arbeitgeber im Lande werden kann: wo man (heute und morgen) gern und stolz und eben am liebsten zuerst für die Ausbildung oder zum Arbeiten hingeht.
Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin und Jobcoach