Interview mit Georg Jansen : Zeitarbeit der Zukunft – viel mehr als nur Vermittlung
In Berlin wurde zum Jahresanfang erneut über die Leih- und Zeitarbeit in der Pflege debattiert. Danach äußerten Vorstände einiger Kliniken den Wunsch einer Berliner Bundesratsinitiative für einen Leasing-Stopp in der Pflege.
Charité-Personalchefin Carla Eysel plädierte dafür, Leih- und Zeitarbeit in den Kliniken mindestens zu regulieren, wenn nicht sogar völlig zu verbieten. Ricardo Lange, Deutschlands wohl bekannteste Pflegekraft, der mit seinem Buch „Intensiv: Wenn der Ausnahmezustand Alltag ist“ 2022 einen Spiegel-Bestseller landete und sich öffentlich unermüdlich für eine Behebung des Pflegenotstands einsetzt, hält in der Berliner Zeitung dagegen: „Leiharbeit in der Pflege rettet vielen Kliniken den Hintern!“ Dabei besteht die allgemeine Befürchtung, der vermehrte Wechsel von Fachkräften zu Zeitarbeitsfirmen werde dafür sorgen, dass am Ende die Altenheime, Krankenhäuser und letztlich auch die Versicherten draufzahlen.
Es gibt Hinweise, dass die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege auch Vorteile mit sich bringen, von der nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch die Einrichtungen profitieren. Welche Vorteile können Letztere durch das Konzept der Zeitarbeit in der Pflege denn nachweislich haben?
Die Vorteile der Zeitarbeit sind ja branchenübergreifend bekannt: In erster Linie ist hier die schnelle Kompensation bei Personalengpässen zu nennen, die beispielsweise durch Krankheit, Urlaub oder Auftragsspitzen entstehen. Hier liegen die Stärken von seriösen Leiharbeitsunternehmen. Personalleasing ist damit eindeutig eine starke Unterstützung für nachfragende Unternehmen. Weiterhin bietet sich für entleihende Einrichtungen auch der Vorteil, dass das Leasingpersonal über Erfahrungen und Routinen aus anderen, vergleichbaren Tätigkeiten verfügt und diese einbringen kann – und umso qualifizierter das Personal, umso besser.

Das oft höhere Gehalt der Zeitarbeitenden stößt vor allem bei Festangestellten nicht selten auf wenig Verständnis und wird von ihnen als ungerecht empfunden, wodurch Neid und Missgunst das Betriebsklima womöglich nachhaltig negativ beeinflussen. Wie könnte so etwas verhindert werden?
Für Leiharbeitsfirmen ist es ein Leichtes, diese Gehälter zu zahlen. Es ist seit langer Zeit bekannt, wie es um die finanzielle Situation in der Pflege bestellt ist. Dies gilt sowohl für den klinischen wie auch für den altenpflegerischen Bereich. Die Gehälter, die an die überlassenen Mitarbeiter gezahlt werden, holen sich die Leiharbeitsfirmen inklusive aller internen Kosten von den entleihenden Unternehmen zurück. Somit ist es natürlich einfach, die Gehälter des Stammpersonals zu überbieten – selbst nach der tariflichen Anpassung, die im September vergangenen Jahres stattgefunden hat.
Der gewinnbringende Nebeneffekt für die Leiharbeit: Die Pflegeeinrichtungen brauchen die Mitarbeiter. Dadurch wird dann auch fast jede Entleihgebühr bezahlt. Und um die Leasingunternehmen auch wirklich zur Lieferung zu bewegen, können die Leasingmitarbeiter sich ihre Schichten im Grunde frei aussuchen.
Hier stehen nun die Verständnisfragen der Stammbelegschaft im Raum. Nicht selten hat dies zur Folge, dass Stammmitarbeiter diese Ausgangslage zum Anlass nehmen, ebenfalls die Anstellung in der Pflege zu verlassen und in die Leiharbeit zu wechseln. Der Hintergrund sind also das Geld, die Schichten und der Personalschlüssel. Dort gilt es anzusetzen.
Vorab: Ein schon öfter ins Gespräch gebrachte Verbot der Zeitarbeit in der Pflege kann keinesfalls die Lösung sein. Sehr wohl aber muss schnellstens darüber nachgedacht und eine Lösung gefunden werden, wie eine Vergütung der Leiharbeit aussehen kann. Die tariflichen Möglichkeiten der Zeitarbeit müssen mit Obergrenzen versehen und entsprechend den Verrechnungssätzen gedeckelt werden.
Zusätzlich muss die Personaldecke entlastet und es müssen Mitarbeiter eingestellt werden. Auch die Zuführung von Mitarbeitern aus Drittstaaten muss ein Thema sein und bleiben. Schon heute gibt es hier seriöse Unternehmen, die geschultes und qualifiziertes Personal zur Verfügung stellen und die Anerkennung und Integration begleiten.
Mehr Personal entspannt dann auch die Einsatzplanung. Zusätzlich müssen die Mitarbeiter auch die Möglichkeit zur Weiterqualifizierung bekommen. Leistung muss sich lohnen. Dann macht Leistung Spaß. Ein wertschätzender Umgang und eine gute Work-Life-Balance sollten eine gelebte Selbstverständlichkeit sein. Sind diese Basics erfüllt, dann funktioniert das auch wieder mit der Harmonie und Zufriedenheit.

Die Zeitarbeitsfirmen stehen vor allem wegen des ungleichen Gehaltsgefüges in der Kritik. Durch ungleiche Verdienste und auch bessere Konditionen für Zeitarbeitende ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass immer mehr Pflegekräfte auf eine Festanstellung verzichten werden und stattdessen die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerüberlassungen bevorzugen. Wird ohne die zuverlässigen und verbindlichen Festanstellungen die Planung, Finanzierung und Organisation von Pflegeinstitutionen nicht immer schwieriger?
Das liegt auf der Hand: Die Abwanderung der Stammbelegschaft sowohl im klinischen Bereich als auch im ambulanten und stationären Altenpflegebereich bringt die Pflegebranche in extreme Schwierigkeiten. Diese Situation ist allerdings nicht „über Nacht“ entstanden, sondern einer Fehlentwicklung geschuldet, die seit Dekaden anhält.
Von der Politik und der Gesellschaft wenig bis gar nicht beachtet, gab und gibt es auf beiden Seiten Anbieter, die die Situation für ihre eigenen Interessen genutzt haben. Dem wird aktuell versucht, gegenzusteuern. Die Pflege ist auf den festen Mitarbeiterstamm zwingend angewiesen. Nur so kann die Pflege für die Zukunft geplant, organisiert und im Interesse aller Beteiligten durchgeführt werden. Werden die Finanzierung der Pflege und damit auch die Personaluntergrenze und die Vergütung der Pflegekräfte erst auf ein sinnvolles Niveau gesetzt, erleichtert das die weitere Planung und Organisation in der Pflege.
Aus Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bietet eine Beschäftigung über Zeitarbeit zunächst wohl einige Vorteile – was sind hier die wichtigsten, wo ihnen ja sonst viel Flexibilität abverlangt wird? Und werden im Gegenzug die überzeugendsten Argumente für die Festanstellung, wie Beständigkeit und Sicherheit, nicht entscheidende Faktoren bleiben?
Die Wahl der Schichten und natürlich die Gehaltssituation sind absolute Vorteile – wenn man das aus der Sicht der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer sieht. Stößt man bei der Entleihfirma auf Schwierigkeiten, kann man um einen neuen Arbeitgeber bitten. Damit sind sowohl der Leasingmitarbeiter als auch das Leiharbeitsunternehmen immer auf der entspannten Seite.
Beständigkeit und Sicherheit sind immer wünschenswert. Aber solange diese Werte hinter dem monetären Aspekt zurückbleiben, so lange wird es die Stammbelegschaft schwer haben. Es sei denn, der Aspekt „pro Mensch“ kommt in den Vordergrund zurück. Bitte an dieser Stelle nicht falsch verstehen. Gute Leistung muss entsprechend bezahlt werden. Aber wir reden hier noch immer über den Umgang mit dem schwächsten Glied in der Kette: dem Menschen, dem die Pflege zu seinem Wohl zuteilwerden soll – es geht ja nicht „nur“ um ein Geldgeschäft.
Die Pflege ist allerdings kein esoterischer Verein, der weder die Schutzbefohlenen noch die Mitarbeiter mit Licht, Luft und Liebe bei Laune hält. Die Pflegeunternehmen und die darin Beschäftigten tragen Verantwortung. Gute Unternehmen und Mitarbeiter haben das erkannt. Die Zahl der ehemals in der Zeitarbeit Beschäftigten, die zurück in die Festanstellung bei Pflegearbeitgebern wollen, nimmt in letzter Zeit wieder zu. Beständigkeit und Sicherheit – und nicht zuletzt ein guter Ruf eines Arbeitgebers – werden wieder wichtiger.

Auf welcher Basis werden Ihrer Ansicht nach Pflegekräfte ihre Entscheidung zukünftig vermehrt treffen, wenn es um die besten Arbeitsbedingungen für sie geht? Wie kann die zu große Furcht der Arbeitgeber vor zu hohen Zusatzkosten durch Leiharbeiter vermindert werden? Und wie passen solche vehementen Forderungen etwa nach Deckelung der Bezahlung in der Pflege zusammen mit den Themen Fachkräftemangel, der Erhöhung der Attraktivität der Pflegeberufe und – vor allem – mit der Frage nach einer fairen Bezahlung (für alle) zusammen, wo doch so dringend zukunftsfähige Lösungen gebraucht werden?
Ich bin davon überzeugt, dass sich die Pflegekräfte in absehbarer Zeit wieder zunehmend auf die alten Werte besinnen. „Pflege ist nicht nur ein Beruf, sondern Berufung“: Das funktioniert aber nur, wenn sich die Rahmenbedingungen zugunsten der Pflege ändern. Darüber hinaus wurde die Diskussion in den vergangenen Monaten auf allen Seiten zunehmend aufgeheizt und polemisiert. Das ist einer Lösungsfindung nicht dienlich.
Pflegekräfte werden sich auch weiterhin daran orientieren, ob sie für ihre Tätigkeit angemessen entlohnt werden und ob sie auch die Möglichkeit haben, zumindest anteilig, über ihre Schichten und Arbeitszeiten mitzuentscheiden. Können Arbeitgeber dies ihren Mitarbeitern bieten, dann steigen zwar die Gehälter und es müssen mehr Arbeitnehmer beschäftigt werden, aber es kann ein nicht unerheblicher Teil der Kosten für Leiharbeit eingespart werden. Bietet ein Arbeitgeber das seinen Mitarbeitern, so werden diese nicht abwandern und müssen dann auch nicht für teures Geld entliehen werden.
Also: Die Pflege braucht mehr Geld, mehr Personal und endlich wieder Ruhe am Markt. Sie braucht einen Ruf als attraktiver Arbeitgeber. Als Branche – mit ihren Chancen und Möglichkeiten. Die Pflege muss sich noch weiter öffnen, muss zukunftsorientierter denken. Nicht nur geldbezogen, sondern auf den Menschen fokussiert. Die Menschen, die in der Pflege arbeiten, machen das aus Überzeugung. Das muss insgesamt wirklich anerkannt werden, sonst wandern sie weiter in die Leiharbeit ab. Das hilft dann niemandem.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin + Recruiting-Spezialistin

Georg Jansen, Inhaber GJC, Georg Jansen Consulting, Spezialist für Medical, Care und Office Georg Jansen ist gelernter Industriekaufmann, hat 14 Jahre bei einem Träger der GKV gearbeitet und fünf Jahre als Dienstleister für die Zeitarbeit. Sein Schwerpunkt liegt in der Vermittlung von Fach- und Führungskräften aus den Bereichen Pflege, Medical und Office.