Versicherungsrechtliche Beurteilung : Vorruhestand und vorgezogene Altersrente
In der täglichen Praxis kommt es immer seltener vor, dass es in den Betrieben noch Vorruhestandsregelungen oder Altersteilzeitvereinbarungen gibt. Das Problem ist der Fachkräftemangel in der Wirtschaft. Man will die älteren Arbeitnehmer möglichst lange im Unternehmen halten und nicht verlieren, anders als noch vor über 20 Jahren.

Sollte es in einem Unternehmen doch noch Vorruhestandsgeldempfänger geben, stellt sich die Frage für die Personalabrechner, wie die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung zu erfolgen hat, wenn der Betroffene gleichzeitig einen Anspruch auf vorgezogene Altersrente hat.
Bezieher von Vorruhestandsgeld werden nach § 5 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) V und § 20 Absatz 2 SGB XI wie gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Arbeiter und Angestellte behandelt und als solche der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung unterstellt. In der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen Bezieher von Vorruhestandsgeld nach § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI als sonstige Versicherte der Versicherungspflicht.
Der Begriff des Vorruhestandsgeldes wird im Vorruhestandsgesetz (VRG) definiert. Das Vorruhestandsgesetz ist zwar bis zum 31.12.1988 befristet gewesen und galt danach nur noch für vor dem 01.01.1989 eingetretene Vorruhestandsfälle (§ 14 VRG), aber die Begriffsdefinition hat noch heute Gültigkeit.
Demnach setzt die Kranken-, Pflegeund Rentenversicherungspflicht unter anderem voraus, dass das Vorruhestandsgeld bis zum frühestmöglichen Beginn der Altersrente, wenn keine dieser Leistungen beansprucht werden kann, bis zum Ablauf des Kalendermonats gewährt wird, in dem der ausgeschiedene Arbeitnehmer die Regelaltersgrenze erreicht.
Vorruhestandsgeld auch nach Beginn der Altersrente
Im Zusammenhang mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen für vorgezogene Altersrenten der gesetzlichen Rentenversicherung in § 34 SGB VI seit dem 01.01.2023 stellt sich die Frage, ob das Vorruhestandsgeld auch über den Beginn einer vorgezogenen Altersrente hinaus bezogen werden kann, ohne dass sich dadurch Auswirkungen auf die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungspflicht ergeben.
Die Zahlung einer vorgezogenen Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung steht dem kranken-, pflege- und rentenversicherungspflichtigen Bezug von Vorruhestandsgeld entgegen. Ferner lässt sich auch der Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente mit dem Bezug von Vorruhestandsgeld im Sinne des Vorruhestandsgesetzes nicht ohne weiteres vereinbaren. Soweit dabei im Vorruhestandsgesetz vom 13.04.1984 auf den Anspruch auf eine Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze (vorgezogene Altersrente) abgestellt wird, betraf dies zum damaligen Zeitpunkt abschlagsfreie Altersrenten, da die Abschläge auf vorgezogene Altersrenten erstmals mit dem Rentenreformgesetz 1992 eingeführt wurden. Mit der Absicht des Vorruhestandsgesetzes, den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu erleichtern, dürfte ein Zwang zur Inanspruchnahme einer Altersrente mit Abschlägen jedoch nicht vereinbar sein. Die Regelung ist daher dahingehend auszulegen, dass auf den Anspruch auf eine abschlagsfreie Altersrente abzustellen ist.
Mit Beginn der vorgezogenen Altersrente
Der Abschluss einer Vorruhestandsvereinbarung, die den Bezug eines Vorruhestandsgeldes über diesen Zeitpunkt hinaus vorsieht, steht dem kranken-, pflege- und rentenversicherungspflichtigen Bezug von Vorruhestandsgeld jedoch zunächst nicht entgegen. Die Versicherungspflicht aufgrund des Bezugs von Vorruhestandsgeld endet ab dem Zeitpunkt, ab dem eine vorgezogene Altersrente (unerheblich, ob mit oder ohne Abschläge) oder eine vergleichbare Alterssicherungsleistung bezogen wird oder eine vorgezogene Altersrente ohne Abschläge beansprucht werden kann, spätestens jedoch mit Erreichen der Regelaltersgrenze beziehungsweise dem Anspruch auf eine Regelaltersrente.
Ulrich Frank, Sozialversicherungsfachwirt und Wirtschaftsjournalist