ABC der Künstlersozialabgabe : RECHTSPRECHUNG DES BSG 2018 | 2019 – TEIL 1
Digitale Öffentlichkeitsarbeit und die Beurteilung des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers im KSV-Abgaberecht
Neue digitale Unternehmensmodelle und Geschäftsabläufe beispielsweise in der Öffentlichkeitsarbeit haben sich deutlich schneller entwickelt, als dass die Rechtsprechung zum Künstlersozialversicherungsrecht der Entwicklung hätte folgen können. Aus Gründen der Aktualität ziehen wir die Berichterstattung zu aktuellen Urteilen den an dieser Stelle vorgesehenen Entscheidungshilfen für Unternehmen – Teile 20/21 – vor.
Digitale Öffentlichkeitsarbeit (BSG – B 3 KS 1/19 R)
Das Bayerische LSG begründet in seinem Urteil vom 21.11.2018 – L 6 R 5129/17 – die Zulassung der Revision zum BSG als sachgerecht
– einerseits mit der in diesem Fall erfolgten Anwendung des BSG-Urteils vom 16.04.1998 – B 3 KR 7/97 R – (Aufteilung des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführergehalts in KSVG-spezifische und sonstige Anteile erfolgt nicht) und
– andererseits mit dem Bedürfnis, die im Wege der Kasuistik vorgenommene weite Auslegung der Begrifflichkeiten des KSVG unter Einbeziehung neuer Unternehmensmodelle höchstrichterlich zu aktualisieren.
Für betroffene Unternehmen dürfte auch der Streitwert von 105.000 Euro als Nachforderung aus einer Betriebsprüfung der DRV für den Prüfzeitraum von nur drei Kalenderjahren interessant sein und – das Gericht beschreibt anschaulich und umfassend digitale Kommunikationsberatung. Das wird künftige Betriebsprüfungen und damit die Prüfergebnisse von DRV und KSK beeinflussen. Unter der Überschrift „Digitale Öffentlichkeitsarbeit“ liegt dem BSG das genannte Revisionsverfahren des Bayerischen LSG (s. o.) zur Entscheidung vor. Zu klären ist die Frage der Einbeziehung neuer Unternehmensmodelle in die Künstlersozialabgabepflicht, insbesondere in Bereichen, die im Rahmen neuer, digitaler Formen von Öffentlichkeitsarbeit maßgeblich am kreativen Wertschöpfungsprozess teilhaben.
Sachverhalt
Die klagende Agentur in der Rechtsform einer GmbH, die seit 2002 im Handelsregister mit dem Unternehmensgegenstand „Konzeption und Beratung auf dem Gebiet des Corporate-Identity-Designs, der Werbung, der Mediengestaltung und Medientechnik“ eingetragen war, ergänzte 2013 den Unternehmensgegenstand durch den Zusatz „sowie ausführungsjournalistische Tätigkeiten (u. a. Pressearbeit, Mediaproduktion)“. 2017 wurde der gesamte bisherige Unternehmensgegenstand ersetzt durch den Begriff „Holistische (Anmerkung: Ganzheitliche) Unternehmens- und Marketingberatung und Markenführung“. Beschäftigt werden regelmäßig zwischen 20 und 25 Mitarbeitern in insgesamt sieben Abteilungen (Beratung, Projektmanagement, Kreation Digital, Kreation Text sowie drei Abteilungen für kreatives Design). Der Mehrheitsgesellschafter mit 60 Prozent der Geschäftsanteile hat Ausbildungen durchlaufen, die Studiengänge der Kunst- und Medienwissenschaften sowie des Kommunikationsdesigns umfassen. Er war als CEO einer von zwei einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführern und hat die disziplinarische Führung bezüglich aller Mitarbeiter einschließlich der weiteren Führungskräfte sowie die fachliche Führung über die Mehrzahl der kreativen Abteilungen (ausgenommen „Kreation Text“).
Betriebsprüfung
Die 2015 durchgeführte Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1a SGB IV führte – im Gegensatz zu früheren Prüfungen – zur Feststellung der Künstlersozialabgabepflicht auf das dem o. g. Geschäftsführer gezahlte Gehalt mit der Begründung der geistigen Oberleitung als selbständiger GmbH-Geschäftsführer über die künstlerischen bzw. publizistischen Leistungen der GmbH in Form von – dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit zuzuordnender – strategischer Kommunikationsberatung.
Widerspruch
Der eingelegte Widerspruch wurde damit begründet, der o. g. Geschäftsführer übe im Wesentlichen eine Beratungstätigkeit in markenstrategischen Prozessen aus. Die Entwicklung, künstlerische Gestaltung und Umsetzung dieser Prozesse sei ein nachrangiger Bestandteil der Beratung und werde ausschließlich durch entsprechend ausgebildete Mitarbeiter übernommen. Die Tätigkeit erstrecke sich in erster Linie auf die Führung der Mitarbeiter, auf das Finanz- und Risikomanagement, auf die Weiterentwicklung der Unternehmensstrategie und er sei als erster Repräsentant der GmbH gegenüber Kunden verantwortlich. Früher durchgeführte Betriebsprüfungen hätten diesbezüglich keine Beanstandungen ergeben, die Agentur genieße insoweit Vertrauensschutz. Der Widerspruch wird 2016 als unbegründet zurückgewiesen und ergänzend dazu erwähnt, dass Vertrauensschutz im Hinblick auf frühere Prüfungen nicht bestehe; ältere Prüfungsmitteilungen würden nach der Rechtsprechung des BSG insoweit keine Feststellungen hinsichtlich nicht geprüfter Sachverhalte bzw. nicht erhobener Abgaben treffen.
Klage vor dem SG
Zur Begründung der Klage vor dem SG München wurde von der klagenden Agentur erneut vorgetragen, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit im Bereich der markenstrategischen Beratung auf dem Gebiet der Corporate Identity und des Corporate Branding liege. Insbesondere stelle der Bereich Strategie/Beratung keine Vorbereitungshandlung für eine Werbekonzeption und damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit dar. Der Schwerpunkt liege vielmehr in der Optimierung der strategischen Ausrichtung und dem Ausbau der Identität des Unternehmens. Die weitere Umsetzung der zuvor im Bereich Strategie ermittelten Erkenntnisse und die hieraus entwickelte strategische Neuausrichtung würden sodann durch abhängig Beschäftigte der Agentur im Sinne einer visuellen Gesamterscheinung umgesetzt. Der Geschäftsführer, auch Mehrheitsgesellschafter weiterer Unternehmen des Firmenverbundes, werde schwerpunktmäßig im Bereich Führung, Strategie- und Business Development sowie Risiko- und Finanzmanagement tätig. Neben einer quantitativen Analyse des auftraggebenden Unternehmens, seines Wettbewerbs- und Marktumfeldes würden beispielsweise auch Workshops zur Entwicklung von Werten und zur Markenführung angeboten. Der ermittelte Wertekanon werde dann zunächst auf Verhaltensebene, dann auf Dienstleistungsebene und zuletzt auf kommunikativer Ebene implementiert. Dieser Ansatz finde sich auch bei großen, klassischen Unternehmensberatungen. Der Geschäftsführer sei Spezialist darin, die Kunden auf C-Level-Ebene zur Visionsfindung zu beraten und dauerhaft zu begleiten. Die Entwicklung, künstlerische Gestaltung und Umsetzung von Design sei dagegen ein unabhängiger weiterer Bereich der Agentur, welcher von zwei Kreativdirektoren eigenständig fachlich geführt werde. Entgegen den Angaben im Organigramm stehe er den Kreativdirektoren lediglich auf Wunsch als Diskussionspartner zur Verfügung.
Das SG München wies 2017 die Klage der Agentur als unbegründet ab. Die strittige Einbeziehung des Geschäftsführergehalts in die Bemessungsgrundlage der Künstlersozialabgabe sei zu Recht und in der Höhe richtig erfolgt. Begründung: Der Geschäftsführer übe schwerpunktmäßig eine künstlerisch/publizistische Tätigkeit im Sinne des KSVG aus. Eine Aufteilung des Gehalts in künstlerisch/publizistische und administrative Anteile sei nicht vorzunehmen. Der Bereich „Strategie“ sei unmittelbar mit den von der Agentur erbrachten kreativen Elementen verzahnt. Der Geschäftsführer habe die geistige Oberleitung. Und auch im Hinblick auf seine Ausbildung sei es denkunlogisch, dass er sich mit den kreativen Aspekten nicht auseinandersetze. Die vorgelegten Unterlagen zeigten, dass die Tätigkeiten weit über den Umfang einer klassischen Unternehmensberatung hinausgingen. Die Klägerin verkenne insoweit den weitgefassten Kunstbegriff des KSVG. Hierunter würden auch alle Vorfeldaktivitäten für Öffentlichkeitsarbeit und Werbung fallen, wie insbesondere die unternehmensstrategische Aufstellung und die Entwicklung von Kommunikationsstrategien.
Berufung vor dem LSG
Die Berufung der Agentur gegen das Urteil des SG München ist vom Bayerischen LSG als nicht begründet zurückgewiesen worden. Die klagende Agentur stellt nach Ansicht des Gerichts ein Unternehmen dar, das Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit für Dritte im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 KSVG betreibt.
Der Begriff der Werbung und der Öffentlichkeitsarbeit ist (hierbei) weit zu fassen. Darunter fällt jede positive Darstellung eines Unternehmens in der Öffentlichkeit im Sinne eines methodischen Bemühens um absatzförderndes Verständnis und Vertrauen in der Öffentlichkeit durch Aufbau und Pflege von Kommunikationsbeziehungen. Damit sind unter diesem Begriff nicht nur klassische Werbeagenturen, sondern ALLE Berater, PR-Agenturen, Multimediaagenturen und sogar Unternehmen mit einer anderen Haupttätigkeit erfasst, bei welchen die einer Werbeagentur entsprechende Geschäftstätigkeit gleichwohl eine – wenn auch untergeordnete – Nebenrolle spielt
Das Gericht kommt unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles weiter zu der Überzeugung, dass das in Frage stehende Geschäftsführergehalt zur Künstlersozialabgabe heranzuziehen sei.
Das an einen aufgrund seiner maßgeblichen gesellschaftsrechtlichen Stellung als selbständig zu qualifizierenden Gesellschafter bzw. Geschäftsführer einer juristischen Person gezahlte Entgelt unterliegt der Künstlersozialabgabepflicht, wenn dadurch künstlerische bzw. publizistische Leistungen abgegolten werden. Hierbei ist im Wege einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der vertraglichen Vereinbarungen wie auch der tatsächlichen Verhältnisse zu beurteilen, ob die Leistungen nach dem KSVG der Tätigkeit das Gepräge geben. Notwendige Geschäftsführertätigkeiten, die für eine selbständige Berufsausübung typisch sind, bleiben hierbei grundsätzlich unbeachtlich. Eine Aufteilung des Gehalts in KSVG-spezifische und sonstige Anteile erfolgt nicht (BSG, Urteil vom 16.04.1998 – B 3 KR 7/97 R).
Entsprechend dem Zweck des KSVG, die künstlerischen und publizistischen Berufe in umfassender Weise zu berücksichtigen und nicht zu begrenzen, unterfallen diesen Begriffen insbesondere auch Berufsbilder wie beispielsweise der Creative Director, der Fachberater zur Gestaltung von Massenkommunikationsmitteln oder auch der Fachmann für Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. Gerade auch im Hinblick auf die neben den klassischen Medien zunehmend erwachsenden Möglichkeiten, die Marke eines Unternehmens durch Nutzung neuer digitaler Erhebungswerkzeuge zu definieren und durch neue Formen digitaler Massenkommunikation nach außen zu tragen – sprich zu publizieren –, ist zur Überzeugung des Gerichts der Anwendungsbereich des KSVG im Wege einer teleologischen Extension ständig fortzuschreiben.
Das aktuelle Leistungsportfolio der Agentur umfasst entsprechend ihrem Internetauftritt neben den möglicherweise zunächst internen Prozessen der Identitäts- und Charakterprofilierung einer Marke (Branding) sowie der markenstrategischen C-Level-Beratung der Auftraggeber auch ausführende Elemente von entscheidendem Gewicht, wie z. B. die Umsetzung der gefundenen Corporate Identity durch einzigartige Visualisierung (Corporate Design), die Gestaltung von Medien (Imagebroschüren, Produktkataloge, die Entwicklung einer Unternehmenskommunikation, die Koordinierung der digitalen Auftritte u.a. bei Messen und „Point of Sales“) sowie finanzkommunikative Elemente (Veröffentlichung von Geschäftsberichten, begleitende Medien). Damit ist letztlich Ziel der Tätigkeit – wenn auch durchaus unter Einsatz strategischer Elemente und identitätsbildender Prozesse – maßgeblich die Schärfung der Markenidentität im Sinne einer absatzsteigernden Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung des Auftraggebers durch den Zwischen- und Endverbraucher.
Soweit das Vorbringen der Agentur versucht, die vom Geschäftsführer erbrachten strategischen Beratungsleistungen im Sinne einer holistisch – sprich ganzheitlich – verstandenen Markenberatung zur Schaffung einer Corporate Identity sowie eines einheitlichen Branding losgelöst von der sodann folgenden kommunikativen Umsetzung als autarke Leistung ähnlich einer klassischen Unternehmensberatung darzustellen, gelingt dies nicht.
Das Gericht hat auch Kommentare von Auftraggebern auf der Internetseite der Agentur ausgewertet. Dort wurde beispielsweise der Geschäftsführer als „an Ideen kaum zu übertreffen“ bezeichnet. Auf derselben Internetseite wird er mit den Worten zitiert „Markenarbeit ist die Sichtbarmachung innerer Haltung und folgt der strategischen Ausrichtung. Die Marke ‚L‘ wurde auf Basis ihrer Werte, ihrer Kultur und ihrer DNA holistisch weiterentwickelt, um sie erfolgreich im 21. Jahrhundert zu verankern.“ In der Folge werde eindrucksvoll gezeigt, dass der vom Geschäftsführer geleistete strategische Beitrag in eine von der Agentur umgesetzte umfassende Neuorientierung der Außendarstellung der Marke „L“ mündete, ausgehend von der Visualisierung mittels eines neuen Schrifttyps, eines neugestalteten K-Logos, einer Versachlichung und Reduzierung des Designs im Sinne einer neuen Klarheit, einer effizienteren Bildsprache sowie neuer wirksamer Slogans (z. B. „We strive to create experiences that enrich people´s lives“) bis hin zu einem eigenen Twitter-Account. Weiter heißt es „das neue visuelle Erscheinungsbild der ‚L‘ baut auf den Stärken der Vergangenheit auf. Das seit mehr als 30 Jahren unveränderte Design hat die Marke durch die Zeit getragen und stark geprägt – und gemeinsam mit dem seit jeher starken Fokus der Marke auf die Bedürfnisse der Menschen so erfolgreich gemacht. Auch heute ist diese Human Centricity der Kern von ‚L‘, der Kern des neuen Premium-Verständnisses. Durch die rasante Digitalisierung der letzten Jahre jedoch haben sich die Bedürfnisse und die Erwartungshaltung der Menschen geändert. Human Centricity muss ganzheitlich über alle, auch die neuesten und die noch entstehenden Touchpoints erlebbar sein. Premium bekommt eine neue Bedeutung. Aus diesen Überlegungen heraus wurde die strategische Grundlage für die Brand Identity und den Purpose der Marke entwickelt – und wird nun in der erneuerten visuellen Identität, im neuen Markenauftritt, holistisch erlebbar gemacht.“
Versicherungspflicht – unterschiedliche Tätigkeiten (BSG – B 3 KS 2/18 R)
Das BSG hat in einem Verfahren zu entscheiden (Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.11.2017 – L 5 KR 490/15), in dem zur Frage der Versicherungspflicht nach den Vorschriften des KSVG strittig ist, ob bei unterschiedlichen Tätigkeiten, die sich aus Druck-/Layout- und (Fahnen-)Korrekturarbeiten, Lektorats- und Übersetzungstätigkeiten sowie Übersetzungslektoraten und Registererstellungen zusammensetzen, eine publizistische Tätigkeit im Sinne des KSVG ausgeübt wird? Das LSG hat im vorliegenden Fall die Versicherungspflicht der Klägerin als Publizistin festgestellt. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30.01.2001 – B 3 KR 7/00 R m. w. N.) sei der Begriff des Publizisten im Sinne des § 2 KSVG weit zu verstehen. Er sei nicht auf die inhaltliche Gestaltung und Aufmachung von Büchern oder anderen Kommunikationsmitteln begrenzt, sondern erfasse JEDEN am Kommunikationsprozess an einer öffentlichen Aussage schöpferisch Mitwirkenden. Die ausgeübten Lektoratsarbeiten sind den sog. Katalogtätigkeiten zuzuordnen, was für Versicherungspflicht spreche. Auch die Übersetzungsaufträge oder Übersetzungslektorate seien publizistischer Natur. Bei der Übersetzung schriftlicher Texte ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen wörtlichen, wortgetreuen, werktreuen sinngemäßen, kongenialen und freien Übersetzungen.
Das Gericht geht davon aus, dass die Drucksatz-/Layoutarbeiten nicht als publizistische Tätigkeit anzusehen sind, weil es soweit an dem notwendigen Gestaltungsspielraum fehlt. Auch Lektoratstätigkeiten im wissenschaftlich/universitären Bereich stellen publizistische Tätigkeiten dar.