Kurzarbeitergeld Praxis : Die Lohn- und Gehaltspfändung in Zeiten von Kurzarbeit
Bereits vor Corona ist die Verschuldung der privaten Haushalte stark angestiegen. Diese Entwicklung wird sich beschleunigen. Einer der Gründe hierfür ist die in vielen Unternehmen eingeführte und sicherlich noch länger andauernde Kurzarbeit.
So berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel (online) bereits am 31. März 2020: „Es ist eine alarmierende Zahl: 470.000 – so viele Anzeigen auf Kurzarbeit gingen im März ein, 20-mal mehr als der bisherige Rekord in der Finanzkrise. Die Coronakrise trifft den Arbeitsmarkt offenbar mit voller Wucht. Die endgültigen März-Zahlen könnten über der 500.000-Marke liegen. Das bedeutet: Rund eine halbe Million Betriebe hat der BA [Bundesagentur für Arbeit] gemeldet, Beschäftigte in Kurzarbeit zu schicken – das mag in einem Fall nur eine einzige Person sein, in anderen Fällen Hunderte, vielleicht Tausende. Wie viele Beschäftigte bereits jetzt betroffen sind, darüber machte BA-Chef Scheele keine Aussagen.“ Nicht mal einen Monat später, am 21. April 2020, berichtet die Süddeutsche Zeitung (online): „Derzeit sind etwa vier Millionen Beschäftigte in Deutschland in Kurzarbeit.“
Bei den in Kurzarbeit befindlichen Arbeitnehmern vermindert sich das zur Verfügung stehende Einkommen teils gravierend, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber keine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes vornimmt. Das gesetzliche Kurzarbeitergeld beträgt 60 bzw. 67 Prozent, bei Reduzierung der Arbeitszeit um mindestens 50 Prozent bis zum 31.12.2020 ab dem vierten Monat 70 bzw. 77 Prozent und ab dem siebten Monat 80 bzw. 87 Prozent. Der jeweils höhere Prozentsatz findet bei Beschäftigten Anwendung, bei denen Kinder im Sinne des § 32 EStG zu berücksichtigen sind.
Wird das Arbeitseinkommen eines sich in Kurzarbeit befindenden Arbeitnehmers gepfändet, stellen sich durchaus spannende Fragen:
- Wird das vom Arbeitgeber auszuzahlende Kurzarbeitergeld von einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfasst oder handelt es sich um unpfändbares Arbeitseinkommen?
- Wie sind Aufstockungsbeträge/ Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld zu behandeln?
Beispiel öffentlicher Dienst: Die Beschäftigten erhalten vom Arbeitgeber zusätzlich zum verkürzten Entgelt und zu dem von der Agentur für Arbeit zu erwartenden Kurzarbeitergeld eine Aufstockung in Abhängigkeit der Entgeltgruppe in Höhe von 90 Prozent bzw. 95 Prozent des Nettomonatsentgelts, das sie in den drei vollen Kalendermonaten vor Einführung der Kurzarbeit durchschnittlich erhalten haben (§ 5 Abs. 1 TV COVID „Kurzarbeit im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände“).
Aufstockungsbeträge zum Kurzarbeitergeld
Die vom Arbeitgeber zu zahlenden Aufstockungsbeträge zum Kurzarbeitergeld gehören zum Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Zivilprozessordnung (ZPO) und sind deshalb nach den gleichen Vorschriften wie beispielsweise der Lohn und das Gehalt pfändbar.
Kurzarbeitergeld = Sozialleistung
Nach § 320 Abs. 1 Satz 2 SGB III hat der Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld kostenlos zu errechnen und auszuzahlen. Dennoch handelt es sich bei dieser Zahlung um eine Sozialleistung im Sinne des § 19 SGB I und diese kann nur im Rahmen des § 54 Abs. 4 SGB I gepfändet werden. „Soweit Ansprüche auf laufende Geldleistungen nicht für unpfändbar erklärt worden sind, sind sie nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar.“ (Hock/Hock, 2014, Lohnpfändung und Verbraucherinsolvenz, 2. Auflage, Verlag C.H. Beck, Seite 104, Randnummer 600) Das bedeutet, dass ein allgemein das Arbeitseinkommen betreffender Pfändungs- und Überweisungsbeschluss das Kurzarbeitergeld nicht automatisch erfasst, sondern dass dieses gesondert gepfändet werden muss.
Wer ist Drittschuldner?
Das Kurzarbeitergeld ist bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Leistung der Agentur für Arbeit. Da jedoch der Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld berechnet, in Vorleistung tritt und es auch an den Arbeitnehmer auszahlt, regelt § 108 Abs. 2 Satz 1 SGB III, dass für die Zwangsvollstreckung in den Anspruch auf Kurzarbeitergeld der Arbeitgeber als Drittschuldner gilt. Deshalb muss der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss dem Arbeitgeber zugestellt werden.
Zusammenrechnungsbeschluss erforderlich
In der Praxis stellt sich bei gesonderter Pfändung des Kurzarbeitergeldes die Folgefrage, ob ein Zusammenrechnungsbeschluss erforderlich ist. Oder hat der Arbeitgeber das Arbeitseinkommen – bestehend aus verkürztem Entgelt (Ist-Entgelt) zuzüglich des ggf. gezahlten Aufstockungsbetrags zum Kurzarbeitergeld – selbständig mit dem Kurzarbeitergeld zusammenzurechnen?
Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm, Urteil vom 16.08.2006 – 2 Sa 385/06 –, muss der Arbeitgeber die jeweiligen Zahlungen (Arbeitseinkommen und Kurzarbeitergeld) von sich aus zusammenrechnen und aus der Summe den pfändbaren Betrag ermitteln. In der Praxis ist jedoch Vorsicht geboten!
Die Praxis beurteilt – auch aufgrund der einschlägigen Fachliteratur – diesen Sachverhalt anders. Nach herrschender Meinung ist nämlich ein Zusammenrechnungsbeschluss sehr wohl erforderlich.
„Soweit Normalgläubiger einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen den Schuldner ausbringen, kann auf ihren Antrag hin gem. § 850e Nr. 2a ZPO eine Zusammenrechnung von Arbeitslohn und Sozialleistungen erfolgen. Nach bedenklicher Ansicht des LAG Hamm ZIP 2007, 348 soll der Arbeitgeber als Drittschuldner gehalten sein, bei der Berechnung des pfändbaren Betrags einen Aufstockungsbetrag ohne Zusammenrechnungsbeschluss nach § 850e Nr. 2a ZPO zusammenrechnen zu müssen.“ (Dietrich Boewer, 2015, Lohnpfändung und Lohnabtretung, 3. Auflage, Verlag DATAKONTEXT, Seite 154 und 155, Rn. 500 sowie Rn. 502, Fußnote 154)
„Es empfiehlt sich bei einem derartigen Fall angesichts der ungeklärten Rechtslage eine klarstellende Entscheidung des Vollstreckungs- oder Insolvenzgerichts herbeizuführen.“ (Hock/Hock, 2014, Lohnpfändung und Verbraucherinsolvenz, 2. Auflage, Verlag C.H. Beck, Seite 106, Randnummer 610).
Fazit
Bei bereits vorliegender laufender Lohn- und Gehaltspfändung muss der Gläubiger einen weiteren Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beantragen, um das Kurzarbeitergeld zu pfänden.
Der Arbeitgeber sollte prüfen, dass auf Seite 4 des amtlichen Formulars „Antrags auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses“ A = Arbeitgeber gekennzeichnet wurde und keinesfalls B = Agentur für Arbeit bzw. Versicherungsträger.
Frank Müller, Payroll-Berater, Fachautor und Fachreferent, www.frag-den-mueller.de