Scheinselbständigkeit : Die IT-Branche im Fokus
Das Thema „Scheinselbstständigkeit“ spielt in der IT-Branche eine immer größere Rolle. In kaum einem Wirtschaftszweig wirft die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit so viele Probleme auf wie in der IT-Branche. Nachfolgend informieren wir Sie, auf was es bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung wirklich ankommt.
Maßstab für die Feststellung, ob jemand in einer abhängigen versicherungspflichtigen Beschäftigung steht oder selbstständig tätig ist, ist die vertragliche Gestaltung. Diese kann gerade in der IT-Branche im Einzelfall sehr unterschiedlich sein:
IT-Berater betreut ein Projekt beim Endkunden
Die Tätigkeit besteht in der Beratung und Entwicklung in einem Projekt eines Endkunden. Der Berater hat das beim Endkunden vorhandene Betriebssystem an dessen konkrete Gegebenheiten und Bedürfnisse anzupassen.
IT-Consultant führt Projekt durch
Die Tätigkeit umfasst beim Kunden des Auftraggebers Beratungs- und Dienstleistungen. Das Leistungsverzeichnis ist dabei in Unterpunkte untergliedert. Eine Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Auftraggebers findet nicht statt. Im Rahmen des Einsatzes beim Kunden ist die Aufgabe des IT-Consultant, Arbeitspakete zu entwickeln und in das System einzustellen, die dann von den Mitarbeitern des Kunden bearbeitet werden.
IT-Berater entwickelte Datenbanken
Der Berater entwickelt für die Kunden seines Auftraggebers Datenbanken zur besseren Abwicklung des Supports und steht als Ansprechpartner bei Fragen zur Verfügung. Die Tätigkeit wird überwiegend in den Räumen des Kunden erbracht. Das Projekt, welches er betreut, wird jeweils auf eine bestimmte Zeit begrenzt. Bei Fehlleistungen ist er regresspflichtig.
Abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit
Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung
Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist.
Eingliederung
Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einer Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.
Nur Rechnungsstellung
Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers liegt nicht vor, wenn ein selbstständiger IT-Berater beim Endkunden seine Tätigkeit in tatsächlicher Hinsicht autark verrichtet. Ein Auftragnehmer ist autark tätig, wenn er nicht den Weisungen eines Vorgesetzten unterstellt ist. Das ist auch der Fall, wenn lediglich die Rechnungsstellung gegenüber dem Auftraggeber erfolgt (Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 10.06.2016, Az.: L 4 R 3072/15).
Eingliederung gegeben
Von einer Eingliederung ist auszugehen, wenn ein IT-Consultant in das vom Auftraggeber übernommene Projekt eingebunden ist, weil ihm die von diesem mit dem Endkunden vereinbarten „Meilensteine“ vorgegeben werden und er diese zu beachten hat. Der Umstand, dass es darüber hinaus keiner detaillierten Weisungen des Auftraggebers mehr bedurfte, steht einer betrieblichen Eingliederung nicht entgegen (Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 07.11.2017, Az.: L 11 R 4543/16).
Weisungsgebundenheit
Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Nur Stundensatz
Von einer weisungsfreien Tätigkeit ist bei einem IT-Consultant auszugehen, wenn dieser hinsichtlich der Zeit und des Ortes der Leistungserbringung im Wesentlichen frei entscheiden kann. Der IT-Consultant konnte die Zahl der Arbeitstage selbst festlegen. Er konnte auch frei entscheiden, zu welcher Tageszeit er arbeitete und an welchem Ort er die Tätigkeit verrichtete. Vereinbart wurde nur ein fester Honorarstundensatz (Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 07.11.2017, Az.: L 11 R 2507/16).
Gesamtabwägung
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.
Vertragliche Vereinbarung
Des Öfteren findet man in einem schriftlichen Vertrag, der zwischen einem Auftraggeber und einer Honorarkraft geschlossen wird, dass eine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Ein Arbeitsverhältnis wird durch die schriftliche Vereinbarung ausgeschlossen.
Dem Willen der Vertragsparteien, keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung begründen zu wollen, ist nach der Rechtsprechung aber nur eine Bedeutung beizumessen, wenn dieser Wille den festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich widerspricht und er durch weitere Aspekte gestützt wird bzw. die übrigen Umstände gleichermaßen für Selbstständigkeit wie für eine abhängige Beschäftigung sprechen (Urteil des BSG vom 18.11.2015, Az.: B 12 KR 16/13).
Die Entstehung von Sozialversicherungspflichten ergibt sich aus dem Gesetz und kann folglich nicht Gegenstand von einzelvertraglichen Vereinbarungen sein.
Merkmale der Selbstständigkeit
Für eine selbstständige Tätigkeit spricht bei IT-Beratern das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte und eines unternehmerischen Risikos. Selbst wenn ein IT-Berater für mehrere Auftraggeber tätig ist, genügt das für sich allein genommen nicht, um von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen.
Ulrich Frank, Sozialversicherungsfachwirt und Wirtschaftsjournalist