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Digitale HR-Lösungen : Kommt nun endlich die zweite Welle?

Digitale Personalakte, digitaler Lohnzettel und digitales Dokumentenmanagement – all dem wird vor den jüngsten Erfahrungen eine ungleich größere Rolle zugeschrieben als jemals zuvor. Kaum ein Unternehmen, eine Behörde oder Schule scheint der Zwangsdigitalisierung zu entkommen, elektronische Lösungen verlocken noch einmal ganz neu als keimfreie, sichere Festungen. Doch ist dies gerechtfertigt?

Alexandra BubaFokusTitelthema
Lesezeit 9 Min.
Ein Geschäftsmann in formeller Kleidung, der gekonnt auf einer digitalen Welle surft, die aus Binärcode besteht und symbolisiert, wie man die Herausforderungen der digitalen Wirtschaft oder der Technologiewelt bewältigt.

So, nun wird es schwierig. Denn gerade jetzt ein Wort gegen Digitalisierung zu sprechen, ist in etwa dasselbe, wie an Weihnachten die Geschichte vom Osterhasen zu erzählen. Digitalwelten sind ohne Frage der Ort, an den wir uns gerettet haben in den vergangenen Wochen und Monaten, zumindest viele von uns. Doch das bedeutet zweierlei nicht: erstens, dass wir dort verweilen werden, ganz ungeachtet der epidemischen Entwicklung und ihrer politischen Würdigung. Und zweitens, dass wir dadurch wirklich etwas Neues getan haben.

Vielmehr – und hier sind dann Osterhase und Weihnachtsmann eben genau dasselbe – war es der Glaube an eine Welt, die seuchen- und keimfrei existieren kann, der uns getragen hat, wo in unsere reale Welt gerade mit äußerstem Nachdruck die Überlegenheit der Natur gegenüber der Zivilisation eingebrochen war. Unerschütterlich wurde dieser Glaube allerdings erst, als die Bandbreiten stabil blieben und sich die Hacker zurückhielten.

Zufluchtsort und Sehnsuchtssammelbecken, das ist das Internet spätestens seit den mittleren neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Allerdings ist es dies nun scheinbar für fast alle, und das ist das Neue. Eine Technologie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, könnte man sagen. Doch hat das wirklich in der Zukunft derart dramatische Auswirkungen, wie sie derzeit alle beschwören?

Wirtschaftskrise kennt weder Freund noch Feind

Nachdenklich kann machen, wenn die Hauptstimmen, die diese Wahrheit unermüdlich predigen, nach raschem Trommelwirbel plötzlich leiser werden. Tatsächlich hat sich offenbar Ernüchterung in der IT-Branche breitgemacht, denn der Chance auf breite Zwangsdigitalisierung der deutschen Wirtschafts-, Verwaltungs- und Bildungslandschaft ist die Erkenntnis an die Seite getreten, dass so eine echte Wirtschaftskrise eben auch vor den Computergöttern nicht haltmacht.

So gab der Verband der IT-Wirtschaft, Bitkom, denn Anfang Mai – wenngleich nicht ganz überraschend, so doch überraschend different zu den Vormeldungen – bekannt, drei von vier Digital-Unternehmen würden Umsatzeinbußen erwarten, wohl gemerkt Umsatz- und nicht Gewinnrückgänge. Und nur ganze 8 (!) Prozent erwarten ein Erlösplus durch Corona, das tun im Gesamtbranchenschnitt übrigens auch 4 Prozent.

Dabei müssten die Umsätze in der IT doch sprudeln wie nie, welches Unternehmen war nicht froh, auf digitale Strukturen zurückgreifen zu können, als die Mitarbeiter*innen in Massen ins Homeoffice wahlweise flohen oder entsandt wurden. Die Frage ist nur: Wie lange? Denn allein der Umstand, auf Daten und Dokumente zugreifen zu können, klärt noch nicht, ob auf diese Weise ein sinnvolles Arbeiten auf Dauer möglich ist. Und damit sind nicht etwa die Fragen zum ungestörten und konzentrierten Arbeiten von jedem Ort der Welt und zu allen möglichen Zeiten gemeint, nein.

Wir können nicht vom Videokonferieren leben

Es geht darum, ob der Zugriff reicht, um das zu tun, was notwendig ist. Allein der Umstand einer Akte im Schrank sagt nichts darüber aus, wie nützlich oder hilfreich diese ist. Oder was jemand damit tut oder nicht tut. Und über all der Anfangseuphorie – ja, es gibt eine Backup-Arbeitswelt im Virtuellen – wurde vergessen zu fragen, ob dies tatsächlich alle Probleme löst oder womöglich stattdessen neue schafft. Eine ganz andere Angreifbarkeit der Unternehmen etwa oder einen Wust an digitalen und analogen Doppelstrukturen, die die Komplexität erhöhen und irgendwann als Chaos wieder aufgeräumt werden müssen. Denn wie verzahnt sind denn digitale und analoge Welt tatsächlich?

„Wir können nicht davon leben, uns gegenseitig die Haare zu schneiden“, sagten einst ein Bundeskanzler, ein Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und noch eine ganze Reihe weiterer Leute. Doch ungeachtet der Tatsache, dass dieses Thema in der jüngeren Vergangenheit ein ganz eigenes mit Talent zum Kalauer war, bleibt die Frage, ob wir davon leben können, uns gegenseitig zu digitalisieren und videozukonferenzen. Es verdient eben niemand etwas daran, wenn die Leute jetzt die Lizenzen, die sie haben, tatsächlich nutzen. Meistens sind das Netflix, Skype und Amazon-Zugang. Und das ist nichts anderes als der Effekt des Tischkickers im Keller, der gemeinsam mit der angestaubten Dartscheibe jetzt ob mangelnder Alternativbeschäftigungsmöglichkeiten zur zweiten Würdigung kommt.

Visionäre der IT-Branche haben zuletzt die Schnittstellen als zentrale Herausforderung und Innovationstreiber von Technologie im Geschäftsumfeld gesehen. Was ist damit passiert während der improvisierten Arbeitsstrukturen in der Pandemie? Keine Zeit für derlei Generelles schien unter dem Druck schnellen Handelns geboten. Das mag in vielen Fällen richtig gewesen sein, ganz besonders bei der Payroll als sensibelstem Bereich von HR.

Pandemiesicher – nur vom Digitalstatus abhängig?

Doch jetzt kommt das Aufräumen nach der ersten Welle und mit ihm die Frage nach zukunftsfähigen Lösungen. Wollte man es dem Hochwasserschutz gleichtun, würde man Deiche bauen. Übertragen heißt das nun: alles auf digital. Doch lag darin wirklich der Erfolgsfaktor der vergangenen Wochen und lässt sich ein pandemiesicheres Unternehmen möglicherweise auch oder gerade durch andere organisatorische Veränderungen erreichen? Wie sieht es mit Vertretungslösungen aus, mit Know-how-Transfer, mit der Kommunikation im Allgemeinen? Ist Letztere vertrauensvoll, zielgerichtet und etabliert, dann reicht im Zweifel auch ein analoger Festnetzanschluss, um Krisen zu überstehen. Freilich will niemand zurück in die Steinzeit. Aber die ausgefeilteste Technologie nützt nichts, wenn Mitarbeiter*innen wenig gemeinsame konzentrierte Kernarbeitszeiten finden können, um sich abzustimmen, weil Betreuungsaufgaben unterschiedlichster Art gefragt sind. Oder man einander misstraut und sich ungern zu genau in die eigenen Aufgaben schauen lässt. Der digitale Blick über die Schulter ist vielleicht nicht willkommen und wird findig unterlaufen – mit den entsprechenden Folgen für die Arbeitsprozesse.

Die Frage muss deshalb auch während der Pandemie lauten: Wie viel Digitalisierung wollen wir? Wo nützt sie uns wirklich? Und wo wollen wir die mit ihr verbundene Transparenz überhaupt zulassen? Natürlich funktioniert digitales Onboarding – irgendwie – und auch einige Mitarbeiter*innen wurden qua Videokonferenz zum Vorstellungsgespräch gebeten und anschließend eingestellt. Allerdings will wohl nur eine Minderheit, dass dies dauerhaft so bleibt.

Studie bescheinigt HR viel Technik-Euphorie

Natürlich war sie in der akuten Lockdown-Phase wichtig, die virtuelle Welt. Doch das waren andere Dinge auch, die jetzt nicht gleichsam überhöht werden. Überschätzt wurden die Rolle der Technik und ihre Wirksamkeit von HR tatsächlich schon vor der Krise, zumindest laut einer gemeinsamen Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC und der Universität St. Gallen. HR blicke oft zu optimistisch auf den technologischen Wandel, schrieben die Forscher im Sommer 2019.

Das war vor Corona und doch wollte man auch schon damals bis zum Jahr 2025 die HR-Mitarbeiterschaft in gleichen Anteilen im analogen und im mobilen Umfeld tätig sehen. Dabei räumten die Autoren aber gleichwohl ein, dass 2019 die meisten Mitarbeiter ausschließlich oder größtenteils analog arbeiteten und nur ein kleiner Teil mobil oder virtuell mit digitalen Technologien und Plattformen tätig sei.

Widersprüchliches Bild bleibt konsistent

Während insbesondere die größeren Unternehmen in der Studie angaben, eine moderne, digitale Kommunikationsstruktur entwickeln zu wollen, indem sie selbige auf ihren digitalen Plattformen ausbauen, virtuelle Teams nutzen und das Desk-Sharing vorantreiben, zeigten sich die kleineren hier zurückhaltender. Gleichzeitig bescheinigen ihnen die Autoren aber, dass sie bereits jetzt mehr Kompetenzen in den Bereichen Big Data und People Analytics hätten und häufiger in virtuellen Teams tätig seien als ihre größeren Pendants.

Was widersprüchlich klingt, wird lapidar kommentiert: „Dies dürfte vor allem ihrem Geschäftsmodell geschuldet sein, das auf digitalen Technologien aufsetzt und auch entsprechende Kompetenzen seitens der Mitarbeiter erfordert. Diese vielfach Digital Natives sind virtuelles Arbeiten, eine moderne Unternehmenskultur, flache Hierarchien, flexible Arbeitszeiten etc. gewöhnt und fordern diese auch ein.“ Vielleicht. Doch was mit den Personen ist, die vor 1980 geboren wurden, wird nicht weiter hinterfragt. Und doch machen diese – auch 2025 noch – einen Großteil der Mitarbeiterschaft aus.

HR erwartet „starke Entwicklung“

Doch ungeachtet dessen gingen die im Rahmen der Studie erfassten Personaler*innen größerer Unternehmen bei sich bis 2025 von einer „starken Entwicklung auf allen Ebenender digitalen Zusammenarbeit aus“. Sie sehen sich als künftige Vorreiter in den Bereichen Daten- und Technologiemanagement, Big Data und People Analytics sowie Robotik, so die Studie.

Dabei sei eine sogenannte „Garagenkultur hinsichtlich NewCulture-Aspekten der Arbeit“ in den befragten größeren Unternehmen noch nicht so weit entwickelt gewesen wie in den kleineren. Dennoch sind die Ziele hoch gesteckt: Ambitioniert erwarten die Verantwortlichen, auf allen Ebenen bis 2025 enorme Sprünge zu schaffen, weg von einer eher traditionell-klassischen hin zu eben dieser innovativen Startup-/Garagenkultur. Damit sie ihre Zukunftsvision auch wirklich realisieren, sollten sie rasch mit der Umsetzung ihrer ehrgeizigen Ziele beginnen, empfehlen die Autoren.

Wie das genau auszusehen hat, bleibt freilich im Vagen, wie fast immer in sogenannten Trend- oder Zukunftsstudien. Was diese Untersuchung trotzdem interessant macht, ist der ihr zugrunde liegende Paradigmenwechsel: So sind es nicht mehr die etablierten, gewachsenen und verlässlichen Strukturen, innerhalb derer eine digitale Transformation zu neuer Effizienz und Innovation führen könnte. Vielmehr wird jetzt eine Unternehmenskultur der Startup-Szene zur Matrix des Fortschritts – und zwar nicht nur für das Entrepreneurship selbst, sondern insbesondere für die größeren Unternehmen.

Das mag man als Mode abtun, aber es öffnet auch den Blick dafür, dass der Zugang zu digitalen Instrumenten in der Vergangenheit oftmals wohl so einfach nicht war. Seltsam genug macht man nun die eigene Kultur und nicht die Qualität der Lösungen dafür verantwortlich. Eigentlich müsste das Werkzeug doch dem Menschen gemäß geformt sein und nicht umgekehrt.

Tatsächliche Marktdurchdringung unbekannt

Inwieweit HR inzwischen tatsächlich Instrumente wie die digitale Personalakte, elektronische Lohnzettel oder Dokumentenmanagementsysteme einsetzt, ist fraglich, da eine umfassende Marktstudie dazu fehlt. Einzelne Anbieter machen unterschiedliche Angaben, so berichtet das mittelständische Softwarehaus Agenda aus Rosenheim etwa, dass ein Viertel der Unternehmen digitale Personalakten einsetzt. Woher diese Zahl stammt, bleibt im Dunklen.

Ein digitales Arbeitnehmerkonto können über die Datev eG inzwischen 1,1 Millionen Arbeitnehmer nutzen. Was sie damit tun? Auf diese Frage weiß die Genossenschaft spontan auch nur eine Antwort: „Die Abrechnung wiederfinden.“ Was freilich ein zweifelhafter Nutzen ist, wenn man den Rohstoffaspekt einmal außer Acht lässt. Außerdem machen diese 1,1 Millionen Arbeitnehmer noch nicht einmal ein Zehntel aller monatlichen Abrechnungen aus, die über die Datev laufen und die sie im selben Zeitraum mit 13,3 Millionen angibt. Neun von zehn Abrechnungen erfolgen also immer noch traditionell auf Papier. Ob das Corona ändert? Fraglich.

Im Übrigen sind diejenigen Unternehmen, die über Datev abgerechnet werden, ja eher die kleineren – von denen PWC sagt, dass sie in der Digitalisierung im HR-Bereich bereits weiter fortgeschritten seien. Das lässt Fragezeichen im Kopf zurück.

Dokumentenmanagement aber mit welchem Bestand?

Bleibt das Dokumentenmanagement – das hätte wahrlich seine große Stunde in Zeiten von seuchenbedingtem Remote. Wie schön wäre es doch, wenn alle Daten und Dokumente, die für die Abrechnung notwendig wären, jederzeit von jedem Ort aus im gesicherten Zugriff lägen. Doch das funktioniert ja auch analog nicht, da vieles einfach – fehlt. Unleserlich ist, verlegt, verloren oder beim Steuerberater.

Und bis Taxiquittungen und Parkscheine nicht originär digital vorliegen und alles andere, was rund um eine Auswärtstätigkeit so anfällt, nicht nur mehr zunächst gescannt, fotografiert oder sonst wie digitalisiert werden muss, bleibt das auch noch eine Weile so. Denn bei jedem Remotezugriff vom Homeoffice oder von den Bahamas gilt: Es kann nur auf den Bestand zugegriffen werden, den am anderen Ende jemand ganz analog angefasst und in Empfang genommen hat. In Echtzeit ist da nix, solange die Welt in ihren Belegen über weite Strecken analog ist.

Das ändert sich freilich gerade an manchen Stellen. Die ersten Systeme für digitale Bons sind auf dem Markt, auch mit Datev-Schnittstelle. Nur der Taxifahrer, falls es ihn bald noch gibt, der versteht die Welt immer noch nicht richtig, sonst hätte er sich schon längst aufs virenfreie Beamen verlegt – nebst digitalem Beleg.

Alexandra Buba

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