Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst
In dieser Rubrik werden aktuelle Entscheidungen, die für den Bereich des öffentlichen Dienstes relevant sind, wiedergegeben.
Unfallversicherung – Arbeitsunfall– Streitgespräch mit Vorgesetzten –Herzstillstand
Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06.05.2021 – B 2 U 15/19 R
Die vom Landessozialgericht (LSG) festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus, ob die Klägerin am 12.04.2010 einen Arbeitsunfall i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erlitten hat. Ein Unfall ist zunächst ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis. Dessen Vorliegen hat das LSG mit rechtlich unzutreffenden Erwägungen verneint, denn für den Unfallbegriff ist nicht konstitutiv, dass ein besonderes, ungewöhnliches Geschehen vorliegt.
Vielmehr genügt als von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis auch ein alltäglicher Vorgang, sodass ein Unfall auch dann vorliegt, wenn durch bloße Wahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Ertasten, Riechen) sich der physiologische Zustand des Verletzten ändert. Ein solches Ereignis hat hier mit dem intensiven Gespräch der Klägerin mit ihrem Vorgesetzten vorgelegen. Unklar ist aber, ob das Gespräch überhaupt im Rahmen der versicherten Tätigkeit der Klägerin stattfand.
Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII versicherte Tätigkeit erfordert das Vorliegen einer Verrichtung, deren Ergebnis nicht dem Beschäftigten selbst, sondern dem Unternehmer unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht, § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII. Eine Beschäftigung i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen oder unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis auszuüben, oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zurzeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht. Insofern wird das LSG noch die konkreten Umstände des Gesprächs der Klägerin mit ihrem Vorgesetzten zu ermitteln haben.
Freizeitausgleich für Polizeibeamte aus Anlass des G7-Gipfels in Elmau und der Bilderberg-Konferenz
Pressemitteilung Nr. 28/2021 vom 29.04.2021 zu den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 29.04.2021 – 2 C 18.20 –, – 2 C 32.20 – und – 2 C 33.20
Polizeibeamte des Bundes haben für ihren Einsatz während des G7-Gipfels in Elmau und während der anschließenden Bilderberg-Konferenz Anspruch auf weiteren Freizeitausgleich, auch für in den Dienstplänen so bezeichnete Ruhezeiten. Während dieser Ruhezeiten unterlagen die Beamten in ihren Unterkünften vor Ort bestimmten Einschränkungen, um für eine eventuell notwendig werdende Heranziehung bereit zu sein.
Benachteiligung eines schwerbehinderten Bewerbers – Einladung zu einem Vorstellungsgespräch – Mindestnote der Ausbildung
Auszug aus der Pressemitteilung Nr. 10/21 zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 29.04.2021 – 8 AZR 279/20
Geht dem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zu, muss er diese nach § 165 Satz 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Nach § 165 Satz 4 SGB IX ist eine Einladung entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.
Dies kann anzunehmen sein, wenn der/die Bewerber/in eine in einem nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) zulässigen Anforderungsprofil als zwingendes Auswahlkriterium bestimmte Mindestnote des geforderten Ausbildungsabschlusses nicht erreicht hat. Daran ändert der Umstand, dass § 165 Satz 4 SGB IX als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist, nichts. Dem Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG sind auch die durch das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Personengruppen unterworfen.
Abberufung eines Beauftragten für Datenschutz
Pressemitteilung Nr. 9/21 zum Beschluss des BAG vom 27.04.2021 – 9 AZR 383/19 (A)
Zur Klärung der Frage, ob die Anforderungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) an die Abberufung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten im Einklang mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) stehen, hat der Neunte Senat des BAG ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet. Für die Entscheidung, ob die Beklagte den Kläger wirksam von seinem Amt als betrieblicher Datenschutzbeauftragter abberufen hat, kommt es auf die Auslegung von Unionsrecht an, die dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten ist.
Das nationale Datenschutzrecht regelt in § 38 Abs. 2 i. V. m. § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG, dass für die Abberufung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 BGB vorliegen muss. Damit knüpft es die Abberufung eines Datenschutzbeauftragten an strengere Voraussetzungen als das Unionsrecht, nach dessen Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DS-GVO die Abberufung lediglich dann nicht gestattet ist, wenn sie wegen der Aufgabenerfüllung des Datenschutzbeauftragten vorgenommen wird.
Kein Beschäftigungsanspruch bei ärztlich attestierter Unfähigkeit, eine Maske zu tragen
Auszug aus der Information des Landesarbeitsgerichts (LAG) Köln vom 03.05.2021 zur Entscheidung vom 12.04.2021 – 2 SaGA 1/21
Ein Arbeitgeber darf die Beschäftigung seines Arbeitnehmers im Betrieb verweigern, wenn es diesem – belegt durch ein ärztliches Attest – nicht möglich ist, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Der Arbeitnehmer ist in diesem Fall arbeitsunfähig. Im konkreten Fall verneinte das LAG einen Anspruch des Klägers auf Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes in Form einer Beschäftigung im Homeoffice.
Zumindest Teile seiner Aufgaben müssten im Rathaus erledigt werden. Eine partielle Tätigkeit zu Hause würde die Arbeitsunfähigkeit nicht beseitigen, sodass ein Homeoffice-Arbeitsplatz derzeit nicht eingerichtet werden müsse.
Vergütungsrechtliche Einordnung von ärztlichem Hintergrunddienst als Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst
Pressemitteilung Nr. 6/21 zum Urteil des BAG vom 25.03.2021 – 6 AZR 264/20
Ob ärztlicher Hintergrunddienst nach § 9 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) zu vergütende Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst ist, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch eine Vorgabe insbesondere hinsichtlich der Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit zwingt, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, und damit eine faktische Aufenthaltsbeschränkung vorgibt. Das gilt auch dann, wenn der ärztliche Hintergrunddienst mit einer Telefonbereitschaft verbunden ist.
Ob ein vom Arbeitgeber im Anwendungsbereich des TV-Ärzte/TdL angeordneter (Hintergrund-)Dienst im vergütungsrechtlichen Sinn Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft ist, richtet sich ausschließlich nach nationalem Recht und nicht nach der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst unterscheiden sich nach den tariflichen Definitionen in § 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL dadurch, dass der Arbeitnehmer sich nach den Vorgaben des Arbeitgebers nicht an einem bestimmten Ort aufhalten muss, sondern seinen Aufenthaltsort frei wählen kann. Maßgeblich ist also der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung.
Dabei ist der Arbeitnehmer allerdings auch bei der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Er darf sich entsprechend dem Zweck der Rufbereitschaft nur so weit von dem Arbeitsort entfernt aufhalten, dass er die Arbeit dort alsbald aufnehmen kann. Das ist bei dem von der Beklagten angeordneten Hintergrunddienst noch der Fall.
Mit der Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, ist keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung verbunden. Zeitvorgaben für die Aufnahme der Arbeit im Übrigen bestehen nicht. Dass unter Umständen nach einem Anruf zeitnah die Arbeit in der Klinik fortgesetzt werden muss, steht im Einklang mit dem Wesen der Rufbereitschaft.
Allerdings untersagt § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL dem Arbeitgeber die Anordnung von Rufbereitschaft, wenn erfahrungsgemäß nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. Das trifft vorliegend zu.
Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil ist nach dem Tarifvertrag weder dem Bereitschaftsdienst noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent. Die Tarifvertragsparteien haben damit bewusst für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen. Diesen Willen hat der Senat respektiert.
Claudia Czingon