Verfahren mit allen Facetten : Die neue Welt der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Bereits seit Längerem im Gespräch, nun wird sie demnächst Realität, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Welche Veränderungen zu erwarten sind und was das für die Praxis aller Verfahrensbeteiligten bedeutet, möchten wir Ihnen aufzeigen.
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) ist ein seit Jahrzehnten bekanntes Muster und vereint unterschiedliche Aufgaben in sich. Sie wird von den Ärzten auf Basis der AU-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ausgefüllt und dient als entsprechender Nachweis der Arbeitsunfähigkeit (AU) für gesetzlich Krankenversicherte. Nach dem Willen des Gesetzgebers wird die AU-Bescheinigung nun schrittweise digitalisiert und das bisherige Papierverfahren durch den Datenaustausch eAU ersetzt.
Ausgangslage der eAU
Arbeitnehmer haben bei einer AU Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber sowie nachfolgend bei längeren AU auf Krankengeld von den Krankenkassen. Um diese Entgeltersatzleistungen erhalten zu können, bedarf es jedoch eines entsprechenden Nachweises, dass die vorliegende Krankheit tatsächlich auch zur Arbeitsunfähigkeit führt. Aufgrund der erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung ist daher eine ärztliche Attestierung erforderlich, um den besonderen Beweiswert zu erreichen. Auch wenn die AU-Bescheinigung dies nicht originär vorsieht, wird das Muster zudem zusätzlich auch als Nachweis der fehlende Vermittelbarkeit gegenüber den Arbeitsagenturen und Jobcentern sowie für das Vorliegen einer AU im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zur Erlangung des Verletztengeldes genutzt.
Um diesen vielfältigen Einsatzzwecken gerecht zu werden und gleichzeitig eine Information für den Versicherten selbst vorzuhalten, besteht die AU-Bescheinigung aktuell aus vier Ausfertigungen. Sie enthält eine Ausfertigung für die Krankenkasse, eine Ausfertigung für den Arbeitgeber, eine Ausfertigung für den Versicherten und eine Ausfertigung für den Vertragsarzt, welche sich inhaltlich kaum unterscheiden. Der größte Unterschied liegt in der Ausfertigung für den Arbeitgeber, welche keine Informationen zu Diagnosen enthalten darf.
Das Ziel, den Prozess der AU-Bescheinigung zu digitalisieren, leitet sich aus deren immenser praktischen Bedeutung ab, weil es sich um ein absolutes Massenverfahren mit ca. 77 Mio. Formularen (demnach 308 Mio. Ausfertigungen) handelt. In diesem Prozess sind bisher Übermittlungen der Bescheinigungen an die ca. 3,49 Mio. Arbeitgeber und 103 Krankenkassen vorgesehen, welche große bürokratische Belastungen aller Verfahrensbeteiligten mit sich bringen. So müssen die Ärzte die AU-Bescheinigungen ausdrucken und unterschreiben, obwohl die erforderlichen Daten durch den Arzt digital im Praxisverwaltungssystem erfasst sind. Gleichzeitig sind diese Ausfertigungen dann durch die Versicherten noch entsprechend zu übermitteln und letztendlich durch die Empfänger (insbesondere Krankenkassen und Arbeitgeber) wieder aufwendig zu digitalisieren und zu vernichten.
Das originäre Ziel, Medienbrüche im Prozess zu vermeiden, hat daher gleichzeitig auch den Effekt, dass weitere Synergien nutzbar werden. So können Belastungen durch bisher notwendige Nacharbeiten entfallen und Fehlerpotenziale, aufgrund sonst vielfach erforderlicher manueller Eingaben, vermieden werden. Zudem wirkt sich die Umsetzung des dann bestehenden Regelverfahrens, direkt vom Arzt an die Krankenkasse, auch auf den Datenbestand bei den Krankenkassen aus.
War dieser bisher von der Mithilfe der Versicherten und deren Bereitschaft zur Übersendung der AU-Bescheinigung an die Krankenkasse abhängig, wird nun durch den regelmäßigen Prozess ein vollständiger Datenbestand bei den Krankenkassen sichergestellt. Hierdurch können Problemstellungen in Folgeprozessen (z. B. Anfragen der Arbeitgeber zu anrechenbaren Vorerkrankungen) weitgehend vermieden werden. Dies hat zudem den Vorteil, dass auch die Pflicht zur Übermittlung für die Versicherten entfällt.
Um die Umsetzung im Rahmen der eAU so weitgehend wie möglich reibungslos durchzuführen, werden die aufeinander aufbauenden Prozesse nicht alle gleichzeitig, sondern in Etappen nacheinander umgestellt.
Etappe 1: Arzt an Krankenkasse
Ab dem 01.01.2021 sollte die AU-Bescheinigung als erste Etappe auf dem Weg vom Arzt an die Krankenkasse digitalisiert werden. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz wurde daher die Verpflichtung zur obligatorischen Übermittlung der eAU von den Ärzten an die Krankenkassen in § 295 Abs. 1 SGB V festgelegt. Diese Regelung bildet zusammen mit den vertraglichen Regelungen des Bundesmantelvertrags Ärzte, des Bundesmantelvertrags Zahnärzte sowie des Rahmenvertrags mit den Krankenhäusern die Basis des Datenaustauschs zwischen den Ärzten und Krankenkassen.
Aufgrund der erheblichen pandemischen Belastung aller Verfahrensbeteiligten musste der Start jedoch nochmals verlegt werden, weshalb es nunmehr ab dem 01.10.2021 verpflichtend zum Einsatz kommt. Die Meldungen werden dann ausschließlich im Rahmen der eAU vom Arzt übermittelt, während der bisherige Mustervordruck (der gelbe Schein) entfällt. Damit die Versicherten weiterhin informiert sind, welche Daten für sie an die Krankenkasse übermittelt wurden, ist gesetzlich vorgesehen, dass Versicherte auch zukünftig einen Ausdruck mit den Diagnosen erhalten. Eine der bisherigen Ausfertigung für den Versicherten ähnliche Fassung der AU-Bescheinigung wird daher weiterhin ausgedruckt.
Die gesetzlichen Regelungen gelten – analog zum Einsatz der bisherigen AU-Bescheinigung – nur für die gesetzlichen Versicherten und die für sie tätigen Vertragsärzte und Vertragszahnärzte. Erfolgt die Feststellung einer AU für einen Privatversicherten oder durch einen Privatarzt, kommen die dort bisher gültigen Papierverfahren weiterhin zum Einsatz. Neben den Vertragsärzten nehmen auch die Krankenhäuser zukünftig am eAU-Verfahren teil. Konnten diese bereits bisher im Entlassmanagement AU-Bescheinigungen für maximal sieben Tage nach der stationären Aufnahme attestieren, ist dies auch im eAU-Verfahren weiterhin möglich. Zwar ist gesetzlich für die Rehabilitationseinrichtungen ein vergleichbares Entlassmanagement im Zusammenhang mit Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen vorgesehen, jedoch erfolgt hier zum Start der eAU noch keine Umstellung.
Näheres zum Verfahren kann dem Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä, hier insbesondere die neue Anlage 2b sowie das technische Handbuch) entnommen werden. Die Zahn- und Krankenhausärzte setzen diese Regelungen analog um, wodurch eine einheitliche Anwendung der eAU bei allen Vertragsärzten gewährleistet wird.
Ausgestaltung der eAU im BMV-Ä
Zwar legt der Gemeinsame Bundesausschuss das grundlegende Verfahren und die Voraussetzungen für die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit fest, die detaillierte Ausgestaltung in Mustern und auch jetzt des Datensatzes der eAU regelt hingegen der BMV-Ä.
So ist hier dargelegt, dass der Datensatz inhaltlich identisch zur AU-Bescheinigung auf Papier sein wird. Die bisherige Notwendigkeit einer Unterschrift bedingt eine elektronische Unterschrift des Arztes, welche mittels Signatur mit dem elektronischen Heilberufsausweis erfolgt. Der hierdurch bedingte Aufwand wurde durch die Möglichkeit einer Stapelsignatur reduziert. So können Ärzte mehrere eAU zwischenspeichern und dann gesammelt signieren und versenden. Eine Just-in-time-Übermittlung ist demnach – wie oft von Arbeitgebern gewünscht – im Folgeprozess nicht möglich. Vertraglich ist jedoch sichergestellt, dass die Ärzte mindestens einmal täglich eAU signieren und versenden müssen. Eine Beschleunigung im Hinblick auf die aktuellen Papierverfahren ist daher weiterhin erreicht.
Für die Adressierung des Datensatzes der eAU wird auf die Stammdaten zurückgegriffen, welche dem Arzt regelmäßig vorliegen.
So enthält die elektronische Gesundheitskarte bereits jetzt das Institutionskennzeichen der Krankenkasse und kann deshalb für die Übermittlung genutzt werden. Lediglich bei einem aktuellen Wechsel der Krankenkasse kann dies zu Irritationen führen. Ab dem 01.10.2021 ist es daher besonders wichtig, dass Versicherte nach einem Kassenwechsel nur noch mit ihrer jeweils „neuen“ elektronischen Gesundheitskarte zum Arzt gehen.
Kommt es zu einer Störung im Datenaustausch, speichern die Ärzte alle noch nicht versandten eAU und übermitteln diese, sobald die Störung behoben ist. Um etwaige negative Auswirkungen auf die Entgeltfortzahlung oder auch auf die Krankengeldzahlung zu vermeiden, kommt in diesem Fall ein Ersatzverfahren auf Papier zum Einsatz. So gibt es vereinbarte Darstellungstools, damit aus dem Datensatz ein immer gleich aussehendes PDF erzeugt werden kann, welches in Form eines Ausdrucks als Ersatznachweis im Verfahren genutzt werden kann.
Etappe 2: eAU von Krankenkasse an den Arbeitgeber
Ab dem 01.07.2022 wird auch das Verfahren zu den Arbeitgebern digitalisiert. Hierfür wurde mit dem Bürokratieentlastungsgesetz III in § 109 SGB IV gesetzlich vorgesehen, dass die Krankenkassen auf Basis eines Abrufs des Arbeitgebers die eAU-Daten entsprechend übermitteln. Gleichzeitig entfällt die bisherige Vorlageverpflichtung des Arbeitnehmers für die Fallgestaltungen der eAU. Ein gesetzlich krankenversicherter Arbeitnehmer muss daher zukünftig nur noch den Arzt zu den bisherigen Zeitpunkten der Vorlageverpflichtung aufsuchen und den Arbeitgeber über das Vorliegen der AU und deren Dauer unverzüglich informieren, um seine Entgeltfortzahlungsansprüche zu sichern. Alle weiteren Schritte zur Sicherstellung des Nachweises obliegen hingegen dem Arbeitgeber selbst.
Der Arbeitgeber darf daher auch nur auf Basis der Information des Arbeitnehmers und für Zeiträume, für die ein Beschäftigungsverhältnis bei ihm besteht oder bestand, die eAU bei der Krankenkasse anfordern. Ein regelmäßiger automatisierter Abruf ohne Information des jeweiligen Versicherten ist hingegen ausgeschlossen. Die Abrufmöglichkeit umfasst nicht nur die originären eAU-Daten, sondern sieht auch die AU-Daten von Durchgangsärzten und die Zeiten eines stationären Krankenhausaufenthalts vor. Zeiten einer Kinderkrankung, eines Rehaaufenthalts oder einer stufenweisen Wiedereingliederung sind jedoch bisher noch nicht Teil des Verfahrens.
Abrufverfahren bei der Krankenkasse
Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über das Vorliegen einer AU informiert, kann ein entsprechender Abruf bei der Krankenkasse erfolgen, wobei jede einzelne AU-Bescheinigung (Erst- und Folgebescheinigungen) separat angefordert werden muss. Die Krankenkasse meldet dem Arbeitgeber die ihr jeweils vorliegenden Daten. Um einen Abruf zielgenau vorzunehmen, muss daher zwischen Beginn und Fortdauer einer AU unterschieden werden.
War der Arbeitnehmer vor der aktuellen Arbeitsunfähigkeit – wenn auch nur für kurze Zeiträume – arbeitsfähig, dann ist von einem Beginn einer AU auszugehen, und der Arbeitgeber gibt für den Abruf den ersten Tag der ihm vorliegenden AU an. Eine Abfrage ist dabei oft erst ab dem vierten Tag der AU sinnvoll, weil auch bisher erst die gesetzliche Vorlageverpflichtung einer AU-Bescheinigung erst zu diesem Zeitpunkt begann. Die Krankenkassen prüfen daraufhin regelmäßig, ob (ggf. auch bis zu fünf Tage in die Zukunft) ein entsprechender Zeitraum einer Arbeitsunfähigkeit vorliegt, und melden diesen zurück. Liegt kein passender AU-Zeitraum vor, informiert die Krankenkasse den Arbeitgeber und prüft weitere 14 Tage, ob entsprechende eAU-Daten eingehen. Ist dies der Fall, werden die Daten ohne erneute Aufforderung übermittelt.
Lag vor dem aktuellen Zeitpunkt bereits eine AU vor, dann ist von einer Fortdauer auszugehen, und der Arbeitgeber gibt als Beginn der Arbeitsunfähigkeit den Tag nach dem Ende der vorherigen eAU an. Die Prüfung der Krankenkasse erfolgt dann analog zum Abruf einer Erstbescheinigung.
Weiteres Vorgehen bei fehlenden eAU
Auch im Verfahren zwischen Arbeitgebern und Krankenkassen können Datensätze und damit eAU nicht ankommen. Dies kann jedoch nicht zwingend mit einer fehlenden Vorstellung des Arbeitnehmers beim Arzt gleichgestellt werden, was ein Einstellen der Entgeltfortzahlung zur Folge hat. Ziel muss es daher sein, die Ursache so genau wie möglich einzugrenzen.
Dies kann am wirksamsten durch die Wahl des Zeitpunkts des Abrufs der eAU durch den Arbeitgeber bei der Krankenkasse erfolgen. Ist der Arbeitnehmer erst verpflichtet, ab dem vierten Tag eine Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen zu lassen, sollte aufgrund der zu erwartenden Verzögerung der Übermittlung durch die Ärzte regelmäßig ein Abruf erst ab dem fünften Tag nach dem Beginn der aktuellen Arbeitsunfähigkeit erfolgen. Gleiches gilt für Folgebescheinigungen, bei denen erst am zweiten Tag nach dem Ende der bisher nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit ein Abruf sinnvoll ist.
Konnte trotz des verzögerten Abrufs durch die Krankenkasse dem Arbeitgeber keine eAU übermittelt werden, sollte dieser prüfen, ob die Krankenkasse aktuell gewechselt wurde. Ist dies der Fall, ist von der Nutzung der „alten“ elektronischen Gesundheitskarte durch den Arbeitnehmer auszugehen und dieser aufzufordern, die Übersendung eines korrigierten Datensatzes beim Arzt zu erbitten. Weitere Anhaltspunkte könnten Urlaubsaufenthalte oder Dienstreisen bieten, weil im Ausland keine eAU ausgestellt werden können und deshalb weiterhin das Papierverfahren gilt. Ist auch dann nicht klar, woran es liegen könnte, hilft nur, auf den Arbeitnehmer zuzugehen.
Verändern sich eAU-Daten, weil z. B. der Arzt bei der Dauer der Arbeitsunfähigkeit einen Erfassungsfehler hatte, werden die dann bei der Krankenkasse aktualisierten Daten dem Arbeitgeber ohne erneute Anforderung übermittelt, und der bisherige Datensatz wird storniert.
eAU als Chance
Letztendlich kann sicher festgehalten werden, dass die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) viele Potenziale birgt, aber gerade in der Anfangsphase auch viele Herausforderungen mit sich bringt. Die eAU sollte daher als Chance angesehen und entsprechend genutzt werden, um die internen Prozesse zu überprüfen. Hierdurch können aus den Aufwänden für die Umstellung doch effiziente und vereinfachte Prozesse für die weitere Arbeit entstehen. Zumal jetzt schon klar ist, dass sich in Zukunft, besteht erst einmal die Autobahn zwischen den Beteiligten, sicherlich noch mannigfaltige Prozesse finden werden, welche in das Verfahren integriert werden können.
Ramón Lang