Begeisterung oder Ablehnung? : *innen! Verflixt – was soll bloß dieses Suffix
Zum Teufel gejagt hat der Duden das generische Maskulinum vor einigen Monaten. Konkret bedeutet das: Entgeltabrechner meint nun ausschließlich männliche Personen. Gendern polarisiert. Die einen finden es gut, die andere sagen, es ist übertrieben und nervt. Aber was steckt dahinter und ist die Lösung des Problems wirklich das Suffix *innen?
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt: Sprechen ist zunächst männlich. Zwischen 1960 und 1980 gilt es als Norm. Dabei basiert diese Erkenntnis weniger auf empirischen Studien als auf deskriptiven Beschreibungen. So wird Frauen nachgesagt, „sie benutzen mehr Poesie“ oder „lächeln mehr“.
Das ändert sich im nachfolgenden Jahrzehnt: Frauen und Männer begegnen sich nun mehr auf Augenhöhe. Ab jetzt gilt der weibliche Kommunikationsstil nicht mehr als minder-, sondern als gleichwertig. Er setzt nur andere Schwerpunkte.
Wissenschaftler erstellen erste geschlechterspezifische Studien. Die Fragestellungen hierbei lauten: Wie oft unterbricht welches Geschlecht in Gesprächen? Wie hoch ist jeweils der Wortanteil? Und wer benutzt welche Rezipienten-Signale? Daraus entwickeln sie später einen charakteristischen weiblichen und einen männlichen Stil.
Sprechwissenschaft: Adieu Stil, hallo Diversität
Erst nach und nach löst sich die Sprechwissenschaft überhaupt von den Geschlechterrollen und erkennt spätestens seit der Jahrtausendwende, dass Sprache nicht nur mit dem Chromosomenmix, sondern auch mit dem sozioökonomischen Hintergrund zu tun hat. Hinzu kommen Aspekte wie Status, Ethnie, Alter und individuelle Biografien. Das Frauensprechen und das Männersprechen gibt es nicht. Heute spielen bei der Gender Diversity beispielsweise auch der Bildungsweg, die familiäre Orientierung oder die religiöse Zugehörigkeit eine Rolle. Gender ist als soziales Geschlecht also wesentlich vielfältiger als das rein biologische Geschlecht.
Duden: Goodbye generisches Maskulinum
So weit, so gut. Nun werden sich viele fragen: Und was hat das nun per se mit Gendern zu tun? Sprache ist ein Abbild von bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen. Das zeigt sich in der Vergangenheit beispielsweise an der Emanzipation ganz deutlich. Aktuell schreit die Arbeitswelt immer lauter nach Geschlechtergerechtigkeit. Frauenquoten ziehen in die Gesetzbücher ein. Ist es vor diesem Hintergrund noch zeitgemäß, weibliche Arbeitnehmer mit „liebe Kollegen“ anzusprechen?
Streng genommen schließt das generische Maskulinum circa 50 Prozent der Bevölkerung aus. Diesen Trend hat auch der Duden erkannt und reagiert. Ähnlich wie manche Nachrichtensendung. Auch hier ist das Suffix *innen seit einigen Monaten fester Bestandteil der Berichterstattung und spätestens jetzt in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Im Fokus: Was bedeutet dieser Trend für das Recruiting?
Für Human Resources bedeutet das: Es führt kein Weg daran vorbei, sich zu dem Thema Gedanken zu machen. Gendern: ja oder nein? Besonders für das Recruiting – und damit die Außenwirkung – ist eine Positionierung relevant. Denn: Wer die Debatte ignoriert, ordnet sich automatisch einer Seite zu.
Um es im Vier-Ohren-Modell von Friedemann Schulz von Thun zu fassen: Es schwingt immer eine Selbstoffenbarung in der Kommunikation mit. Diese könnte bei Nicht-Gendern sein: „Uns ist das Thema nicht wichtig. Wir haben kein Interesse an nichtdiskriminierender Sprache.“ Bei der entgegengesetzten Variante könnte durchklingen: „Wir sind ein moderner Arbeitgeber, dem Gender Diversity am Herzen liegt.“
Gendern relevant vor allem für hochgebildete, junge Frauen
Laut einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap im Mai 2020 befürworten 35 Prozent der Befragten eine eher/voll und ganz gendergerechte Sprache. 56 Prozent lehnen sie eher, beziehungsweise voll und ganz ab.
Aus der Erhebung geht ebenfalls hervor: Gendergerechte Sprache ist tendenziell relevant für junge, hochgebildete und weibliche Personen. Unternehmen sollten sich daher Gedanken machen: Welche Zielgruppe steht beim Recruiting im Fokus? Befürwortet sie eine gendergerechte Sprache? Inkludiert die Ansprache auch diverse Menschen? Interne und externe Unternehmenskommunikation: Wo braucht es das Sternchen?
Die Überlegungen gehen aber weit über das Recruiting hinaus. Denn auch je nach angebotener Dienstleistung oder Produkt sollten Firmen im Zuge der Debatte überlegen: Hole ich meine Zielgruppe mit der Art der Kommunikation ab?
Denn gerade im Marketing gilt: Um das zu erreichen, was Unternehmen bezwecken, muss sich das Gegenüber von der Botschaft angesprochen fühlen. Kommunikation ist eben nicht immer das, was wir sagen oder meinen, sondern das, was bei unserem Gegenüber ankommt. Sowohl in der externen Unternehmenskommunikation als auch in der internen – wie beispielsweise dem Intranet.
Wer gehört werden will, muss manchmal laut sein
Gendern ist definitiv ein zweischneidiges Schwert und wird vermutlich noch lange polarisieren. Aber das muss es vielleicht auch. Mag sein, dass der Duden das generische Maskulinum verfrüht abgeschafft hat. Schließlich besteht die Aufgabe des Wörterbuchs eigentlich darin, gängige Sprache abzubilden, und nicht, sie nachhaltig zu prägen.
Denn seien wir mal ehrlich: Wer von uns verwendet das Suffix *innen im gängigen Sprachgebrauch? Manchmal müssen Trends etwas über die Stränge schlagen, damit sie Gehör in der Gesellschaft finden. Und beim Thema Gleichberechtigung haben wir nicht nur beim Sprechen Nachholbedarf, sondern bei ganz banalen Dingen, allen voran der gerechten Bezahlung von Frauen. Denn hinter Gendern steckt nicht nur das Suffix *innen, sondern viel größere Problematiken wie der eben beschriebene Gender Pay Gap. Erst wenn die Diskussion um die Sprache verschwunden ist, werden wir geschlechterspezifische Barrieren überwunden haben.
Philipp R. Kinzel