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COVID-19: Survival of the Fittest? : Die Mär von Branchenboomern und Krisenloosern

Der Sieg über Corona scheint wie ein Mythos mit einer Sagengestalt, die sich umso weiter entfernt, je näher man ihr kommen will. Man spricht von Lockerung, wo es sich noch nicht locker anfühlen kann und nichts schon wirklich wieder normal ist.

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Lesezeit 4 Min.
Eine Hand zeichnet ein Strichmännchen in kriechender Position auf eine Tafel und symbolisiert das Konzept, bei den Grundlagen anzufangen oder einen Lernprozess zu beginnen.

Wer hat bisher überhaupt etwas „gewonnen“? Zu der ganzen Ungewissheit kommt der föderale Flickenteppich hinzu, der nicht gerade für ein sicheres Gefühl sorgt. Da kann noch so viel an das Verständnis für unterschiedliche Gegebenheiten appelliert werden. Nicht nur die Zahl der Kurzarbeiter hat einen historischen Höchststand erreicht, sondern auch die Möglichkeit, sich telefonisch krankschreiben zu lassen, wird fleißig genutzt und beschert ebenso Höchststände. Die tatsächliche Produktivität könnte ein großes neu zu definierendes Konfliktpotenzial für die Arbeitswelt werden. Grenzen werden sich nicht immer gerecht verschieben und auch Werte wie Loyalität und Moral werden sich in neuem Licht zeigen müssen. Muntere Durchhalteparolen von oben verpuffen allerdings, wie eine Farce, wo Planbarkeit eine Fehlanzeige ist und bleibt. Und so verwundert es nicht, dass sich die Wirtschaft nicht weiter und weiter hinhalten lassen und mit Trosthäppchen abspeisen lassen will. Denn die Dauerbrennerfrage bleibt: Wer soll das am Ende wirklich alles bezahlen?

Aufs richtige Pferd gesetzt?

Natürlich wundert es niemanden, dass der Online-Handel geradezu boomt. Logisch ist auch, dass bestimmte Produkte im Moment mehr nachgefragt sind. Die Sportgerätebranche freut sich über „Quarantäneprofite“. Manche Glückssträhne wird allerdings eher von kürzerer Dauer sein und es wird nicht allzu lange dauern, bis Ebay mit Angeboten für ungenutzte Geräte überschwemmt wird. Daher verwundert es nicht, dass Netflix sich nur verhalten darüber freut, Disney als Streaming-Anbieter überholt zu haben. Denn man richtet sich recht weitsichtig schon auf Kündigungswellen ein, wenn die wirtschaftlichen Folgen mit voller Härte zurückschlagen. Wer online gut aufgestellt ist oder ordentlich nachgebessert hat, wird auch künftig davon profitieren. Vorsichtig mit der Freude über bleibende Kunden sollten auch diejenigen sein, die gerade Dienstleistungen anbieten, die sich im Grunde gerade nicht wirklich lohnen. Alles was jetzt möglicherweise als Kundenbindungsmaßnahme dienen soll, muss später mit einer guten Argumentation zurückgenommen werden. Woran der Kunde sich gewöhnt hat, das gibt er nicht so gerne auf. Ebenso muss eine Gutscheinpolitik gut überlegt sein: Jetzt bezahlen, später in Anspruch nehmen?

Der gut gemeinte Vorschuss – egal in welcher Branche – darf nicht nach hinten losgehen. Auch nach Corona hat jeder Tag nur eine begrenzte Anzahl an Arbeitsstunden. Keiner weiß, was nach der ersten Zeit der Solidaritätsbestellungen und Spenden für Wein, Mahl und Gesang bleibt, wenn die Geldbörsen absehbar kollektiv schmäler werden. Natürlich wird jeder lieber sofort Kultur im Autokino konsumieren, statt gefühlt das hunderttausendste Wohnzimmerkonzert zu streamen. Kinos dürfen öffnen, ohne dass das Movie-Marketing gestartet ist – neben leeren Sicherheitsplätzen fehlen nun zum Auftakt die Publikumsmagneten.

Wer wird dennoch Herr über die Krise?

Die Coaching-Szene durfte sich schön die Hände gerieben haben: Bis zu 4.000 Euro staatlichen Zuschuss gibt es für gefährdete Unternehmen, wenn sie einen zertifizierten Berater hinzuziehen, damit der dann „rettet, was noch zu retten ist“. Für die Wirtschaftsglückslotterie ist also Geld da.

Eine Kreidetafelzeichnung einer stilisierten Figur mit einer Krone auf dem Kopf, die einen Arm ausstreckt, als würde sie einen Befehl erteilen oder einen Standpunkt verdeutlichen.

Der Detailteufel steckt aber darin, dass man vorsteuerabzugsberechtigt sein sollte. Firmen und Freiberufler, die als Kleinunternehmer auftreten, müssen die Umsatzsteuer selbst tragen. Also wieder einmal nichts für die ganz Kleinen. Ein gutes Krisenmanagement wird sicherlich Thema bleiben wird, das „große Loch danach“ kommt erst noch. Weiter spricht der Staat ständig von Hilfen und davon, Arbeitsplätze zu erhalten, verwendet dabei aber eine Finanzgießkanne, die wahllos Tropfen auf heißen Steinen verteilt. Denn deren Löcher scheinen für manche Branchen weiterhin willkürlich verstopft.

Start-ups als Innovationsmotoren und Social Entrepreneurships müssen es zunächst ohne Unterstützung schaffen, das Betätigungsfeld ist dabei irrelevant. Ob der gedämpfte Absatz für E-Autos da eine der größten erklärten Sorgen für die Wirtschaft sein sollte, bleibt fraglich. Während sich in Autohäusern nun nicht gerade die Massen tummeln, wurden die Friseurläden vorhersehbar gestürmt. Wo Geld fließt, stellen sich alle brav an: Die Bahn bettelt sofort um eine Erhöhung der Schuldenobergrenze, sobald durchsickert, dass der Staat der Lufthansa unter die Arme greift. Wenn man bedenkt, dass Urlaubsreisen weiterhin weniger angetreten werden und die Regierung die Unternehmen auch künftig zur nachweislichen Reduktion von unnötigen Dienstreisen angemahnt hat, lässt sich erahnen, wohin diese Reise gehen könnte. Es wurden politische Stimmen laut, dass künftige Konjunkturprogramme insgesamt an den Klimaschutz gekoppelt werden sollen. Das bedeutet später Glück für den, der da bereits gut aufgestellt ist. Völlig gerecht(fertigt), oder?

Zwischen Gnadenbrot und Fußballspielen?

Je mehr die Bundesregierung die Bedeutung der Kultur betont, umso düsterer die Vorahnung, sieht man gerade die Freischaffenden im Kunst- und Kulturbereich mit wehenden Fahnen durch die schlecht gestrickten Maschen der Bürokratie fallen. Obwohl umstritten, gab es ganz andere Konditionen für die Profifußballer. „Berufsverbote“, wie sie über andere Branchen in sturer „Musssein-Manier“ verhängt wurden, dürfen ja schließlich nicht „jeden“ treffen. Nach Wochen und Monaten des verzweifelten Wartens, Mahnens und vorhersehbaren Verschuldens wurden die strikten Bestimmungen für die Gastronomie und Hotellerie gelockert. Ein Drittel der bisherigen Gäste kann jetzt meist noch bewirtet werden – und einem Drittel der Unternehmen droht absehbar die Insolvenz. Gewinnen oder verlieren – das muss man weiterhin ganz „sportlich“ sehen. Es ist eben alles eine Frage der „Relevanz“ …

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