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Studie : Recruiting in Zeiten von Corona

Deutschland war in Bezug auf die Digitalisierung von Recruitingprozessen bisher eher konservativ. Zwar sind Online-Bewerbersysteme mittlerweile sehr weit verbreitet und genießen eine hohe Akzeptanz, doch fand sonst mit Ausnahme vielleicht von Auszubildenden-Tests wenig online statt.

Lesezeit 5 Min.
Zwei Fachleute in einem gut beleuchteten Büroraum, die während einer Diskussion soziale Distanz wahren und Masken tragen.

Aktuelle Untersuchungen der Unternehmensberatung Kienbaum zeigen, dass deutsche Unternehmen in der Corona-Krise jedoch ihre Suchen nicht auf Eis gelegt haben, sondern vielmehr die oft schon vorhandene IT-Infrastruktur zur Digitalisierung des Bewerbungsprozesses nutzen.

Auf dieser Basis haben Prof. Dr. Thomas Batz und Prof. Dr. Thorsten Krings von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn eine qualitative Studie zu dem Thema durchgeführt und Personaler aus verschiedenen Branchen zu den aktuellen Trends befragt. Tatsächlich gaben fast alle Befragten an, dass vor Corona die Digitalisierung bisher bei den Unterlagen endete. Als Gründe hierfür wurden Trägheit der Organisation, Vorbehalte der internen Stakeholder, technische Inkompetenz oder vermutete Vorbehalte der Bewerber angegeben. Um eines gleich vorwegzunehmen: Digitale Auswahlgespräche genießen eine hohe Akzeptanz bei allen Beteiligten. Lediglich zwei der Interviewpartner gaben an, nach Corona wieder ausschließlich zu Face-to-Face-Interviews zurückkehren zu wollen. Alle anderen berichten, dass die Organisation die digitale Form von Gesprächen als Arbeitserleichterung sieht. „Wir haben gelernt, dass grundsätzlich mehr digital geht, als man vorher gedacht hat“, fasst eine Teilnehmerin der Studie die Lernkurve ihres Unternehmens zusammen. Lediglich zwei der Befragten hatten schon vor der Corona-Krise mit Videointerview gearbeitet.

Auch bei den Bewerbern kommen die Videointerviews in der Summe gut an, denn gerade im frühen Stadium des Bewerbungsverfahrens bringt dies eine enorme Vereinfachung des Prozesses mit sich. Allerdings, so schränken einige der Befragten ein, verfügten nicht alle Bewerber im privaten Umfeld über die notwendige Hardware. Personalberater Andreas Werner (Board Consultants International) berichtet, dass die Bereitschaft zu Videointerviews mit ihm als Berater hoch sei, die Kandidaten jedoch Vorbehalte bei Interviews mit dem Klienten hätten, weil sie Sorge haben, nicht mit ihrer Persönlichkeit punkten zu können.

Auch mit der technischen Umsetzung war man weitestgehend zufrieden. Die aktuelle Studie bestätigt die Aussage von Kienbaum, dass im Wesentlichen MS Teams und Skype eingesetzt werden, wobei Skype zu Spitzenzeiten in Sachen Datenübertragung nicht immer überzeugen kann. Die meisten Befragten hatten sich auch auf ein einziges Tool festgelegt, lediglich einer nutzte eine Vielzahl von Programmen.

Grundsätzlich wurden die Videointerviews als hilfreich betrachtet, jedoch waren sich alle darin einig, dass diese Form des Interviews auch ihre Grenzen hat. „Das Videointerview kann 80 Prozent von einem persönlichen Gespräch leisten“, bringt eine Befragte es auf den Punkt. Diese Ansicht teilen alle, die dem Videointerview grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Das Instrument hat eindeutig auch seine Grenzen und kann das persönliche Gespräch nicht ersetzen. Bei denen, die das Videointerview beibehalten wollen, herrscht noch Unsicherheit darüber, ob es lediglich das telefonische Vorabinterview ersetzen soll oder auch schon für das erste Gespräch mit dem Fachbereich genutzt werden kann. Personalberater Andreas Werner weist außerdem darauf hin, dass gerade im oberen Management der „Cultural Fit“ besonders wichtig ist und das persönliche Gespräch daher unverzichtbar ist.

Wenig überraschend ist, dass in den Firmen der IT-Bereich am ehesten bereit ist, auf Online-Lösungen umzusteigen. Auch nehmen einige der Befragten wahr, dass die Akzeptanz von Videointerviews vom Alter der Auswählenden und der Kandidaten abhängig ist. Man war sich einige, dass das im Alterskorridor von 25 bis 40 Jahren kein Problem sei. Die Frage, ob das Videointerview vielleicht sogar einen Mehrwert bietet, weil man subjektive Eindrücke weniger intensiv erlebt als im persönlichen Gespräch, wurde klar verneint. Einer der Befragten meinte sogar, dass er es für die Entscheidungsfindung als problematisch erachtet, wenn er Einblicke in das persönliche Umfeld des Bewerbers bekommt. Es ist dementsprechend nicht verwunderlich, dass es schon Ratgeber gibt, wie man den Raum für Webmeetings gestalten soll, um einen möglichst positiven Eindruck zu machen.

Alles in allem zeigt sich also, dass Corona sehr wohl der Brandbeschleuniger für die Digitalisierung von Auswahlprozessen ist und dass dieser Trend wohl auch nicht mehr umkehrbar ist. Deutschland hat damit im internationalen Vergleich aufgeholt. Aber es hat sich auch gezeigt, dass digitale Formen der Personalauswahl traditionelle Forman nicht verdrängen, sondern nur ergänzen werden. Es wird die große Herausforderung für Personaler sein, Kombinationen von digitalen und traditionellen Auswahlverfahren zu definieren, die allen Beteiligten einen Mehrwert bieten.

Interessant wird in diesem Zusammenhang aber auch die Betrachtung der kulturellen Perspektive sein und damit verbunden der Unterschiede zwischen verschiedenen Landes- und Firmenkulturen. Wie unterschiedlich Kulturen von Nachbarländern auch im Jahr 2020 sind, zeigt die aktuelle Corona-Krise. Während sich in Frankreich Hamsterkäufe auf Produkte wie Rotwein konzentrierten, brach in Deutschland der Kampf um die letzte Rolle Klopapier aus. Grundannahmen, Werte und Überzeugungen spielen gerade bei der Personalauswahl eine sehr große Rolle. Denn die neu ausgewählten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen ja künftig die Kultur des Unternehmens verinnerlichen und reflektieren. Viele Auswahlprozesse laufen nur formal sehr strukturiert ab. Im Hintergrund aber fallen viele Entscheidungen auf der Basis subjektiver und sehr individueller Einschätzungen von Personalentscheidern. Aufgrund des jeweiligen Erfahrungshintergrunds von Entscheidungsträgern im Personalwesen gehen diese von richtigen Personalentscheidungen aus und fühlen sich sicher. Von dieser gefühlten Sicherheit lassen sich Entscheider auch durch Fehleinstellungen und Frühfluktuationen nicht abbringen. Die Basis dieser Sicherheit gewinnen Entscheider sehr häufig durch den persönlichen Eindruck; eine Einstellung wird häufig dann durchgeführt, wenn „die Chemie stimmt“. Durch elektronische Möglichkeiten werden HR-Managerinnen und -Managern aber diese vermeintlichen Sicherheitsmechanismen genommen oder zumindest werden sie deutlich eingeschränkt.

Im Hinblick auf das Bedürfnis nach Sicherheit bzw. das Bedürfnis, Unsicherheit zu vermeiden, gibt es zwischen verschiedenen Unternehmenskulturen und in verschiedenen Länderkulturen gravierende Unterschiede. Die Kulturdimension „Unsicherheitsvermeidung“ wurde vom holländischen Anthropologen und Kulturforscher Geert Hofstede erarbeitet. Diese Kulturdimension beschreibt das in einem Land festzustellende Bedürfnis, Unsicherheit zu vermeiden. Sobald ein hoher Bedarf an Unsicherheitsvermeidung vorliegt, lösen Veränderungen Stress und Angst aus, diesem Stress begegnet man mit zahlreichen Regeln, durch die ein Zustand der Sicherheit wiederhergestellt werden soll. Durch neue elektronische Methoden des Recruitings aber sind bisherigen Regeln nicht mehr relevant und die gefühlte Unsicherheit wächst. Insofern wird es zukünftig im Vergleich der Kulturen verschiedener Firmen und verschiedener Länder sehr interessant sein, inwiefern tatsächlich elektronische Formen der Personalauswahl dauerhaft und nachhaltig in den Auswahlprozess integriert werden und welche Bedeutung diesen Möglichkeiten dabei zugemessen werden wird.

Prof. Dr. Thorsten Krings,

Prof. Dr. Thomas Batz, DHBW Heilbronn

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