Zwei (kluge) Köpfe – zwei Meinungen! : „Einfach unerschütterlich? Besser antifragil oder doch einfach nur resilient?“
Antifragilität und Resilienz! Beide Begriffe sind Unternehmen nicht fremd. Im Gegenteil, sie spielen eine wichtige Rolle und sollten Teil der Unternehmenskultur sein oder werden. Aber warum ist das so?
Online-Redakteurin und Jobcoach Dr. Silvija Franjic und Unternehmensberaterin und Trainerin – Janette Rosenberg -stellen sich der Herausforderung, beide Seiten zu beleuchten.
Resilienz und mentale Gesundheit – ein Muss für die Mitarbeiter.
Janette Rosenberg Die Belastungen der aktuellen Situation, ob nun im Homeoffice, im Dienstleistungs- oder im produzierenden Bereich, sind für Mitarbeiter nicht immer unbedingt so wegzustecken. Es braucht Systeme im Bereich des Mindsets, um dem Mitarbeiter genau das an die Hand zu geben, was er aktuell benötigt. Das gesunde geistige und körperliche Wohlbefinden der Mitarbeiter wirkt sich ebenso auf Kreativität, Engagement und die Identifikation mit dem Arbeitgeber aus.
Aber was ist Resilienz? Um es einfach zu formulieren, bedeutet Resilienz nichts anderes als Widerstandsfähigkeit. Ein resilienter Mensch lässt sich beispielsweise bei Schicksalsschlägen nicht so schnell aus der Bahn werfen, sondern er kommt schneller wieder auf die Beine und kann sein Leben weiterführen wie zuvor. Das ist aber nur die einfache Definition. In der Wissenschaft reicht diese Deutung nicht aus. Hier ist es etwas komplizierter. Resilienz ist dort keine „geheimnisvolle“ Kraft, sondern ein komplexer psychischer Mechanismus aus vielen einzelnen Faktoren.
Gerade Krisen zeigen uns, dass es sehr wichtig ist, wenn man resilient ist. Ein Mensch mit dieser Stärke – mit solch einer robusten Psyche – ist widerstandsfähiger und kann mit dem Ungewissen besser umgehen. Wenn Sie so einen Menschen als Mitarbeiter haben, dann kann dieser das Betriebsklima positiv beeinflussen. Ein Team oder ein ganzes Unternehmen in der Summe, das resilient ist, reagiert in Krisen mit Zuversicht und neigt nicht zum „Katastrophieren“. Strategische Resilienztrainings und die Implementierung resilienter Handlungsweisen können die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter dauerhaft sichern.
Zukunft braucht mehr als Zufriedenheit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit
Dr. Silvija Franjic Das Antifragile steht dem Ungewissen und dem Zufälligen sogar positiv gegenüber; Prognosen bekommen eine ganz andere Bedeutung. Antifragilität versetzt in die Lage, mit dem unbewusst Unbekannten umzugehen. Solche „Stressoren“ müssen vorhanden sein, um antifragiles Handeln und Denken zu ermöglichen und zu erlernen. In manchen Wirtschaftszweigen, wie etwa auf dem Finanzmarkt, wird beispielsweise bewusst fragil agiert – hier profitiert man gezielt von Erschütterungen. Antifragilität ist mehr als Resilienz und Robustheit. Während Resilienz bedeutet, den Schock zu überstehen und sich im Grunde „gleich zu bleiben“, dient das Antifragile dazu, besser zu werden.
Fokus auf Erfolgsverhinderer und optimale Arbeitsgestaltung
Janette Rosenberg Dabei sind folgende Fragen zu stellen: Wie wird das optimale Potenzial entfaltet, wenn es um die Arbeitsgestaltung und die Eigenorganisation geht? Auf welche Weise werden diese Aspekte in die Arbeitsorganisation eingebunden? Mit welchen Mitteln kommt man zu einer auch unternehmerischen gesunden Lebensweise auf allen Ebenen und erhält ein starkes „Rückgrat“? Wie erlernen wir, verloren gegangene Fähigkeiten wie Regeneration und eine gesunde Körperkultur zurückzugewinnen, damit Stressmanagement gelingen kann?
Das ICH und das WIR. Ein Team, ein Unternehmen. Aber wie entfalte ich das optimale Potenzial? Ein Vorteil wäre es, wenn sich Unternehmen ihrer Potenziale bewusst sind und diese auch erkennen. Meistens werden wir schon durch sogenannte Erfolgsverhinderer davon abgehalten, unser volles Potenzial zu entfalten. Von Selbstverwirklichung bis hin zu normalen Routinen im Alltag: Wir brauchen eine gewisse Stabilität in bestimmten Lebenslagen und müssen teilweise wieder erlernen, auf unseren Körper zu hören, wie zum Beispiel mehr zu schlafen und uns mehr zu bewegen.
Schulungen können dabei helfen. Der Umgang mit Stresssituationen wird trainiert, Selbsterkenntnis kann erlangt werden, aber auch das Akzeptieren von Niederlagen und das Finden von Lösungsansätzen spielen eine Rolle. Arbeitgeber können nur profitieren, denn bei einer Führungskraft zum Beispiel bedeutet mehr Resilienz eine bessere Kontrolle und weniger operative Hektik. Führungskräfte können auf diese Weise mit ihren eigenen Energieressourcen und Emotionen gut umgehen, was wiederum das Vertrauen bei den Mitarbeitern fördert.
Konzepte zur organisationalen Resilienz in Verbindung mit der positiven Psychologie bieten gewisse Ansätze. Sie sind zwar kein Allheilmittel für alles, aber sie können dazu beitragen, die Herausforderung der heutigen Arbeitswelt besser zu bewältigen. Ein souveräner Umgang mit Unsicherheit oder Veränderungen, eine bewusste und positive Führung oder die Förderung der Selbstorganisation und von Netzwerken: Es lohnt sich für Unternehmen, in solche Konzepte zu investieren, da auch einzelne Mitarbeiter, die Führungskraft oder sogar Teams davon profitieren. Welche Instrumente aber am besten zur Organisation, ihrem Umfeld und den aktuellen Herausforderungen passen, muss erst einmal geprüft werden.
Stresstest zum positiven Ereignis werden lassen
Dr. Silvija Franjic Regeneration, Routinerückgewinnung und Stabilität sind im neuen Krisenzeitalter unter Umständen nicht ausreichend: Mit der konkreten Anwendung des Prinzips der Antifragilität geht die Erstellung einer systemisch breit angelegten Gebrauchsanweisung einher, unabhängig von Wirtschaft, Politik oder dem Gesundheitswesen. Es geht um das Vermögen, Entscheidungen trotz Ungewissheit zu treffen, in Situationen, in denen das Unbekannte dominiert. Für Unvorhergesehenes und sogar Erschreckendes oder Gefährliches empfiehlt Bestseller-Autor Nassim Nicholas Taleb in seinem Werk „Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen“, die Vorgehensweisen bei Vorhersagen und im Risikomanagement auf den Kopf zu stellen. Damit soll die „Tragödie der Moderne“ vermieden werden, um nicht wie neurotische, überfürsorgliche Eltern zu handeln, die denen schaden, die im Grunde geschützt werden sollten. Casinos hingegen sind für ihn ein Beweis, dass das Ungewisse durchaus eine kalkulierbare Größe sein kann, wenn man weiß, wie.
Mit den Methoden der Medizin wirtschaftlich werden
Janette Rosenberg Auch wenn Resilienz mehr Philosophie als ein Instrument ist, indem sie einen ganzheitlichen Wandel erfordert, können die Maßnahmen gebündelt doch wirkungsvolle Effekte erzielen. Die aus der Medizin übernommenen Ansätze sind nicht neu, aber derzeit so gefragt wie noch nie. Obwohl die Wandlungsfähigkeit des Unternehmens durch das Dogma der Wirtschaftlichkeit begrenzt ist, ist es unerlässlich, nach der Krise zu gesunden und zu gedeihen, um wieder leistungsfähig zu werden. Es gibt bereits erprobte „Immunzellenkuren“, welche die Stabilisierung und Entlastung des angeschlagenen Unternehmens erreichen. Dazu gehört es ebenso, sich auf bereits erreichte Erfolge zu besinnen, wie auch, hoffnungsvolle und zukunftsträchtige Ziele und Visionen zu entwickeln.
Unternehmen sollten frühzeitig erkennen, wann Veränderungen (innen oder von außen) eintreten, um rechtzeitig handeln zu können. Zu viele holen sich erst spät Hilfe. Die Corona-Krise zeigte es deutlich: Einige Unternehmen kämpften oder kämpfen immer noch ums Überleben, andere wiederum nutzen die Krise als Antrieb für notwendige Restrukturierungen, und dann gibt es noch die Unternehmen, die eine Chance sehen, ihre Stärken auszuspielen, und in den Angriffsmodus gehen. Vorausschauendes Handeln, permanente Reflexion und nicht zuletzt eine „Krisenkasse“ wären für Notfälle sinnvoll.
Risiko der anderen Art – gegen Intransparenz und ungerechte Umverteilung
Dr. Silvija Franjic Viele der großen Finanzkrisen, wie auch der Wirecard-Skandal, entziehen sich – nicht zuletzt wegen der zunehmenden Komplexität – viel zu sehr und zu lange dem Blick und der Kenntnis der Öffentlichkeit. Solches Handeln führt dazu, dass Verantwortung von einem immer exklusiver werdenden Kreis übernommen wird, aber letztlich alle die Zeche zahlen müssen. Taleb zeichnet das Bild des invertierten Helden von heute: Früher war ein Held, wer ein großes Risiko einging und die komplette Verantwortung für sein Handeln trug. Heute haben wir eine ganz andere „Klasse“ oder gar Kaste von „Helden“: Banker und Finanzhaie, Bürokraten und Akademiker mit einer übermäßigen Kumulation an Macht und Handlungsspielraum. Taleb meint: Noch nie in der Geschichte der Menschheit sei so viel Macht in den Händen so weniger gewesen, die jedoch keinerlei Risiko auf sich nehmen und gleichzeitig keine Verantwortung übernehmen – und dabei auch noch sehr gering persönlich exponiert sind. Hieraus muss sich die wichtigste ethische Maxime ableiten: Man darf die eigene Antifragilität nicht auf der Fragilität anderer aufbauen. Das zeigt sich sowohl im Großen wie auch im Kleinen und ist deshalb stets genau zu prüfen und zu hinterfragen.
Antifragilität und Resilienz!
Nimmt man alles zusammen und wägt man die Positionen ab, so wird deutlich, dass ein Entweder-oder nicht die Frage sein sollte. Nicht umsonst sind immer mehr agile Teamstrukturen gefragt. Zu prüfen ist die Vereinbarkeit und die Stärkung mit beiden Ansätzen als mögliche Doppelspitze. Es spricht nichts dagegen, resilient und antifragil zu werden, wenn es die Zeichen der Zeit erfordern. Letztlich soll ja erreicht werden, mit den Themen Krise und Risiko souverän und erfolgreich umzugehen.
Dr. Silvija Franjic ist selbstständige Onlineredakteurin sowie Jobcoach und Dozentin bei einem Bildungsinstitut. Sie schreibt seit einigen Jahren für fast alle Branchen und hat sich als freie Autorin für LOHN+GEHALT auf HR-Topics spezialisiert. Als Freelancerin publiziert sie inzwischen schwerpunktmäßig zu Management- und Recruiting-Themen. Dabei ist sie auch als Content-Strategin und Social-Media- Beraterin für unterschiedlichste Unternehmen tätig. Zu ihren Kunden zählen Soloselbstständige ebenso wie KMU.
Janette Rosenberg ist selbstständige Unternehmensberaterin und Dozentin im Payroll-Bereich sowie Autorin und stellvertretende Chefredakteurin der LOHN+GEHALT. Sie hat langjährige Erfahrung in der strategischen Unternehmensführung, im HR-Management, als Payroll-Spezialistin und Trainerin für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU). Sie ist ebenso auf den Bereich der digitalen Bildung spezialisiert.