Recruiting : Geschlechtergerechtes Recruiting
Interview mit Valeska Martin, Referentin beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA), über geschlechtergerechtes Recruiting.
Gendern spaltet die Gesellschaft. Die einen befürworten das Suffix :innen, die anderen finden es übertrieben. Für Unternehmen stellt sich im Zuge der Debatte die Frage, wie sie mit dem Thema bei der Rekrutierung neuer Fachkräfte umgehen.
Gendern in Stellenanzeigen
Gerade der Mittelstand kämpft im Zuge des Fachkräftemangels um junge Talente. Wie wichtig ist das Gendern in Stellenanzeigen geworden?
Gendern ist wichtig und wird immer wichtiger. Wir sehen es in Alltagsmedien wie der Tagesschau. Auch bei Stellenanzeigen gilt: Alle möchten sich angesprochen fühlen. Stellenanzeigen sind oft der erste Berührungspunkt mit dem Unternehmen, wenn diese auf Online-Jobbörsen oder in Zeitungen entdeckt werden. Werden Personen beispielsweise schon nicht im Titel gendergerecht angesprochen, können hier schon potenzielle Bewerberinnen aussteigen. Das wäre aber fatal, denn Frauen sind eine wichtige Zielgruppe, um die Fachkräftelücken zu schließen. Sie gezielt in den Blick zu nehmen ist für Unternehmen wichtig.
Welche Berufsgruppen betrifft das besonders?
Die Studien am Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) zeigen, dass der Fachkräftemangel in Berufen am größten ist, die einem Geschlechterklischee zugeordnet sind.
Beispiele hierfür sind die eher weiblich- konnotierten Berufe aus dem Pflegebereich und die eher männlich- konnotierten technischen Berufe.
Gibt es Normen, die beim geschlechtergerechten Recruiting einen gesetzlichen Rahmen spannen?
Grundsätzlich gilt für alle Unternehmen, dass sie bei ihrem Bewerbungsprozess das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzt (AGG) einhalten müssen. So darf niemand Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts bzw. der geschlechtlichen Identität, der Religion und Weltanschauung, der körperlichen und geistigen Fähigkeiten, des Alters oder der sexuellen Orientierung erfahren. Eine Stellenanzeige wie „junge und dynamische Kellnerin gesucht“, ist nicht zulässig.
Vor allem hochgebildete junge Frauen befürworten Gendern. Bedeutet das aber im Umkehrschluss, dass Unternehmen, die eine andere Zielgruppe verfolgen, auf Gendern in Stellenanzeigen grundsätzlich verzichten sollten?
Nein, das würde ich nicht sagen. Vielleicht sind manche Frauen sensibilisierter für das Thema als andere, jedoch möchte jede Frau sich angesprochen fühlen. Es muss aber nicht immer das Gendersternchen oder der Genderdoppelpunkt sein – auch wenn diese Varianten natürlich am vielfältigsten alle Geschlechter einschließen. Am einfachsten ist es, wenn Unternehmen in Ihren Stellenanzeigen geschlechtsneutral formulieren. Das bedeutet, dass sie nicht im generischen Maskulinum schreiben, sondern Wörter nutzen, die eben geschlechtsneutral sind, wie Fachkraft, Assistenz, Auszubildende oder Teamleitung. Viele Unternehmen haben mittlerweile auch den Zusatz (m/w/d) nach dem Stellentitel ergänzt. Dieser steht für männlich, weiblich, divers – schließt somit auch die nicht-binären Geschlechter ein.
Geschlechtergerechtes Wording in Stellenbeschreibungen
Das Suffix :innen ist das eine. Gibt es aber noch andere Kriterien, auf die Unternehmen bei der Formulierung in Stellenanzeigen achten sollten, um möglichst alle potenziellen Kandidaten anzusprechen?
Sprachlich gesehen geht es auch darum, die richtigen Formulierungen zu verwenden, damit sich Frauen überhaupt angesprochen fühlen. Frauen lassen sich von Macht und Status bezogenen Eigenschaften abschrecken. Aus „Durchsetzungsvermögen“ sollte deshalb in Stellenanzeigen lieber „Selbstbewusstsein“ werden, aus „analytischem Denken“ eher „Blick für das Wesentliche“, „Entscheidungsvermögen“ eher „Urteilsfähigkeit“, anstelle von „Ehrgeiz“ kann „Ziele klar im Blick haben“ stehen. Bei Eigenschaften wie Teamfähigkeit, verständnisvoller Umgang oder Konfliktfähigkeit fühlen sich Frauen in ihren Kompetenzen angesprochen.
Und dann werden wirklich Frauen und Männer gleichermaßen von dieser Formulierung abgeholt?
Ja. Unternehmen müssen keine Angst haben, dass die Stellenanzeigen dann nur noch auf Frauen zugeschnitten sind. Studien zeigen, dass männliche Stereotype Frauen von der Bewerbung abschreckten, während weibliche Stereotype keine Wirkung auf Männer haben. Unternehmen können also eigentlich nur gewinnen, da sie durch ein gleichberechtigtes Wording eine größere Auswahl an Bewerbungen erhalten. Gendergerechte Stellenanzeigen sind zudem gut für ein positives Unternehmensimage nach außen.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Eine geschlechtergerechte Sprache schreckt niemanden ab – auch Männer nicht. Ganz im Gegenteil fühlen sich so mehr Menschen angesprochen.
Wichtig ist an dieser Stelle auch zu erwähnen: In unserem KOFA Kompakt 2/2012 haben wir herausgefunden, dass sich Frauen oft unterhalb ihres Qualifikationsniveaus bewerben. Fast 70 Prozent der Frauen mit einem Meister- oder Technikerabschluss arbeiten unterhalb ihrer formalen Qualifikation, also auf Fachkraft oder Helferniveau. Frauen bewerben sich oft nur dann, wenn sie alle aufgeführten Kriterien erfüllen.
Deshalb gilt
Unternehmen sollten nicht zu viele starre Anforderungen und Qualifikationen auf einmal nennen. Es sollten nur die Anforderungen genannt werden, die unverzichtbar für die Stelle sind. Dinge, die die Person auch noch während des Arbeitsalltags erlernen kann, sollten auch so benannt werden. Elegant lässt sich das lösen durch ein „wünschenswert wären Kenntnisse im Bereich xy“. Anforderungen sollten so breit wie möglich formuliert sein. So kann man Qualifikationen mit folgendem Halbsatz ergänzen: „… oder vergleichbare Kenntnisse oder Erfahrungen.“
Das Interview führte Philipp R. Kinzel