Wandel im Blick – Arbeitswelten der Zukunft : Nachhaltigkeit in der Arbeitswelt
Ganz unerwartet sind in der Pandemie die Chancen und Risiken einer nachhaltigen Arbeitswelt zutage getreten. Neue Arbeitsformen, wie mobiles Arbeiten, werden erprobt, und die Digitalisierung erlebt beispielsweise im Bereich der Kommunikation einen riesigen Aufschwung.
Zugleich sind die zuvor schon prekären Bereiche und die Beschäftigtengruppen – deren Systemrelevanz wie im Fall der Pflegeberufe nun teilweise ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist – besonders betroffen. Und schlaglichtartig werden die Schattenseiten der Arbeitswelt erkennbar. Es gilt nun, das Tor zu einer nachhaltigen Arbeitswelt zu durchschreiten.
Ressourcen-Nutzung
Mit den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen und mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) sind bereits Handlungsrahmen gegeben. Nun geben diese beiden Agenden den Veränderungen der Arbeitswelt dadurch hohe Priorität, dass dieses Thema durch ein eigenständiges Ziel adressiert wird (SDG 8). Die anstehenden Herausforderungen stellen den vorherrschenden Fokus auf Erwerbsarbeit und Wirtschaftswachstum in Frage und erfordern neue Messgrößen und Maßnahmen.
Bis heute prägen vor allem die klassischen industriellen Arbeitsverhältnisse die Vorstellungen und Konzepte davon, was gute und menschenwürdige Arbeit sein und leisten sollte, was insbesondere durch die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) als „decent work“ definiert ist. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich ökonomische, technologische und soziale Dynamiken verstärkt. Gleichzeitig haben sich Einsichten verbreitet, die mittlerweile dringend eine Weiterentwicklung der Vorstellungen und Konzepte von Arbeit fordern.
Globalisierung und Digitalisierung etwa verändern die bestehenden Arbeitsverhältnisse mit Hochdruck und verstärken gleichzeitig Tendenzen der Ungleichheit. Zudem treten die nicht nachhaltigen Effekte von Arbeitstätigkeiten, auf die Beschäftigte als Einkommensquelle nicht verzichten können, immer deutlicher hervor: Die Zerstörung von Lebensräumen durch exzessive Ressourcennutzung schreitet weiter ungebremst voran.
Zwar hat Deutschland für die klassische Betrachtung von Arbeit ein solides Fundament vorzuweisen, aber dieses bröckelt zunehmend – etwa durch Prekarisierung – und es droht weiter an Tragfähigkeit zu verlieren. Um dieses Fundament zu stärken, gilt es zunächst, die grundlegenden Defizite und Nachholbedarfe in den klassischen Arbeitskonzeptionen zu beheben und sie in einem modernen Konzept für nachhaltige Arbeit weiterzuentwickeln.
Planung des Digitalisierungsprozesses
Um eine Konzeption von nachhaltiger Arbeit auch in der betrieblichen Praxis effektiv umsetzen zu können, muss das Thema wirtschaftlich übergreifend behandelt werden. Nachhaltige Arbeit sollte systematisch Eingang in die nachhaltige Entwicklung finden, und zwar im Dreiklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialstaat. Dabei sollte verstärkt ein fachübergreifender Austausch über Zielkonflikte und über Synergien geführt werden.
Nachhaltige Arbeit stellt sowohl den Gesetzgeber als auch die Unternehmen vor neue Herausforderungen. Die sich unter Digitalisierungsbedingungen schnell wandelnde Arbeitswelt zeigt ganz deutlich, dass die Politik häufig reagiert, beispielsweise im Bereich der Arbeits- und Sozialgesetzgebung für Crowd- und Clickworker.
Ein erweiterter Arbeitsbegriff erfordert die Einbindung mehrerer Akteure. Neben Fragen der Erwerbsarbeit werden auch weitere Themen wie Familien- und Sorgearbeit, die Fern- und Folgewirkungen nicht nachhaltiger Arbeit in anderen Weltregionen (Lieferkettengesetz), die Verlagerung von Lasten auf zukünftige Generationen (Finanzpolitik) und die ökologische Dimension von Arbeit in all ihren Formen (Dekarbonisierung) berührt werden. Nachhaltige Arbeit ist nicht nur ein Querschnittsthema für Politik und Justiz, welche unter anderem über die Sozialgesetzgebung, das Arbeitsrecht und die Familien- und Steuerpolitik über erhebliche Gestaltungsspielräume verfügen. Auch die Sozialpartner haben umfassende Möglichkeiten zur Ausgestaltung der (kollektiven) Arbeitsbeziehungen (Arbeitszeitsysteme) und des Tarifsystems (Vergütungssysteme). Somit erfordert eine Weiterentwicklung von Governance-Strukturen, welche einer nachhaltigeren Gestaltung von Arbeitswelten gerecht wird, eine konzertierte Aktion aller Partner.
Nachhaltige Bedürfnisbefriedigung
Versteht man Arbeit grundsätzlich als Tätigkeit der Eroberung der Natur, um Bedürfnisse zu befriedigen, ist die ökologische Dimension notwendiger Bestandteil von Arbeit. Im Übergang zu modernen industriellen Erwerbsgesellschaften sind allerdings negative Umwelteinflüsse und die nicht nachhaltige Nutzung von Natur und Arbeit sprunghaft angestiegen. Der Verbrauch an natürlichen Ressourcen sowie die Zerstörung natürlicher Lebensräume haben seither an Umfang und Schnelligkeit stetig zugenommen.
Die Beeinträchtigung der Arbeitenden durch gesundheitsbedrohende Arbeitsbedingungen und die wirtschaftlichen Kosten durch ökologische Schäden ebenso wie durch zu spätes Umsteuern in Richtung Nachhaltigkeit sind bekannt. Dass die ökologische Dimension bislang dennoch keinen hinreichenden Niederschlag in Vorstellungen, Konzepten und Strategien zur Arbeit gefunden hat, ist mittlerweile besorgniserregend. Besonders bemerkenswert ist, dass auch in nationalen und globalen Nachhaltigkeitsdiskursen und -agenden, die sich auf Arbeit beziehen, die natürliche Umwelt kaum thematisiert wird.
In der DNS werden für die meisten Ziele die wirtschaftliche, soziale und ökologische Dimension betrachtet und miteinander in Beziehung gesetzt. Beim Thema Arbeit wird die ökologische Dimension ausgeklammert. Trade-offs zwischen den sozial und wirtschaftlich produktiven Potenzialen von Arbeit und ihren destruktiven ökologischen Folgen werden nicht berücksichtigt. Allen voran sollte die DNS dem Spannungsverhältnis zwischen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit sowie wirtschaftlichen Zielen Rechnung tragen und dabei in den Blick nehmen, dass gute Arbeit nur dann auch nachhaltige Arbeit ist, wenn sie die wertzerstörenden Folgewirkungen konsequent einbezieht.
Eine Erweiterung des Arbeitsverständnisses in der DNS um die ökologische Dimension ist notwendig. Dies erfordert ein Leitbild von nachhaltiger Arbeit, welches (aufbauend auf den Kernarbeitsnormen der IAO) sozial-ökologische Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt und ökologisch destabilisierende Wirkungen einbezieht.
Dimensionen der Digitalisierung
Die Digitalisierung wird Wirtschaftsprozesse und Arbeitsbedingungen der Zukunft prägen. Sie geht einher mit einem ungeahnten Altersübergang der Babyboomer in den 20er Jahren. Hieraus erwachsen große Herausforderungen im Hinblick auf die Qualifizierung.
Führung entwickelt sich zunehmend zu einer Begleitung und Orientierung, Präsenzpolitik wird an Bedeutung verlieren. Dies bietet vielfältige Chancen für die Gesundheit der Beschäftigten im Sinne einer eigenverantwortlichen Gestaltung der Arbeit. Demgegenüber sind 4.0-Prozesse und die digitale Transformation unausweichlich mit Restrukturierungen sowie Veränderungen der Arbeitsprozesse und Arbeitsbedingungen verbunden.
Motivation, Veränderungsbereitschaft
Ängste, Sorgen und Befürchtungen der Beschäftigten werden durch den Arbeitsplatz ersetzende Maschinen und Roboter, Crowdsourcing von Arbeitsaufträgen, den Anstieg der Anforderungen durch Arbeitsverdichtung, einen Komplexitätszuwachs sowie steigende Multitasking-Anforderungen hervorgerufen. Neue Arbeitsbelastungen und Beanspruchungen mit gesundheitlichen und sozialen Folgen drohen, sich zu Krisen für die Beschäftigten zu entwickeln.
Damit kommt es für Beschäftigte zu einem Bruch der Kontinuität, der existenzielle Auswirkungen haben kann.
Um die Risiken für Beschäftigte zu minimieren, ist es für Betriebe von großer Bedeutung, sich frühzeitig Gedanken über die Digitalisierungsprozesse zu machen.
Es ist wichtig, zu erkennen, welche Handlungsfelder eine Prävention 4.0 beinhaltet und welche Handlungs- und Gestaltungsoptionen das Unternehmen hat, um die digitale Transformation nicht nur zu einem ökonomischen Erfolg zu machen, sondern gleichzeitig gesundheitsförderliche und motivierende Arbeitsbedingungen zu gestalten und zufriedene, innovative und produktive Beschäftigte an sich zu binden. Gelingt dies, dann lassen sich Risiken vermeiden und der Wandel zu einer nachhaltigen Arbeit erfolgreich gestalten.
Raschid Bouabba, MCGB GmbH