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Zugang einer Kündigung

(Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 22.08.2019 – 2 AZR 111/19 – AP Nr. 89 zu § 4 KSchG 1969)

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden i. S. v. § 130 I 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen.

Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten.

Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen.

BAG und Bundesgerichtshof (BGH) haben bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen sei, die allerdings stark variieren können, nicht beanstandet.

Einigungsstelle; Vergütungsanspruch eines betriebsfremden Beisitzers; Sachwidrigkeit des Bestellungsbeschlusses; Rechtsverfolgungskosten als Schadensersatz

(Beschluss des BAG vom 19.11.2019 – 7 ABR 52/17)

Nach § 76a Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat ein betriebsfremder Beisitzer gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeit im Einigungsstellenverfahren, dessen Höhe sich nach den Grundsätzen des § 76a Abs. 4 BetrVG richtet. § 76a BetrVG begründet einen gesetzlichen Anspruch des betriebsfremden Beisitzers auf Vergütung seiner Tätigkeit in der Einigungsstelle. Der Honoraranspruch hängt von einer wirksamen Bestellung zum Beisitzer der Einigungsstelle sowie der Annahme dieser Bestellung durch den Beisitzer ab.

Nach § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG steht dem Betriebsrat die Befugnis zu, die Beisitzer auf Arbeitnehmerseite in der zuvor mit dem Arbeitgeber vereinbarten oder vom Arbeitsgericht in einem Verfahren nach § 100 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) festgesetzten Zahl zu bestellen. Die Befugnis zur Bestellung von Beisitzern ist nicht auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt. Beide Betriebsparteien können auch Personen in die Einigungsstelle berufen, die nicht dem Betrieb angehören, wie sich aus § 76a Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG ergibt. Für die Auswahlentscheidung des Betriebsrats hinsichtlich der von ihm zu benennenden Beisitzer ist in erster Linie das Vertrauen in die Person des Beisitzers maßgebend.

Die Wirksamkeit der Bestellung des außerbetrieblichen Beisitzers – und damit dessen Honoraranspruch – hängt nicht davon ab, ob seine Benennung im Einzelnen erforderlich gewesen ist. Mit der Neuregelung der Vergütungsansprüche außerbetrieblicher Beisitzer in § 76a Abs. 3 BetrVG hat der Gesetzgeber deren Honoraransprüche nach Grund und Höhe mit Wirkung zum 01.01.1989 wurde eine gesetzliche Regelung eingeführt, die unabhängig von den Erwägungen, die den Betriebsrat zur Bestellung eines betriebsfremden Beisitzers veranlassen, einen Vergütungsanspruch kraft Gesetzes begründet. Dies gilt, wenn der Betriebsrat den Bestellungsbeschluss verfahrensfehlerfrei fasst, der Beisitzer die Bestellung annimmt und seine Tätigkeit in der Einigungsstelle erbringt.

Rechtsprechung
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Der Senat hat für das Recht des Betriebsrats, Beisitzer der Einigungsstelle zu benennen, unter Bezugnahme auf den Grundsatz des § 2 Abs. 1 BetrVG bereits entschieden, dass die vom Betriebsrat ausgewählte Person hinsichtlich ihrer Kenntnisse und Erfahrungen bezüglich der Regelungsmaterie nicht offensichtlich ungeeignet sein darf. Ebenso hat der Senat in Betracht gezogen, dass die Auswahlentscheidung des Betriebsrats in Widerspruch zu § 2 Abs. 1 BetrVG stehen kann, wenn sie auf offensichtlich sachwidrigen Gründen beruht, weil sie dazu dienen sollte, die Kosten der Einigungsstelle zu erhöhen und damit einen Einigungsdruck auf den Arbeitgeber auszuüben.

Wirksamkeit einer tariflichen Ausschlussfrist; schriftliche Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs

(Urteil des BAG vom 27.10.2020 – 9 AZR 531/19 – AP Nr. 115 zu § 7 BUrlG Abgeltung)

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs kann nach §§ 1, 3 I, § 13 I 1 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) als reiner Geldanspruch tariflichen Ausschlussfristen unterliegen.

Der Abgeltungsanspruch entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Wegfall des Abgeltungsverbots. Er wird grundsätzlich gleichzeitig fällig. § 7 IV BUrlG knüpft allein an die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verursachte Unmöglichkeit an, den noch bestehenden Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht zu realisieren.

Das von dem Kläger eingeleitete Kündigungsschutzverfahren und dessen Beendigung durch gerichtlichen Vergleich hatten auf die Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs keinen Einfluss. Der Streit der Parteien über die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses führte nicht zu einer späteren Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung. Maßgeblich war allein die objektive Rechtslage.

Entstehung und Fälligkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs wurden auch durch den im Kündigungsschutzverfahren am 28.02.2018 geschlossenen gerichtlichen Vergleich nicht hinausgeschoben. Die Parteien haben sich mit dem Prozessvergleich vom 28.02.2018 nicht nur darauf verständigt, dass ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigung mit Ablauf des 31.12.2017 beendet worden ist, sondern auch die Rechtswirkung des § 7 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) herbeigeführt. Bezogen auf den in der Kündigung vorgesehenen Beendigungstermin haben die Parteien keine Änderung vorgenommen. Die Kündigung gilt damit als von Anfang an rechtswirksam. Es ist deshalb unerheblich, dass der Vergleich erst nach Ablauf der bis zum 07.03.2018 vereinbarten Widerrufsfrist bestandskräftig wurde.

Die Ausschlussfrist begann mit Fälligkeit des Anspruchs am Dienstag, den 02.01.2018 zu laufen, weil der 31.12.2017 auf einen Sonntag fiel und der 01.01.2018 ein gesetzlicher Feiertag (Neujahr) war. Zum Zeitpunkt der Geltendmachung durch den Kläger mit Schreiben vom 10.04.2018 war der Anspruch bereits verfallen, denn die Ausschlussfrist des § 22 Nr. 3 Abs. 1 b Manteltarifvertrag (MTV) endete drei Monate nach Fälligkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs mit Ablauf des 02.04.2018 (§§ 187 I, 188 II BGB).

Der Kläger hat die tarifliche Ausschlussfrist hinsichtlich des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung nicht durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage gewahrt. Mit einer Kündigungsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, eine einstufige Ausschlussfrist bzw. die erste Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist für alle aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses resultierenden Ansprüche. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung knüpft nicht an den mit der Kündigungsschutzklage angestrebten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses an, sondern setzt mit der in § 7 IV BUrlG geforderten Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade das Gegenteil voraus. Will der Arbeitnehmer den Verfall solcher Ansprüche verhindern, reicht die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht aus.

Corona-Pandemie; Maskenpflicht; mobiles Arbeiten

(Urteil des LAG Köln vom 12.04.2021 – 2 SaGa 1/21)

Am 06.05.2020 ordnete die Beklagte für die im Rathaus gelegenen Arbeitsplätze das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung an. Der Kläger legte ein Attest vor, welches vom Werksarzt bestätigt wurde, nachdem ihm das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung nicht möglich ist. Auch die am 15.10.2020 erfolgte Aufforderung, die Tätigkeiten im Rathaus mit Gesichtsvisier als milderes Mittel des Infektionsschutzes zu erbringen, wurde vom Kläger abgelehnt. Er legte auch hierzu ein Attest vor, wonach ihm auch dieses nicht möglich sei. Bei der Beklagten gibt es eine Dienstvereinbarung zum Anspruch auf Telearbeit. Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für einen Telearbeitsplatz im Rahmen dieser Dienstvereinbarung nicht.

Zunächst einmal ergibt sich aus § 3 Abs. 1d der zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltenden Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (ab 07.04.2021), dass im Rathaus der Beklagten eine Maskenpflicht besteht. Auch aus § 2 Abs. 5 Nr. 3 der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (vom 21.01.2021 in der Fassung vom 11.03.2021) ergibt sich die Verpflichtung von Arbeitgebern, zum größtmöglichen Schutz der Beschäftigten die Maskenpflicht anzuordnen. Selbst ohne diese Verordnungen wäre die Anordnung zum Tragen der Maske nach § 106 Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO) grundsätzlich vom Direktionsrecht umfasst und im Einzelfall auch angemessen.

Die Anordnung ist auch verhältnismäßig unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger an einer psychischen Erkrankung leidet, die es ihm unmöglich macht, der Maskenpflicht nachzukommen. Denn das Interesse der Beklagten, den Ausstoß von Aerosolen im Rathaus auf geringstmöglichem Niveau zu halten, geht in der Abwägung dem Interesse des Klägers, ohne Maske arbeiten zu können, vor. Dabei durfte die Beklagte auch berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund einer psychischen Erkrankung die Maske nicht tragen kann und deshalb Anspruch auf Entgeltfortzahlung und Krankengeld hat, der in der Regel ausreichend ist, um eine Heilung zu ermöglichen.

Im Übrigen fehlt es auch an einer Eilbedürftigkeit, da der Kläger bisher noch keinerlei Anstrengungen unternommen hat, die krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung zu beseitigen und durch Antrag auf eine Psychotherapie eine Heilung in Gang zu setzen.

Ein Anspruch des Klägers auf einen Heimarbeitsplatz, Arbeiten im Homeoffice oder als mobile Arbeit ist ebenfalls nicht gegeben.

Claudia Czingon

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