Kolumne : Stier meint …!
„Früher war alles besser!“ – Bei diesem Satz verdrehen viele genervt die Augen und wenden sich ab. Allerdings ist für die Zukunft auch der Blick in die Vergangenheit lohnend. In den letzten Monaten haben wir erlebt, in welchem rasanten Tempo der Gesetzgeber auf die Corona-Pandemie reagiert hat.
Die verheerende Flutkatastrophe fordert den Gesetzgeber erneut. Neben schneller finanzieller Hilfe brauchen die betroffenen Unternehmen auch Unterstützung beim Wiederaufbau. Eine Vielzahl von Arbeitsplätzen ist davon betroffen. In diesem Zusammenhang ist auch immer wieder die Rede von Entlastung und Bürokratieabbau. Diese Bürokratieentlastung begleitet den Gesetzgeber nun schon seit Jahren, und immer wieder wird in Gesetzgebungsverfahren vom Abbau der Bürokratie gesprochen.
In Sachen Bürokratieabbau lohnt sich ebenfalls der Blick zurück: Im September 2018 tagte der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestags. Auf der Tagesordnung fand sich nur ein einziger Punkt, der seit Jahren kontrovers diskutiert wird: Bürokratieabbau für Unternehmen schaffen – Fälligkeitsdatum der Sozialversicherung verschieben (BT 19/1838). Vielleicht rollen Sie auch bei diesem Thema mit den Augen.
Angesichts knapper Rentenkassen wurde 2005 mit der Änderung des Vierten und Sechsten Sozialgesetzbuchs die Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge vom 15. des Folgemonats in den laufenden Monat verlagert.
Im Ergebnis müssen Arbeitgeber den voraussichtlichen Sozialversicherungsbeitrag für den laufenden Kalendermonat schätzen und bereits vor der eigentlichen Lohnzahlung abführen. Häufig sind im Folgemonat nachträgliche Korrekturen notwendig. Zum damaligen Zeitpunkt war die gesetzliche Änderung unvermeidbar – aber ist diese heute noch zeitgemäß? Im Ausschuss diskutierten die Mitglieder die Fälligkeit angesichts hoher Überschüsse in den Sozialversicherungskassen. Im Jahr 2017 betrug der Überschuss etwa 10,5 Milliarden Euro. Auf dieser Faktenlage diskutierten die Ausschussmitglieder den Fälligkeitstermin.
Eine Vielzahl von Sachverständigen gab in der öffentlichen Anhörung ihre Stellungnahmen ab. Dabei verwundert es nicht, dass die Vertreter der Sozialversicherungsträger sich klar gegen eine Änderung der Fälligkeit aussprachen, während die Arbeitgebervertreter für die Abschaffung der vorgezogenen Beitragsfälligkeit votierten. Auch ohne Anhörung hätte jeder von uns dieses Meinungsbild vorhergesagt. Aber es macht auch die deutlichen Unterschiede bei den Beteiligten deutlich.
Zwar hat der Gesetzgeber im 2. Bürokratieentlastungsgesetz das Schätzverfahren auf Basis des Vormonats verbessert, aber eine wirkliche Bürokratieentlastung ist damit nicht erfolgt. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass gerade klein- und mittelständische Unternehmen von der vorgezogenen Beitragsfälligkeit betroffen sind. Die schnelle Umsetzung eines Stundungsverfahrens war hierbei wichtig und richtig, allerdings nur wenig hilfreich, vor allem, weil die Voraussetzungen zur Stundung der Beiträge eine erhebliche Hürde darstellten. Es ist an der Zeit, erneut über die Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge zu diskutieren. Wie wäre es, wenn diese am 10. des Folgemonats fällig werden? Sozialversicherung und Lohnsteuer sind dann gleichlautend. Das Argument, die Sozialversicherungsbeiträge müssen bei einer späteren Fälligkeit steigen, ist m. E. übertrieben. Auch wenn die Corona-Pandemie die Überschüsse der Sozialversicherungsträger deutlich verringert, bleibt jetzt die Chance zu einem weiteren Abbau der Bürokratie.
Manchmal ist ein Blick zurück sinnvoll, um den Blick in die Zukunft zu schärfen. Denn seit Jahrzehnten ist es auch ein Ziel, die lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben durch einheitliche Regelungen zu vereinfachen. In den letzten Jahren hat man sich von diesem Ziel immer weiter entfernt. Für mich ist der vorgezogene Fälligkeitstermin jetzt Geschichte. Denn wie sagt man so schön: „Früher war alles besser!“ – in diesem Sinne,
Markus Stier