Aktuelles aus dem Sozialversicherungsrecht
Steuerrechtsänderungen wegen Corona wirken sich auf die Sozialversicherungsbeiträge aus
Die im Zuge der Corona-Pandemie erlassenen steuerrechtlichen Änderungen wirken sich in der Regel auch auf die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge aus. So ist die zusätzliche Corona-Zahlung von bis zu 1.500 Euro nicht nur steuer-, sondern auch sozialversicherungsfrei. Die Voraussetzungen (etwa zusätzliche Zahlung im Zeitraum vom 01.03.2020 bis 31.12.2020) müssen natürlich erfüllt sein.
Die eingeführte Absenkung der Bemessungsgrundlage für privat genutzte Dienstfahrzeuge, die ohne CO2-Emissionen fahren (reine Elektrofahrzeuge), wirkt sich auch auf das beitragspflichtige Entgelt für die Sozialversicherung aus. Statt 1 Prozent des Bruttolistenpreises, wie für andere Fahrzeuge, wird nur ein Viertel der Anschaffungskosten als geldwerter Vorteil berücksichtigt. Zugleich wurde der Höchstbetrag für die Anschaffung von 40.000 Euro auf 60.000 Euro angehoben.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat mit Schreiben vom 05.02.2020 klargestellt, dass nur echte Zusatzleistungen des Arbeitgebers zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn steuerbegünstigt sind.
Das Kriterium „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG) liegt danach nur vor, wenn
- die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht wird.
Dies gilt auch, wenn der Arbeitslohn tarifgebunden ist. Die zum Teil abweichende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Urteil vom 01.08.2019 – VI R 32/18, VI R 40/17, VI R 21/17) wird auf Anweisung des BMF nicht angewandt.
Firmenzahlerverfahren und Insolvenz
Bei freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse versicherten Arbeitnehmern übernimmt der Arbeitgeber in der Regel den Beitragsabzug und die Abführung wie bei Pflichtversicherten. Verpflichtet ist er dazu aber nicht. Deshalb bleibt – auch beim sogenannten Firmenzahlerverfahren – der Beschäftigte der Beitragsschuldner gegenüber seiner Krankenkasse. Normalerweise macht das keine Probleme. Ist der Arbeitgeber aber zahlungsunfähig, führt also die (einbehaltenen) Sozialversicherungsbeiträge nicht an die Einzugsstelle ab, kann sich die Kasse an ihr Mitglied wenden und den Beitrag einfordern. Das Problem: Der Arbeitnehmeranteil wurde ihm schon einbehalten, den Arbeitgeberzuschuss wird er wegen der Zahlungsunfähigkeit nicht erhalten. Und: Das Verfahren kann sich über Monate hinziehen, ohne dass der Arbeitnehmer von den Zahlungsproblemen erfährt (solange er selbst sein Gehalt noch bekommt).
Mit Blick auf die befürchtete Zunahme von Insolvenzen im Zuge der Corona-Pandemie haben die Krankenkassen eine abweichende Regelung getroffen. So werden die betroffenen Arbeitgeber von den Kassen aufgefordert, die freiwillig Versicherten im Firmenverfahren ab- und als Selbstzahler wieder anzumelden. Darüber werden diese entweder vom Arbeitgeber oder von der Krankenkasse informiert. Von diesem Zeitpunkt an müssen sie selbst für die Zahlung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sorgen.
Vom Arbeitgeber gegenüber der Krankenkasse nicht erfüllte Beitragsansprüche für die Zeit bis zur Einstellung des Firmenzahlerverfahrens sollen von den Kassen ausschließlich bei den Arbeitgebern eingefordert werden. Da diese Beiträge nicht im Rahmen des Insolvenzgeldes gegenüber der Bundesagentur für Arbeit geltend gemacht werden können, kann es dazu führen, dass die Beiträge von den Kassen nicht eingezogen werden können. Dies wird aber im Hinblick auf die betroffenen Beschäftigten in Kauf genommen. Diese Regelung entspricht nicht dem geltenden Recht, deshalb handelt es sich nur um eine Empfehlung des Spitzenverbandes der Krankenkassen. Die Kassen sollen sich daran halten, sind dazu aber nicht verpflichtet.
Programmierer in Heimarbeit sind sozialversicherungspflichtig
Die Problematik, ob es sich im Einzelfall um eine freiberufliche (selbstständige) Tätigkeit (sozialversicherungsfrei) oder um eine abhängige Beschäftigung (sozialversicherungspflichtig) handelt, ist wohl hinlänglich bekannt. Für Zweifelsfälle gibt es ja das bewährte Statusfeststellungsverfahren bei der Rentenversicherung.
Das Landessozialgericht Darmstadt hat nun in einem Urteil (18.06.2020 – Aktenzeichen L 8 BA 36/19) entschieden, dass es sich bei einem Programmierer, der zu Hause am eigenen Rechner für ein Unternehmen arbeitet, um einen sozialversicherungspflichtigen Heimarbeiter handelt. Im entschiedenen Fall hatte der Betroffene über zwanzig Jahr für dieselbe Firma gearbeitet. Diese hatte zudem das alleinige Nutzungsrecht für die von ihm entwickelten Programme. Für andere war er nicht tätig gewesen.
Ein interessantes Urteil, bei dem zudem die Revision nicht zugelassen wurde. Unternehmen, die Mitarbeiter in solchen oder ähnlichen Konstellationen beschäftigen, sollten daher prüfen (lassen), ob auch bei ihnen eine sozialversicherungspflichtige Heimarbeitertätigkeit vorliegt. So können ggf. höhere Nachforderungen im Rahmen von Betriebsprüfungen vermieden werden.
Brexit – nun ist wohl wirklich Schluss
Die im Brexit-Abkommen mit der EU vereinbarte Frist für den Erlass eines Beschlusses zur Verlängerung des Übergangszeitraums ist am 30.06.2020 abgelaufen. Das Vereinigte Königreich hat keinen solchen Antrag gestellt. Damit ist nun klar (wenn es nicht in letzter Minute wider Erwarten doch noch eine anderweitige Vereinbarung geben sollte), dass die Übergangsregelungen mit dem 31.12.2020 enden.
Das bedeutet, dass beispielsweise die vor dem 01.01.2021 begonnenen Entsendungen noch weiter nach dem bisher geltenden Recht bis zu ihrem Ablauf (maximal 24 Monate) beurteilt werden. Für Entsendungen, die nach dem 31.12.2020 beginnen, können die bisherigen EU-Regelungen nicht mehr angewandt werden.
Noch offen ist, ob das aus den 1960er Jahren stammende bilaterale Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und Großbritannien „automatisch“ zum Leben erweckt wird. Hier streiten sich noch die Gelehrten.
Sicher ist aber, dass ab 01.01.2021 insbesondere beim Aufenthaltsrecht das restriktive britische Recht angewandt wird.
Praxisorientierte schulische Ausbildungsgänge
Zur neuen versicherungsrechtlichen Beurteilung von Auszubildenden in Gesundheitsberufen (praxisorientierte schulische Ausbildungsgänge) hatten wir in der letzten Ausgabe berichtet.
Inzwischen wurde klargestellt, um welche Ausbildungsgänge es sich insbesondere handelt. Das sind:
- Orthoptistinnen und Orthoptisten
- Logopädinnen und Logopäden
- medizinisch-technische Laboratoriumsassistentinnen und medizinisch-technische Laboratoriumsassistenten
- medizinisch-technische Radiologieassistentinnen und medizinisch-technische Radiologieassistenten
- medizinisch-technische Assistentinnen für Funktionsdiagnostik und medizinisch-technische Assistenten für Funktionsdiagnostik
- veterinärmedizinisch-technische Assistentinnen und veterinärmedizinisch-technische Assistenten
- Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten
- Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten
- Diätassistentinnen und Diätassistenten
- Erzieher/Erzieherin
Bei weiteren Ausbildungsgängen, in denen die Zugehörigkeit zum Personenkreis unklar ist, können diese Ausbildungsgänge als Orientierungshilfe dienen. Im Zweifel entscheidet die Einzugsstelle (Krankenkasse).
Krankschreibung per Videosprechstunde
Bekannt wurde die Krankschreibung per Telefon oder Video durch die Anfangsphase der Corona-Krise. Um Kontakte möglichst zu vermeiden, sollten die Patienten nur in unvermeidbaren Fällen die Praxis aufsuchen.
Nun wurde beschlossen, dass auch künftig Vertragsärzte die Arbeitsunfähigkeit per Videosprechstunde feststellen können. Allerdings gibt es einige Bedingungen und Ausschlüsse.
Wichtigste Voraussetzung: Der Versicherte muss in der Arztpraxis bekannt sein und die Art der Erkrankungen lässt eine Untersuchung per Videosprechstunde zu. Maximal darf die Krankschreibung sieben Kalendertage betragen. Ein Anspruch des Versicherten auf dieses Verfahren besteht nicht, der Arzt entscheidet.
Nicht zulässig ist die Diagnose ausschließlich auf Basis eines Online-Fragebogens, einer Chat-Befragung oder eines Telefonats.
Der zugrunde liegende Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses bedarf noch der Zustimmung des Bundesgesundheitsministeriums (womit aber kurzfristig zu rechnen ist).
Gelber Schein doch weiter auf Papier
Eigentlich sollte ab 01.01.2021 die Übermittlung der Krankschreibung direkt von der Arztpraxis an die Krankenkasse (und von dort weiter an den Arbeitgeber) erfolgen. Diese Frist wird nun wohl verschoben, voraussichtlich auf den 01.07.2021. Hintergrund ist, dass zahlreiche Arztpraxen bis zum eigentlichen Stichtag wohl nicht in der Lage sein werden, die elektronische Übermittlung sicherzustellen.
Dabei handelt es sich aber eher um ein politisches als um ein technisches Problem. Teile der Ärzteschaft wehren sich seit langem gegen nahezu jede Form der Digitalisierung. Die Krankenkassen sind wohl zu einem Kompromiss bereit, aber eben nur bis zum 01.07.2021.
Neu! Elektronische Mitgliedsbescheinigung kommt 2021
Der Wechsel der Krankenkasse soll so einfach werden wie der Wechsel des Stromanbieters. Das ist das Ziel des neuen Kassenwahlverfahrens, das am 01.01.2021 in Kraft tritt.
Das bisherige analoge Verfahren ist unpraktikabel, fehleranfällig und führt des Öfteren zu unnötiger Mehr- und Doppelarbeit bei allen Beteiligten.
So ist es bisher:
- Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende
- Bindungswirkung der Kassenwahl: 18 Monate (im Regelfall, Ausnahmen gibt es)
- Die bisherige Kasse muss eine Kündigungsbestätigung ausstellen.
- Die neue Kasse muss eine Mitgliedsbescheinigung ausstellen – diese muss dem Arbeitgeber vor dem Wechsel bzw. innerhalb von zwei Wochen nach Beschäftigungsbeginn vorliegen.
- Die Mitgliedsbescheinigung darf erst ausgestellt werden, wenn die Kündigungsbestätigung vorliegt – was manche Kassen gern möglichst lange hinausgezögert haben (obwohl die Verpflichtung zur Ausstellung innerhalb von zwei Wochen nach der Kündigung gesetzliche vorgeschrieben ist).
- Das gesamte Verfahren passiert analog, also mit Vordrucken und Bescheinigungen.
So soll es ab 2021 sein:
- Die Kündigungsfrist bleibt unverändert.
- Die Bindungswirkung beträgt nur noch 12 Monate.
- Sonderrecht zum Wechsel der Krankenkasse bei jedem Statuswechsel (z. B. vom Arbeitslosen zum Arbeitnehmer oder umgekehrt)
- Ein „Passivwahlrecht“ löst keine neue Bindungsfrist mehr aus.
- Eine Kündigung bei der alten Kasse ist nicht mehr erforderlich.
- Der Wechsel wird gegenüber der neuen Kasse erklärt – diese informiert (elektronisch) die bisherige Kasse.
- Die Frage, ob der Wechsel zum gewünschten Zeitpunkt rechtlich möglich ist, wird zwischen den beteiligten Kassen geklärt.
- Der Arbeitgeber erhält die Rückmeldung elektronisch und kann dann die notwendige Ab- und Anmeldung vornehmen.
- Die Krankenkassen tauschen die notwendigen Versicherungs- und Beitragsdaten untereinander aus
Jürgen Heidenreich