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Im Gespräch mit Jürgen Heidenreich: Entsendung und kein Ende : XY Ungelöst

Die Pandemie hat die Zahl der Entsendungen drastisch reduziert, doch nehmen die beruflichen Reisetätigkeiten in einigen Regionen bereits wieder zu. Das Thema Entsendung bleibt also auf der Tagesordnung – nicht zuletzt wegen der Segnungen der neuen Entsenderichtlinie. Wir haben mit dem Experten Jürgen Heidenreich über Probleme und Risiken in Zusammenhang mit Auslandsentsendungen gesprochen.

Markus MattMagazin
Lesezeit 3 Min.
Zwei Berufstätige in Geschäftskleidung und mit Gesichtsmasken unterhalten sich vor einem modernen Bürogebäude.

Herr Heidenreich, wir befinden uns mitten in der allgegenwärtigen COVID-19-Krise. Spielt das Thema Entsendung da überhaupt noch eine Rolle?

Natürlich ist die Anzahl an Entsendungen enorm eingebrochen. Eine Entsendung in ein Risikogebiet überlegt sich das Unternehmen natürlich sehr, sehr gründlich – das dürfte die absolute Ausnahme sein. In anderen, weniger gefährdeten Regionen gibt es durchaus schon wieder Reisetätigkeiten – aber auch in deutlich geringerer Zahl. Da spielen neben einer möglichen Gefährdung auch fehlende Reisemöglichkeiten eine Rolle – etliche Orte sind ja per Flugzeug noch gar nicht wieder zu erreichen. Und selbst wenn das Unternehmen grünes Licht geben würde – auch der Beschäftigte hat da ja ein Wörtchen mitzureden. Denn eine „zwangsweise“ Entsendung in ein Risikogebiet ist arbeitsrechtlich kaum durchzusetzen und könnte böse Folgen haben – auch für das Unternehmen.

Gehen wir einmal in die Tiefe: Wie ist die neue Entsenderichtlinie mit Blick auf Änderungen für die Praxis zu bewerten? Was ist der Kern vom Kern?

Die Idee hinter der EU-Entsenderichtlinie ist eigentlich gut. Dadurch sollen Lohndumping und Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden. Für alle Beschäftigten in einem Land sollen die gleichen Grundvoraussetzungen gelten, damit nicht ein entsendendes Unternehmen aus einem Land mit niedrigem Lohnniveau günstiger anbieten kann und damit reguläre Arbeitsplätze im Beschäftigungsstaat vernichtet. Damit das überwacht werden kann, haben die Staaten eine neue Meldepflicht für entsandte Arbeitnehmer geschaffen – zusätzlich zur A1-Problematik. Das Problem: Jedes Land macht da sein eigenes Ding. Unterschiedliche Regelungen, vereinzelte Ausnahmebestimmungen, vereinzelt Meldeportale nur in Landessprache – das sind die ganz praktischen Probleme, mit denen sich die Unternehmen herumschlagen müssen. Und was in einem Land gestern galt, kann heute schon wieder anders geregelt sein. Die Gefahr, hier in eine – teure – Falle zu tappen, ist schon groß.

Kommen wir auf das berühmte Thema A1-Bescheinigung. In der Praxis scheint die Umsetzung nicht unerhebliche Probleme zu bereiten. Ist die Regelung zu kompliziert?

Ich finde, da hat sich schon ganz viel verbessert. Die Verpflichtung zur elektronischen Antragstellung hat zu Beginn riesige Probleme bereitet. Man muss aber auch klar sagen, dass viele Unternehmen das Thema A1 zuvor nicht wirklich ernst genommen haben – häufig aus Unkenntnis. Die Gesetzesänderung hat dann das Thema hochgekocht und in den Fokus gerückt.

Geschäftsmann im Anzug telefoniert vor einem modernen Bürogebäude.

Die in vielen Betrieben zu Beginn herrschenden Umsetzungsprobleme sind ganz überwiegend beseitigt. Die Schwierigkeit liegt darin, dass für die Entscheidung über eine Entsendung (oder auch Dienstreise – die im Sinne der Sozialversicherung auch immer eine Entsendung ist!) andere Stellen im Unternehmen zuständig sind als für die Entgeltabrechnung. Da der Antrag aus dem Entgeltabrechnungsprogramm heraus erfolgt, war das schon schwierig. Schließlich konnte man ja nicht jede Führungskraft einfach für die Entgeltabrechnungsprogramme berechtigen. Aber inzwischen haben sich die Softhersteller darauf eingestellt und bieten entsprechende Lösungen an. Im Notfall gibt es zudem immer noch sv.net.

Könnten Sie mir einmal die wesentlichen Risiken zusammenfassen, mit welchen ein Arbeitgeber mit Blick auf das Thema Entsendung konfrontiert ist?

Das sind leider sehr viele, in erster Linie rechtliche Probleme. Nur einige Beispiele: Die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis wird nicht oder nicht rechtzeitig erteilt. Der Beschäftigte beginnt trotzdem mit der Arbeit? Das ist eine ganz schlechte, weil unter Umständen sehr teure Idee! Oder der Mitarbeiter wird falsch beraten, beispielsweise bei der Frage der Rentenversicherung – Schadenersatzforderungen könnten folgen. Die rechtzeitige Anmeldung im Entsendestaat oder A1 wird vergessen: das wird auch teuer. Ein vorzeitiger Abbruch der Entsendung – aus welchem Grund auch immer – kann erhebliche Kosten verursachen. Krankheitskosten im Ausland sind oft nur zum Teil durch die deutsche Krankenkasse gedeckt, für die Differenz muss der Arbeitgeber aufkommen. Die Verpflichtung zum plötzlichen, kurzfristigen Rückruf des Entsandten kann ebenfalls hohe Kosten verursachen, beispielsweise eine Evakuierung im Kriegs- oder Katastrophenfall – oder einfach wegen Corona. Da können viele Firmen ja ein teures Liedchen singen.

Wie sind die Aussichten für morgen?

Hat die Entsenderichtlinie nun alle offenen Fragen gelöst? In keiner Weise. Eben durch die uneinheitlichen Regelungen, wie schon beschrieben. Auch in Deutschland ist die Umsetzung nur halbherzig. Meldepflicht ja – beim Mindestlohnportal des Zolls – aber nur für bestimmte Branchen. Unterschiedliche Mindestlöhne, mal gesetzlich, mal tarifvertraglich, all das macht es für ausländische Arbeitgeber nicht leicht. Solange sich die Staaten nicht auf ein einheitliches Vorgehen und Verfahren einigen, bleiben die Probleme für die Unternehmen ungelöst. Man wird sich an vieles gewöhnen, aber toll wird es nicht und ein Restrisiko bleibt auch weiterhin.

Herr Heidenreich, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Markus Matt

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