Free

Rechtsprechung für Sie aufbereitet

Lesezeit 13 Min.

Verhaltensbedingte Kündigung – Meinungsfreiheit – Schmähkritik

(Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 05.12. 2019 – 2 AZR 240/19)

Eine Kündigung ist im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann eine Kündigung rechtfertigen. Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits im Voraus erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist.

Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann – je nach den Umständen des Einzelfalls – ein erheblicher, gegebenenfalls sogar die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf dessen Interessen liegen. Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt

Eine erhebliche Pflichtverletzung – die sogar eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann – stellen ferner grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten. Zwar dürfen Arbeitnehmer Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Person eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen.

Verhaltensbedingte Kündigung – Interessenabwägung

(BAG, Urteil vom 07.05.2020 – 2 AZR 619/19)

Auch eine schuldhafte Verletzung der sich aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ergebenden (Neben-) Pflichten zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit ist grundsätzlich geeignet, die Interessen des Vertragspartners zu beeinträchtigen und kann daher – je nach den Umständen des Einzelfalls – einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG darstellen.

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Die Anzeigepflicht ist nicht auf den Fall einer Ersterkrankung beschränkt. Sie umfasst die Verpflichtung, auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich mitzuteilen. Die „voraussichtliche Dauer“ der Arbeitsunfähigkeit verlängert sich bei ihrer Fortdauer über die zunächst mitgeteilte Dauer hinaus und bedarf daher einer erneuten Information des Arbeitgebers. Nur dies entspricht Sinn und Zweck von § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Die Anzeigepflicht soll den Arbeitgeber in die Lage versetzen, sich auf das Fehlen des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers möglichst frühzeitig einstellen zu können. Dieses Bedürfnis besteht auch bei einer Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den zunächst mitgeteilten Zeitraum hinaus und grundsätzlich auch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber noch zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist. Soweit das BAG in der Vergangenheit ausgeführt hat, § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG gelte für die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit „entsprechend“, bedeutet dies nicht, es bedürfe in diesem Fall einer analogen Anwendung der Bestimmung. Diese umfasst vielmehr bereits nach ihrem Wortlaut sowie dem Normzweck die entsprechende Verpflichtung auch bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit.

Nach der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB bedeutet „unverzüglich“ auch im Rahmen des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG „ohne schuldhaftes Zögern“.

Die Mitteilung über die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit kann an einen vom Arbeitgeber zur Entgegennahme von derartigen Erklärungen autorisierten Mitarbeiter gerichtet werden. Fehlt es an einer besonderen Regelung, ist ein Vorgesetzter oder die Personalabteilung zu benachrichtigen. Der Arbeitnehmer kann sich anderer Personen zwar als Boten bedienen, trägt dabei aber das Risiko der rechtzeitigen und zutreffenden Übermittlung.

Der Arbeitgeber kann grundsätzlich darauf vertrauen, der Arbeitnehmer werde, ohne eine anderslautende Anzeige, seine Arbeit nach Ablauf der mitgeteilten Dauer der Arbeitsunfähigkeit wieder aufnehmen. Nach § 5 Abs.1 Satz 1 EFZG besteht für den Arbeitnehmer keine Pflicht zu bestätigen, dass es bei der zuletzt attestierten Dauer der Arbeitsunfähigkeit verbleibt. Er muss vielmehr gegebenenfalls ihre Fortdauer anzeigen. Es besteht auch nicht generell eine größere Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal eingetretene Arbeitsunfähigkeit über den zunächst mitgeteilten Zeitraum hinaus fortdauert und nicht wie mitgeteilt endet. Das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers kann demnach durch eine nicht unverzügliche Anzeige grundsätzlich unabhängig davon unterschiedlich schwer beeinträchtigt sein, ob es sich um eine Ersterkrankung oder ihre Fortdauer handelt. Dies hängt von den konkreten Umständen im Einzelfall ab, etwa davon, ob der Arbeitnehmer für termingebundene Arbeiten eingeplant und ob er durch andere Kollegen ersetzbar war.

Vergütungspflichtige Arbeitszeit – Fahrtzeiten

(BAG, Urteil vom 18.03.2020 – 5 AZR 25/19)

Zu den versprochenen Diensten im Sinne des § 611 BGB bzw. zu der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung im Sinne von § 611a Abs. 1 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Rahmen des gegenseitigen Vertragsverhältnisses verlangte Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmung ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient.

Mit dem eigennützigen Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück erbringt der Arbeitnehmer regelmäßig keine Arbeit für den Arbeitgeber. Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. In diesem Fall gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten. Das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit ist darauf gerichtet, verschiedene Kunden aufzusuchen – sei es, um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen. Nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, auch die zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und sind insgesamt die Dienstleistung im Sinne der § 611, 611a BGB und als solche vergütungspflichtig. Das ist unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen.

Mit der Einordnung der Fahrten als Teil der im Sinne von § 611 Abs. 1 BGB „versprochenen Dienste“ bzw. der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung im Sinne von § 611a BGB ist allerdings noch nicht geklärt, wie die dafür vom Arbeitnehmer aufgewendete Zeit zu vergüten ist. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann für Fahrtzeiten, die der Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglich geschuldeten Hauptleistungspflicht erbringt, eine andere Vergütungsregelung als für die „eigentliche“ Tätigkeit getroffen werden. Dabei kann eine Vergütung für Wegezeiten auch ganz ausgeschlossen werden, sofern mit der getroffenen Vereinbarung nicht der jedem Arbeitnehmer für tatsächlich geleistete vergütungspflichtige Arbeit nach § 1 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) zustehende Anspruch auf den Mindestlohn unterschritten wird. Für Regelungen in einer Betriebsvereinbarung sind die Binnenschranken der Betriebsverfassung zu beachten.

Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nur dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Eine tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen liegt vor, wenn diese in einem nach seinem räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich einschlägigen Tarifvertrag enthalten ist und der Betrieb in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fällt. Auf die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers kommt es nicht an.

Ein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG liegt nicht erst dann vor, wenn ein Tarifvertrag insgesamt zum Inhalt einer Betriebsvereinbarung gemacht wird. Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG soll vielmehr verhindern, dass auch einzelne Gegenstände, derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen haben, konkurrierend – und sei es inhaltsgleich – in Betriebsvereinbarungen geregelt werden. Die Vorschrift soll die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) gewährleisten. Dazu räumt sie den Tarifvertragsparteien den Vorrang bei der Regelung von Arbeitsbedingungen ein. Ein Verstoß gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG führt zur Unwirksamkeit der entsprechenden Regelung in der Betriebsvereinbarung. Die Tarifwidrigkeit einzelner Regelungen einer Betriebsvereinbarung führt nicht notwendig zur Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung. Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB ist eine Betriebsvereinbarung nur teilunwirksam, wenn der verbleibende Teil auch ohne die unwirksame Bestimmung eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält.

Betriebliche Altersversorgung – Gesamtversorgung – Anpassung

(BAG, Urteil vom 03.06.2020 – 3 AZR 441/19)

Nach § 16 Abs. 1 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) ist ein Arbeitgeber verpflichtet, alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Interesse zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung knüpft nicht an die Gesamtversorgung an. Bezugsobjekt der Anpassungsprüfungs- und entscheidungspflicht nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 BetrAVG ist die Ausgangsrente, das heißt die Betriebsrente, die sich nach der Versorgungsvereinbarung zum Zeitpunkt des Versorgungsfalls errechnet und vom Arbeitgeber gezahlt wird, und nicht die Gesamtversorgung. Dies ergibt eine Auslegung der gesetzlichen Bestimmung.

§ 16 Abs. 1 BetrAVG knüpft für die Anpassung an die Leistungen an, die der Arbeitgeber aufgrund der mit dem Arbeitnehmer getroffenen Versorgungszusage an den Versorgungsempfänger erbringt. Eine Anknüpfung an andere, dem Versorgungsgläubiger gegenüber Dritten aus einem anderen Rechtsgrund zustehende Leistungen sieht die Bestimmung ebenso wenig vor wie eine Anknüpfung an eine Gesamtversorgung, die sich aus Leistungen der betrieblichen Altersversorgung und den nach dem Inhalt der Versorgungszusage ggf. zu berücksichtigenden Leistungen Dritter zusammensetzt.

Dass sich die Anpassungspflicht nach § 16 Abs. 1 BetrAVG ausschließlich auf die vom Arbeitgeber geschuldete und von diesem gezahlte Betriebsrente bezieht und nicht auf eine Gesamtversorgung, ergibt sich auch daraus, dass die Belange des Versorgungsempfängers im Ausgleich des Kaufkraftverlusts seit Rentenbeginn, also in der Wiederherstellung des ursprünglich vorausgesetzten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung bestehen. Dementsprechend ist der volle Anpassungsbedarf zu ermitteln, der in der seit Rentenbeginn eingetretenen Teuerung besteht, soweit er nicht durch vorhergehende Anpassungen ausgeglichen wurde. § 16 BetrAVG will damit erkennbar eine Auszehrung der zum Zeitpunkt des Versorgungsfalls geschuldeten und gezahlten Betriebsrente vermeiden und den realen Wert dieser Betriebsrente erhalten, nicht jedoch den Wert anderer Leistungen sichern.

Benachteiligung wegen Schwerbe-hinderung – Bewerbungsverfahren – Höhe der Entschädigung

(BAG, Urteil vom 28.05.2020 – 8 AZR 170/19)

Eine konzentrierte Person schreibt auf Papier mit einem roten Absatzsymbol in der Nähe, was möglicherweise auf Redaktionsarbeit oder Beschäftigung mit juristischen oder literarischen Dokumenten hinweist.

Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kann der Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG darf die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat eine Doppelfunktion: Sie dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist.

Diese Entschädigung muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Rechte gewährleisten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss die Härte der Sanktionen der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Sie muss auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Eine rein symbolische Entschädigung wird den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinien nicht gerecht. Vielmehr sind die tatsächlich entstandenen Nachteile gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss in dem Fall, dass sich ein EU-Mitgliedstaat für eine Sanktion entscheidet, die sich in den Rahmen einer Regelung über die zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers einfügt – wie in Deutschland § 15 Abs. 2 AGG – der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot für sich genommen ausreichen, um die volle Haftung seines Urhebers auszulösen. Dabei kommt es weder auf Verschulden als Voraussetzung an, noch kann ein fehlendes Verschulden oder ein geringerer Grad des Verschuldens des Arbeitgebers bei der Bemessung der Entschädigung 72 praxis LOHN+GEHALT Oktober 2020 zu Lasten der benachteiligten Person bzw. zu Lasten des benachteiligten Arbeitgebers berücksichtigt werden. Dass die Haftung verschuldensunabhängig ist und demnach auch keine Benachteiligungsabsicht voraussetzt, entspricht auch dem Willen des deutschen Gesetzgebers, wie das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat.

Im Fall einer Nichteinstellung ist für die Bemessung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG an das Bruttomonatsentgelt anzuknüpfen, das der erfolglose Bewerber (ungefähr) erzielt hätte, wenn er die ausgeschriebene Stelle erhalten hätte.

Betriebliche Altersversorgung – Informationspflichten

(BAG, Urteil vom 18.02.2020 – 3 AZR 206/18)

Ein rotes Absatzsymbol steht prominent auf einem Schreibtisch mit Dokumenten und weist darauf hin, dass der Schwerpunkt auf rechtlichen Angelegenheiten liegt, während eine Person im verschwommenen Hintergrund zu arbeiten scheint, möglicherweise juristische Dokumente überprüft oder Finanzen berechnet.

Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung müssen Auskünfte, die ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ohne Rechtspflicht erteilt, richtig, eindeutig und vollständig sein. Eine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage zu unterrichten, wenn seine zuvor erteilten Auskünfte unrichtig werden, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände erkennen kann, dass die Richtigkeit der Auskunft auch für die Zukunft Bedeutung hat.

Zwar treffen den Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis keine allgemeinen Beratungspflichten. Er ist aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht jedoch verpflichtet, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragsparteien nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Dies gilt auch für die Vermögensinteressen der Arbeitnehmer. Jede Partei hat zwar grundsätzlich für die Wahrnehmung ihrer Interessen selbst zu sorgen und sich Klarheit über die Folgen ihres Handelns zu verschaffen. Aus der Schutz- und Rücksichtnahmepflicht können sich dennoch Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers ergeben. Diese Pflichten beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalls und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung.

Danach können den Arbeitgeber in folgenden Konstellationen Informations- und Hinweispflichten treffen: Gesteigerte Informationspflichten können den Arbeitgeber vor allem dann treffen, wenn eine nachteilige Vereinbarung – etwa über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses – auf seine Initiative und in seinem Interesse getroffen wird. Denn durch das Angebot eines solchen Vertrags kann der Arbeitgeber den Eindruck erwecken, er werde auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen, atypischen Versorgungsrisiken aussetzen.

Eine Hinweispflicht kann aber auch dann bestehen, wenn eine Maßnahme nicht auf einer Initiative des Arbeitgebers beruht. Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits sind stets zu beachten. Wie groß das Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers ist, hängt insbesondere von der Schwierigkeit der Rechtsmaterie sowie dem Ausmaß der drohenden Nachteile und deren Voraussehbarkeit ab. Der Arbeitgeber darf allerdings weder durch das Bestehen noch durch den Inhalt der arbeitsvertraglichen Informationspflicht überfordert werden. Eine Auskunftspflicht besteht daher, wenn der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer über eine größere „Informationsnähe“ verfügt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Arbeitgeber die Information besitzt oder – anders als der Arbeitnehmer, der sie benötigt – ohne Schwierigkeiten beschaffen kann.

Erteilt schließlich der Arbeitgeber Auskünfte – ohne dass er im konkreten Fall zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für den Arbeitnehmer gehalten ist, von sich aus geeignete Hinweise zu geben –, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Dies gilt für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung in besonderem Maße im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen auf die langfristige Lebensplanung des Arbeitnehmers, die jedenfalls ein dem Arbeitgeber offenbares Informationsinteresse begründen. Kann der Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände im Zeitpunkt der Erteilung der Information erkennen, dass deren Richtigkeit auch für die Zukunft Bedeutung hat, kann sich auch hieraus eine Pflicht des Arbeitgebers ergeben, den Arbeitnehmer auf Änderungen der Sach- und Rechtslage hinzuweisen, wenn diese zu Nachteil des Arbeitnehmers Auswirkungen auf die Richtigkeit der ursprünglichen Information haben.

Dr. iur. Hans-Otto Blaeser, Köln

Diesen Beitrag teilen: