Fachleute stellen sich vor : Interview mit Frau Jagnow
Uta Jagnow, Jahrgang 1960, Diplomwirtschaftlerin, Personalreferentin in der Entgeltabrechnung der PCK Raffinerie Schwedt, Schwerpunkte: Sozialversicherung und betriebliche Altersversorgung.
„Lohn ist für mich: die Abbildung des puren Arbeitslebens in Zahlen und Fakten.“
Frau Jagnow, Sie sind bei PCK seit Jahren in der Entgeltabrechnung tätig. Wie ist Ihr beruflicher Weg in die Entgeltabrechnung verlaufen?
Als meine Berufswahl anstand, musste ich mich nach dem Abitur zwischen meiner Liebe zu Fremdsprachen und der für die Mathematik entscheiden. Damals wählte ich ein Außenhandelsstudium, das beides miteinander verband. Für eine junge Familie mit Kind war ein beruflicher Auslandseinsatz aber eher schwierig, daher wechselte ich nach vier Semestern in die Fachrichtung Arbeitsökonomie.
Ich war anschließend in der PCK zunächst im Importbereich und später in der Personalentwicklung tätig. Dann kündigte 1999 eine Mitarbeiterin aus der Entgeltabrechnung und mein damaliger Chef war davon überzeugt, die Abrechnung der Sozialplanleistungen aus unserem umfangreichen Personalabbauprogramm und der Aufbau der betrieblichen Altersversorgung, das ist genau das Richtige für mich. So fing alles an. Die Begeisterung für die Entgeltabrechnung wuchs aber erst mit den Jahren. Anfangs dachte ich, das begreife ich nie. Es war immer mein Prinzip, die Sachen, die ich mache, bis ins Letzte nachvollziehen zu können.
Was ist Ihr täglicher Antrieb, in der Entgeltabrechnung zu arbeiten, denn schließlich ist dieser Bereich im Unternehmen häufig unterschätzt?
Ja, das ist leider wahr. Viele denken, einmal im Monat ist unser Puls erhöht, wenn wir auf den Knopf drücken. Natürlich wird der reine Abrechnungsprozess durch Software unterstützt. Aber diese Software muss „gefüttert“ werden, und nicht nur deshalb stecken hinter einer Entgeltabrechnung zuvor viele Überlegungen und Aktivitäten, wie beispielsweise zur Zeitwirtschaft oder zur Abbildung von Geld- oder Sachleistungen, Altersversorgung und Wertguthaben in lohnsteuer- und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht. Dank der großen Unterstützung unseres firmeneigenen IT-Bereichs haben wir für manche Probleme auch über den Standard hinausgehende Lösungen. Das hilft natürlich sehr.
Mein Arbeitgeber ist eine Raffinerie mit einem vollkontinuierlichen Schichtsystem im Verarbeitungsbereich und etlichen abweichenden Schichtsystemen in den übrigen Bereichen. Die Flexibilität der Arbeitszeitmodelle nimmt weiter zu und tarifliche Regelungen unterstützen die variable Arbeitszeitgestaltung, zum Beispiel für junge Familien. Dieses Thema und viele andere Themen müssen in der Entgeltabrechnung sauber abgebildet werden.
Zum Glück bin ich Teil eines kleinen fünfköpfigen Teams, das mit viel Fleiß und Einsatzbereitschaft, aber auch mit Humor Hand in Hand zusammenarbeitet. Wie uns das fehlte, haben wir gemerkt, als monatelang überwiegend im Homeoffice gearbeitet werden musste. Ein gutes Arbeitsklima und der fachliche Austausch untereinander sind immens wichtig. Außerdem liebe ich mein Arbeitsgebiet, weil es abwechslungsreich ist und weil ich neben der reinen Verwaltungsarbeit viele Kontakte zu den Mitarbeitern, Krankenkassen und Versicherungen habe. Und es freut mich immer sehr, wenn ein Mitarbeiter zu mir sagt: Jetzt habe ich meine Verdienstabrechnung oder meine betriebliche Altersversorgung endlich mal verstanden.
Wir kennen uns seit Jahren und Sie sind Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Entgeltabrechnung in Berlin. Wie wichtig ist Ihnen persönlich das Thema Fort- und Weiterbildung?
Seit Jahren nutzen wir zu zweit die halbjährlichen Termine in Berlin und, wenn möglich, auch das Jahreswechselseminar der DATAKONTEXT GmbH, um unser Wissen aufzufrischen und aktuelle Fragen mit Fachreferenten und Berufskollegen zu diskutieren. Ich freue mich immer auf diesen Termin und weiche notfalls auch auf die Dresdener Arbeitsgemeinschaft (ARGE) aus, wenn der Termin besser in unsere Abrechnungstermine passt, nur um nichts zu verpassen. Denn auch wenn wir aufmerksam neue gesetzliche Regelungen verfolgen, gab es bei jedem Zusammentreffen der ARGE Themen mit Aha-Effekt. Dafür sind die Rahmenbedingungen für die Entgeltabrechnung einfach zu umfangreich und zu schnelllebig. Die exzellenten Referenten von DATAKONTEXT, die hohe Aktualität der Fachthemen und die optimale Teilnehmeranzahl in der ARGE sicherten uns immer eine ausgezeichnete und rechtzeitige Vorbereitung auf neue Themen und gesetzliche Veränderungen in der Entgeltabrechnung.
Allerdings suche ich auch zwischen den Terminen den Austausch mit meinen Berufskollegen aus der ARGE und diese tun es auch in meine Richtung. Man muss ja das Rad nicht neu erfinden. Man kennt sich, arbeitet gegebenenfalls mit der gleichen Software und gehört manchmal sogar zum gleichen Tarifbereich. Und schon ist ein dringendes, vorher unüberwindliches Problem lösbar geworden.
Sie haben über die letzten Jahrzehnte die Entwicklung der Entgeltabrechnung begleitet. An was erinnern Sie sich gern zurück und auf was hätten Sie gern auch verzichtet?
Ich hatte das Glück, in unserer Raffinerie die betriebliche Altersversorgung aufbauen zu dürfen. In der betrieblichen Altersversorgung spiegeln sich das Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrecht, das Arbeitsrecht und das Versicherungsrecht wider. Ein Versicherungszeitraum ist in der Regel sehr lang und es gab in der Vergangenheit mehrere gravierende gesetzliche Änderungen. Damit war auch die Beratung der Mitarbeiter immer recht anspruchsvoll. Schließlich geht es ja um deren zukünftigen Lebensstandard als Rentner.
Aber unser Team hat es geschafft, dass nahezu alle unsere Mitarbeiter eine Entgeltumwandlung für die betriebliche Altersversorgung vereinbart haben, viele mit dem maximal möglichen Eigenanteil, und das ohne Opting-out. Die PCK honoriert das mit einer ansprechenden Arbeitgeberbeteiligung. Das ist übrigens auch ein Pluspunkt, mit dem wir Fachkräfte für unsere Firma gewinnen wollen. Mittlerweile erhalten bereits etwa 1.000 ehemalige Mitarbeiter und Hinterbliebene Leistungen aus unserem betrieblichen Versorgungswerk, einer Direktzusage. In wenigen Jahren werden wir mehr Betriebsrentner als Beschäftigte abrechnen. Für jeden dieser Betriebsrentner freue ich mich, wenn er den Leistungsbescheid erhält. So hat sich mein „Baby“, die betriebliche Altersversorgung, zu einem fest integrierten und geschätzten Thema entwickelt und ich werde mal einen kleinen Fußabdruck bei PCK hinterlassen.
Zu den Themen, an die ich mich nicht so gern erinnere, gehört das ELENA-Verfahren (elektronisches Entgeltnachweisverfahren), dessen Umsetzung uns 2010 und 2011 beschäftigte, das für die Arbeitgeber viel Arbeit und Erklärungsbedarf gegenüber den Mitarbeitern gebracht hat und dann 2011 vom Gesetzgeber plötzlich eingestampft wurde.
Die letzten Monate haben viele Veränderungen mit sich gebracht. Corona-bedingt änderte sich unser beruflicher Alltag. Welche besonderen Herausforderungen waren bei Ihnen umzusetzen?
Wie wohl in allen Firmen waren die letzten 18 Monate besonders anspruchsvoll, weil Corona-bedingte Abwesenheiten nicht nur Einfluss auf die Personaleinsatzplanung hatten, sondern auch in der Entgeltabrechnung darzustellen waren. Wir hatten in den letzten Jahren viele altersbedingte Abgänge und deswegen vermehrt junge Leute eingestellt. Also waren auch viele Fragen der Mitarbeiter zur Freistellung wegen der Quarantäne ihres Kindes oder wegen des zusätzlichen Kinderkrankengeldes zu beantworten. Ich kümmere mich um die Beantragung der Quarantäneerstattung, anfangs ein großes Arbeitsvolumen, weil Fälle aus dem Frühjahr 2020 wegen der zunächst unklaren Umsetzung erst ab Spätsommer 2020 nachgeholt werden konnten. Das führte neben den regulären Aufgaben zu einem Berg unerledigter Anträge, die erst nach und nach abgearbeitet werden konnten. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass jedes Bundesland eigene Verfahrensweisen für den Erstattungsvorgang praktiziert.
In Telefonaten mit einigen Gesundheitsämtern ist deutlich geworden, dass die meist gar nicht wissen, wie der Prozess bei den Arbeitgebern läuft und welche Auswirkungen ihre teilweise ungenauen Quarantäneanordnungen haben. Noch dazu lehnen die Erstattungsbehörden jegliche inhaltlichen Rückfragen ab. Man fühlt sich also oft alleingelassen. Zum Glück haben wir in den letzten ARGEn viele Sachverhalte bereits diskutiert.
Jetzt sind endlich die ersten Erstattungsbescheide für die vor einem Jahr gestellten Anträge gekommen, aber mit abweichenden Beträgen und ohne jegliche Erklärung oder Berechnung. Also werden wir Widersprüche einlegen und uns nach der endgültigen Entscheidung mit den Auswirkungen der gegebenenfalls abweichenden Erstattung auf die Entgeltabrechnung des Mitarbeiters beschäftigen müssen, mehr als ein Jahr nach seiner Quarantäne. Da kann man schon mal den Kopf schütteln, oder?
Unser Beruf ist geprägt von Veränderungen. Die Vielzahl der gesetzlichen Regelungen nimmt zu. Was würden Sie im Bereich der Entgeltabrechnung reformieren?
Im Bereich der Sozialversicherung nehmen mittlerweile elektronische Meldeverfahren einen breiten Raum ein. Wenn die laufen, erleichtert es uns wirklich die Arbeit. Ich würde mir aber anstelle der beiden Meldeverfahren zur Unfallversicherung ein einheitliches Meldeverfahren wünschen.
Und ich habe außerdem schon bei verschiedenen großen Krankenkassen angeregt, sich im Bundesverband dafür einzusetzen, dass im Rahmen des DEÜV-Meldeverfahrens ein Personengruppenschlüssel für die Entsparung eines Wertguthabens geschaffen wird, vielleicht sogar anstelle des jetzigen für Altersteilzeit. Bei uns haben viele Mitarbeiter ein sogenanntes Langzeitkonto, um sich damit ein früheres Ausscheiden aus dem Berufsleben oder ein Sabbatical zu sichern. Eine Altersteilzeit ist das aber nicht. Gehen diese Mitarbeiter vor der Rente in die Freistellung, hinterfragen die Krankenkassen regelmäßig unsere DEÜV-Meldungen, weil von uns für fast alle dieser Versicherten der ermäßigte Beitragssatz in der Krankenversicherung gemeldet wird.
Ich weiß, dass Sie sich auch in der Deutschen Rentenversicherung aktiv einbringen. Verraten Sie uns, was Sie dort genau machen?
Ja, gern. Seit mehr als 20 Jahren bin ich Mitglied eines Widerspruchsausschusses der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin. Meine Firma stellt mich zur Verhandlung von etwa 20 Widerspruchsfällen einmal im Monat frei und profitiert andererseits von meinen Kenntnissen im Rentenrecht, die uns schon oft geholfen haben, zum Beispiel bei der Bewilligung rückwirkender Erwerbsminderungsrenten, Fragen des Hinzuverdienstes, der Veränderung der gesetzlichen Rentenzugangsvoraussetzungen oder auch der Ermittlung der Künstlersozialabgabe. Es kommt auch vor, dass ich Mitarbeitern einfach nur ihre Renteninformation, ihr Rentenkonto oder schwer verständliche Bescheide erkläre. Sofern ich bei der nächsten Sozialwahl wiedergewählt werde, möchte ich diese Aufgabe auch nach meinem Ausscheiden aus dem Berufsleben unbedingt ehrenamtlich weiterführen.
Frau Jagnow, vielen Dank für dieses Gespräch.
Markus Stier