Travel-Management : Ruhe in Frieden Dienstreise?
Totgesagt haben viele Experten die Dienstreise. Im Zuge der Corona-Pandemie etablierte sie sich mehr und mehr als Auslaufmodell – überholt von modernen Technologien, die persönliche Treffen überflüssig erscheinen ließen. Doch kaum fallen die Infektionszahlen im zweiten Pandemiejahr, schicken Betriebe entgegen allen Prognosen ihre Mitarbeiter wieder auf Reisen. Also doch kein Ladenhüter? Was hinter der Reinkarnation steckt und wann Dienstreisen wirklich Sinn machen: ein paar Denkanstöße.
Wow – wer hätte das gedacht: Deutschland erreicht 2020 seine Klimaziele. Corona sei Dank. Mit den Einschränkungen in nahezu allen Lebensbereichen denken viele Menschen um. Müssen Dienstreisen wirklich sein? Geht das nicht auch klimafreundlicher?
Die Erfahrungswerte der vergangenen Monate liefern den scheinbaren Beweis:
Internationale Meetings funktionieren genauso gut digital. Doch kaum fallen die Infektionszahlen und die Bundesregierung hebt die Mehrzahl der Beschränkungen wieder auf, steigt die Nachfrage nach Geschäftsreisen rapide an. Das Barometer des Verbands Deutsches Reisemanagement zeigt: Bis Ende August diesen Jahres legt die Geschäftsreisetätigkeit wieder zu. 73 Prozent der Unternehmen erlauben weltweite Dienstausflüge.
Warum für viele Unternehmen Geschäftsreisen wichtig bleiben
Bei wirtschaftlich motivierten Reisen geht es in erster Linie um Beziehungen. Erst dann um Transaktionen. Wer Bindungen aufbauen möchte, benötigt den persönlichen Kontakt. Und damit auch das Treffen vor Ort. Nur so entwickeln Geschäftspartner ein wirkliches Gefühl füreinander und bauen Vertrauen auf. Wer dagegen bereits über funktionierende Beziehungen verfügt, kann die weltweiten Begegnungen herunterfahren und die Details genauso gut im digitalen Raum besprechen.
Eines ist jedoch sicher: Messen und Events als Präsenzveranstaltungen werden nach der Pandemie wichtig bleiben. Schließlich erweitern Firmen hier ihr Netzwerk vor allem um Kontakte, die durch zufälliges Networking entstehen. Nicht selten sind solche flüchtigen Begegnungen der Treffer ins Schwarze.
Hinzu kommt, dass viele Mitarbeiter inzwischen müde sind, sich vor der Kamera zu präsentieren. Zoom-Fatigue nennt sich das Phänomen, dem reale Reisen und Treffen durchaus entgegenwirken können.
Dienstreise ja, wenn’s unbedingt sein muss
Die Lösung ist demnach, wie so oft, weder schwarz noch weiß. Ganz auf Geschäftsreisen verzichten werden viele Betriebe in Zukunft wohl nicht. Die Tätigkeiten außerhalb des Büros zu reduzieren, ist für viele jedoch machbar. Netter Nebeneffekt: Firmen sparen dadurch deutlich an Kosten ein.
Hier ein paar Tipps, wie der Spagat zwischen Dienstreise und Onlinemeeting gelingen kann.
Geschäftspartner selbst einladen
Wenn Unternehmen weniger reisen möchten, macht es Sinn, den Geschäftspartner selbst einzuladen. Das entlastet das Portemonnaie und gibt Firmen die Möglichkeit, sich und die eigenen vier Wände von der Schokoladenseite zu präsentieren. Außerdem leidet die Produktivität nicht: Bleiben involvierte Mitarbeiter vor Ort, können sie die Zeit, die sie ansonsten für die Reise hätten einplanen müssen, normal weiterarbeiten. Nachteil: Die Umwelt profitiert von dieser Lösung nicht.
Dienstreisen maximal effizient planen
Sternfahrten adieu: Wenn Unternehmen ihre Dienstreisen langfristig planen, besteht die Möglichkeit, etwaige Treffen miteinander zu verbinden. Liegen beispielsweise mehrere Termine innerhalb einer Stadt oder Region, können sie als eine Geschäftsreise zusammengefasst werden. Gleiches gilt für anstehende Meetings, die sich auf einer Strecke befinden. Wer vorausschauend plant und effizient organisiert, tut nicht nur dem Geldbeutel des Betriebes einen Gefallen, sondern auch dem ökologischen Fußabdruck.
Nicht unnötig reisen
Persönliche Beziehung hin oder her: Nicht immer muss ein Mitarbeiter dafür in den Zug oder ins Flugzeug steigen. Betriebe sollten gut abwägen, wann eine Dienstreise unbedingt sein muss. Besteht beispielsweise die Möglichkeit, einen Geschäftspartner auf einer Messe oder einem Event zu treffen, das ohnehin auf der Agenda steht? Oder lassen sich bestimmte Sachverhalte auch bei einem Online-Meeting oder einer Telefonkonferenz besprechen? Wer seine Reisetätigkeit gut abwägt, verschwendet weder finanzielle noch personelle Ressourcen.
Besser kein Risiko eingehen
Reisen in der Pandemie bleibt ein Risiko. Noch sind die Infektionswellen nicht überstanden. Firmen gefährden dadurch nicht nur den betroffenen Mitarbeiter selbst, sondern – sollte dieser infiziert zurückkehren – auch seine Kollegen. Wenn Tätigkeiten außerhalb des Büros zwingend erforderlich sind, sollten Betriebe einige Modalitäten abwägen. Benötigt der Entsendete für sein Ziel einen Impfnachweis oder ein negatives Testergebnis? Wichtig ist, den Mitarbeiter über bestehende Regeln zu informieren. Achtung: Den Impfstatus dürfen Arbeitgeber nicht abfragen. Lediglich in „sensiblen“ Bereichen einigte sich die Politik jüngst auf eine Ausnahme. Hierzu zählen die Altenpflege und die Kinderbetreuung (Kitas und Schulen).
Außerdem ist es ratsam, Mitarbeitern Schnelltests zur Verfügung zu stellen. Zum Schutz aller können Betroffene diese dann vor der Rückkehr ins Büro selbst durchführen. Es empfiehlt sich zudem, abzuklären, ob das Ziel hohe Infektionszahlen aufweist und deswegen Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes vorliegen. Womöglich sind Dienstreisen, die nicht systemrelevant sind, unter diesen Umständen gar nicht erlaubt.
Lang lebe die Dienstreise
Die Corona-Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt und die Arbeitswelt nachhaltig verändert – nicht nur im Hinblick auf das Homeoffice. Unternehmen hinterfragen vergangene Handhabungen und sind im Zuge der vielfachen digitalen Möglichkeiten offen für Veränderungen. Und damit auch bereit, Geschäftsreisen zu reduzieren. Aussterben werden die Geschäftsmänner sowie -frauen an den Flughäfen und Bahnhöfen dieser Welt aber nicht. Wer das glaubt, ist auf dem Holzweg.
Philipp R. Kinzel