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Kolumne : Stier meint …!

Endlich wieder reisen! Das war mein erster Gedanke, als ich den Koffer für meine erste Dienstreise packte. Nach Monaten im Homeoffice, unzähligen Onlinemeetings und Onlineseminaren endlich mal wieder unter Menschen sein. Wie habe ich doch die Ansagen am Bahnhof und am Flughafen vermisst.

Lesezeit 3 Min.

Doch kaum unterwegs kamen die ersten Zweifel, ob das wirklich so eine gute Idee war. Da war es im Homeoffice doch irgendwie ruhiger. Nun hatte ich vergessen, wie anstrengend so eine Dienstreise sein kann. Das beginnt schon am Bahnhof. Neben mir eine Gruppe, die mit ihrer Musik ein ganzes Stadion beschallen könnte. Nun gut, jeder hat so seine eigene Musikrichtung, aber mal ehrlich, muss denn auch jeder seine Lieblingsmusik den anderen aufdrängen? Im Zug angekommen, suche ich mir meinen Platz. Bin ich im richtigen Wagen? Ich vergewissere mich noch mal und stelle fest, da sitzt doch jemand auf meinem Platz. Höflich darauf hingewiesen, wird mir unfreundlich geantwortet. Schließlich wäre der ganze Wagen fast frei, was muss ich nun unbedingt diesen einen Platz haben?! Entschuldigung, ich habe diesen reserviert, und das hat auch seinen Grund. Der Platz im ICE ist beliebt, ermöglicht er doch ein ruhiges Arbeiten und bietet auch die Möglichkeit, etwas abseits vom Trubel zu entspannen. Genau deshalb habe ich ihn reserviert. Ich bleibe hartnäckig und ernte absolutes Missverständnis.

Chefredakteur Markus Stier
Chefredakteur Markus Stier

Am nächsten Morgen im Hotel freue ich mich auf das Frühstück. Doch auch hier währt die Freude nicht lang. In diesen bestimmten Zeiten unternehmen Hotels viele Anstrengungen, um für die Sicherheit von Personal und Gästen zu sorgen. Desinfektion, Handschuhe, Laufrichtungen und sonstige Maßnahmen empfinden aber dann doch einige als reine Schikane. Eine Dame darauf angesprochen, warum sie keine Maske trage und auch am Buffet hin- und herläuft, erhalte ich nur eine knappe Antwort: Sie brauche das alles nicht, schließlich sei sie ja geimpft. Ich bleibe staunend zurück. Habe ich da etwas falsch verstanden oder kommt gleich der Moderator der versteckten Kamera um die Ecke? Vielleicht erlauben sich die Kollegen einen Scherz und wollen mich mit dieser Aktion aus der Reserve locken. Nein – es ist leider real.

Am Abend freue ich mich auf den Flug nach Hause. Nur noch wenige Stunden und ich bin wieder unweit von Homeoffice und Co. Doch auf den letzten Metern werden meine Nerven noch mal gefordert. Nun ist das Fliegen davon geprägt, viel Geduld beim Anstehen und Warten zu haben. Aber warum haben einige nicht gelernt, dass eine Schlange nicht am Schalter, sondern am Ende beginnt? Am Gate angekommen, gipfelt der Tag beim Boarding. Nach dem Aufruf begebe ich mich zum Gate. Dort in der Schlange stehend, informiert das Bodenpersonal über die gültigen Abstandsregelungen und die Pflicht zum Tragen der Maske. Doch leider hat der Herr hinter mir das überhaupt nicht verstanden. Kein Wunder, er telefoniert ja auch. Ich halte mich zurück. Aber warum telefoniert er während des Einsteigens ins Flugzeug immer noch? Warum auch noch im Flugzeug und warum trägt er keine Maske?

Ein selbstbewusster Geschäftsmann mit mehreren Taschen schlendert durch ein geschäftiges Flughafenterminal, während eine auf Personalmanagement spezialisierte Reisende in die entgegengesetzte Richtung geht, beide umgeben von der dynamischen Energie von Reiseplänen und Reisezielen.
Stier meint 2021-6

Beim Betreten des Flugzeugs spricht der Flugbegleiter den Herrn sofort an und bittet ihn, die Maske zu verwenden. Doch dieser legt jetzt los. Schließlich sei er mit der Maske am Telefon nur schlecht zu verstehen und außerdem müsse er den Laden ja auch am Laufen halten. Soll ich was sagen? Ich entscheide mich zu schweigen! Da habe ich meine erste Reise herbeigesehnt und nun das. Ich freue mich auf den morgigen Tag im Homeoffice, lehne mich im Sitz zurück und stelle fest: Auch in den Monaten, in denen wir alle im Homeoffice tätig sein mussten, in denen uns so vieles fehlte, haben doch einige nichts dazugelernt. Schade, war es doch auch gleichzeitig eine Chance. Gemeinsam statt einsam. Nun gut, das hat nur bedingt geklappt. Hoffen wir mal, dass der zweite Herbst in der Pandemie die Reisen nicht eingeschränkt. Es können einige noch Nachsitzen in Sachen soziale Kompetenz vertragen. Weniger ich, dafür mehr wir – in diesem Sinne.

Markus Stier

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