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Die Zukunft der Payroll : Beschäftigung und soziale Sicherung

Rechtsstaatlichkeit und – vor allen Dingen – die soziale Sicherung strahlen aus der EU in alle Welt.

Raschid BouabbaMagazin
Lesezeit 5 Min.
Eine Person interagiert mit einem digitalen Gehirnmodell, das aus miteinander verbundenen Knoten und Linien besteht und Konzepte der künstlichen Intelligenz, neuronaler Netzwerke oder der Kognitionswissenschaft darstellt.

Die Herausforderungen der Pandemie (Lohnbüro: Kurzarbeit) und der CO2-Bedrohung (Lohnbüro: E-Bikes, Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs etc.) schlagen sich in der Payroll voll nieder. Wohin fährt der Zug der sozialen Sicherung in Deutschland und in der Europäischen Union?

Eine Tabelle mit zwei Spalten mit der Bezeichnung „Rechtsstaat“ und „Sozialstaat“. Unter „Rechtsstaat“ stehen „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“. Unter „Sozialstaat“ fallen „Bedürftigkeit“ und „Finanzierbarkeit“.

 

COVID-19 und die Auswirkungen

Die mittel- und langfristigen Folgen der COVID-19-Pandemie sind heute noch gar nicht abzusehen, aber die neueren Einschätzungen in Bezug auf den wirtschaftlichen Einbruch lassen erwarten, dass die Rezession wesentlich tiefer und europaweit uneinheitlicher ausfallen wird, als das noch zu Beginn der Pandemie angenommen wurde. Die Auswirkungen auf die Beschäftigten werden – wenn auch nicht in allen Ländern in gleicher Intensität – dramatisch sein. Trotz aller staatlichen Maßnahmen, etwa die Beschäftigung durch Kurzarbeit zu sichern, wird die Arbeitslosigkeit europaweit weiter ansteigen.

Erleichtertes Kurzarbeitergeld

Die Bundesregierung hat daher soeben einen Gesetzentwurf verabschiedet, um die Regeln für den erleichterten Zugang zu Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld über das Jahr 2020 hinaus zu verlängern. Unternehmen erhalten in dieser besonderen Situation Unterstützung, damit sie Entlassungen vermeiden und zusammen mit ihren Beschäftigten nach der Krise – und nach dem Vorbild der Finanzkrise 2009/2010 – unmittelbar wieder durchstarten können. Wie schon seit dem 01.03.2020 gilt nun weiterhin:

Kurzarbeitergeld ist für jeden Betrieb möglich, auch für Beschäftigte in Zeitarbeit. Sind mindestens 10 Prozent der Beschäftigten von Arbeitsausfall betroffen, kann der Betrieb bei der zuständigen Agentur für Arbeit Kurzarbeit beantragen. Sonst muss mindestens ein Drittel der Beschäftigten betroffen sein. Das Kurzarbeitergeld beträgt (analog dem Arbeitslosengeld I) 60 Prozent des fehlenden Nettoentgelts – für Eltern mit Kindern 67 Prozent. Beiträge für die Sozialversicherungen werden bei Kurzarbeit von der Bundesagentur für Arbeit vollständig erstattet. Beschäftigte müssen keine Minusstunden aufbauen, bevor Kurzarbeitergeld gezahlt werden kann. Wenn Beschäftigte in Kurzarbeit mit 50 Prozent oder weniger ihrer bisherigen Stundenzahl arbeiten, wird das Kurzarbeitergeld ab dem vierten Bezugsmonat – gerechnet ab März 2020 – auf 70 Prozent (77 Prozent für Haushalte mit Kindern) angehoben. Ab dem siebten Monat Kurzarbeit steigt das Kurzarbeitergeld auf 80 Prozent (87 Prozent für Haushalte mit Kindern) des entfallenen Nettoentgelts.

Erweiterte Hinzuverdienstmöglichkeiten

Normalerweise wird bei Beschäftigten in Kurzarbeit der Nebenverdienst auf das Kurzarbeitergeld angerechnet. Nun gilt vom 1. Mai 2020 bis zum 31. Dezember 2021 folgende Sonderregelung: Beschäftigte in Kurzarbeit können einen Nebenverdienst bis zur Höhe ihres ursprünglichen Einkommens haben, ohne dass dieser auf das Kurzarbeitergeld angerechnet wird. Einzige Bedingung: Sie dürfen die Höhe des Lohns nicht überschreiten, den sie vor der Kurzarbeit bekommen haben.

Sozialer Schutz in Europa

Studieren in Frankreich, Arbeiten und Wohnen in Deutschland, Einkaufen im benachbarten Polen, in Dänemark oder den Niederlanden – solche Entscheidungen sind für Europäer heute ohne größere Schwierigkeiten zu treffen. Durch die Mitgliedstaaten ist Europa weiter zusammengewachsen und wird auch von außen immer mehr als ein gemeinsamer Politik-, Wirtschafts- und Sozialraum gesehen. Alle Bürger der jeweiligen Nationalstaaten sind gleichermaßen Bürger Europas.

Niedriglohnbereich wird langfristig nicht überleben

Die COVID-19-Pandemie und die daraus folgende Krise haben mehr als deutlich die besondere Schutzbedürftigkeit der Beschäftigten in atypischen oder prekären Beschäftigungsverhältnissen gezeigt. Allzu oft sind sie von den Sozialschutznetzen ausgeschlossen, die ihren Einkommens- bzw. Arbeitsplatzverlust abfedern könnten. Branchen mit Niedriglöhnen bzw. prekärer Beschäftigung kommen keineswegs besser durch die Krise, im Gegenteil: Gerade diese Beschäftigten sind die Ersten, die von massiven gesundheitlichen Risiken am Arbeitsplatz (z. B. Fleischindustrie), von Jobverlust (Gastronomie) oder von geringen Lohnersatzleistungen (Personenbeförderung) betroffen sind. Dieses Modell der prekären Jobs und Niedriglöhne wird keine Zukunft haben in der EU.

Angemessene Mindestlöhne als Gebot der Stunde

Die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigte Initiative für „gerechte Mindestlöhne“ in der EU wird derzeit von EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit (Beschäftigung und soziale Rechte) im Rahmen eines Konsultationsverfahrens mit den europäischen Sozialpartnern vorangetrieben. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist hier politisch eingebunden und hat gerade seine Empfehlungen für einen möglichen Kommissionsvorschlag erarbeitet. Die vorläufige Stellungnahme spricht eine deutliche Sprache: „Die Gewährleistung angemessener Mindestlöhne in allen Mitgliedstaaten würde dazu beitragen, eine Reihe von EU-Zielen zu erreichen, darunter die Aufwärtskonvergenz bei den Löhnen, die Verbesserung des sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalts, die Beseitigung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Allgemeinen und die Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt.“ Gerade in der Krise können höhere Mindestlöhne zudem eine wichtige stabilisierende makroökonomische Funktion übernehmen.

Ende des Lohndumpings

Niemand fordert im Ernst einen einheitlichen europäischen Mindestlohn, doch werden verbindliche Lohnuntergrenzen diskutiert, die den Beschäftigten und deren Familien einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen – egal ob in Deutschland, Österreich, Tschechien, Bulgarien oder Spanien. Tatsächlich hält der „Aufholprozess“ der mittel und osteuropäischen Länder bei den Lohnunterschieden nicht Schritt. Dies erfordert den Einbezug der Staaten in Mittel- und Osteuropa wie auch im Süden der EU, wo Tarifvertragssysteme oftmals schwächer ausgestaltet und Mindestlöhne einseitig gesenkt wurden. So lagen etwa Anfang des Jahres 2020 die gesetzlichen Mindestlöhne in den Mitgliedstaaten zwischen 312 und 2.142 Euro pro Monat, von den wesentlich größeren Unterschieden bei den tatsächlichen Ist-Löhnen ganz zu schweigen. Im Osten der EU liegen die monatlichen Mindestlöhne in der Regel unter 600 Euro. Ohne eine klare Aufwärtskonvergenz kann auch das grenzüberschreitende Lohn- und Sozialdumping trotz aller Bemühungen auf EU-Ebene (neue Entsenderichtlinie, Europäische Arbeitsbehörde) nicht wirksam bekämpft werden. Ein soziales Europa wird die Diskussion über gerechte Mindestlöhne nicht vermeiden können.

Arbeitnehmer-Entsendegesetz seit 30.07.2020 in Kraft

Und so fanden bei Entsendungen in der EU die Vorgaben der EU-Entsenderichtlinie (EN: posting directive bzw. FR: directive d‘affichage) Eingang in die deutsche Gesetzgebung. Am 30. Juli 2020 trat das reformierte Arbeitnehmer-Entsendegesetz („AEntG“) in Kraft. Das geänderte AEntG setzt die reformierte Entsenderichtlinie (EU) 2018/957 um, welche auf Lohnunterschiede im europäischen Arbeitsmarkt reagiert. Sie soll sicherstellen, dass entsandte Arbeitnehmer künftig den gleichen Arbeitsbedingungen unterworfen werden wie lokale Arbeitnehmer. Das Gesetz folgt dem Arbeitsortsprinzip, d. h. der Arbeitgeber muss seinen Arbeitnehmern für die Zeit der vorübergehenden Beschäftigung in Deutschland bestimmte, am jeweiligen Arbeitsort in Deutschland maßgebliche Arbeitsbedingungen gewähren.

Auswirkungen auf die Vergütung bei Entsendungen

Da das Gesetz nun von Entlohnung und nicht von Mindestlohnsätzen spricht, erhalten entsandte Mitarbeiter die vergleichbare Vergütung einheimischer Mitarbeiter. Die Vergütung setzt sich zusammen aus der Grundvergütung und Entgeltbestandteilen, die an die Art der Tätigkeit, Qualifikation sowie Berufserfahrungen der Beschäftigten und die Region anknüpfen. Selbstverständlich sind auch Zulagen, Zuschläge und Gratifikationen, einschließlich der Überstundensätze, einbezogen. Sonderregelungen und Erleichterungen gelten für Erstmontage- oder Einbauarbeiten, sofern diese nicht mehr als acht Tage im Jahr dauern, sowie für vorübergehende Beschäftigungen bis maximal 14 Tage, zu denen die Teilnahme an Besprechungen, Fachkonferenzen, Messebesuche oder eine betriebliche Weiterbildung zählen.

Markt muss soziale Grundrechte absichern

Die bereits 1996 eingeführte Entsenderichtlinie mit Mindestbedingungen für Entsendungen in andere EU-Staaten wurde durch die Entsenderichtlinie 2018 reformiert. Ziel ist es, das aus EU-Sicht nach wie vor bestehende Lohn- und Sozialdumping einzudämmen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

Raschid Bouabba

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