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Arbeitszeiterfassung : Flexibler, aber sauberer dokumentiert

Corona auf der einen Seite und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung auf der anderen Seite, das passt nicht gut zusammen, könnte man meinen. Tatsächlich aber weisen die Verstöße des Bundesarbeitsministers in eine andere Richtung: Sein Konzept für ein „Mobile-Arbeit-Gesetz“ wurde zwar von Arbeitgeberseite und der Kanzlerin verworfen, indiziert aber, dass mehr Flexibilität künftig tendenziell mit einer strikteren Zeiterfassung einhergeht.

Alexandra BubaFokus
Lesezeit 4 Min.
Ein Team von Fachleuten, die an einem Projekt zusammenarbeiten, mit Elementen, die wie Puzzleteile Teamarbeit, Zeitmanagement und das Zusammenstellen von Ideen und Lösungen symbolisieren.

Da gab es ja einmal diese Entscheidung des EuGH zur Arbeitszeiterfassung, die unmittelbar nach ihrem Bekanntwerden für viele Diskussionen sorgte. Doch nachdem alle tangierten Gruppen ihre Statements in den Ring geworfen hatten, wurde es schnell ruhig – auch beim Bundesarbeitsministerium. Das mit der Umsetzung betraute Amt hatte ein Hochschul-Gutachten erstellen lassen, das ermitteln sollte, ob denn Handlungsbedarf vorläge. Die Antwort war so einfach wie erwartbar: „Ja.“

Doch geschehen ist seither offenbar wenig. Noch immer ist die Antwort nach dem Stand in Sachen Anpassung der gesetzlichen Regelungen zur Arbeitszeiterfassung aus dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) dieselbe wie bei den beiden vorangegangenen Anfragen von LOHN+GEHALT im Februar dieses und im Herbst vergangenen Jahres: Die Frage, welche gesetzgeberischen Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil für Deutschland erwachsen, werde in der Literatur, zwischen den Sozialpartnern und innerhalb der Bundesregierung kontrovers diskutiert. Das BMAS habe ein Gutachten von Prof. Bayreuther erstellen lassen, der gesetzgeberischen Handlungsbedarf identifiziere, so die Auskunft des Ministeriums.

“Die Entscheidung ist bereits jetzt zu beachten.“

Gutachten haben auch andere erstellt, teilweise mit sehr klaren Ergebnissen. So kommt etwa ein Papier des zur Hans-Böckler-Stiftung gehörenden Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeitsrecht (HSI) aus dem März dieses Jahres zu dem Ergebnis: „Zur Umsetzung der Entscheidung sind alle Träger öffentlicher Gewalt, damit der Gesetzgeber, die Verwaltung und die Gerichte, verpflichtet. Die Entscheidung ist bereits jetzt zu beachten.“

Dies ergebe sich aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts, den die Vorgaben des EuGH entfalten. Die Pflicht zur unmittelbaren Berücksichtigung ändere allerdings nichts daran, dass der Gesetzgeber wegen eines ansonsten bestehenden Transparenzverstoßes die gesetzlichen Regelungen in Deutschland anpassen müsse.

Keine Übergangsphase vorgesehen

Über politische Konsequenzen werde im Ressortkreis beraten, lässt das Arbeitsministerium seinerseits wissen. Das HSI-Gutachten sieht indes keinen Interpretationsspielraum: „Die Entscheidung entfaltet bereits jetzt verbindliche Wirkung in Deutschland. Der EuGH hat keine Übergangsphase für die Umsetzung der Vorgaben gestattet und auch keinen Vertrauensschutz gewährt.“

Die Pflicht zur Einführung des Systems zur Arbeitszeiterfassung gelte für alle Personen im Anwendungsbereich der Richtlinie, also Arbeitnehmer und auch Beamte. Hinsichtlich des „Ob“ der Erfassung sehe der EuGH keine Differenzierungsmöglichkeiten vor. Es sei nicht möglich, einzelne Personengruppen aus dem Anwendungsbereich der Arbeitszeiterfassung auszunehmen.

Jede Arbeitsleistung muss erfasst werden

Maßgeblich für die Erfassung sei der Arbeitszeitbegriff der Arbeitszeitrichtlinie. Dieser verlange eine Erfassung sämtlicher Arbeitsleistungen unabhängig von ihrer Dauer, ihrem Zeitpunkt oder dem Ort der Leistungserbringung, so das Gutachten.

Die arbeitsschutzrechtliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung könne der Arbeitgeber zudem nicht auf die Beschäftigten übertragen. Sie könnten und müssten aber gegebenenfalls bei der Erfassung der Arbeitszeit mitwirken, etwa indem eine Personalkarte an einem Terminal registriert wird oder eine Anmeldung per App erfolgt. Jedes System, bei dem die Arbeitszeit erst nachträglich – etwa durch Stundenzettel, die der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber aushändigt – erfasst wird, sei unionsrechtlich bedenklich.

Testfeld Mobile-Arbeit-Gesetz?

Das gelte auch im Homeoffice oder bei mobiler Arbeit. Dieses Bewusstsein teilt nun auch das Ministerium. Anfang Oktober hatte das BMAS einen Entwurf für „Das Mobile-Arbeit-Gesetz“ vorgestellt, das neben dem Kernaspekt, jedem Beschäftigten die Möglichkeit einzuräumen, 24 Tage im Jahr im Homeoffice tätig zu sein, eine klare Regelung zur Arbeitszeiterfassung enthielt. Allerdings wendeten sich zunächst Wirtschaftsverbände gegen die Regelung, später auch die Kanzlerin.

Es ist daher die Frage, was letztlich von solchen Vorstößen übrig bleiben wird; modellhaft könnte aber dennoch eine verschärfte Erfassungspflicht wirken, die über das Homeoffice hinausgeht, „die Regelungen im Gesetzentwurf zielen auf angemessene Rahmenbedingungen für mobile Arbeit ab und dazu gehören auch Maßnahmen gegen die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben“, schreibt das Ministerium. In welcher Weise diese wirken könnten, lässt die Behörde indes offen.

Während nun auch für den EuGH das „Ob“ einer novellierten Arbeitszeiterfassung keine Frage ist, können die nationalen Gesetzgeber über das „Wie“ individuell befinden. Klar ist, welche Daten erfasst werden müssen; der Gesetzgeber könne aber gestatten, dass die konkrete Ausgestaltung unter Berücksichtigung der Besonderheiten einzelner Betriebe und Unternehmen besonders geregelt wird. Verbindlich sind lediglich die Kriterien „objektiv“, „verlässlich“ und „zugänglich“.

Wann sind die Kriterien erfüllt?

Wie dies beispielsweise geschehen kann, erklärt das Gutachten des HSI: Objektiv sei das System insbesondere, wenn die gesamten Arbeitszeiten in irgendeiner Weise festgehalten werden und das System transparent Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie deren Dauer dokumentiert. Dies müsse so erfolgen, dass der Arbeitnehmer in einem etwaigen Prozess keines weiteren Beweismittels als der erfassten Arbeitszeit bedarf. Dabei sei die gesamte Arbeitszeit im Sinne des Unionsrechts zu erfassen, also auch die mobile Tätigkeit unterwegs, Arbeit von zu Hause sowie jede sonstige, auch kurzzeitige Arbeitsaufnahme.

Verlässlich ist das System insbesondere dann, wenn seine Beweiskraft prozessual nicht in Frage gestellt werden kann. Außerdem müsse die Erfassung unmittelbar im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung erfolgen. Zugänglich sei das System, wenn Arbeitnehmer diese Information auch gegen den Willen des Arbeitgebers so abrufen können, dass die Daten im Streitfall zur Verfügung stehen. Auch der Betriebsrat und die Aufsichtsbehörden müssten jederzeit auf die erfasste Arbeitszeit zugreifen können.

Alexandra Buba

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