Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst
Stufenzuordnung bei Einstellung
Orientierungssätze zu 1. bis 3. des Urteils des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 18.02.2021 – 6 AZR 205/20
- Das Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung i. S. v. § 16 Abs. 2 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) setzt voraus, dass der Beschäftigte in einer gleichwertigen Tätigkeit Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat, die auch in der nach der Einstellung auszuübenden Tätigkeit weiterhin erforderlich sind, so dass er die neue Tätigkeit vollumfänglich ohne nennenswerte Einarbeitungszeit aufnehmen kann (Rn. 18, 35).
- Nur die praktische Ausübung einer Tätigkeit kann einschlägige Berufserfahrung vermitteln. Es ist daher ohne Bedeutung, welche Tätigkeiten dem Beschäftigten beim früheren Arbeitgeber im Rahmen des Weisungsrechts hätten übertragen werden können, aber nicht übertragen worden sind (Rn. 39).
- Eingruppierungsrechtliche Gesichtspunkte haben für das Vorliegen einschlägiger Berufserfahrung keine Bedeutung. § 16 Abs. 2 TV-L gibt keinen zeitlichen Mindestbeschäftigungsumfang für die Anerkennung von Vorbeschäftigungszeiten vor. Einschlägige Berufserfahrung kann grundsätzlich auch durch eine Teilzeitbeschäftigung oder einen zeitlich untergeordneten Anteil der früheren Tätigkeit gewonnen werden (Rn. 35).
Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); erfolgloser Bewerber; Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung; Zeitpunkt der Mitteilung der Schwerbehinderung; Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch; Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung
Im Anschluss die Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 17.12.2020 – 8 AZR 171/20
- Der objektive Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung aus § 82 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX a. F. bzw. § 165 Satz 3 SGB IX n. F., schwerbehinderte Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, kann die Vermutung der Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung i. S. v. § 22 AGG nur dann begründen, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers/der Bewerberin bekannt war oder er diese kennen musste (Rn. 33).
- Will ein Bewerber seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen, muss er den (potenziellen) Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht ausnahmsweise bereits über diese Information verfügt (Rn. 33).
- Der Bewerber muss den Arbeitgeber zudem „rechtzeitig“ über die bestehende Schwerbehinderung informieren. Um rechtzeitig zu sein, muss die Information über die Schwerbehinderung regelmäßig in der Bewerbung, sofern eine Bewerbungsfrist gesetzt ist, jedenfalls bis zum Ablauf dieser Frist gegeben werden (Rn. 36).
- Ausnahmsweise kann eine spätere Mitteilung der Schwerbehinderung ausreichend sein. Dies setzt aber voraus, dass es dem Arbeitgeber im Einzelfall unter Berücksichtigung seines Interesses an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahrens und an einer zügigen Entscheidung über die Besetzung der Stelle(n) noch zumutbar ist, den zugunsten schwerbehinderter Menschen bestehenden Verfahrens- und/oder Förderpflichten nachzukommen (Rn. 39).
Benachteiligung nach dem AGG; Entschädigung; (Schwer-)Behinderung; Verstoß gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten (schwer-)behinderter Bewerber/innen enthalten; Mitteilung über die Schwerbehinderung; Mitteilung des Grades der Behinderung (GdB); Einladung zum Vorstellungsgespräch; Verzicht auf Einladung nicht möglich
Orientierungssätze des Urteils des BAG vom 26.11.2020 – 8 AZR 59/20
- Nach § 82 Satz 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (im Folgenden a. F.) bzw. § 165 Satz 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung (im Folgenden n. F.) besteht für öffentliche Arbeitgeber die Pflicht, schwerbehinderte, nicht offensichtlich fachlich ungeeignete Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (Rn. 25).
- Der Verstoß des Arbeitgebers gegen diese und weitere Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die Vermutung der Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung i. S. v. § 22 AGG begründen (Rn. 25).
- Verstößt der Arbeitgeber objektiv gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann dies die Vermutung der Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung allerdings nur begründen, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers/der Bewerberin bekannt war oder er diese kennen musste. Andernfalls fehlt es an der (Mit-)Ursächlichkeit der (Schwer-)Behinderung für die benachteiligende Maßnahme. Aus diesem Grund muss ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung durch den Arbeitgeber berücksichtigt wissen will, diesen über die Schwerbehinderung rechtzeitig in Kenntnis setzen, es sei denn, der Arbeitgeber verfügt ausnahmsweise bereits über diese Information, was beispielsweise bei internen Bewerbern der Fall sein kann (Rn. 32 f.).
- Eine hinreichende Information über eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn die Mitteilung so in den Empfangsbereich des Arbeitgebers gelangt ist, dass es diesem möglich ist, die Schwerbehinderung des Bewerbers/der Bewerberin zur Kenntnis zu nehmen; die Mitteilung muss dem Arbeitgeber entsprechend § 130 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zugehen. Dabei reicht es für die Mitteilung einer Schwerbehinderung aus, über das Vorliegen einer Schwerbehinderung zu informieren, es muss nicht zusätzlich der GdB mitgeteilt werden (Rn. 34 ff.).
- Die in § 82 Satz 2 SGB IX a. F. bzw. § 165 Satz 3 SGB IX n. F. bestimmte Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, schwerbehinderte Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, gehört zu den Arbeitgeberpflichten, denen kein individueller Anspruch bzw. kein individuelles Recht der Bewerber/innen auf eine Einladung gegenübersteht, auf den bzw. auf das diese wirksam verzichten könnten (Rn. 43 ff.).
Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung; erfolgloser Bewerber; Auswahl-/ Stellenbesetzungsverfahren; Einladung zu einem Vorstellungsgespräch; interne Stellenbesetzung; Ausschreibung mehrerer Stellen mit identischem Anforderungsprofil, die etwa zeitgleich zu besetzen sind
Abschließend die Orientierungssätze zu 1. bis 3. des Urteils des BAG vom 25.06.2020 – 8 AZR 75/19
- Nach § 82 Satz 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung ist der öffentliche Arbeitgeber auch bei internen Stellenbesetzungen grundsätzlich verpflichtet, eine/n schwerbehinderte/n Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (Rn. 31).
- Im Fall der Ausschreibung mehrerer Stellen mit identischem Anforderungsprofil, die etwa zeitgleich zu besetzen sind, reicht es aus, den/die schwerbehinderte/n Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch für eine der zu besetzenden Stellen einzuladen, auf die diese/r sich beworben hat, wenn dieselbe für die Durchführung des Auswahlverfahrens zuständige Dienststelle des öffentlichen Arbeitgebers für die Stellen ein identisch ausgestaltetes Auswahlverfahren nach identischen Kriterien durchführt (Rn. 46).
- Wurden Auswahlkommissionen gebildet, müssen diese nicht personenidentisch besetzt sein (Rn. 48).
Claudia Czingon