Payroll der Zukunft : Effektives Urlaubsmanagement
Viele Arbeitgeber und Personalverantwortliche wurden durch die höchstrichterlichen Rechtsprechungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unter Handlungsdruck gesetzt, demzufolge der gesetzliche Urlaubsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit nicht mehr verfällt. Die Fülle an weiteren Rechtsprechungen des EuGH sowie des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Zeitraum 2020 bis 2023 hat den Anspruch der Beschäftigten auf bezahlten Mindesturlaub zur Erholung immer weiter gestärkt.
Viele Arbeitgeber und Personalverantwortliche wurden durch die höchstrichterlichen Rechtsprechungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unter Handlungsdruck gesetzt, demzufolge der gesetzliche Urlaubsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit nicht mehr verfällt. Die Fülle an weiteren Rechtsprechungen des EuGH sowie des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Zeitraum 2020 bis 2023 hat den Anspruch der Beschäftigten auf bezahlten Mindesturlaub zur Erholung immer weiter gestärkt.
Nachdem zuletzt die Voraussetzungen an die Verjährung solcher Ansprüche deutlich angehoben wurden, ist es notwendig, eine Bestandsaufnahme zu machen und einen kompakten Überblick über die aktuellen Regelungen zu geben, denn die Auswirkungen für die betriebliche Praxis sind sehr weitgehend.
Gesetzliche Bestimmungen zum Mindesturlaub
Alle Arbeitnehmer haben grundsätzlich in jedem Kalenderjahr einen Anspruch auf Gewährung eines bezahlten Erholungsurlaubs. Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) vier Wochen. Entsprechend besteht bei einer Fünf-Tage-Woche ein gesetzlicher Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen. Eine längere Urlaubsdauer kann sich aus dem Arbeitsvertrag oder einem Tarifvertrag ergeben. Derzeit ist ein tariflicher Jahresurlaub von fünf bis sechs Wochen üblich. Zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses entsteht gemäß § 4 BUrlG ein voller Urlaubsanspruch erstmalig nach Vollendung der Wartezeit von sechs Monaten. Maßgeblich ist hier allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses, ohne dass es auf die tatsächliche Erbringung von Arbeitsleistungen ankommt.
Es gilt das Gebot der Gleichbehandlung, folglich gehören auch Berufsausbildungs-, Teilzeit- und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse dazu. Ein Teilurlaubsanspruch besteht bei Ausscheiden innerhalb der Wartezeit gemäß § 5 BUrlG in Höhe von einem Zwölftel des jährlichen Urlaubsanspruchs je vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Der Urlaub soll grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr zusammenhängend gewährt und genommen werden. Ein Übertragungsanspruch bis zum 31.03. des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres oder darüber hinaus kann einzelvertraglich vereinbart werden oder sich aus Tarifverträgen ergeben. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Entgeltfortzahlung während des Urlaubes (Urlaubsentgelt). Die Höhe richtet sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst des Arbeitnehmers in den letzten 13 Wochen vor Beginn des Urlaubs. Überstundenvergütungen werden nicht berücksichtigt. Ein gesetzlicher Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld (Gratifikation) besteht nicht.
Gesetzlicher Mindesturlaub und Verjährung
In mehreren Grundsatzentscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht Ende 2020 sowie Anfang 2023 das nationale Urlaubsrecht weiter den europäischen Vorgaben angepasst. Die betrieblichen Auswirkungen sind umfassend. Das Urlaubsrecht ist seit vielen Jahren großen Änderungen unterworfen. Dies beruhte auf Entscheidungen des EuGH. Dieser hat 2018 die EU-Arbeitszeit-Richtlinie (RL 2003/88/EG) dahingehend ausgelegt, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, durch umfassende Aufklärung der Arbeitnehmer dafür Sorge zu tragen, dass diese tatsächlich in der Lage sind, ihren bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Sie haben ihre Arbeitnehmer rechtzeitig aufzuklären und ihnen mitzuteilen, dass der nicht genommene Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird (sogenannte Mitwirkungspflicht).
Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt zwar der gesetzlichen Verjährung. Allerdings beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Verjährung bei ganzjähriger Arbeitsunfähigkeit
Ein Sonderfall liegt vor, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, seinen Urlaub im Urlaubsjahr oder innerhalb des gesetzlichen Übertragungszeitraums bis zum 31.03. des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) zu nehmen. Für diese Fälle hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch eines seit Beginn oder im Verlauf des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt (vgl. BAG, Urteil vom 07.08.2012 – 9 AZR 353/10). Bislang war ungeklärt, ob und inwieweit diese Rechtsprechung auch Anwendung finden kann, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Für Fälle, in denen der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig krank war und deshalb – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hat – überhaupt keinen Urlaub nehmen konnte, kommt es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht an. Das Bundesarbeitsgericht begründet dies damit, dass in diesem Fall nicht die fehlende Mitwirkung des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs ursächlich ist (BAG, Beschluss vom 07.07.2020 – 9 AZR 401/19 (A)).
Keine Verjährung bei fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers
Dies ist anders zu beurteilen, wenn der Arbeitnehmer in dem Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor es ihm gesundheitsbedingt (z. B. infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder voller Erwerbsminderung) unmöglich wurde, seinen Urlaub zu nehmen und der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Der Beklagte beschäftigte die Klägerin vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin.
Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Beklagte an die Klägerin zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen 3.201,38 Euro brutto. Der weitergehenden Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, kam der Beklagte nicht nach. Während das Arbeitsgericht die am 06.02.2018 eingereichte Klage – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – abgewiesen hat, sprach das Landesarbeitsgericht der Klägerin 17.376,64 Euro brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu. Dabei erachtete das Landesarbeitsgericht den Einwand des Beklagten, die geltend gemachten Urlaubsansprüche seien verjährt, für nicht durchgreifend.
Die Revision des Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Zwar finden die Vorschriften über die Verjährung (§ 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Der Senat hat damit die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (C-120/21) umgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs tritt der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben.
Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole. Der Arbeitgeber hatte im hier vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall die Arbeitnehmerin nicht durch Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweispflichten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Ansprüche verfielen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, noch konnte der Arbeitgeber mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt. Den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs hat die Arbeitnehmerin innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben.
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.12.2022, Az. 9 AZR 266/20).
Urlaubsabgeltung und tarifvertragliche Ausschlussfrist
Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, kann nach Maßgabe einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 06.11.2018 und oblag es dem Arbeitnehmer aufgrund der gegenläufigen Senatsrechtsprechung nicht, den Anspruch innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist geltend zu machen, begann die Ausschlussfrist erst mit der Bekanntgabe des Urteils. Die Beklagte, ein Zeitungsverlag, beschäftigte den Kläger seit dem 01.04.2007 zunächst auf der Grundlage eines sogenannten Vertrags für Pauschalisten, sodann als angestellten Onlineredakteur.
Nach § 18 Nr. 1 Satz 1 des Manteltarifvertrags für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen (MTV) sind nicht erfüllte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen. Während seiner Tätigkeit als Pauschalist vom 01.04.2007 bis zum 30.06.2010 erhielt der Kläger keinen Urlaub. Das Arbeitsverhältnis endete am 30.09.2014.
Im August 2018 forderte der Kläger die Beklagte auf, insgesamt 65 Arbeitstage Urlaub aus den Jahren 2007 bis 2010 abzugelten. Die Forderung in Höhe von 14.391,50 Euro brutto wies die Beklagte mit der Begründung zurück, ein etwaiger Anspruch des Klägers aus der Zeit seiner Tätigkeit als Pauschalist sei verfallen und verjährt. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann der Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs als reiner Geldanspruch tariflichen Ausschlussfristen unterfallen. Daran hält der Senat fest. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus welcher der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Der Kläger war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.09.2014 nicht gehalten, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2007 bis 2010 der Beklagten gegenüber i. S. d. Ausschlussfristenregelung geltend zu machen. Der Senat ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen. Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 06.11.2018 neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, oblag es dem Kläger, Urlaubsabgeltung zu verlangen. Der von dem Kläger erhobene Abgeltungsanspruch ist vor diesem Zeitpunkt auch nicht verjährt. Zwar steht der Anwendung der Verjährungsvorschriften der unabdingbare Schutz, den der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub genießt, nicht entgegen. Nach den vom Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 01.02.2023, 9 AZR 456/20, Pressemitteilung Nr. 5/23 entwickelten Grundsätzen lief die Verjährungsfrist nicht vor dem Ende 2018. Der Kläger wahrte die gesetzliche Verjährungsfrist, indem er die Beklagte im Jahr 2018 auf Zahlung von Urlaubsabgeltung gerichtlich in Anspruch nahm. Dennoch kann der Senat nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend darüber befinden, ob die Beklagte Urlaubsabgeltung schuldet. Das Landesarbeitsgericht wird nach der Zurückverweisung aufzuklären haben, ob der Kläger in den Jahren 2007 bis 2010, in denen er als Pauschalist redaktionelle Aufgaben für die Beklagte wahrnahm, im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig war.
(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31.01.2023 – 9 AZR 244/20; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 21.01.2020 – 5 Sa 463/19; EuGH vom 06.11.2018 – C-684/16 [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]
Handlungsempfehlungen
Arbeitgeber sollten Mitarbeiter rechtzeitig auffordern, ihren Urlaub zu nehmen. Der Inhalt der jährlichen Aufforderung sollte in verständlicher Form eine vollständige und zutreffende Mitteilung über die Höhe des jährlichen Urlaubsanspruchs sowie restlicher Urlaubstage mit den jeweiligen Verfallfristen beinhalten. Die Information muss in nachweisbarer Form und individualisiert erfolgen. Pauschale Mitteilungen reichen definitiv nicht aus.
In jedem Fall muss der individuelle Urlaubsanspruch ausgewiesen werden. Da weder der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch das Bundesarbeitsgericht (BAG) für die Vergangenheit einen Vertrauensschutz einräumen, ist zu prüfen, ob Urlaubsansprüche aus der Vergangenheit wegen fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers nach der neuen Rechtsprechung noch nicht verfallen sind. Diese Zeiträume sind in der Mitteilung auszuweisen. Erfüllt der Arbeitgeber nicht seine Mitwirkungspflichten, so können Urlaubsansprüche ohne zeitliche Grenze bestehen bleiben, da sie weder durch Verjährung noch durch Verwirkung untergehen. Dies gilt es für den Arbeitgeber zu vermeiden.
Raschid Bouabba, MCGB GmbH