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Aktuelles aus dem Arbeitsrecht

Eine Person, die an einem Schreibtisch mit juristischen Dokumenten und Personalakten arbeitet, symbolisiert durch ein markantes rotes Absatzzeichen, das darauf hindeutet, dass der Schwerpunkt auf Recht, Rechtsangelegenheiten und persönlichem Management liegt.

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Entgeltzahlung an Feiertagen während der Weiterbeschäftigung beim allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch

Bundesarbeitsgericht vom 27.05.2020 – 5 AZR 247/19

Wird einem Arbeitnehmer gekündigt, reichen die meisten Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage ein und greifen die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung an. Bis die Streitigkeit – unter Umständen sogar durch alle drei Instanzen bis zum Bundesarbeitsgericht – durchgefochten und rechtskräftig entschieden wird, können Jahre vergehen.

Die Frage ist, ob und wie der klagende Arbeitnehmer in der Zeit, in der über die Wirksamkeit der Kündigung noch nicht abschließend entschieden ist, zu beschäftigen ist. Dies ist gerade aus Arbeitgebersicht interessant, um das Annahmeverzugslohnrisiko für die Prozessdauer zu reduzieren.

Dem Kläger steht unter gewissen Voraussetzungen ein sogenannter allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch zu. Das vorliegende Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) beschäftigte sich mit der Frage, wie weit die Vergütungspflicht des Arbeitgebers reicht, wenn der Kläger bei diesem aufgrund dieses allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs tätig wird.

Sachverhalt

Der Kläger arbeitete als Schlosser. Sein Arbeitgeber kündigte ihm ordentlich zum 30.09.2015. Daraufhin erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht gab dieser statt und verurteilte den beklagten Arbeitgeber, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Kläger verlangte dies auch von seinem Arbeitgeber und drohte andernfalls mit der Zwangsvollstreckung. Der Arbeitgeber teilte daraufhin mit, dass er den Kläger zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung weiterbeschäftigen werde. Der Kläger nahm seine Arbeit am 31.08.2017 wieder auf, erkrankte jedoch nach einer guten Stunde Arbeit. Er war daraufhin bis zum 10.09.2017 sowie vom 27.09.2017 bis 30.10.2017 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Arbeitgeber vergütete die vom Kläger geleistete Arbeitsstunde, nicht aber die infolge von Arbeitsunfähigkeit und an gesetzlichen Feiertagen ausgefallene Arbeitszeit.

Das Kündigungsschutzverfahren wurde vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm durch einen am 22.03.2018 geschlossenen Vergleich beendet, in dem die Parteien u. a. vereinbarten, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund fristgemäßer arbeitgeberseitiger Kündigung aus betrieblichen Gründen zum 30.09.2015 aufgelöst worden sei.

Der Kläger verlangt Vergütung für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und für Feiertage während seiner Prozessbeschäftigung.

Die Entscheidung

Das BAG wies das Begehren des Klägers ab. Der Kläger hat für die Dauer der vorläufigen Weiterbeschäftigung weder Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) noch auf Entgeltzahlung an Feiertagen gemäß § 2 EFZG.

Nach der Entscheidung des BAG bestand zwischen den Parteien nach dem 30.09.2015 kein Arbeitsverhältnis mehr. Das Entgeltfortzahlungsgesetz setzt in seinem persönlichen Geltungsbereich in § 1 EFZG jedoch voraus, dass Arbeitsentgelt an einen „Arbeitnehmer“ gezahlt wird. Liegt kein Arbeitsverhältnis mehr vor, so verliert der Anspruchsteller auch seinen Status als Arbeitnehmer.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete laut des geschlossenen Vergleichs am 30.09.2015. Die tatsächliche Weiterbeschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung begründete dagegen kein neues Arbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer aufgrund des titulierten, sogenannten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs zwar weiterbeschäftigt. Er ist jedoch nicht verpflichtet, mit dem Arbeitnehmer hierüber auch ein neues Arbeitsverhältnis abzuschließen. Davon ist nur auszugehen, sofern hierfür weitere Anhaltspunkte bestehen. In dem entschiedenen Fall ist der Arbeitgeber mit der Beschäftigung des Klägers jedoch nur seiner Rechtspflicht aus der erstinstanzlichen Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung nachgekommen, so das BAG.

Dass durch die tatsächliche Weiterbeschäftigung zugleich immer ein neues Arbeitsverhältnis entsteht, ergibt sich auch nicht aus § 102 Abs. 5 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Dieser gibt dem Arbeitnehmer nach dem Widerspruch des Betriebsrats bezüglich einer ordentlichen Kündigung während des Kündigungsschutzprozesses einen Anspruch auf Beschäftigung. In diesem Fall besteht das bisherige Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage fort. Diese Regelung ist jedoch auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

§ 102 Abs. 5 BetrVG unterliegt bestimmten Anspruchsvoraussetzungen, die hier nicht vorliegen. Ziel dieser Regelung ist es, die Stellung des Betriebsrats zu stärken. Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch, den der Kläger hier geltend macht, soll dagegen das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers schützen. § 102 Abs. 5 BetrVG kann daher – aufgrund dieser andersartigen Zielrichtung – nicht analog angewandt werden.

Auch die von der Rechtsprechung entwickelte Figur des sogenannten faktischen/fehlerhaften Arbeitsverhältnisses ist hier nicht zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses heranzuziehen. Bei einem faktischen Arbeitsverhältnis liegen grundsätzlich zwei Willenserklärungen auf Abschluss eines Arbeitsvertrags vor, jedoch ist mindestens eine unwirksam oder anfechtbar. Vorliegend ist schon fraglich, ob seitens des Arbeitgebers überhaupt eine Willenserklärung vorliegt. Daher kann auch über diese Figur kein Arbeitsverhältnis begründet werden.

Somit lag der Weiterbeschäftigung kein Arbeitsverhältnis zugrunde.

Stellt sich nach dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits heraus, dass die Weiterbeschäftigung aufgrund des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs zu Unrecht erfolgte, so erfolgt die Rückabwicklung über das Bereicherungsrecht nach §§ 812 ff. BGB. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer demzufolge „das Erlangte“, also die erbrachte Arbeitsleistung, herauszugeben bzw. hierfür nach § 818 II BGB Wertersatz zu leisten. Hat der Arbeitnehmer in einem bestimmten Zeitraum, wie hier infolge der Arbeitsunfähigkeit und des Feiertags, nicht gearbeitet, so hat der Arbeitgeber auch nichts erlangt und schuldet daher auch keinen Wertersatz.

Konsequenzen für die Praxis

Das BAG bestätigt mit dieser Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer aufgrund des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs weiterzubeschäftigen. Tut er dies jedoch nur zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung und schließt er keinen neuen Arbeitsvertrag mit dem Kläger ab, so hat dieser nur Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn sich die Kündigung als unwirksam erweist und das (ursprüngliche) Arbeitsverhältnis fortbestanden hat.

Good to know

Gerichtliche Kündigungsschutzverfahren führen zu einer nachträglichen Wirksamkeitskontrolle der Kündigung, die infolge der Verfahrensdauer in aller Regel dazu führt, dass erst lange nach Ablauf der Kündigungsfrist klar ist, ob die ausgesprochene Kündigung wirksam ist oder nicht. Sollte die ausgesprochene Kündigung unwirksam sein, kehrt der betroffene Arbeitnehmer erst nach längerer Zeit wieder auf seinen bisherigen Arbeitsplatz zurück. Um diese Zeit zu überbrücken, hat das BAG aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des betroffenen Arbeitnehmers einen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens entwickelt.

Der sogenannte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch ist eine im Wege der Rechtsfortbildung geschaffene Rechtsfigur. Er ist von dem Beschäftigungsanspruch und dem besonderen Weiterbeschäftigungsanspruch zu trennen.

Unter dem Beschäftigungsanspruch wird verstanden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu beschäftigen hat. Nach der (faktischen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann sich für den Arbeitnehmer der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch anschließen. Damit soll das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers gesichert werden.

Anspruchsgrundlage des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs sind §§ 611a Abs. 1, 613, 242 BGB i. V. m Art. 1 und 2 GG. Der Anspruch ist gegeben, wenn (1) die Kündigung offensichtlich unwirksam, missbräuchlich oder willkürlich ist und berechtigte Interessen des Arbeitgebers nicht entgegenstehen, oder (2) ab der erstinstanzlichen Entscheidung, dass die Kündigung unwirksam ist.

Ein besonderer Weiterbeschäftigungsanspruch kann sich aus § 102 Abs. 5 BetrVG ergeben, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen.

Praxishinweise

Als Arbeitgeber ist daher bei einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung darauf zu achten, dass die Erfüllung dieses Anspruchs nicht als erneuter Vertragsschluss ausgelegt werden kann. Zur Absicherung sollte dem Arbeitnehmer daher die Weiterbeschäftigung so lange verweigert werden, bis dieser seinen Anspruch gerichtlich durchgesetzt hat und mit der Zwangsvollstreckung droht. Dann kann der Arbeitgeber mitteilen, dass er den Kläger nur „zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung“ weiterbeschäftigt, um klarzustellen, dass kein neuer Vertrag abgeschlossen werden soll.

Zu beachten ist, dass allerdings auch der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags für die Prozessbeschäftigung Vorteile für den Arbeitgeber haben kann. Dadurch kann der Arbeitgeber sein Annahmeverzugsrisiko senken für den Fall, dass die Kündigung letztendlich für unwirksam erklärt wird. Was für den Arbeitgeber günstiger ist, ist anhand des Einzelfalls zu beurteilen.

Weniger ist doch mehr: Neues zur Betriebsratsanhörung bei einer außerordentlichen Kündigung

Bundesarbeitsgericht vom 07.05.2020 – 2 AZR 678/19

Die Betriebsratsanhörung zu einer außerordentlichen Kündigung muss keine Ausführungen zur Wahrung der Kündigungsfrist enthalten.

Sachverhalt

Der Arbeitgeber hörte den bei ihm gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses an und kündigte dieses anschließend außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich.

Im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens rügte der Kläger u. a., dass die Betriebsratsanhörung deshalb nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, weil in der Betriebsratsanhörung keine Ausführungen zu der Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB – insbesondere zum Sachverhalt der Kenntniserlangung – enthalten gewesen seien.

Die Entscheidung

Anders als die Vorinstanz gab das BAG dem Arbeitgeber Recht. Nach dem BAG war die Kündigung nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, weil der Arbeitgeber keine weiteren Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist gemacht hat.

Das Gericht wies zunächst auf die ständige Rechtsprechung hin, wonach die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht so weit reiche wie seine Darlegungslast im Kündigungsschutzverfahren. Sinn und Zweck der Anhörung des Betriebsrats besteht darin, diesen durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht (d. h. gegebenenfalls zu Gunsten des Arbeitnehmers) auf den Arbeitgeber einzuwirken. Hierfür muss der Betriebsrat die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe kennen und sich eine eigene Meinung darüber verschaffen können. Demgegenüber soll der Betriebsrat nicht die selbstständige Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung durchführen.

Das BAG führt mit Blick auf die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB aus, dass die Wahrung dieser nicht zu „Gründen für die Kündigung“ im Sinne von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gehöre, sodass der Arbeitgeber hierzu keine Ausführungen machen muss.

Konsequenzen für die Praxis

Den Arbeitgeber trifft erst im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses die Pflicht, detaillierte Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist zu machen, und nicht bereits im Rahmen der Beteiligung des Betriebsrats. Im Einzelfall kann es sich dennoch anbieten, hierzu vorzutragen, um beispielsweise eine bessere Verhandlungsposition zu haben. Sofern der Arbeitgeber freiwillige Angaben zur Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB macht, müssen diese der Wahrheit entsprechen.

Good to know

Die Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch einer Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verpflichtend. Soweit der Arbeitgeber es unterlässt, den Betriebsrat vor Ausspruch einer Kündigung anzuhören, ist die Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG automatisch unwirksam.

Im Rahmen dieser Anhörung muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Gründe der Kündigung mitteilen. Die Unterrichtungspflicht bezieht sich daher zum einen auf die Sozialdaten des Arbeitnehmers, da diese für das Meinungsbildung des Betriebsrats maßgeblich sein können (Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflicht sowie Schwerbehinderteneigenschaft), zum anderen auf die Art der Kündigung, die tragenden Kündigungsgründe und den Kündigungstermin.

Eine außerordentliche Kündigung muss gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB innerhalb von zwei Wochen ausgesprochen werden. Diese Frist beginnt, sobald der Arbeitgeber Kenntnis von den Tatsachen erlangt hat, wegen derer er dem Arbeitnehmer kündigen möchte. Die Kündigungsgründe müssen so schwerwiegend sein, dass es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, den Arbeitnehmer bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Sollte die Zwei-Wochen-Frist überschritten und das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers nicht innerhalb dieser Frist gekündigt werden, geht die Rechtsprechung davon aus, dass es dem Arbeitgeber nicht unzumutbar ist, jedenfalls die ordentliche Kündigungsfrist abzuwarten. D. h. nach Ablauf der zwei Wochen tritt die gesetzliche Vermutung ein, dass eine außerordentliche Kündigung nicht mehr gerechtfertigt ist. Für die Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung ist die Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB daher oftmals prozessentscheidend. Dennoch zählt die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht zu den „Gründen für die Kündigung“ i. S. v. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, über die der Arbeitgeber den Betriebsrat unterrichten muss.

Praxishinweise

Die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB kann in der Praxis schwierig sein. Arbeitgeber sind oft in der misslichen Lage, einerseits den kündigungsrelevanten Sachverhalt vollumfänglich aufzuklären, um anschließend eine Kündigung wirksam erklären zu können oder im Fall einer Verdachtskündigung den Arbeitnehmer hiermit zu konfrontieren. Andererseits wird verlangt, dass diese Aufklärung in der gebotenen Eile durchgeführt wird und dann nach vollständiger Kenntniserlangung der Betriebsrat ordnungsgemäß zu beteiligen und die Kündigung zuzustellen ist.

Um hier keinen Konflikt mit der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu haben, kann es empfehlenswert sein – gerade in Sachverhalten, in denen die Aufklärung etwas Zeit in Anspruch nimmt – die Aufklärung unterhalb der Ebene der kündigungsberechtigten Person durchzuführen. Dies verschafft dem Arbeitgeber etwas mehr Zeit, da die Zwei-Wochen-Frist erst ab Kenntniserlangung der zum Ausspruch einer Kündigung berechtigten Person zu laufen beginnt. In Umsetzung der neuen Rechtsprechung sollten in der Betriebsratsanhörung nun keinerlei Ausführungen zur Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB gemacht werden, um mögliche Angriffspunkte zu vermeiden.

Fristlose Kündigung wegen privater Internetnutzung zulässig, wenn auch die datenschutzrechtlichen Vorgaben erfüllt sind

Landesarbeitsgericht Köln vom 07.02.2020 – 4 Sa 329/19

Die private Nutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts sowie die private Nutzung des dienstlichen Internetzugangs trotz arbeitsvertraglich vereinbarten Verbots können eine fristlose Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs rechtfertigen. Ein Beweisverwertungsverbot scheidet aus, wenn sich der Arbeitgeber bei der Datenverwertung, z. B. Auswertung der Verlaufsdaten, datenschutzkonform verhalten hat.

Sachverhalt

Ein IT-Dienstleister kündigte das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer fristlos. Grund war ein Arbeitszeitbetrug. Der Mitarbeiter hatte für die Ausübung seiner Tätigkeit u. a. einen Laptop erhalten. Der Arbeitnehmer nutzte während der Arbeitszeit den dienstlichen E-Mail-Account sowie den dienstlichen Internetnutzung sehr extensiv für private Zwecke.

Die Parteien hatten neben dem Arbeitsvertrag eine gesonderte Vereinbarung abgeschlossen. Danach war es dem Arbeitnehmer untersagt, das Internet sowie den dienstlichen E-Mail-Account für private Zwecke zu nutzen. Weiterhin war vereinbart, dass der Arbeitgeber zur Überprüfung dieses Verbots den Laptop sowie die Logfile-Daten auswerten durfte.

Der Arbeitnehmer schrieb von seinem Dienstlaptop an einem Tag 13 private E-Mails und nutzte übermäßig lang das Internet privat. Als der Arbeitgeber hiervon Kenntnis erhielt, kündigte er fristlos und ließ den Laptop durch einen IT-Spezialisten auswerten. Hierbei wurden weitere erhebliche Verstöße gegen das Verbot der Privatnutzung festgestellt, sodass an einzelnen Tagen so gut wie keine Arbeit durch den Arbeitnehmer erbracht wurde.

Gegen die ausgesprochene Kündigung ging der Arbeitnehmer vor.

Entscheidung

Das LAG Köln urteilte, dass die Kündigung wirksam sei. Es stellte fest, dass ein Arbeitszeitbetrug vorlag, da der Arbeitnehmer die E-Mails und Internetseiten während der Arbeitszeit allein zu privaten Zwecken versandte bzw. aufrief. Diese Pflichtverletzung war wegen der erheblichen privaten Nutzung und des vertraglichen Verbots der privaten Nutzung noch gravierender. Außerdem machte das LAG wichtige Ausführungen zu einem Beweisverwertungsverbot. Ein solches kann vorliegen, wenn die Erhebung oder die Verwendung von Daten massiv das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verletzt. Aber nicht jeder Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers führt zu einem Beweisverwertungsverbot. Das LAG prüfte, ob ein solches vorliegt, und wog die gegenseitigen Interessen – u. a. das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und das Beweisführungsrecht des Arbeitgebers ab. Das LAG stellte fest, dass in diesem Fall kein Beweisverwertungsverbot vorlag, sodass das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers hinter das Beweisführungsrecht des Arbeitgebers zurücktrat.

Weiterhin handelte es sich bei den Daten „nur“ um Logfile-Daten, also wann welche Internetseite wie lange besucht wurde. Als Rechtsgrundlage zog das LAG § 26 Abs. 1 S. 1 Bundesdatenschutzgesetz heran, da die Daten hier zur Durchführung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich seien.

Zudem prüfte das LAG auch die „Einwilligung“ des Arbeitnehmers und hielt diese für unwirksam. Denn das bloße „Einverstandensein“ des Arbeitnehmers, dass das Verbot der Privatnutzung auch kontrolliert werden dürfe, erfülle nicht die strengen Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung.

Insgesamt sei die Datennutzung in diesem Fall erforderlich, da es kein milderes und effektiveres Mittel für den Arbeitgeber gab, die Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers nachzuweisen.

Konsequenzen für die Praxis

Das LAG Köln hat konsequent die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts und des Beschäftigtendatenschutzes umgesetzt. Es hat praxisgerechte und verständliche Leitplanken für Arbeitgeber aufgestellt, wie sie erhebliche Pflichtverletzungen mithilfe von Datenaufzeichnungen aufdecken und ahnden können.

Arbeitgeber können wirksame (fristlose) Kündigungen aussprechen, auch wenn dadurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer betroffen ist. Vorab sollte aber stets eine Interessenabwägung durchgeführt werden, um die Erfolgsaussichten einer etwaigen Klage durch den Arbeitnehmer zu prognostizieren. Die Entscheidung des LAG Köln gibt hierzu erfreulicherweise eine Reihe von hilfreichen Hinweisen.

Good to know

Die Privatnutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts ist für Arbeitgeber ein fehleranfälliges Feld. Gestatten Arbeitgeber die Privatnutzung, werden sie rechtlich als „Telekommunikationsanbieter“ tätig. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die datenschutzrechtlichen Vorgaben.

Ein rotes Absatzsymbol, das auf einem Dokument steht, mit einer arbeitenden Person im Hintergrund, symbolisiert juristische Arbeit oder das Studium der Rechtswissenschaften.

Eine „schlichte“ Einwilligung des Arbeitnehmers, dass der Arbeitgeber die Daten auch zu stichprobenartigen Kontrollzwecken nutzen darf, ist unbeachtlich, wenn der Arbeitgeber in den E-Mail-Account „hineinschauen“ möchte. Dies kann beispielsweise notwendig werden, wenn der Arbeitnehmer nicht erreichbar ist oder im Verdacht steht, erhebliche Pflichtverletzungen begangen zu haben.

Denn die Einwilligung des Arbeitnehmers kann sich immer nur auf seinen Teil der E-Mail-Korrespondenz beziehen.

Der Empfänger der E-Mails des Arbeitnehmers wird gegenüber dem Arbeitgeber nie eine Einwilligung abgegeben haben. Daher ist die Einsicht auch in die geschäftliche E-Mail-Korrespondenz für den Arbeitgeber, wenn er die Privatnutzung nicht untersagt, mit erheblichen Risiken verbunden.

Gestattet der Arbeitgeber die Privatnutzung, ist er auch verpflichtet, die Vertraulichkeit der privaten Kommunikation sicherzustellen.

Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, die Privatnutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts zu untersagen, um dieser Situation aus dem Weg zu gehen. Denn gestattet der Arbeitgeber die Privatnutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts nicht, hat der Arbeitgeber nicht die Vertraulichkeit der Kommunikation sicherzustellen.

Arbeitgeber sollten mit Arbeitnehmern vereinbaren, dass die Privatnutzung des dienstlichen E-Mail-Accounts (und des Internets) verboten ist und zu welchen Zwecken eine Kontrolle und Auswertung der Daten erfolgen darf. Dann können Arbeitgeber bei Pflichtverstößen oder bei dem Verdacht von Pflichtverstößen die Daten einsehen.

Sofern Arbeitgeber auf andere Mittel der Kontrolle zurückgreifen können, um den Missbrauch nachzuweisen, scheidet eine Datenverwertung aus.

Auf Einwilligungen, dass Daten im Arbeitsverhältnis genutzt werden dürfen, sollten Arbeitgeber aber generell verzichten. Denn die Hürden für eine wirksame Einwilligung sind sehr hoch und das Gesetz gibt ausreichend Gestaltungsspielraum für die Datennutzung auch ohne eine Einwilligung.

Dr. Michaela Felisiak,Regina Holzer, Dr. Dominik Sorber, Rechtsanwälte für Arbeitsrecht, Beiten Burkhardt

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