Ausbildung : Der Weg zum Herzen des Bewerbers führt über die Eltern
Kaum zu glauben, aber wahr: Der wichtigste Ratgeber für einen jungen Menschen bei der Wahl von Berufsausbildung und/oder Studium sind auch heute noch die Eltern. Und da fangen die Probleme an: Eltern wollen ja immer das – vermeintlich – Beste für ihr Kind. Aber was ist das Beste?
Fragt man die Eltern, kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit das Studium als Nonplusultra. Verständlich, aber oft genug eben falsch.
Zwar bescheinigt das Abitur ja formal die „Hochschulreife“, die Realität sieht heute aber leider anders aus. Gerade in sehr vollen Studiengängen ist eine intensive Betreuung durch die Hochschullehrer meist nicht gewährleistet. Es kommt daher neben den intellektuellen Fähigkeiten besonders auf Eigeninitiative und Selbstdisziplin an, damit das Studium erfolgreich durchgeführt und abgeschlossen werden kann. Nicht umsonst brechen etwa 30 Prozent eines Jahrgangs das Studium vorzeitig ab. Das sind immerhin jährlich rund 160.000 junge Menschen.
Den Eltern sei an dieser Stelle kein Vorwurf gemacht, sie beraten ihre Kinder ja nach bestem Wissen – nur ist dieses Wissen eben oft nicht ausreichend. Kein Wunder bei zigtausenden angebotenen Studiengängen. Da muten die rund 800 Ausbildungsberufe in Deutschland ja schon fast überschaubar an.
Es muss also darum gehen, die Eltern davon zu überzeugen, dass ein Studium nicht für jeden jungen Menschen richtig, geeignet und notwendig ist. Argumente für eine klassische duale Ausbildung – auch mit Abitur – gibt es genug. Wichtig ist, bestehende Vorurteile abzubauen und die tatsächlichen Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Der Verdienst
Beginnen wir mit dem Geld. In den Köpfen sitzt noch immer fest, dass man nur mit einem Studium einen guten Verdienst erzielen könne. Das stimmt schon lange nicht mehr. Viele Hochschulabsolventen verdienen heute nicht unbedingt mehr als ein guter Handwerker, vom kaufmännischen Bereich mit zahlreichen Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten ganz zu schweigen.
Etwas Wesentliches kommt noch dazu: Bei der dualen Ausbildung wird vom ersten Tag an Geld verdient, das Studium kostet erst einmal. Wird zusätzlich noch BAföG benötigt, beginnt das Arbeitsleben dann ggf. mit einem Schuldenberg. So gleicht sich auch ein eventueller höherer Verdienst als Akademiker über die Lebensarbeitszeit oft aus.
Die Entwicklungsmöglichkeiten
Nach der Ausbildung ist noch lange nicht Schluss – erfahrene Personalentwickler wissen das, viele Eltern aber nicht. Deshalb ist es wichtig, schon in der Stellenausschreibung auf die späteren Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten aufmerksam zu machen. Und bei jeder anderen Gelegenheit auch. Bewährt hat sich, wenn Führungskräfte des Unternehmens über ihren eigenen Werdegang (Ausbildung, Weiterbildung, Qualifizierungsmöglichkeiten) berichten. Solche authentischen Darstellungen haben einfach die größte Wirkung. Eltern sollten erfahren, dass Karriere bis in die Führungsspitze auch ohne Abitur und ohne Studium möglich ist.
Wenn Sie in Ihrem Unternehmen eine besondere Personalentwicklungsstrategie haben und verfolgen, sprechen Sie darüber und machen Sie die Chancen deutlich. Das wirkt im Übrigen auch durchaus motivierend auf die Azubis selbst.
Die persönlichen Fähigkeiten
Ist mein Kind wirklich für ein Studium geeignet? Die allermeisten Eltern werden diese Frage wohl mit einem überzeugten „selbstverständlich“ beantworten. Eltern mit einem Hochschulabschluss unterstellen das ohnehin bei ihrem Nachwuchs. Vielen ist nicht klar, dass sich die Anforderungen und Umstände eines Hochschulstudiums in den letzten 10 bis 20 Jahren erheblich verändert haben. Bachelor- und Master-Studiengänge haben die Rahmenbedingungen für das Studium massiv verändert.
Eltern ohne eigene Hochschulerfahrung können sich den Ablauf und die Schwierigkeiten eines Hochschulstudiums oft gar nicht vorstellen. Da kann es helfen, die Anforderungen eines Studiums deutlich aufzuzeigen. Dazu gehört insbesondere ein hohes Maß an Selbstorganisation und Selbstmotivation. Viele Inhalte müssen völlig selbstständig und eigenverantwortlich erarbeitet werden. Eine intensive Betreuung durch Dozenten und Professoren findet allenfalls noch an privaten (teuren) Hochschulen statt. Andernfalls ist es eher eine Massenabfertigung. Da kann man mit intensiver Unterstützung eher nicht rechnen. Also muss man sich selbst „durchbeißen“, eigene Ziele setzen, Hilfe und Unterstützung auch außerhalb der Hochschule suchen usw.
Vielleicht ist das Kind auch eher praktisch begabt – möchte lieber mit den Händen arbeiten. Die Hochschulausbildung ist aber sehr theoretisch angelegt, durch die Umstellung auf Bachelor und Master noch verstärkt. Allenfalls einzelne Praktika vermitteln – allerdings auch nur in einigen Studiengängen – einen Hauch von Praxis. Die Unternehmen wissen, wovon ich spreche: einen super Bachelor in der Tasche, aber für die Arbeit im Unternehmen (noch) nicht zu gebrauchen. Man kann nur versuchen, den Eltern klarzumachen, auf die Wünsche und Begabungen ihres Kindes einzugehen und weniger die eigenen Ansprüche und Vorstellungen umzusetzen. Da kann intensive Aufklärung helfen.
Die Gesundheit
Als letzter, aber nicht unwichtiger Aspekt ist die Gesundheit zu nennen. Die Arbeit im „falschen“, ungeliebten Job kann auf Dauer richtig krank machen – physisch und psychisch oder psychosomatisch. Das kann sich schon im Laufe des Studiums entwickeln, wenn Überforderung auftritt oder die Erkenntnis wächst, den falschen Weg gewählt zu haben, ohne sich dieses aber – mit Rücksicht auf die Eltern – einzugestehen. Auch wenn man die Prüfung erfolgreich abschließt, will man dann ein Leben lang in einem ungeliebten Beruf arbeiten? Das hält kaum jemand über Jahre oder gar Jahrzehnte aus, ohne ernsthafte Probleme zu entwickeln.
Ein durchaus relevantes Argument gegenüber den Eltern, die ja nur das Beste für ihre Kinder wollen …
Jürgen Heidenreich