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Freigestelltes Betriebsratsmitglied – Verhinderung
Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 28.07.2020 – 1 ABR 5/19
Nach § 101 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) kann der Betriebsrat, wenn der Arbeitgeber eine personelle Maßnahme im Sinne des § 99 BetrVG ohne seine Zustimmung durchführt, beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, die personelle Maßnahme aufzuheben. Bei Ein- oder Umgruppierungen ist eine „Aufhebung“ im wörtlichen Sinn nicht möglich, da es sich hierbei nicht um konstitutive Akte des Arbeitgebers, sondern jeweils um einen mit der Kundgabe einer Rechtsansicht verbundenen Akt der Rechtsanwendung handelt. Aus diesem Grund geht der Anspruch des Betriebsrats aus § 101 BetrVG bei Ein- und Umgruppierungen dahin, dem Arbeitgeber die Einleitung eines Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG oder – falls ein solches bereits abgeschlossen ist – die Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG aufzugeben. Letzteres setzt voraus, dass der Betriebsrat trotz ordnungsgemäßer Einleitung eines Zustimmungsverfahrens form- und fristgerecht verweigert hat, da andernfalls seine Zustimmung nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt gilt.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die geplante personelle Einzelmaßnahme unter Vorlage der erforderlichen Urkunden zu unterrichten. Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine Unterrichtung, die es dem Betriebsrat ermöglicht, aufgrund der mitgeteilten Tatsachen zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe gegeben ist. Bei Umgruppierungen ist die Mitteilung der bisherigen und vorgesehenen Vergütungsgruppe erforderlich sowie die Erläuterung der Gründe, weshalb der Arbeitnehmer anders als bisher einzureihen ist. Dazu bedarf es regelmäßig der Angabe der auszuübenden Tätigkeit, da die Zuordnung zu den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungsgruppe aufgrund der dem Arbeitnehmer zugewiesenen Arbeitsaufgaben erfolgt.
Das Gesuch des Arbeitgebers auf Erteilung der Zustimmung muss dem Betriebsrat zugehen, um die Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in Gang zu setzen. Nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG setzt dies grundsätzlich einen Zugang beim Betriebsratsvorsitzenden oder – im Fall seiner Verhinderung – bei seinem Stellvertreter voraus. Die Norm gilt nicht nur für rechtsgeschäftliche Willenserklärungen, sondern für Erklärungen und Mitteilungen aller Art. Die übrigen Betriebsratsmitglieder sind nur dann zur Entgegennahme von Erklärungen des Arbeitgebers für den Betriebsrat ermächtigt, wenn alle nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG Befugten verhindert sind. Fehlt es hieran, kann das Betriebsratsmitglied lediglich Erklärungsbote des Arbeitgebers sein. In diesem Fall ist ein fristauslösender Zugang beim Betriebsrat erst dann gegeben, wenn das Betriebsratsmitglied die ihm vom Arbeitgeber übergebene Erklärung an den Vorsitzenden des Betriebsrats oder – im Verhinderungsfall – dessen Stellvertreter weiterleitet.
Eine Verhinderung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Betriebsratsvorsitzende aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben. Insoweit gilt dasselbe wie für die in § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG geregelte Verhinderung. Die Arbeitsunfähigkeit eines Betriebsratsmitglieds stellt danach nicht notwendigerweise eine Verhinderung dar. Es kann Fälle geben, in denen die Erkrankung den Arbeitnehmer zwar außerstande setzt, seine Arbeitspflicht zu erfüllen, nicht aber sein Betriebsratsamt wahrzunehmen. Anders ist dies jedoch bei einem nach § 38 Abs.1 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglied. Eine in diesem Fall vom Arzt attestierte Arbeitsunfähigkeit hat zur Folge, dass das Betriebsratsmitglied stets verhindert ist, da es ihm krankheitsbedingt unmöglich ist, seine Amtspflichten auszuüben. Ob und in welchem Umfang er sich subjektiv zur Wahrnehmung derselben in der Lage sieht, ist unerheblich.
Für den Begriff der „Arbeitsunfähigkeit“ ist eine vom Arzt nach objektiven Maßstäben vorzunehmende Bewertung des Gesundheitszustands maßgebend. Die Arbeitsunfähigkeit beurteilt sich grundsätzlich nach der vom Arbeitnehmer arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung, wie sie der Arbeitgeber ohne die Arbeitsunfähigkeit als vertragsgemäß annehmen muss. Arbeitsunfähigkeit liegt danach vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung der Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert würde.
Nach § 38 Abs. 1 BetrVG vollständig freigestellte Betriebsratsmitglieder sind allerdings von ihrer Pflicht zur vertraglichen Arbeitsleistung befreit. Bei ihnen tritt an die Stelle der Arbeitspflicht die Verpflichtung, sich während der arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem sie angehören, anwesend zu sein und sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten. Der Norm des § 38 Abs. 1 BetrVG liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass eine in Betrieben der dort genannten Größenordnung erforderliche Betriebsratstätigkeit im Sinne von § 37 Abs. 2 BetrVG regelmäßig in einem solchen Umfang anfällt, dass sie die Arbeitszeit eines oder mehrerer Betriebsratsmitglieder voll in Anspruch nimmt.
Infolgedessen beurteilt sich bei einem vollständig freigestellten Betriebsratsmitglied die Arbeitsunfähigkeit nach der von ihm auszuübenden Betriebsratstätigkeit. Nach § 2 Abs. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Eingliederung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V kommt es darauf an, ob das Betriebsratsmitglied die zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Attestiert ein Arzt einem vollständig freigestellten Betriebsratsmitglied, arbeitsunfähig erkrankt zu sein, steht damit fest, dass diesem eine Erfüllung der ihm während seiner Freistellung nach § 38 Abs. 1 BetrVG obliegenden Pflichten krankheitsbedingt nicht möglich und es an der Wahrnehmung seiner Betriebsratstätigkeit gehindert ist. Dass es sich bei der Erfüllung von Betriebsratsaufgaben um die Wahrnehmung eines Ehrenamtes handelt, ist insoweit unerheblich.
Eine „Teilarbeitsunfähigkeit“ im Sinne einer nur partiellen Unmöglichkeit zur Ausübung von Betriebsratsaufgaben gibt es bei einem vollständig freigestellten Betriebsratsmitglied nicht. Hiergegen sprechen vor allem Gründe der Praktikabilität und der Rechtssicherheit. Hinge der Verhinderungsfall eines arbeitsunfähig erkrankten freigestellten Betriebsratsmitglieds von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, würde dies die Feststellung einer Verhinderung erheblich erschweren und damit die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats beeinträchtigen. Es bestünde die Gefahr, dass Betriebsratsbeschlüsse, die während der Zeit der partiellen „Amtsunfähigkeit“ gefasst wurden, mit dem Makel der Unwirksamkeit behaftet wären.
Mitbestimmung des Betriebsrats – verfassungsrechtlich geschützte Koalitionstätigkeit von Gewerkschaftsmitgliedern
BAG, Beschluss vom 28.07.2020 – 1 ABR 41/18
Arbeitgeber und Betriebsrat haben innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Grenzen eine umfassende Regelungskompetenz hinsichtlich aller betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie des Inhalts, des Abschlusses und der Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Zu den von dieser weiten Kompetenz erfassten Regelungsgegenständen gehören insbesondere die Tatbestände, die der Gesetzgeber ausdrücklich der mitbestimmten Regelung durch die Betriebsparteien unterstellt hat. Dazu zählen auch die sozialen Angelegenheiten im Sinne des § 87 BetrVG und damit auch Maßnahmen, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb betreffen.
Das Ordnungsverhalten ist berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Beschäftigten. Es beruht darauf, dass die Beschäftigten ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsorganisation erbringen und deshalb dessen Weisungsrecht unterliegen. Das berechtigt den Arbeitgeber dazu, Regelungen vorzugeben, die das Verhalten der Beschäftigten im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen. Solche Maßnahmen bedürfen der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dies soll gewährleisten, dass die Beschäftigten gleichberechtigt in die Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens einbezogen werden. Dazu schränkt das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die auf die betriebliche Ordnung bezogene Regelungsmacht des Arbeitgebers ein.
Das von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Recht betriebsangehöriger Gewerkschaftsmitglieder, sich durch die Verteilung gewerkschaftlichen Informations- oder Werbematerials im Betrieb aktiv an der koalitionsgemäßen Betätigung ihrer Gewerkschaft zu beteiligen und diese dadurch bei der Verfolgung ihrer koalitionsspezifischen Ziele zu unterstützen, unterliegt nicht der Regelungsmacht des Arbeitgebers. Aus diesem Grund besteht auch kein Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.
Neben der Mitgliederwerbung für eine Gewerkschaft zählt zu den von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tätigkeiten auch die Information von Mitgliedern und Nichtmitgliedern über diejenigen Aktivitäten der Vereinigung, die der Erreichung des Koalitionszwecks zur Wahrung oder Verbesserung der Arbeitsbedingungen dienen sollen.
Zu der von Art. 9 Ab. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit gehört die Entscheidung der Koalition, in welcher Art und Weise sie Werbung betreiben oder Dritte über ihre Aktivitäten informieren will. Die Gewerkschaft kann selbst bestimmen, an welchem Ort, durch welche Personen und in welcher äußeren Form sie um Mitglieder werben oder Arbeitnehmer bzw. sonstige Dritte über ihre Tätigkeiten informieren will. Ihre Entscheidung, Mitgliederwerbung unmittelbar im Betrieb zu betreiben und dort über ihre Tätigkeiten zu informieren, unterfällt damit ebenfalls dem Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG. Hängt die Verfolgung des Koalitionszwecks von dem Einsatz bestimmter Mittel ab, werden auch diese vom grundrechtlichen Schutz umfasst.
Kollidiert die gewählte Art und Weise der Mitgliederwerbung und der Information Dritter mit Rechtspositionen des Arbeitgebers aus Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, ist es – mangels Tätigwerdens des Gesetzgebers – Sache der Gerichte, diese kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und – ggf. im Wege der Rechtsfortbildung – so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.
Betriebsvereinbarung – unmittelbare und zwingende Geltung
BAG, Beschluss vom 28.07.2020 – 1 ABR 4/19
Die Maßgaben einer Betriebsvereinbarung sind gesetzlich nicht definiert. § 77 BetrVG sieht sie als Fall der in Abs. 1 genannten „Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber“ und enthält in Abs. 2 bis Abs. 6 Regelungen zu ihrem Zustandekommen, ihrer Wirkung und ihrer Beendigung. Danach ist sie eine schriftformgebundene Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber mit unmittelbarer und zwingender Geltung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Mit ihr ist objektives betriebliches Recht geschaffen, das automatisch auf jedes im Geltungsbereich der jeweiligen Betriebsvereinbarung bestehende Arbeitsverhältnis einwirkt. Dieser Charakter der Betriebsvereinbarung als privatrechtlich kollektives und objektives Recht setzender Normenvertrag der Betriebsparteien grenzt sie von der Regelungsabrede ab. Letztere wirkt nicht normativ. Sollen mit ihr Rechte und Pflichten für Arbeitnehmer begründet werden, bedarf sie der individuellen Umsetzung. Auch hängt ihre Wirksamkeit nicht von der Einhaltung der Schriftform ab.
Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung ist nicht per se bedingungsfeindlich. So kann ihre Wirksamkeit etwa an die Bedingung des Inkrafttretens eines Firmentarifvertrags geknüpft sein oder – im Bereich der betrieblichen Altersversorgung – von einer im Beschlussverfahren herbeizuführenden gerichtlichen Entscheidung über die Wirksamkeit der Ablösung einer Versorgungsordnung abhängig gemacht werden. Insoweit bestehen gegen den Abschluss einer Betriebsvereinbarung unter einer aufschiebenden Bedingung jedenfalls dann keine rechtlichen Bedenken, wenn der Eintritt der vereinbarten Bedingung für alle Beteiligten, auch für die Arbeitnehmer als Normunterworfene, ohne Weiteres feststellbar ist.
Soweit dem Betriebsrat Mitbestimmungs-, Mitwirkungs-, Beteiligungs- und Unterrichtungsrechte zukommen, ist er bei der Ausübung dieser Rechte in der Wahl seiner Mittel, in den Grenzen der allgemeinen Bestimmungen, frei. Dagegen stehen die Rechtswirkungen der gewählten Mittel nicht zu seiner Disposition. So können die Betriebsparteien nicht den Normwirkungsbefehl des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG außer Kraft setzen. Die unmittelbare Geltung einer Betriebsvereinbarung besagt, dass diese ebenso wie Gesetze von außen und unabhängig von der Kenntnis und dem Willen der Arbeitsvertragsparteien auf das Arbeitsverhältnis einwirken und nicht Inhalt des Arbeitsvertrags werden.
Die zwingende Geltung von Betriebsvereinbarungen liegt darin, dass abweichende arbeitsvertragliche Regelungen über den gleichen Regelungsgegenstand – soweit sie nicht für die Arbeitnehmer günstiger sind – ausgeschlossen sind. Eine Betriebsvereinbarung gestaltet unabhängig vom Willen oder der Kenntnis der Parteien eines Arbeitsvertrags das Arbeitsverhältnis und erfasst auch später eintretende Arbeitnehmer. Das schließt es aus, ihre normative Geltung an das Erreichen eines Zustimmungsquorums, verbunden mit dem Abschluss einer einzelvertraglichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber, zu knüpfen.
Die Betriebsverfassung beteiligt Arbeitnehmer über abgestufte Beteiligungsrechte an der Willensbildung und Entscheidung des Arbeitgebers im Betrieb. Die Beteiligungsrechte werden nicht von der Belegschaft, sondern von den Kollektivvertretungen – insbesondere Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat – wahrgenommen. Diese sind als Organe der Betriebsverfassung im eigenen Namen kraft Amts tätig; das gilt auch für ihre Stellung gegenüber der Belegschaft und einzelnen Betriebsangehörigen. Als Repräsentant der Belegschaft ist der Betriebsrat von Weisungen oder vom Willen der Arbeitnehmer unabhängig. Er hat seine gesetzlichen Pflichten selbst zu erfüllen. Ihm kommt weder ein imperatives Mandat zu noch wäre ein Misstrauensvotum der Belegschaft rechtlich von Bedeutung.
Duldung von Überstunden – Mitbestimmung des Betriebsrats
BAG, Beschluss vom 28.07.2020 – 1 ABR 18/19
Nicht nur die Anordnung, sondern auch die Duldung von Überstunden, die von den Arbeitnehmern geleistet werden, ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig, wenn ein kollektiver Tatbestand vorliegt. Auch schließt die vorübergehende Änderung der betriebsüblichen Arbeitszeit einzelner Arbeitnehmer einen kollektiven Tatbestand nicht grundsätzlich aus, denn sie betrifft die kollektiven Interessen der Belegschaft des Betriebs. Des Weiteren liegt eine vorübergehende Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr.3 BetrVG vor, wenn das für einen bestimmten Wochentag regulär festgelegte Arbeitszeitvolumen überschritten wird. Entsprechend steht dem Betriebsrat bei Nichtbeachtung seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein allgemeiner Unterlassungsanspruch und – wenn darin ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten liegt – ein Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG zu.
Ebenso wie die Anordnung von Überstunden ist deren Duldung ein tatsächliches Verhalten des Arbeitgebers. Es ist durch Unterlassen von gebotenem Gegenhandeln gekennzeichnet. Hiervon kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der Überstundenleistungen durch Arbeitnehmer untätig bleibt und diese über einen längeren Zeitraum hinnimmt. Entsprechend ist der Duldungstatbestand beispielsweise erfüllt, wenn Monat für Monat eine Vielzahl von Arbeitnehmern immer wieder in erheblichem Maße Überarbeit leistet und der Arbeitgeber diese Stunden entgegennimmt und bezahlt oder es die betrieblich-organisatorischen Gründe bedingen, dass Arbeitnehmer häufig über das mitbestimmt festgelegte Schichtende hinaus arbeiten, und diese Mehrarbeit angenommen und vergütet wird.
Auf eine Duldung kann nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände geschlossen werden. In aller Regel ist ihr ein zeitlicher Moment immanent. Einzelnen oder besonderen einmaligen Umständen geschuldete Überschreitungen der betriebsüblichen Arbeitszeit sprechen für sich gesehen nicht dafür, dass der Arbeitgeber diese hinnimmt. Die positive Kenntnis des Arbeitgebers von Überstundenleistungen durch Arbeitnehmer ohne Ergreifen von Gegenmaßnahmen deutet regelmäßig auf deren Duldung hin. Andererseits ist sie – ebenso wie die Vergütung der Überstunden – keine zwingende Voraussetzung für die Annahme einer Duldung von Überstunden im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn. Auch Überschreitungen der betriebsüblichen Arbeitszeit, die nicht vergütet werden oder die der Arbeitgeber nicht billigt oder ignoriert oder – trotz entsprechender Möglichkeit – nicht zur Kenntnis nimmt, unterfallen dem Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Insgesamt lässt sich auf eine Duldung von Überstunden nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls schließen. Es muss hinreichende Anhaltspunkte für das Fehlen gebotener Gegenmaßnahmen durch den Arbeitgeber geben, um dessen Untätigkeit als ein Hinnehmen werten zu können.
Dr. iur. Hans-Otto Blaeser, Köln