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Traumatische Ereignisse, Teil 2 : Ereignisse im Betrieb

Im ersten Teil hatten wir uns mit traumatischen Ereignissen im Allgemeinen und deren Auswirkungen und Gefahren beschäftigt. Jetzt geht es um solche Ereignisse, die im Betrieb, also bei der Arbeit, auftreten können.

Lesezeit 4 Min.
Ein Geschäftsmann im Anzug tritt mit einer Aktentasche in der Hand von einem Felsvorsprung, scheinbar ohne zu wissen, dass er einen Abgrund vor sich hat, und sein Gesichtsausdruck zeigt besorgte Gesten.

Die Erkenntnis, welche Auswirkungen auf die Psyche Betroffener traumatische Erlebnisse haben können, ist noch gar nicht so alt. Noch vor etwa 20 Jahren wurde solchen psychischen Belastungen oft nur wenig Verständnis entgegengebracht. „Stell dich doch nicht so an!“, waren häufige Reaktionen des Umfeldes. Heute dagegen ist die psychologische Betreuung bei solchen Ereignissen Standard. Das gilt sowohl für die betroffenen Hilfskräfte (Polizei, Feuerwehr usw.) als auch für Beteiligte und Zeugen eines belastenden Ereignisses.

Auch im Betrieb und/oder während der Arbeitszeit können traumatische Erlebnisse eintreten. Dann ist in jedem Fall der Arbeitgeber gefordert. Solche Ereignisse können „normale“ Unfälle (zum Beispiel Verkehrsunfall) sein, aber auch ganz spezifische Belastungen, die direkt mit der Arbeit zusammenhängen. Hier sei als Beispiel ein Banküberfall oder der Überfall auf einen Werttransport genannt. Bleiben wir bei dem Banküberfall. Ein traumatisches Erlebnis ist es zweifellos für alle Beteiligten, sowohl für die Kunden als auch für die Mitarbeiter der Bank. Der Unterschied liegt weniger in der Intensität der Betroffenheit als vielmehr in der Stellung der Opfer.

Für die Beschäftigten und die Folgen des Ereignisses für diese ist der Arbeitgeber zuständig. Die eigentliche Aktion wird natürlich von Fachleuten bzw. der zuständigen Berufsgenossenschaft (denn es handelt sich dann um einen Arbeitsunfall) übernommen. Zur Schadensminimierung sollte der Arbeitgeber bzw. der Vorgesetzte des betroffenen Mitarbeiters immer auf der Einschaltung eines psychologischen Betreuers bestehen.

Wie lange und wie intensiv die psychologische Begleitung sein muss, hängt zum einen von dem Erlebten, zum anderen von der psychischen Konstitution des betroffenen Mitarbeiters ab.

Hier spielen zudem sehr individuelle Vorbelastungen eine wichtige Rolle. Auch hierzu ein Beispiel: Ein Bankangestellter, der bereits vor einigen Jahren einen Überfall erlebt hat und dabei vielleicht selbst verletzt wurde, wird auf ein solches Ereignis anders reagieren als jemand, für den dies das erste Erlebnis dieser Art gewesen ist. Deshalb kann es für solche Fälle keine allgemeingültige Lösung geben.

Trotzdem machen konkrete Handlungsanweisungen für den Fall der Fälle durchaus Sinn. Insbesondere sollten Ansprechpartner für den Fall eines traumatischen Ereignisses bekannt sein. Bewährt hat sich ein entsprechend qualifizierter Ansprechpartner im Unternehmen, der bei Bedarf als Mittler zu den psychologischen Fachkräften oder Ärzten dient.

Ein besonderer Punkt ist die vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung. Dazu gehört explizit auch eine psychische Gefährdungsbeurteilung. Leider ein Punkt, der von vielen Unternehmen entweder völlig ignoriert oder nur sehr halbherzig und pro forma erledigt wird. Die psychische Gefährdungsbeurteilung ist sehr umfassend zu betrachten. Neben Belastungen durch eintönige Arbeiten, schlechte Führung usw. gehören ganz besonders Gefährdungen durch mögliche traumatische Erlebnisse dazu. Welche dies sind und wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Eintretens einzuschätzen ist, muss individuell je nach Unternehmen, Branche und Arbeitsplatz beurteilt werden.

Ein Mitarbeiter im Büro einer Rechnungsabteilung ist naturgemäß einem deutlich geringeren Risiko ausgesetzt als ein Mitarbeiter im Wachschutz oder bei einem Geldtransport.

Manche Gefahren werden allerdings häufig unterschätzt. Ein Beispiel ist ein Mitarbeiter einer Autobahnmeisterei. Dass dieser Beruf ein hohes körperliches Gefährdungspotenzial hat, ist auf den ersten Blick klar. Die Anzahl der Arbeitsunfälle in diesem Bereich ist bekanntermaßen sehr hoch. Erst auf den zweiten Blick wird die psychische Belastung bei einem solchen Mitarbeiter deutlich. Denn die Autobahnmeisterei wird häufig neben Polizei und Feuerwehr an Unfallorten mit Verletzten und Toten eingesetzt. Zu den Aufgaben gehören beispielsweise die Reinigung der Unfallstelle und gegebenenfalls die Reparatur von Leitplanken oder Schildern. Häufig werden die Mitarbeiter noch mit den Toten oder Verletzten konfrontiert. Das kann durchaus zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Deshalb ist auch hier das Angebot einer psychologischen Nachbearbeitung eines Einsatzes genauso angezeigt wie bei den eingesetzten Rettungskräften.

Oftmals reicht das Gespräch mit Kollegen oder dem Vorgesetzten, um mit der Situation fertig zu werden. Das hängt aber neben dem Ereignis immer von der persönlichen psychischen Konstitution des Mitarbeiters ab. Deshalb sollte das Angebot einer psychologischen Betreuung durch Fachkräfte immer gemacht werden.

Zu den traumatischen Erlebnissen im Rahmen einer Beschäftigung gehören auch Ereignisse, die auf dem Weg von oder zur Arbeitsstelle eintreten können. Das kann beispielsweise ein schwerer Verkehrsunfall mit Toten oder Verletzten sein, bei dem der Mitarbeiter beteiligt ist. Dann handelt es sich um einen Wegeunfall, für den, ebenso wie für den klassischen Arbeitsunfall, die Berufsgenossenschaft zuständig ist.

Wichtig zu wissen: Die psychischen Folgen eines traumatischen Ereignisses können sich auch noch Wochen oder Monate danach zeigen. Das liegt daran, dass psychische Belastungen oftmals nicht verarbeitet, sondern verdrängt werden. Dieser Verdrängungsmechanismus funktioniert in der Regel aber nur für einen begrenzten Zeitraum. Deshalb ist es wichtig, entsprechende Arbeitsunfälle zu dokumentieren und zu melden. So ist sichergestellt, dass auch bei später eintretenden Folgen ein Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall nachgewiesen werden kann.

Traumatische Ereignisse während der Arbeit (oder außerhalb davon) werden sich niemals ganz vermeiden lassen. Die Unternehmen können aber, insbesondere durch eine psychische Gefährdungsbeurteilung, das Risiko verringern.

Jürgen Heidenreich

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