Karrierekiller Kind? : Höchste Zeit für die Fachkraft Mutter und Baby-Benefits
„Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen …“ Das weiß und sagt man nicht nur in ländlichen Gegenden. Als Frau gut qualifiziert schnell zurück in den Beruf? Von wegen – trotz Fachkräftemangel! Was bringen die Einführung von Girls’ Days im Recruiting und „genderkonform“ gequakte Parolen, dass „Mädels“ alle Türen im Berufsleben offenstehen. Wirklich ALLE – „all inclusive“? Wann kommt denn endlich das – echte – Baby-Benefit? Und wer kräht eigentlich nach den Vätern?
Am Willen von jungen Müttern, wieder schnell arbeiten zu gehen, liegt es wahrscheinlich wirklich weniger. Sie würden nämlich in vielen Fällen gern deutlich mehr arbeiten, als ihnen derzeit ermöglicht wird: Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat ergeben, dass mit 12 Prozent nur noch eine Minderheit der Mütter in Deutschland bewusst keine Erwerbstätigkeit ausübt. Mehr als zwei Drittel mit Kindern unter drei Jahren gehen keiner Erwerbsarbeit nach. Freiwillig tun dies aber wiederum nur 27 Prozent.
Das gehört mal richtig ausgebadet?
Schaut man sich auf Social Media um, da beschweren sich Leute, die Elternschaft anderer „ausbaden zu müssen“. Auf der anderen Seite heißt es: „Da kommt’s mir ja schon hoch. Wenn jemand keine Kinder haben will, ok, wer [es] nicht kann, tut mir leid. Aber es ist eine gesellschaftliche Zentralaufgabe, Nachwuchs in die Welt zu setzen und zum Erfolg […], also in die Selbstständigkeit zu führen. Das ist allemal wichtiger als eine Supermarktkasse, ein Zoom-Meeting, oder was es sonst noch so an ‚unverzichtbaren‘ Arbeitsleistungen gibt. Wer da das Gefühl hat, etwas ausbaden zu müssen, hat doch den Schuss nicht gehört.“ Wo der gesellschaftliche „Mainstream“ liegt, ist nicht schwer zu erraten. Ist es klug und sind wir wirklich bereit, das Baby von morgen weiter in den Brunnen fallen zu lassen?
Einfach eigene Sache?
Seien wir doch mal noch ehrlicher als sonst: Der Fachkräftemangel ist „hausgemacht“ von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Da muss man nicht tun „wie Tulpe“ (wie man so schön im Norddeutschen sagt) und den „Stiefel weiter austreten“. Lernen möchte man trotz anderweitig teuer bezahltem „Lehrgeld“ bisher immer noch herzlich zu wenig daraus. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird weiterhin viel zu sehr als Einbahnstraße mit Hürden und Hindernissen betrieben. Im europäischen Vergleich schneiden wir Deutschen, die wir uns in vielem immer noch gern als „Vorreiter“ sehen, was Kinderbetreuung angeht – trotz der vielen Wahlversprechen seit etlichen Jahren – weiterhin ziemlich schlecht ab.
Alles schon entschieden?
Der „Klassiker“ und das „Totschlagargument“ für jede Diskussion, die auf (ungerechte) Details oder auch nicht vorhersehbare Dinge nicht eingehen möchte, wenn Kinderwunsch und Beruf sich partout nicht vereinbaren lassen können: Man hätte „halt gewählt“, sei quasi „selbst schuld“. Wer so eindimensional denkt und argumentiert, der wäre dann vermutlich am liebsten auch für die Einführung von Sterilisations- oder Unfruchtbarkeitsnachweisen bei Recruiting-Verfahren. Für die viel beschworene „Vereinbarkeit“ kann eben nicht nur eine Seite weitestgehend zuständig sein und dann noch gleichzeitig fast komplett abhängig vom Glück und Wohlwollen anderer. Nicht zu vergessen sind auch Opfer von vollmundigen Lippenbekenntnissen und leeren Jobmarketingversprechen beim Recruiting, die sich später als heiße Luft enttarnen, wenn es dann „so weit ist“.
Ach so, (ab-)qualifiziert?
Oft heißt es dann auch gern: „Dafür hast du doch nicht …?“ Studiert, gelernt, gelitten … Leider traurige Wahrheit: Zunehmende Qualifikation wird bei vielen noch weitestgehend gleichgesetzt mit einer Reduzierung oder gar Streichung des Wunsches auf Mutterglück. So etwas kommt dann nicht unbedingt „nur“ vom Chef – das sagt dann auch so mancher Partner (auch mal unverhofft) bzw. setzt das Umfeld sogar immer noch voraus. Das Anstreben vom Mutterwerden und einem beruflich etablierten Mutter(da)sein ist längst noch viel zu oft eher Kampf statt echte Möglichkeit. Kaum jemand fragt sich im Übrigen, was gesundheitlich mit denen geschieht, die es später bereuen und (lebenslang) leiden. So frei, wie sie (weiterhin) gern dargestellt wird, ist die Wahl nicht, denn der hinderlichen – auch nicht kalkulierbaren – Faktoren sind schnell weiterhin zu viele.
Zeit für ein soziales „New Normal“
Und was ist eigentlich mit der „Caption“: „Mich freut es, dass Kinder anderer Eltern später mal meine Rente zahlen?“ Wo bleiben die „Rentenmacher-von-morgen-Kampagnen“ im Zeitalter der „neuen Nachhaltigkeit“ und wann werden Kinder wieder zum „New Normal“ – nämlich als sozialer Zugewinn? Diese Antwort kann sicherlich nicht in Form von geschlechtsgleichgestellten MINT-Massenkohorten gegeben werden … Wer fragt eigentlich nach den „starken und offenen Partnerschaften“, die auf HR- und Recruiting-Messen gerade wieder so heiß beschworen werden, wenn es um die Wieder- und Weiterbeschäftigung von Müttern geht?
Automatisch aussortiert?
Ihre Fähigkeiten legen (junge) Mütter ebenso wenig mit der Geburt ab wie ihre Qualifikationen mit dem Ausscheiden ihrer Plazenta. Es ist nicht einmal unwahrscheinlich, um nicht zu sagen bereits belegt, dass durch eine Mutterschaft (bisher nicht vorhandene) zusätzliche (Soft-)Skills erworben werden, die für das weitere Arbeitsleben äußerst wertvoll sein können. Je nach Branche steht es jedoch schon von Beginn an fest: Rückkehr ziemlich aussichtslos. Das betrifft Führungspositionen im Einzelhandel genauso wie Jobs im sozialen Bereich. Wer nicht flexibel sein kann, sortiert sich automatisch (selbst) aus … Die sonst fordernden und „gebenden“ Sektoren können in solchen Fällen wenig zurückgeben – leider. Nebst Kind muss dann im Anschluss noch die Um- bzw. Neuorientierung gelingen.
Woran es wirklich „krankt“?
Wer Kind(er) hat, ist (zu oft) krank? Fehltage aufgrund kranker Kinder auf der einen Seite – Animositäten, wer welche Vorteile (als Eltern) in welcher Urlaubssaison hat, andererseits. Wer kennt sie nicht, diese (endlosen) Diskussionen. Wenn es in einer Firma (empfundene) Ungerechtigkeiten gibt, ist letztlich nicht unbedingt die Eltern-Kollegen-Konstellation das Problem, sondern die Führung. Eine nicht gerade einfache Aufgabe, wo mittlerweile quasi jeder darauf konditioniert und bedacht ist, auf sich zu schauen.
Klar kann auch nicht jede Branche (komplett) mitziehen, aber gefragt sind weiterhin flexible Arbeitszeitmodelle. Das wäre in einigen Bereichen sicherlich schon vor dem – zurzeit viel gefeierten – Corona-bedingen Homeoffice-Hype möglich gewesen. Es geht bei diesem Thema auch vorrangig um das Um- und Weiterdenken. Vor allem im Hinblick auf das Recruiting und die Frage, wo man als Unternehmen stehen möchte.
Wie wäre es mit Kampagnen wie: „Wir servieren Mütter nicht ab!“? Das heißt Schaffung von echten Chancen statt gefühlten Notstandsmodellen. Ist doch alles nichts Neues, sagt sich der eine oder andere an dieser Stelle. Ja! Umso bedauerlicher, dass sich immer noch viel zu wenig tut.
Hinter jeder starken Frau steht … ?
60 Prozent der Väter nehmen immer noch keine Elternzeit. Es bleibt weiter unklar, ob der Staat die gesellschaftliche Realität durch neue Anreize beeinflussen kann und will oder ob er sich weiter raushält. Experten im Bundestag haben sich im Sommer mit der Frage beschäftigt: Helfen zehn Extra-Urlaubstage für Väter, um die Jobchancen von Frauen zu verbessern? Hinter der Idee steckt allerdings die Europäische Union mit einer Richtlinie, die dafür sorgen soll, dass den Vätern Zusatzurlaub zusteht. Die deutsche Bundesregierung sieht sich wegen des schon vorhandenen Elterngeld-Modells hier nicht weiter in der Pflicht. Reichen das Streben nach mehr Engagement und Bindung sowie ein Extraurlaub“ aus, der an sich keiner ist, um berufliche Nachteile durch eine Mutterschaft auszugleichen? Die meisten Mütter gehen nach einer längeren Pause zunächst Teilzeit arbeiten – da kann ja von einer echten „Rückkehr“ kaum die Rede sein. Am Ende entscheidet nicht selten letztlich einfach der „Geldbeutel“ – und Männer verdienen eben meist besser. Und die Furcht der Väter, ebenfalls berufliche Nachteile oder gar einen Karriereknick zu erleiden, ist im Laufe der vergangenen Jahre nicht wesentlich geringer geworden. Was es braucht, sind natürlich vorhandene und verlässliche Betreuungs- und Unterstützungsangebote. Hinter jeder starken Arbeitnehmerin sollte – trotz bzw. mit Kind – ein starkes Unternehmen stehen.
Das etwas andere „Start-up“ durch Baby-Benefits
Wenn größere Firmen sich Betriebskindergärten leisten, so könnten das kleinere Firmen mittlerweile auch längst im Verbund anbieten, um sich attraktiver und sozialer zu machen. Gerade der boomende IT- und Digitalisierungssektor hätte durchaus Ressourcen, Baby-Benefits anzubieten und „Family-Start-ups“ auf den Weg bringen. Wie wäre es mit einer Wickeltisch-Zone statt einer Table-Soccer-Area?
Neulich schrieb ein LinkedIn-Kontakt darüber, dass er seit drei Jahren stets als männliche Ausnahme angesprochen und gelobt wird, weil er regelmäßig sein Kind vom Kindergarten abholt. Wenn die Ausübung der „gleichgestellten“ Vaterrolle längst (noch) nicht „normal genug“ erscheint in unserer Gesellschaft, sollten wir schleunigst kreativ und innovativ werden, wenn wir vorgeben, modern und fortschrittlich sein zu wollen. Wenn es um das Thema Kinder geht, befinden wir uns gesellschaftlich und beruflich gesehen doch in der „Gender-Steinzeit“, egal welche Schreibform wir dafür wählen. Das „Baby-Benefit“ sollte unbedingt Einzug ins Recruiting halten. Denn wer irgendwann wieder ausreichend (Nachwuchs-)Fachkräfte will, sollte nicht weiter „herumjammern“, sondern seinen Beitrag dazu leisten, dass dies wieder einfacher möglich wird. Grundvoraussetzung hierfür: Mütter müssen endlich ein selbstverständlicher Teil der Arbeitswelt werden.
Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin und Jobcoach