Krankenversicherungspflicht oder -freiheit? : Prüfung der Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung
Ob sich eine Arbeitnehmerin/ein Arbeitnehmer pflichtig oder freiwillig krankenversichern kann, hängt vor allem davon ab, ob sein regelmäßiges Arbeitsentgelt über oder unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) liegt. Nachfolgend zeigen wir Ihnen, wie Sie dies richtig prüfen.
Die gesetzliche Krankenversicherung dient der Absicherung der als sozial schutzbedürftig angesehenen Versicherten vor den finanziellen Risiken einer Erkrankung. Dabei findet ein umfassender sozialer Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, vor allem aber zwischen Versicherten mit niedrigen Einnahmen und solchen mit höheren Einnahmen sowie zwischen Alleinstehenden und Personen mit unterhaltsberechtigten Familienangehörigen statt.
Abgrenzung
Um das zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber den Kreis der Versicherungspflichtigen in der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits danach abgegrenzt, welcher Personenkreis für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist, und andererseits danach, welche Personen deren Schutz benötigen.
Beschäftigung gegen Entgelt
Gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Arbeitnehmer sind grundsätzlich versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Hiervon ausgenommen sind diejenigen Arbeitnehmer, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die JAEG übersteigt. Die Höhe des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts entscheidet damit über den krankenversicherungsrechtlichen Status von Arbeitnehmern. Im dualen Krankenversicherungssystem stellt die JAEG ein wesentliches Instrument zur Systemabgrenzung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung dar.
Mehr als geringfügig
Die gegen Arbeitsentgelt mehr als geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer unterliegen grundsätzlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung.
Ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer ist
- krankenversicherungsfrei, wenn sein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt
- die JAEG übersteigt.
Überprüfung
Zur Bestimmung des versicherungsrechtlichen Status ist ein Vergleich des regelmäßigen Arbeitsentgelts
- auf der Grundlage eines prognostizierten Jahreswertes
- mit der maßgebenden JAEG anzustellen.
Bei Überschreitung
Überschreitet das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt des Arbeitnehmers
- die JAEG, tritt Versicherungsfreiheit ein.
Bei Unterschreitung
Die Versicherungsfreiheit endet bei Unterschreiten der JAEG.
Feststellung des regelmäßigen Arbeitsentgelts
Als Berechnungsgrundlage zur Feststellung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts ist das regelmäßige Arbeitsentgelt aus der Beschäftigung, deren Versicherungspflicht bzw. Versicherungsfreiheit zu beurteilen ist, heranzuziehen. Dementsprechend fließen alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Beschäftigung gewährt werden, in die Ermittlung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts ein.
Keine Zurechnung
Einnahmen aus einer Beschäftigung, die dem Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen sind, bleiben bei der Feststellung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts unberücksichtigt.
Dazu gehören unter anderem:
- -einmalige Einnahmen, laufende Zahlungen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen und Gehältern gewährt werden, soweit sie lohnsteuerfrei sind; dies gilt nicht für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge, soweit das Entgelt, auf dem sie berechnet werden, mehr als 25 Euro für jede Stunde beträgt,
- Zuschüsse zum Mutterschaftsgeld,
- Zuschüsse des Arbeitgebers zum Kurzarbeitergeld und Saison-Kurzarbeitergeld, soweit sie zusammen mit dem Kurzarbeitergeld 80 Prozent des Unterschiedsbetrages zwischen dem Sollentgelt und dem Ist-Entgelt nicht übersteigen,
- Sachprämien,
- vom Arbeitgeber getragene oder übernommene Studiengebühren für ein Studium des Beschäftigten, soweit sie steuerrechtlich kein Arbeitslohn sind, und
- steuerfreie Aufwandsentschädigungen (§ 3 Nr. 26 und 26a Einkommenssteuergesetz (EStG)).
Regelmäßiges Arbeitsentgelt
Zum regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt gehören alle Einnahmen, die Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung darstellen und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens einmal jährlich gezahlt werden. Neben dem laufenden Arbeitsentgelt sind also auch regelmäßig gewährte Sonderzuwendungen bzw. Einmalzahlungen bei der Ermittlung des Jahresarbeitsentgelts zu berücksichtigen, wenn sie mit hinreichender Sicherheit mindestens einmal jährlich erwartet werden können.
Beispiel
Nach einem Tarifvertrag, der für allgemein verbindlich erklärt wurde, sollen alle Arbeitnehmer in einer Branche ein Weihnachtsgeld von 1.000 Euro brutto im November eines jeden Jahres ausbezahlt bekommen.
Lösung: Aufgrund des allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrags steht jedem Arbeitnehmer dieses Weihnachtsgeld zu. Das Weihnachtsgeld ist bei der Prüfung der Jahresarbeitsentgeltgrenze zu berücksichtigen.
Praxishinweis
Im Übrigen sind Sonderzuwendungen bzw. Einmalzahlungen bei der Ermittlung des Jahresarbeitsentgelts nur insoweit zu berücksichtigen, als sie aus der zu beurteilenden Beschäftigung resultieren; einmalige Einnahmen aus ruhenden Beschäftigungsverhältnissen (z. B. bei Elternzeit) bleiben außer Betracht.
Überstunden
Vergütungen für Überstunden gehören dagegen zu den unregelmäßigen Arbeitsentgeltbestandteilen und sind daher bei der Berechnung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts außer Betracht zu lassen; etwas anderes gilt lediglich für feste Pauschbeträge, die als Abgeltung für Überstunden regelmäßig zum laufenden Arbeitsentgelt gezahlt werden.
Ulrich Frank, Sozialversicherungsfachwirt und Wirtschaftsjournalist