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Nicht rechtskräftige Aufhebung der Zustimmung des Integrationsamts zur außerordentlichen Kündigung

Urteil des BAG vom 22.07.2021 – 2 AZR 193/21

Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Kündigungen seien schon deshalb nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. m. § 168 Sozialgesetzbuch (SGB) IX nichtig, da der „Bescheid vom 07.09.2018“ auf den Widerspruch der Klägerin aufgehoben wurde, auch wenn dieser Abhilfebescheid noch nicht rechtskräftig, sondern mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage von der Beklagten angefochten worden ist, erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Liegt eine Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung vor, haben die Arbeitsgerichte dies ihren Entscheidungen zugrunde zu legen. Das gilt sowohl für ausdrückliche Entscheidungen des Integrationsamts nach § 174 Abs. 3 Satz 1 SGB IX als auch für die Zustimmungsfiktion des § 174 Abs. 3 Satz 2 SGB IX (vgl. auch zum Folgenden BAG vom 11.06.2020 – 2 AZR 442/19 – Rn. 31).

Die Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten hat zur Folge, dass die Gerichte aller Rechtszweige an ihr Bestehen und ihren Inhalt gebunden sind, selbst wenn sie rechtswidrig sind, soweit dem Gericht nicht die Kontrollkompetenz eingeräumt ist (BAG vom 08.05.2018 – 9 AZR 531/17 – Rn. 33; 14.09.2011 – 10 AZR 466/10 – Rn. 19).

Das folgt aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) und § 43 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) bzw. § 39 SGB X. Ein (rechtswirksamer) Verwaltungsakt ist daher grundsätzlich von allen Staatsorganen zu beachten und ihren Entscheidungen als gegeben zugrunde zu legen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG vom 08.05.2018 – 9 AZR 531/17 – a. a. O; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vom 30.01.2003 – 4 CN 14.01 – zu 1 der Gründe, BVerwGE 117, 351). Die Tatbestandswirkung entfällt nur, wenn der Verwaltungsakt nichtig ist (BAG vom 08.05.2018 – 9 AZR 531/17 – a. a. O; 14.09.2011 – 10 AZR 466/21 0 – a. a. O).

Gemäß § 171 Abs. 4 SGB IX haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts keine aufschiebende Wirkung, worauf im Übrigen schon das Schreiben des Integrationsamts vom 07.09.2018 hinweist. Das bedeutet, dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung – vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit – so lange Wirksamkeit entfaltet, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist.

Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst zu erklären, ist es folglich ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist, vgl. BAG vom 23.05.2013 – 2 AZR 991/11 – Rn. 22 f., 25, BAGE 145, 199; …).

Wird die Zustimmungsentscheidung erst nach rechtskräftiger Abweisung der Kündigungsschutzklage bestands- oder rechtskräftig aufgehoben, steht dem Arbeitnehmer ggf. die Restitutionsklage nach § 580 Zivilprozessordnung (ZPO) offen (BAG vom 23.05.2013 – 2 AZR 991/11 – Rn. 24, a. a. O).

Diese Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht nicht beachtet. Es übersieht, dass sich die Beklagte nach § 171 Abs. 4 SGB IX bis zu einer bestands- bzw. rechtskräftigen Aufhebung der durch Fristablauf eingetretenen Zustimmung des Integrationsamts auf diese berufen kann.

Die Zustimmung des Integrationsamts zu den Kündigungen ist (bisher) nicht rechtskräftig aufgehoben. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte gegen den aufhebenden Abhilfebescheid Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch anhängig war.

Rechtsprechung
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Arbeitszeugnis; Leistungs- und Verhaltensbeurteilung in Tabellenform

Urteil des BAG vom 27.04.2021 – 9 AZR 262/20

Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch nach § 109 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) auf ein schriftliches Zeugnis, das nach § 109 Abs. 1 Satz 2 GewO Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten muss.

Der Arbeitnehmer kann gemäß § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken. § 109 Abs. 2 GewO sieht vor, dass das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein muss und keine Merkmale oder Formulierungen enthalten darf, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. Sowohl der gesetzlich geschuldete Inhalt des Zeugnisses als auch dessen äußere Form richten sich nach den mit ihm verfolgten Zwecken (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG vom 15.11.2011 – 9 AZR 386/10 – Rn. 9 m. w. N, BAGE 140, 15; 03.03.1993 – 5 AZR 182/92 – zu 2 der Gründe).

Ein qualifiziertes Zeugnis enthält gemäß § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO Angaben über Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers. Es dient dem Arbeitnehmer regelmäßig als Bewerbungsunterlage und dadurch Dritten, insbesondere möglichen künftigen Arbeitgebern, als Grundlage für die Personalauswahl. Dem Arbeitnehmer gibt es zugleich Aufschluss darüber, wie der Arbeitgeber sein Verhalten und seine Leistung beurteilt. Daraus ergeben sich als inhaltliche Anforderungen das Gebot der Zeugniswahrheit und das in § 109 Abs. 2 GewO auch ausdrücklich normierte Gebot der Zeugnisklarheit (vgl. BAG vom 15.11.2011 – 9 AZR 386/10 – Rn. 9, BAGE 140, 15). Auch seiner äußeren Form nach muss ein Zeugnis den Anforderungen entsprechen, wie sie im Geschäftsleben an ein Arbeitszeugnis gestellt und vom Leser als selbstverständlich erwartet werden (BAG vom 21.09.1999 – 9 AZR 893/98 – zu II 2 a der Gründe). Adressat des Zeugnisses ist ein größerer Personenkreis, der nicht zwangsläufig über ein einheitliches Verständnis verfügt. Dementsprechend ist als maßgeblicher objektiver Empfängerhorizont auf den Eindruck und Erkenntniswert eines durchschnittlich Beteiligten oder Angehörigen des vom Zeugnis angesprochenen Personenkreises abzustellen. Zur Beurteilung von Inhalt und äußerer Form des Zeugnisses ist auf die Sicht eines objektiven und damit unbefangenen Arbeitgebers mit Berufs- und Branchenkenntnissen abzustellen. Entscheidend ist, wie ein solcher Zeugnisleser das Zeugnis auffassen muss (vgl. zum Inhalt des Zeugnisses BAG vom 15.11.2011 – 9 AZR 386/10 – Rn. 24, BAGE 140, 15).

Der Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers nach § 109 GewO durch Erteilung eines Zeugnisses, das nach Form und Inhalt den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Ihm obliegt es grundsätzlich, das Zeugnis im Einzelnen zu verfassen. Formulierungen und Ausdrucksweise stehen in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Maßstab ist dabei ein wohlwollender verständiger Arbeitgeber. Der Arbeitgeber hat insoweit einen Beurteilungsspielraum (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG vom 15.11.2011 – 9 AZR 386/10 – Rn. 11 m. w. N, BAGE 140, 15).

Genügt das Zeugnis diesen Anforderungen nicht, kann der Arbeitnehmer dessen Berichtigung oder Ergänzung beanspruchen. Mit einer Klage auf Berichtigung oder Ergänzung eines erteilten Arbeitszeugnisses macht der Arbeitnehmer weiterhin die Erfüllung seines Zeugnisanspruchs geltend und keinen dem Gesetz fremden Berichtigungs- oder Ergänzungsanspruch (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG vom 12.08.2008 – 9 AZR 632/07 – Rn. 13 m. w. N, BAGE 127, 232).

Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung des Klägers in Form einer tabellarischen Darstellung und Bewertung stichwortartig beschriebener Tätigkeiten nach „Schulnoten“ genüge den Anforderungen eines qualifizierten Zeugnisses nach § 109 GewO, hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

Das qualifizierte Arbeitszeugnis ist ein individuell auf den einzelnen Arbeitnehmer zugeschnittenes Arbeitspapier, das dessen persönliche Leistung und sein Verhalten im Arbeitsverhältnis dokumentieren soll. Es stellt mithin eine individuell an den einzelnen Arbeitnehmer angepasste Beurteilung dar (vgl. Plitt/Brand DB 2018, 1986, 1989). Diesen Anforderungen wird regelmäßig nur ein individuell abgefasster Text gerecht (Mü-KoBGB/Henssler 8. Aufl. § 630 Rn. 37; …).

Rechtsprechung 2
Rechtsprechung 2

Das Arbeitszeugnis als individuelle Beurteilung der beruflichen Verwendbarkeit des Arbeitnehmers muss dem Zeugnisleser Auskunft über Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis geben. Im Rahmen der Leistungsbeurteilung hat der Arbeitgeber die Art und Weise darzustellen, in der der Arbeitnehmer die ihm übertragenen Aufgaben erledigt hat (ErfK/Müller-Glöge 21. Aufl. GewO § 109 Rn. 40).

Dies erfolgt regelmäßig anhand von Bewertungskriterien wie Fähigkeiten, Kenntnissen, Fertigkeiten, Geschicklichkeit und Sorgfalt sowie Einsatzfreude und Einstellung zur Arbeit. Bei den Angaben über das Verhalten von Beschäftigten ist insbesondere ihr Verhältnis gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten sowie ihr Einfügen in den betrieblichen Arbeitsablauf zu beurteilen (vgl. Bundestagsdrucksache (BT-Drs.) 14/8796 S. 25).

Die einzelnen Bewertungskriterien sind in einem einheitlichen Zeugnis vollständig darzustellen und haben die gesamte Vertragsdauer zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund treten einzelne Vorfälle – seien sie positiv oder negativ – in ihrer Bedeutung zurück und dürfen nicht hervorgehoben werden, wenn sie die Gesamtleistung und Gesamtführung nicht beeinflusst haben (NK-GA/Boecken/Pils § 109 GewO Rn. 63; ErfK/Müller-Glöge 21. Aufl. GewO § 109 Rn. 18).

Die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung muss sich auf das Anforderungsprofil der vom Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben beziehen und steht damit in einem inneren Zusammenhang mit der Tätigkeitsbeschreibung (vgl. BAG vom 20.02.2001 – 9 AZR 44/00 – zu B I 2 b bb (1) der Gründe, BAGE 97, 57).

Der Arbeitgeber ist grundsätzlich in seiner Entscheidung frei, welche Leistungen und Eigenschaften seines Arbeitnehmers er mehr hervorheben oder zurücktreten lassen möchte. Das Zeugnis muss wahr sein und darf dort keine Auslassung enthalten, wo der Leser eine positive Hervorhebung erwartet (vgl. BAG vom 12.08.2008 – 9 AZR 632/07 – Rn. 19, 21, BAGE 127, 232).

Der verständige Zeugnisleser erwartet, dass das Zeugnis eine Gewichtung der Leistungen und Eigenschaften enthält. Erst diese verleiht dem Zeugnis die Aussagekraft, die für die Erreichung des Zeugniszwecks notwendig ist.

Ein Zeugnis, in dem – wie vorliegend – eine Vielzahl einzelner Bewertungskriterien gleichrangig nebeneinander aufgeführt und mit „Schulnoten“ bewertet wird, verfügt nicht über den erforderlichen Informationswert. Die prägenden Merkmale verlieren im Kontext der übrigen Bewertungskriterien ihre Bedeutung. Besondere Eigenschaften, Kenntnisse oder Fähigkeiten, die den Arbeitnehmer für neue Arbeitgeber interessant machen könnten, lassen sich daraus nicht ableiten.

Bei der Tätigkeitsbeschreibung in einem Zeugnis steht dem Arbeitgeber nur ein stark eingeschränkter Beurteilungsspielraum zu. Die Tätigkeiten sind vollständig und genau zu beschreiben. Ein Dritter muss sich anhand des Zeugnisses ein klares Bild von der ausgeübten Tätigkeit machen können (BAG vom 10.05.2005 – 9 AZR 261/04 – Rn. 19; BAGE 114, 320; …).

Die Tätigkeitsbeschreibung soll Aufschluss über die während des Arbeitsverhältnisses unter Beweis gestellten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse des Dienstverpflichteten geben. Sie soll zeigen, in welchem Aufgabengebiet der Arbeitnehmer tatsächlich eingesetzt war (vgl. BAG vom 12.08.1976 – 3 AZR 720/75 – zu I 2 b der Gründe; …).

Den Anforderungen kann der Arbeitgeber auch dadurch gerecht werden, dass er die dem Arbeitnehmer übertragenen Aufgaben lediglich in einer stichwortartigen Aufzählung darstellt, wenn sich dadurch die Lesbarkeit des Zeugnisses verbessert (vgl. Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern vom 02.04.2019 – 2 Sa 187/18 zu I 3 a der Gründe; ErfK/Müller-Glöge a. a. O Rn. 14a).

Das angefochtene Urteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Bei seiner Entscheidung ist das Landesarbeitsgericht weder an die Formulierung des erteilten Zeugnisses noch an die des Klageantrags gebunden. Ein Zeugnis und dessen Formulierungen müssen regelmäßig im Zusammenhang des gesamten Inhalts betrachtet werden. Es handelt sich um ein einheitliches Ganzes, dessen Teile nicht ohne Gefahr der Sinnentstellung auseinandergerissen werden können (vgl. BAG vom 15.11.2011 – 9 AZR 386/10 – Rn. 26, BAGE 140, 15). Die Gerichte sind deshalb gehalten, das gesamte Zeugnis zu überprüfen, und berechtigt, es ohne Verstoß gegen § 308 ZPO unter Umständen selbst neu zu formulieren (vgl. BAG vom 24.03.1977 – 3 AZR 232/76 – zu I der Gründe; ErfK/Müller-Glöge 21. Aufl. GewO § 109 Rn. 75; …).

Unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Darlegungs- und Beweislast ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer, der eine überdurchschnittliche Beurteilung im Zeugnis erstrebt, entsprechende Leistungen vortragen und gegebenenfalls beweisen muss. Die Vorschrift des § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO begründet keinen Anspruch auf ein „gutes“ oder „sehr gutes“ Zeugnis, sondern „nur“ auf ein leistungsgerechtes Zeugnis. Erst wenn der Arbeitnehmer dargelegt hat, leistungsgerecht sei ausschließlich eine überdurchschnittliche Beurteilung, hat der Arbeitgeber die Tatsachen vorzutragen, die dem entgegenstehen sollen (BAG vom 18.11.2014 – 9 AZR 584/13 – Rn. 9 ff. mit ausführlicher Begründung, BAGE 150, 66).

Claudia Czingon

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