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Interview : Smarter Billing? Wohin geht in Zukunft die Reise in Sachen Abrechnung?

Alle Jahre wieder: Gehaltsabrechnungen, Lohnsteuer, Reisekosten ... Quittungen und Formulare, von der „Wiege …“ bis hin zum Baren? Ob selbstständig oder verantwortlich im Unternehmen – geht es auf den Jahreswechsel zu, so steigt bei einigen Berufsgruppen, Fachabteilungen und Verantwortlichen die Nervosität mehr als die Vorfreude auf die Feiertage.

Lesezeit 6 Min.
Nahaufnahme eines Dokuments zum Thema Personalmanagement und Finanzen auf Deutsch, das Wörter wie „Gehalt“ und „Gesamt“ enthält.

Diese Form der buchhalterischen „Endzeitstimmung“ geht nicht selten einher mit dem mulmigen Gefühl der Furcht vor negativen rechtlichen und finanziellen Konsequenzen. Tools und Technik kann man natürlich nutzen – aber ob sie tatsächlich auf dem Stand aller Neuerungen sind, da kann man nicht wirklich immer „reinschauen“. Ein Abrechnungsspezialist erläutert hier, wo es den Profi braucht, wo die Tücken und Lücken sind und in welche Richtung sich das Abrechnungswesen der Zukunft – auch für seinen Berufsstand – entwickeln wird.

In welchen Bereichen des Abrechnungswesens braucht es trotz (sogar) teurer, ausgeklügelter und wirklich auch nützlicher Software immer noch am meisten den Profi in „menschlicher Ausführung“ und warum?

Ein geschätzter Kollege würde sagen, „in der Sozialversicherung“. Dem kann ich unwidersprochen zustimmen. Insbesondere dort gibt es Fallkonstellationen, weg von der Norm, welche auch nicht ohne weiteres über Logarithmen abzubilden sind. Als Beispiel sei die Entgeltabrechnung besonderer Personengruppen genannt. Bei den Praktikanten ist u. a. entscheidend, ob es sich um ein vorgeschriebenes oder freiwilliges Praktikum handelt. Hört sich einfach an, doch es gibt eine Vielzahl von Praxisgestaltungen, bei denen die Antwort auf diese Frage sehr aufwendig zu klären ist. Oder die Frage nach der Berufsmäßigkeit (Anm. die Beschäftigung ist nicht von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung) bei kurzfristig Beschäftigten. Hier spielen Erwerbsverhalten und Personenstatus eine Rolle.

Aber auch andere Bereiche bedürfen eines Profis in „menschlicher Ausführung“. Der Bereich der Lohn- und Gehaltspfändung ist nur ein weiteres Beispiel. Wie gehen wir etwa mit einem vorliegenden Zusammenrechnungsbeschluss um? Sind bei uns als Arbeitgeber der unpfändbare Grundbetrag oder die unpfändbaren Mehrbeträge zu berücksichtigen? Die Beurteilung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses obliegt – ebenso wie die Übersetzung – dem Menschen. Wird alles korrekt im System hinterlegt, ist die fachliche Prüfung immer noch sinnvoll, um Fehler zu vermeiden.

Wo stoßen bis heute Technik und Tools (weiterhin) genau an ihre Grenzen und wie hoch schätzen Sie den Anteil, der dann nach wie vor „manuell und vom Menschen“ ausgeglichen werden muss? Was leistet der Mensch an vernetztem Denken, was die Maschine nicht „hinkriegt“?

Technik und Tools stoßen immer dann an ihre Grenzen, wenn eine maschinelle Änderung unterschiedliche Folgeauswirkungen verursachen kann.

Smarter Billing 2
Smarter Billing 2

Bildlich gesprochen drehe ich das Zahnrad nach rechts und weitere Zahnräder können sich – je nach Fallkonstellation – nach links und/oder rechts drehen. Ich möchte das kurz an einem Beispiel erläutern. Der Beschäftigte wandelt Teile seines Arbeitsentgelts zugunsten einer betrieblichen Altersversorgung um.

Der Mensch muss anhand des Versicherungsvertrages manuell prüfen, wie diese konkrete Entgeltumwandlung steuer- und sozialversicherungsrechtlich zu würdigen ist. Kommt der Mensch nun zum Ergebnis, dass die Umwandlung z. B. steuer- und sozialversicherungsfrei ist, muss dies korrekt hinterlegt werden.

Jetzt kommt die Folgewirkung:

Fällt der bisher freiwillig oder privat Krankenversicherte durch die Entgeltumwandlung unter die Jahresarbeitsentgeltgrenze, ändert sich der Krankenversicherungsstatus. Der Beitrags- und der Personengruppenschlüssel sind zu ändern. Ein maschineller Automatismus ist nicht ohne weiteres möglich, da für die Prüfung auch Zahlungen einzurechnen sind, die im System noch nicht vorliegen, wie beispielsweise das zu zahlende Weihnachtsgeld im November.

Manuelle Eingriffe sind in der Regel auch erforderlich, wenn es Rücküberweisungen von Gläubigern im Rahmen der Lohn- und Gehaltspfändung gibt oder weil der Beschäftigte die Änderung seines Kontos nicht mitgeteilt hat. Das überwiesene Geld muss „per Hand“ neu angewiesen werden.

Den Anteil prozentual zu beziffern, ist nicht einfach. Je nach Anzahl der Beschäftigten, Lohnsumme, Fallkonstellationen und weiteren Faktoren handelt es sich aber um einen nicht zu unterschätzenden Anteil, der nicht „per Knopfdruck“ ausgeglichen werden kann.

So fordern Krankenkassen häufig – tatsächlich oder angeblich – fehlende Jahresmeldungen ein. Diese Anforderung erfolgt zwar elektronisch, dennoch muss man hier nochmals tätig werden, sei es, um die zu Recht angeforderte Meldung überhaupt zu generieren oder die bereits übermittelte Meldung nochmals abzusenden.

Der Traum eines einfachen Knopfdrucks mag in den Köpfen vieler „Sparfüchse“ im Unternehmen vorhanden sein, entspricht jedoch keinesfalls der Lebenswirklichkeit. Zum vernetzten Denken ist die Schnittstelle zwischen Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht zu nennen. So gibt es Sachverhalte, die steuerlich rückwirkend korrigiert werden müssen, bei denen die Sozialversicherung diese Korrektur aber ablehnt, da in bereits abgewickelte Versicherungsverhältnisse nicht mehr eingegriffen werden darf. Sollte doch technisch kein Problem sein, eigentlich. Die Praxis sieht hier jedoch nachweislich anders aus.

Anderes Beispiel:

Eine elterngeldunschädliche Teilzeit, die im Durchschnitt bis zu 32 Wochenstunden im Lebensmonat ausgeübt werden kann. Das Kind wurde am 10. des Monats geboren. Für die Prüfung der Einhaltung dieser 32 Stunden sind die Arbeitsstunden für die Zeit vom 10. bis zum 9. des Folgemonats zu ermitteln. Da scheitern viele Systeme, da die Stunden erfahrungsgemäß je Lohnzahlungszeitraum, also je Kalendermonat ausgewertet werden. Die so ermittelten Stunden sind dann wegen der Formulierung „durchschnittlich“ im Gesetz mit drei zu multiplizieren und durch 13 zu dividieren. Ist das Ergebnis größer als 32 Stunden, besteht für diesen Lebensmonat kein Anspruch auf Elterngeld. Und der Beschäftigte steht – auch wenn der Arbeitgeber mit dem Elterngeld grundsätzlich nichts zu tun hat – bei der Personalabteilung auf der Matte.

Smarter Billing 3
Smarter Billing 3

Welche (sich stets wiederholenden) Ratschläge geben Sie Firmen, damit das Jahresende in Sachen Abrechnungswesen sich in Zukunft entspannter gestalten kann, und wo sehen Sie die Ursache für die wiederkehrenden Probleme?

Kurz zur Ursache:

Anderen die Schuld zu geben, wäre zu einfach, doch eine gewisse Mitverantwortung trägt sicherlich auch der Gesetzgeber. Würde man diesem für die Formulierung von Gesetzen ein Zeugnis ausstellen, würde sich das so lesen: „Er hat sich stets bemüht.“ Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Aufgrund der aktuellen Situation ist natürlich auch immer Schnelligkeit gefragt, so dass es nicht ausbleibt, an der einen oder anderen Stelle aufgrund der Praxiserfahrung zu korrigieren. Deshalb der Ratschlag an die Verantwortlichen, sich regelmäßig über aktuelle Rechtsänderungen im Bereich des Arbeits-, Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrechts – auch unterjährig – zu informieren. So wurde im „Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen“ (EpiLage-Fortgeltungsgesetz) vom 04.03.2021 unter anderem die Bestimmung zum Verdienstausfall in § 56 Abs. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) neu formuliert. Das ging bei vielen Arbeitgebern einfach unter, und sie wunderten sich – sofern der Softwareanbieter, die die Neuregelung zeitnah umgesetzt haben, informierten über die nunmehr geänderten Berechnungen. Wichtig – trotz knapper Zeit – ist es, bei Standardprozessen Stichproben durchzuführen, um aufwendigere Folgearbeiten zu vermeiden. So ist es bei einer Software für das Kalenderjahr 2020 je nach Einspielkonstellation und durchgeführten Rückrechnungen zu Fehlern auf der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung bezüglich des Ausweises der Sozialversicherung gekommen.

Welche Rolle spielen Kundenbindung und Vertrauen – immer noch –, wenn es um das Abrechnungswesen geht? Wo kann der Mensch weiterhin am wenigsten „ersetzt“ werden?

Ein Mann in dunkler Jacke über blauem Hemd und Brille steht lächelnd vor einem Hintergrund mit teilweise sichtbarem Text, darunter das Wort „Fachmagazin für Personalmanagement“.
Frank Müller, freiberuflicher Abrechnungsspezialist Inhaber von frag-den-mueller.de

Es geht in unserem Bereich um sehr sensible Daten. Ein persönliches Vertrauensverhältnis ist die Basis für eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit. Auch bei der Klärung von Mitarbeiterfragen ist der Mensch – und nicht die Maschine – der richtige Ansprechpartner. Ich denke da an die Berechnung des steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Hinzurechnungsbetrages im öffentlichen Dienst. Hier findet man auch im Internet wenig Informationen oder gar Beispiele mit der Erläuterung dieser komplexen Rechenschritte. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Entgelt-/Bezügeabrechner stets auf dem Laufenden halten.

Die Zukunft wartet (trotzdem) nicht! Welche neuen Wege werden die Abrechner künftig technisch – abseits von eigenen Websites – gehen, um ihre Kunden noch besser zu erreichen und zu informieren? Welche Rolle spielen dabei die Online-Kanäle und die Darstellungs- und Informationsmöglichkeiten im Netz? Und was könnten hierbei generell die „neuen“ Inhalte von morgen sein?

Eigentlich sind ja die Abrechner unsere Kunden. Und da geht es nicht ganz ohne Technik. Corona hat gezeigt, dass es auch viele Vorteile gibt, die es auf Dauer zu nutzen gilt. Die „neuen Inhalte“ kennzeichnen sich durch die Kombination von selbstständigem Lernen und dem Profitieren von Fragen bzw. Antworten von Kolleginnen und Kollegen. Neben Online-Seminaren können weitere Trends genutzt werden, die viele Vorteile ermöglichen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin + Jobcoach

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