Paket mit Entlastungen : Inflationsprämie – gut gemeint und schlecht gemacht?
Europa steckt in der Krise. Schon wieder. Oder besser gesagt: immer noch. Erst die Corona-Pandemie, jetzt der Krieg in der Ukraine. Gestiegene Preise, eine Inflationsrate im zweistelligen Bereich und Lieferengpässe in einigen Branchen treiben den Menschen hierzulande die Sorgenfalten auf die Stirn. Die Politik reagiert. Die Bundesregierung beschloss vor kurzem ein umfassendes Paket mit Entlastungen. Eine davon ist die Inflationsprämie, mit der Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer angesichts der stark gestiegenen Verbraucherpreise entlasten können. Doch ist das, was gut gemeint klingt, auch wirklich gut gemacht?
3.000 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei: Ähnlich wie bei der Corona-Prämie können Arbeitgeber ihren Beschäftigten diese Zuzahlung zum ohnehin geschuldeten Lohn bis Ende 2024 gewähren. Wenn sie möchten, denn die Prämie ist auch während der Energiekrise freiwillig. Bundeskanzler Olaf Scholz hegt mit dem Entlastungspaket die Hoffnung, dass die Auszahlung „flächendeckend millionenfach überall in Deutschland geschieht“.
Fakt ist jedoch: Die beschlossene Inflationsprämie hat lediglich einen Appell-Charakter. Wie viel Arbeitgeber davon an ihre Beschäftigten weitergeben, bleibt abzuwarten. Zahlreiche Unternehmen leiden aktuell unter den Preisexplosionen bei Energie und Material. Ob sie sich überhaupt eine solche Prämie leisten können, daran zweifeln viele.
Gleichbehandlungsgrundsatz – besser ganz oder gar nicht
Entscheidet sich ein Unternehmen, seinen Mitarbeitenden den steuerfreien Betrag auszuzahlen, darf es nicht selektieren. High Performer ja, Low Performer nein: Das geht nicht. Im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes gilt: Gleiches muss gleichbehandelt werden, sofern es keinen Grund gibt, der eine Abweichung rechtfertigt. Schließlich ist die Inflationsprämie als finanzielle Entlastung aufgrund gestiegener Lebenshaltungskosten gedacht – nicht als Leistungsprämie.
Inflationsprämie statt Weihnachtsgeld – keine gute Idee
Auch sollten Unternehmen vorsichtig sein, wenn sie die Inflationsprämie als Sonderzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld nutzen wollen. Steht dem Arbeitnehmer eine solche Auszahlung vertraglich oder durch betriebliche Übung zu, können Unternehmen nicht stattdessen die Prämie ausschütten. Mag die Versuchung auch noch so groß sein: Sozialabgaben oder Steuern auf diesem Weg zu sparen, das lässt der Staat nicht zu.
BVMW übt Kritik an der Inflationsprämie: „Es gäbe bessere Lösungen.“
Der Mittelstandsverband BVMW sieht die Inflationsprämie kritisch. Der Verband geht davon aus, dass die Prämie „wohl eher ausschließlich Angestellten zugutekommen wird, die unter Tarifverträgen in großen Unternehmen beschäftigt sind“. Das sagte der Vorsitzende Markus Jerger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Viele kleine und mittlere Unternehmen werden es sich angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation kaum leisten können, eine Prämie in dieser Höhe an ihre Belegschaft zu zahlen“, so Jerger.
Gerade kleine Unternehmen versuchen derzeit, keine roten Zahlen zu schreiben. „Sie können kaum die Energiepreise bezahlen, geschweige denn einen spontanen Mittelabfluss von einigen 10.000 Euro verkraften.“ Jergers Kritik: Der Staat verlagere die Abfederung der aktuellen Belastungen auf Unternehmen, deren Liquidität ohnehin belastet sei. „Dabei gäbe es deutliche bessere Lösungen.“ Jerger spricht dabei gegenüber dem Redaktionsnetzwerk von dem zeitlich befristeten Verzicht auf Steuervorauszahlungen, der Ausweitung des steuerlichen Verlustrücktrags von zwei auf fünf Jahre oder von der Senkung von Steuern und Sozialabgaben. „Davon würden die Beschäftigten deutlich schneller und dauerhafter profitieren als von einer schlichten Einmalzahlung“, davon ist der Verbandschef überzeugt.
Inflationsprämie – nur eine Momentaufnahme
Und ja: Die Inflationsprämie ist eine Einmalzahlung und damit lediglich eine Momentaufnahme. Sicher dürften sich viele Familien über die Prämie freuen. Gerade, wenn sie derzeit jeden Cent zweimal umdrehen müssen. Aber: Regierung und Arbeitgeber sollten angesichts der Prämie nicht das eigentliche Problem aus dem Blick verlieren. Nämlich, dass die Löhne gerade im Sozialbereich zu niedrig sind. Und das unabhängig von der aktuellen Krise. Die Prämie wird kaum dazu beitragen, gerade in diesem Sektor dem Personalmangel und der Überforderung der Belegschaft entgegenzuwirken.
Auch die Idee, Arbeitnehmer einmalig zu entlasten, statt dauerhaft ihre Löhne anzuheben, dürfte manch einen Mitarbeiter bei seiner kommenden Gehaltsverhandlung verärgern. Schließlich sorgt ein dauerhafter Anstieg des Gehalts für eine höhere Rente. Der Effekt der Inflationsprämie verpufft dagegen wie Schall und Rauch in einer Momentaufnahme der Gegenwart. Vorsorgen für die Zukunft sieht anders aus.
Sixt zahlt seinen Angestellten 1.700 Euro
Einige Unternehmen haben sich bereits dazu entschieden, ihren Mitarbeitern die Prämie auszuzahlen. Unter anderem Sixt, wie das Handelsblatt berichtet. 1.700 Euro sollen als Einmalzahlung auf den Konten der Beschäftigten eingehen. Laut einer Umfrage des Blatts prüfen derzeit über die Hälfte der 40 Dax-Konzerne sowie viele große Familienunternehmen wie der Medienkonzern Bertelsmann, ob sie eine solche Sonderzahlung tätigen werden.
Auf Sicht fahren geht besser
Fazit: Die Prämie ist gut gemeint, aber nicht unbedingt gut gemacht. Viele Arbeitnehmer werden sich für die Einmalzahlung als Entlastung für die gestiegenen Preise bedanken. Andere werden aber – ähnlich wie bei der Corona-Prämie – leer ausgehen. Zu sehr trifft die Krise derzeit vor allem verbrauchsintensive Unternehmen, gerade im Mittelstand. Statt über eine Prämie nachzudenken, wäre es – so wie es Markus Jerger gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland formulierte – sinnvoller gewesen, Wege zu finden, wie der Staat Betriebe entlasten könnte. Denn von einem gesunden Arbeitgeber profitieren auch die Arbeitnehmer – und das langfristig im Gegensatz zu einer freiwilligen Einmalzahlung.
Philipp R. Kinzel