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Im Blick: Arbeitsrecht

Im Seminar-Bereich sind Online-Formate inzwischen nicht mehr wegzudenken. Gleiches gilt im Schulungsangebot für Betriebsräte. Dennoch hat das BAG klargestellt, dass der Betriebsrat das Recht hat, auf Kosten des Arbeitgebers an Präsenzschulungen teilzunehmen, selbst wenn gleichzeitig eine Online-Schulung zum gleichen Thema angeboten wird.

Lesezeit 13 Min.

Kosten einer Betriebsratsschulung: kein Verweis auf Online-Schulung

Bundesarbeitsgericht (BAG),Urteil vom 07.02.2024 – 7 ABR 8/23

Im Seminar-Bereich sind Online-Formate inzwischen nicht mehr wegzudenken. Gleiches gilt im Schulungsangebot für Betriebsräte. Dennoch hat das BAG klargestellt, dass der Betriebsrat das Recht hat, auf Kosten des Arbeitgebers an Präsenzschulungen teilzunehmen, selbst wenn gleichzeitig eine Online-Schulung zum gleichen Thema angeboten wird. Die Entscheidung stärkt die Wahlfreiheit des Betriebsrats: Er kann selbst entscheiden, welche Lernform für ihn zweckmäßiger ist. Dabei müssen die Online- und Präsenzveranstaltungen qualitativ gleichwertig sein. In dem entschiedenen Fall sprachen gute Gründe für das Präsenzseminar: Vor Ort sind Nachfragen, Austausch und Diskussionen besser möglich. Die Hemmschwelle, sich online zu beteiligen, war höher als bei einem Präsenzseminar. Der Arbeitgeber wurde daher verpflichtet, die Kosten für das Präsenzseminar zu übernehmen. Eine Entscheidung, die Arbeitgeber kennen müssen.

Verortung des Urteils

Im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist in § 37 Abs. 6 der Schulungsanspruch des Betriebsrats normiert. Bei der Auswahl der von Betriebsratsmitgliedern zu besuchenden Schulungen – soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind – hat der Betriebsrat einen weiten Spielraum. Das BAG macht nun wieder einmal deutlich, dass der Arbeitgeber diesen auch aus rein monetären Gründen nicht zwingend eingrenzen kann. Dieser Spielraum besteht sowohl bei der Wahl des Schulungsformats, des Schulungsinhalts (jedenfalls im Bereich des Betriebsverfassungsrechts und des allgemeinen Arbeitsrechts) als auch bei der Wahl des Schulungsortes.

Die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers ergibt sich aus § 40 Abs. 1 BetrVG. Diese wird begrenzt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Grundsatz der Kostenschonung und das in § 2 Abs. 1 BetrVG normierte Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Es hat in jedem konkreten Einzelfall eine Abwägung der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Betriebsrat stattzufinden. Die entstandenen Kosten dürfen insbesondere nicht „unnötig“, sondern müssen erforderlich und angemessen sein. Der Betriebsrat hat bei der Prüfung der Erforderlichkeit darauf zu achten, dass der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür vom Arbeitgeber aufzuwendenden Mitteln steht. Nicht erforderlich ist die Teilnahme an einer konkreten Schulung, wenn vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger im Rahmen einer anderen Schulung erworben werden können. Der Betriebsrat muss jedoch nicht das kostengünstigste Schulungsformat wählen, wenn er eine andere Schulung für inhaltlich passender oder qualitativ besser hält. Hieran knüpft auch die Begründung des BAG.

Sachverhalt

Die Beteiligten (Arbeitgeberin und die Personalvertretung) stritten über die Freistellung von Übernachtungs- und Verpflegungskosten, die anlässlich der Teilnahme zweier Personalvertretungsmitglieder an einer viertägigen Präsenzschulung entstanden sind. Der Freistellungsanspruch richtete sich dabei aufgrund tariflicher Bestimmung nach § 40 Abs. 1, § 37 Abs. 6 BetrVG.

Die Arbeitgeberin stellte die Erforderlichkeit der Schulung an sich nicht in Abrede, war aber der Ansicht, die Personalvertretung hätte eine vom selben Schulungsträger angebotene und inhaltsgleiche Onlineschulung wählen müssen, in deren Rahmen keine Übernachtungs- und Verpflegungskosten angefallen wären. Daher verweigerte sie die Übernahme dieser Kosten.

Die Personalvertretung vertrat hingegen die Ansicht, dass Präsenz- und Onlineschulung qualitativ nicht gleichwertig seien. Zum einen sei die sogenannte Nettoschulungszeit beim Onlineseminar kürzer als beim Präsenzseminar. Zum anderen würden die bei Onlineschulungen virtuell vermittelten Inhalte erfahrungsgemäß nicht so intensiv behandelt werden, was sich im Verhältnis zu Präsenzseminaren in einem geringeren Lernerfolg niederschlage. Auch sei der Austausch zwischen den Teilnehmern und den Referenten bei Onlineseminaren deutlich erschwert.

Die Entscheidung

Das BAG entschied in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen zugunsten der Personalvertretung und verpflichtete die Arbeitgeberin, die schulungsbedingten Übernachtungs- und Verpflegungskosten zu tragen.

Das Gericht argumentierte, dass dem Betriebsrat bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Schulungsmaßnahme ein Beurteilungsspielraum zustehe. Zwar dürfe der Betriebsrat seine Entscheidung nach dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht allein an seinen subjektiven Bedürfnissen ausrichten, sondern müsse auch die betrieblichen Verhältnisse berücksichtigen. Gleichwohl sei er aber nicht verpflichtet, sich für eine günstigere Schulung zu entscheiden, wenn er eine andere für qualitativ besser halte.

Vielmehr beziehe sich der Beurteilungsspielraum des Betriebsrats neben dem Inhalt der Schulung auch „auf Format und Methoden sowie Art und Weise der Wissens- und Kenntnisvermittlung“. Nur dann, wenn mehrere gleichzeitig angebotene Schulungen auch nach Ansicht des Betriebsrats qualitativ gleichwertig seien, kommt eine Beschränkung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auf die Kosten der preiswerteren Veranstaltung in Betracht. Nach diesen Grundsätzen durfte die Personalvertretung im streitgegenständlichen Fall die Präsenzschulung der Onlineschulung vorziehen.

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung überrascht nicht, sondern reiht sich konsequent in die bisherige Rechtsprechungslinie zugunsten eines weitreichenden Beurteilungsspielraums des Betriebsrats bei den Kosten seiner Tätigkeit ein. So wird dem Betriebsrat etwa auch bei der Frage der Erforderlichkeit von Raumbedarf, Büropersonal und Sachausstattung ein weiter Beurteilungsspielraum zugestanden.

Praxistipps

Praxistipps

Der Beurteilungsspielraum des Betriebsrats bei Schulungsmaßnahmen greift nicht nur im Verhältnis von Präsenz- zu Onlineschulungen, sondern auch bei der Wahl zwischen mehreren Präsenzschulungen. Insoweit können Arbeitgeber ihre Betriebsräte nicht pauschal auf die jeweils günstigere Schulung verweisen. Gleichwohl ist weiterhin eine Einzelfallbetrachtung angezeigt. Besonders bei unverhältnismäßigen Mehrkosten der gewählten Schulungsveranstaltung ist genau zu prüfen, ob der Betriebsrat seinen Beurteilungsspielraum nicht doch überschritten hat.

Foto: Montri/stock.adobe.com

Dauerbrenner Scheinselbstständigkeit

Landessozialgericht (LSG) Bayern, Urteil vom 18.08:2023 – L 7 BA 72/23 B ER

Bei dem Einsatz von freien Mitarbeitern stellt sich in der Praxis häufig die Frage, ob nicht tatsächlich eine abhängige Beschäftigung vorliegt. Arbeitgeber müssen deshalb stets sorgfältig prüfen, ob und inwieweit ein freier Mitarbeiter in die betrieblichen Abläufe eingebunden ist, wodurch das Risiko einer Scheinselbstständigkeit begründet wird.

In Fitnessstudios tätige Fitnesstrainer stehen in der Regel in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Die vom LSG Bayern angewandten Kriterien für die Prüfung einer abhängigen Beschäftigung sind für jeden interessant, der freie Mitarbeiter beschäftigen will.

Verortung des Urteils

Unternehmen engagieren Freelancer aus den unterschiedlichsten Gründen, wobei die Bandbreite der Freelancer ebenso vielfältig ist. Sie reicht vom gefragten IT-Experten in Indien über die erfahrene Marketing-Beraterin aus den USA bis hin zur deutschen Webdesignerin und dem hochgeschätzten ehemaligen Mitarbeiter, der auch nach seinem Renteneintritt beruflich aktiv bleiben möchte. Mitunter wird ein Freelancer-Vertrag auch genutzt, um die Wartezeit auf die notwendige Arbeitserlaubnis für eine abhängige Beschäftigung zu überbrücken, was jedoch nicht empfehlenswert ist.

So verlockend die freie Mitarbeit oft erscheinen mag, birgt sie dennoch erhebliche Risiken – insbesondere in Bezug auf die Nachzahlung von immensen Summen an Sozialversicherungsbeiträgen. Nach der jüngsten Rechtsprechung kann das selbstständige Ärzte, Architekten und Steuerberater treffen – aber auch Fitnesstrainer.

Der Sachverhalt

Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes wehrte sich die Betreiberin eines Fitnessstudios gegen die Einstufung von einer bei ihr als freie Mitarbeiterin tätigen Kursleiterin und Trainerin durch die Deutsche Rentenversicherung – Bund (DRV). Die behördliche Prüfung im Rahmen einer Betriebsprüfung hatte zu einem Beitragsbescheid über knapp 60.000 Euro als Folge der Feststellung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen geführt.

Die Betreiberin des Fitnessstudios setzte unterschiedliche Trainer ein. Hierbei handelte es sich um sogenannte „freie Mitarbeiter“, die entsprechende Kurse in den Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin durchführten. Sämtliche freien Mitarbeiter stellten der Beschwerdeführerin Rechnungen nach vereinbarten Stunden- bzw. Minutensätzen.

Bei der Beschwerdeführerin fand im Jahr 2018 eine Betriebsprüfung nach § 28p Sozialgesetzbuch (SGB) IV für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2017 statt. Im Rahmen dieser Betriebsprüfung stellt sich heraus, dass insgesamt 17 Personen als sogenannte freie Mitarbeiter tätig wurden. Dabei wurde festgestellt, dass es sich bei den freien Mitarbeitern um abhängig Beschäftigte handelt, sodass eine entsprechende Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung besteht. Es wurden deshalb Sozialversicherungsbeiträge inklusive Säumniszuschläge festgesetzt. Gegen diesen Beitragsbescheid legte die Beschwerdeführerin erfolglos Widerspruch ein.

Die Beschwerdeführerin erhob deshalb eine entsprechende Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid. Ferner beantragte die Beschwerdeführerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage, weil durch eine Vollstreckung des Beitragsbescheids eine Zahlungsunfähigkeit bei der Beschwerdeführerin drohte.

Das Sozialgericht München lehnte den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Der Beitragsbescheid sei nach summarischer Prüfung weder offensichtlich rechtswidrig noch sei eine unbillige Härte glaubhaft gemacht worden. Gegen diesen Beschluss legte die Beschwerdeführerin beim LSG Bayern Beschwerde ein.

Die Entscheidung

Das LSG Bayern wies die Beschwerde zurück. Der streitige Bescheid sei nicht offensichtlich rechtswidrig, weil eine abhängige Beschäftigung bei den Trainern vorliege. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sei § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach stelle eine abhängige Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit dar, die insbesondere in einem Arbeitsverhältnis angenommen werden könne. Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung seien eine Weisungsgebundenheit und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setze eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dies bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, zu denen die rechtlich relevanten Umstände gehören, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben.

Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BSG urteilte das LSG Bayern, dass eine betriebliche Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers und eine Weisungsgebundenheit nicht kumulativ vorliegen müssen und das Vorenthalten von Arbeitnehmerschutzrechten keine Selbstständigkeit impliziert. Auch soll bei einem Tätigwerden für andere Auftraggeber, der Möglichkeit, Aufträge abzulehnen, und der bloß abstrakten Möglichkeit einer Delegationsbefugnis bei der Gesamtabwägung kein entscheidendes Gewicht beizumessen sein.

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung des LSG ist konsequent nach dem gängigen Prüfungsschema ergangen. Sie ist uneingeschränkt auf vergleichbare Fälle zu übertragen. Daher verwundert es, dass derart hochriskante Beschäftigungsverhältnisse auch angesichts der langjährigen und gefestigten Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und der ständigen Praxis bei den regelmäßig stattfindenden Betriebsprüfungen eingegangen werden. Auch wenn hier regelmäßig die Parteien übereinstimmend oder sogar auf Wunsch der freien Mitarbeiter genau die vermeintliche Freiheit in der Zusammenarbeit beabsichtigen, muss den Unternehmen klar sein, dass sie am Ende „den Großteil der Zeche zahlen“ und die finanzielle Last einer solchen Fehleinschätzung zu tragen haben. Ein Abwälzen der Risiken auf die Beschäftigten ist nach dem Gesetz nicht zulässig.

Praxistipps

Praxistipps

Auch wenn die Möglichkeit der Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens seit einigen Jahren besteht und auch immer wieder vom Gesetzgeber nachgebessert und erweitert wird, wird hiervon immer noch zu wenig Gebrauch gemacht. Mit diesem Verfahren haben die Beteiligten die Möglichkeit, bereits vor Aufnahme der beabsichtigten Tätigkeit die Einstufung als freie oder abhängige Beschäftigung von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) verbindlich feststellen zu lassen. Erfolgt ein solcher Antrag bis zu einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit, tritt erst mit Rechtskraft der Feststellung als abhängige Beschäftigung die Beitragspflicht ein. Dies gilt aber nur, wenn der Beschäftigte zustimmt und sich für den Zeitraum bis zu einer Entscheidung im ähnlichen Umfang wie ein Arbeitnehmer gegen das finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge absichert.

Hinzuweisen ist auch auf die seit dem 01.04.2022 bestehende Option der sogenannten Gruppenfeststellung nach § 7a Abs. 4b SGB IV. Danach kann ein Auftraggeber im Fall der Feststellung eines Einzelfalls über einen Erwerbsstatus eine gutachterliche Äußerung der DRV zum Status von anderen Auftragnehmern in „gleichen Auftragsverhältnissen“ beantragen. Eine solche Gruppenfeststellung ist zwar kein Verwaltungsakt und hat nicht dessen bindende Wirkung, gibt aber rein faktisch ein höheres Maß an Sicherheit für alle Beteiligten. Außerdem tritt bei einer später von der gutachterlichen Äußerung abweichenden neuen Entscheidung eine Versicherungspflicht erst ab deren Bekanntgabe ein.

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Achtung bei der Zustellung einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben

Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2023 – 15 Sa 20/23

Eine Zustellung per Einschreiben gilt oft als rechtssicherste Form. Aber Vorsicht! Auch in diesem Fall gibt es ein Restrisiko. Die Zustellung durch Einwurf-Einschreiben kann nur nachgewiesen werden, wenn neben Einlieferungsbeleg und Sendungsverfolgung auch der vom Zusteller unterzeichnete Auslieferungsbeleg vorgelegt wird.

Verortung des Urteils

Eine immer wieder „knifflige“ Situation kann die vermeintlich trivial klingende Frage nach der Zustellung eines Kündigungsschreibens sein. Denn im Rahmen der Zustellung von Kündigungsschreiben ist höchste Vorsicht geboten. Dies gilt zum einen für die Ingangsetzung des Kündigungsfristlaufs, um nicht einen weiteren Gehaltslauf oder gar ein ganzes Quartal oder mehr zu „verlieren“. Zum anderen ist dies natürlich für die Frage der Wirksamkeit der Kündigung insgesamt maßgebend.

Sachverhalt

Der Klägerin, einer medizinische Fachangestellte in einer Gemeinschaftspraxis von Augenärzten, wurde aufgrund des Verdachts der Manipulation einer Patientenakte mehrfach, teilweise ohne Einhaltung der zwingenden Schriftform des § 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt. Maßgebend für die Berufungsinstanz waren die beiden Kündigungen vom 26.07.2022 sowie vom 03.12.2022.

Die Kündigung vom 26.07.2022 wurde per Einwurf-Einschreiben verschickt und im Rahmen der ersten Instanz wurden als Beweis des Zugangs der Einlieferungsbeleg sowie der Sendestatus der Deutschen Post vorgelegt. Die Arbeitnehmerin bestritt den Zugang der Kündigung.

Das Arbeitsgericht Heilbronn stellte die Wirksamkeit der ersten Kündigung fest. Der Zugang sei durch den Beweis des ersten Anscheins auf der Grundlage des von der Beklagten vorgelegten Statusberichts der Deutschen Post AG bereits geführt, auf die Kündigung vom 03.12.2022 komme es nicht an.

Die Entscheidung

Das LAG sieht dies in Bezug auf die Kündigung vom 26.07.2022 anders. Dies ist vorliegend nicht gelungen. Es liege – so das LAG – kein Anscheinsbeweis für den Zugang vor. Legt der Kündigende keinen Auslieferungsbeleg vor, sondern nur einen Einlieferungsbeleg und einen „Sendungsstatus“, ist dies dem Auslieferungsbeleg in wesentlicher Hinsicht nicht gleichwertig und begründe deshalb keinen Beweis des ersten Anscheins für einen Zugang.

Das LAG begründet dies wie folgt: Der Arbeitgeber muss den Zugang der Kündigung beweisen, da dies Voraussetzung für ihre Wirksamkeit ist. Allein der Einlieferungsbeleg bei der Post und der Sendestatus genügen nicht, um den Zugang zu belegen. Aus dem Einlieferungsbeleg ergibt sich nur, dass ein Schreiben zur Post gegeben wurde, nicht aber dessen Zugang. Der Sendestatus kann ebenfalls den Zugang nicht nachweisen. Allerdings kann der Arbeitgeber innerhalb von 15 Monaten nach der Aufgabe des Einwurf-Einschreibens bei der Post einen Auslieferungsbeleg beantragen, auf dem zu sehen ist, welcher Zusteller das Schreiben wann zugestellt hat. Legt ein Arbeitgeber diesen vor, besteht zumindest der Anscheinsbeweis, dass die Sendung zugestellt wurde. Im Streitfall kann zudem der Zusteller als Zeuge geladen werden.

Konsequenzen für die Praxis

Das LAG Schleswig-Holstein hatte mit Urteil vom 18.01.2022 – 1 Sa 159/21 entschieden, dass bei Übersendung des Kündigungsschreibens per Einwurf-Einschreiben der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang der Kündigung beim Empfänger spreche. Die gleiche Auffassung vertraten auch bereits das LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 12.03.2019 – 2 Sa 139/18) und das LAG Baden Württemberg in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 28.07.2021 – 4 Sa 68/20).

Das LAG Baden-Württemberg hält damit an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Auch per Einwurf-Einschreiben kann ein Schreiben wirksam zugestellt werden und dessen Zugang auch nachgewiesen werden, wenn auch der Auslieferungsbeleg vorgelegt wird.

Praxistipp

Praxistipp

Die Frage, wie eine Kündigung rechtssicher zugestellt wird, bleibt damit weiterhin spannend. In der Praxis ist es nicht immer möglich, den Auslieferungsbeleg auch tatsächlich zu erhalten. Bestreiten Mitarbeitende dann den Zugang der Kündigung, hat der Arbeitgeber keine Möglichkeit, dies nachzuweisen. Im Ergebnis bleibt es daher dabei, dass die Zustellung per Boten oder Einwurf in den Briefkasten unter Anwesenheit von Zeugen mit entsprechender Dokumentation weiterhin der beste Weg ist, um Kündigungen zuzustellen.

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