Arbeitsrecht : Rechtsprechung für Sie aufbereitet
Tarifliche Altersfreizeit – Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter
Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG ist einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Das in § 4 Abs. 1 TzBfG geregelte Diskriminierungsverbot steht gemäß § 22 Abs. 1 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien.
Teilzeitbeschäftigte werden wegen der Teilzeitarbeit ungleich behandelt, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union werden Teilzeitbeschäftigte gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unmittelbar ungleich behandelt, wenn eine identische Belastungsgrenze für Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte festgelegt und infolgedessen für Teilzeitbeschäftigte eine höhere individuelle Belastungsgrenze gezogen wird. Teilzeitbeschäftigte werden in diesem Fall ungleich behandelt, wenn sich die Grenze der Entstehung ihres Anspruchs nicht proportional zu ihrer Arbeitszeit vermindert. Nach § 4 der von UNICE (Union of Industrial and Employers’ Confederations of Europe), CEEP (Europäischer Verband der öffentlichen Arbeitgeber und Unternehmen) und EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund) am 15. Dezember 1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit kann die unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten im Verhältnis zu vergleichbaren in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmern nur durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden. Für die Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten reicht es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht aus, dass sie in einer allgemeinen und abstrakten Norm vorgesehen ist. Vielmehr muss die Ungleichbehandlung einem echten Bedarf entsprechen und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sein. Dementsprechend hat sich die Prüfung, ob die unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt ist, am Zweck der Leistung zu orientieren.
§ 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG regelt kein absolutes Beteiligungsverbot. Die Vorschrift konkretisiert das allgemeine Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG für den Bereich des Arbeitsentgelts oder einer anderen teilbaren geldwerten Leistung. § 4 Abs. 1 TzBfG verbietet eine Abweichung vom Pro-rata-temporis-Grundsatz zum Nachteil Teilzeitbeschäftigter, wenn dafür kein sachlicher Grund besteht. Allein das unterschiedliche Arbeitspensum berechtigt allerdings nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften. Die Rechtfertigungsgründe müssen anderer Art sein. Eine Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten kann sachlich gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt. Die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung hat sich am Zweck der Leistung zu orientieren.
Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich darin frei, den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen. Ihre Regelungsbefugnisse finden ihre Grenzen im entgegenstehenden zwingenden Gesetzesrecht. Tarifliche Regelungen müssen mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Verstößt eine Tarifnorm gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TzBfG ist sie nichtig. Daraus folgt jedoch nicht, dass sich der grundrechtlich geschützte Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei der Prüfung, ob sachliche Gründe eine im Tarifvertrag vorgesehene unterschiedliche Behandlung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG rechtfertigen, nicht auswirkt. Vielmehr bestimmen die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer Normsetzungskompetenz nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung. Sie besitzen auch einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Sie sind dabei aber nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn sich die Regelung am gegebenen Sachverhalt orientiert, vertretbar erscheint und nicht gegen gesetzliche Regelungen verstößt. Der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien darf allerdings nicht dazu führen, das Verbot der Diskriminierung in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer auszuhöhlen.
(BAG, Urteil vom 22.10.2019 – 9 AZR 71/19)
Urlaub – Mitwirkungsobliegenheiten
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Die Erfüllung der sich aus der richtlinienkonformen Auslegung ergebenden Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregims des § 7 Abs. 3 BUrlG.
Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür sorgt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss den Arbeitnehmer – ggf. auch förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Zudem darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Er darf ihn insbesondere nicht mit Umständen konfrontieren, die ihn davon abhalten könnten, seinen Jahresurlaub zu nehmen.
Da es keine gesetzlichen Vorgaben gibt, ist der Arbeitgeber grundsätzlich in der Auswahl der Mittel frei, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bedient. Die Mittel müssen allerdings zweckentsprechend und geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Es muss jedenfalls vermieden werden, dass ein Arbeitnehmer auf Veranlassung des Arbeitgebers davon abgehalten werden kann, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber geltend zu machen. Die Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten hat der Arbeitgeber darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, weil er hieraus eine für sich günstige Rechtsfolge ableitet.
Hat der Arbeitgeber durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden und verlangt der Arbeitnehmer dennoch nicht, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch nach Maßgabe von § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 4 BUrlG vor, wird der Urlaub „von selbst“ auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen. Der Urlaubsanspruch kann in diesem Fall grundsätzlich nur dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt. Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahrs entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines zulässigen Übertragungszeitraums.
(BAG, Urteil vom 22.10.2019 – 9 AZR 98/19)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Einheit des Verhinderungsfalls
Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließt sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang eine im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit an, hat der Arbeitnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren Arbeitsverhinderung geendet hatte. Der gesetzliche Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue, auf einem anderen Grundleiden beruhende Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls).
(BAG, Urteil vom 11.12.2019 – 5 AZR 505/18)
Wegezeiten – Mitbestimmung des Betriebsrats
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Der Begriff der betriebsverfassungsrechtlichen „Arbeitszeit“ in § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist – ebenso wie der in § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG – nicht gänzlich deckungsgleich mit dem Begriff der vergütungspflichtigen Arbeitszeit, der Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz oder dem nach der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie). Er bestimmt sich vielmehr nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts.
Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist die Zeit, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem konkreten zeitlichen Umfang geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich zu erbringen hat. Diese richtet sich nach der vertraglichen oder tarifvertraglichen Vereinbarung. Es geht um die Festlegung des Zeitraums, während dessen der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer die Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflichten verlangen und dieser sie ihm gegebenenfalls mit der Folge des § 293 BGB (Annahmeverzug) anbieten kann.
Der Umfang des – mitbestimmt zu verteilenden – Arbeitszeitvolumens unterliegt dagegen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Ebenso wenig ist die rechtliche Bewertung von Zeitspannen oder bestimmten Tätigkeiten als Arbeitszeit möglicher Gegenstand betrieblicher Regelungen. Diese Fragen sind gegebenenfalls auch unter Heranziehung und Auslegung einschlägiger tariflicher oder arbeitsvertraglicher Regelungen zu beantworten.
Ungeachtet dieser Erwägungen sind sogenannte Wegezeiten, das heißt Zeiten, die für das Zurücklegen des Weges von und zur Arbeitsstelle benötigt werden, keine Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.
Durch das bloße Zurücklegen des Weges von der Wohnung – oder einem anderen selbst gewählten Aufenthaltsort – zur Arbeitsstelle und zurück erbringt der Arbeitnehmer keine Arbeit. Diese Wegezeiten sind nicht Arbeitszeiten, sondern gehören dem außerdienstlichen Bereich privater Lebensführung an. Ob überhaupt und in welchem Umfang sie anfallen, hängt maßgeblich davon ab, welchen Wohn- oder Aufenthaltsort der Arbeitnehmer vor Dienstbeginn bzw. nach Dienstende selbstbestimmt wählt. Zudem ist er frei in seiner Entscheidung über Beginn und Verlauf der Wegstrecke sowie des Fortbewegungsmittels. Das zwangsläufig variierende Volumen der Wegezeiten ist damit allein von den individuellen und aktuellen Entscheidungen des Arbeitnehmers beeinflusst.
Die zeitlichen Aufwände für das Zurücklegen des Weges von der Wohnung – oder einem anderen Aufenthaltsort – zur Arbeitsstelle und zurück verschließen sich auch jeglicher Pauschalierung, denn die sie bestimmenden außerbetrieblichen Umstände unterfallen nicht der Regelungskompetenz der Betriebsparteien. Das Verhalten eines Arbeitnehmers im privaten Lebensbereich steht grundsätzlich außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers.
Wegezeiten vermögen nur dann zur verteilungsfähigen Arbeitszeit zu gehören, wenn sie als zeitliche Komponente vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer bei der Arbeitsaufnahme im Betrieb innerbetriebliche Wege zum Arbeitsplatz zurücklegen muss oder wenn er ausgehend vom Betrieb auswärtige Betriebsstätten oder Kunden aufzusuchen hat. In einer solchen Konstellation stellt auch die erforderliche Zeit für das Zurücklegen von innerbetrieblichen Wegen im Zusammenhang mit der Entgegennahme und der Abgabe von arbeitsnotwendigen Betriebsmitteln betriebliche Arbeitszeit im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG dar.
(BAG, Beschluss vom 22.10.2019 – 1 ABR 11/18)
Dr. iur. Hans-Otto Blaeser, Köln