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Wohlstand ohne Kinder – ein teurer Tausch : Die Wachstumslüge?

Wir leben in einem Land, das schrumpft – weil die biologische Reproduktion schon länger nicht mehr Teil unseres natürlichen inländischen Wachstums ist, entscheidend beeinflusst von wirtschaftlichen, politisch, gesellschaftlichen und damit auch sozialen Faktoren. Nicht einmal der jahrelang selbst erzeugte massive Fachkräftemangel und die von vielen großen Herausforderungen geprägte Einwanderungspolitik vermögen bisher, den Schalter wirklich wirksam umzulegen.

Lesezeit 9 Min.

Wirtschaft und Wohlstand bedeuten in Zahlen in unserer Wahrnehmung doch eigentlich immer eines: Wachstum, Wachstum, Wachstum – denn daran werden die positiven Zukunftsprognosen gemessen, während ein wichtiger Wert schrumpft: die Reproduktion der eigenen – immer munter weiter schrumpfenden und gleichzeitig überalternden – Bevölkerung.

Statt zeitig nach „innen“ zu sehen und vorausschauend und effektiv zu handeln, hat man sich aus Sicht von Politik und Wirtschaft viel zu passiv zurückgelehnt und das Thema Familiengründung immer mehr in die Eigenverantwortung der Bürger abgegeben, während man als „entgegenwirkende“ Problemlösungsstrategie zuletzt politisch und wirtschaftlich vor allem auf verschiedene ausgleichende Effekte aus den weltkrisenbedingen Bevölkerungswanderungsströme gehofft und gesetzt hat. Für das innere Unvermögen sollte die Lösung also von außen kommen.

Also Sache der „anderen“?

Wenn sich unsere Gesellschaft Kinder noch „leisten“ will, dann geht uns das alle gemeinschaftlich an. Gerade uns hier geht es im Vergleich zu vielen anderen Teilen der Welt wirtschaftlich noch gut. Und trotzdem hört man immer mehr Stimmen aus jüngeren Kreisen: Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen und der durch den Klimawandel bedingten Prognosen wolle man bewusst keine Kinder in die Welt setzen.

Wie pessimistisch und dadurch in Wirklichkeit wachstumsfeindlich kann also eine Gesellschaft (geworden) sein, die sich im Grunde weigert, sich (weiter) zu entwickeln, indem sie aus sich herauswächst? Ganz deutlich gesagt: Hat, wer nicht auf morgen setzen kann oder will, nicht heute schon kapituliert und bereits verloren? Woher also soll der weitere wertvolle und dringend benötigte Wirtschaftsnachwuchs kommen?

Die Weltbevölkerung wächst aus unterschiedlichen Gründen extrem ungleich. Insgesamt kamen 29 Prozent aller Kinder, die 2021 weltweit geboren wurden, in Subsahara-Afrika auf die Welt. Dieser Trend scheint sich nicht zu ändern, sondern wird zur neuen Weltwachstumsregel, wenn wir so weitermachen. Kinder kriegen also hauptsächlich noch die „anderen“?

Babyboom vs. Babybust

Die globalen Geburtenziffern sind sehr ungleich verteilt, Tendenz „bleibend“. Während die absolute Geburtenrate im Jahr 2021 in Südkorea und Serbien unter 1,1 lag, so war sie in vielen afrikanischen Ländern, die südlich der Sahara liegen, mit einem Durchschnittswert von vier sehr viel höher. Im Tschad hat in diesem Jahr eine Frau im Schnitt sogar sieben Kinder zur Welt gebracht. Dabei gibt es eine einfache Faustformel: Damit die Bevölkerungsgröße eines Landes auf einem stabilen Niveau gehalten werden kann, um einen langfristigen Generationswechsel zu gewährleisten, muss die zusammengefasste Geburtenziffer bei 2,1 liegen. Das bedeutet, dass jede Frau also durchschnittlich gerechnet 2,1 Kinder lebend zur Welt bringen muss, damit die Bevölkerung des Landes nicht schrumpft. In Deutschland liegt die Geburtenrate seit Jahrzehnten unter diesem Wert. Im Jahr 2022 wurden laut dem Statistischen Bundesamt nur 1,46 Kinder pro Frau geboren. Damit hat sich die TFR (Total Fertility Rate) in Deutschland in den letzten 70 Jahren mehr als halbiert: Im Jahr 1950 lag sie bei etwa fünf Kindern pro Frau, im Jahr 2021 bei 2,2 Prozent. Ein trauriger Trend für eine Wirtschaftsnation, welche durchaus auf gute Jahrzehnte zurückblicken kann und vollmundig im Zuge der Willkommenskultur gefühlt die ganze Welt eingeladen hat, am Wohlstand teilzuhaben, als habe nichts seine Grenzen. Kinder will oder kann sich vielleicht sogar die eigene Bevölkerung aber immer weniger leisten. Unsere Arbeitswelt trägt hier zumindest mit ihrem Anteil nicht entscheidend positiv dazu bei, dass sich daran grundlegend etwas ändert, schreit aber gleichzeitig laut nach Nachwuchs.

Der „Run“ auf „die Ressource Mensch“?

Spätestens aufgrund des Wettbewerbs des letzten Jahrzehnts um Migrant*innen müsste nun eines klargeworden sein: Das Thema Fachkräftenachwuchs wurde von den Wohlstandsnationen zu einem globalen Thema gemacht. Denn die weltweite Zukunftsprognose lautet, dass künftig in den meisten Ländern zu wenig Kinder geboren werden. Dieser Umstand wird weiter große Herausforderungen mit sich bringen.

Im größten Teil der Welt werden die schrumpfenden Länder vor der Frage stehen, wie eine alternde Bevölkerung versorgt werden kann, wenn die Wirtschaft durch den Mangel an Arbeitskräften nicht wachsen kann und Gesundheits- und Sozialsysteme an ihre Belastungsgrenze kommen. Aktuell müssen wir feststellen, dass wir seit Frühjahr 2025 nicht einmal mehr als eines der führenden Länder gelten, in das Migranten und damit auch Fachkräfte gern einwandern. Aufgrund der derzeit wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen soll die Einwanderung nun erstmal begrenzt werden.

Die frühere Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnete Migrationspolitik als eine Managementaufgabe, die man beharrlich angehen muss, und zieht Anfang April 2025 Bilanz: Die Fachkräfte-Einwanderung hat seit 2021 ein Plus von 77 Prozent zu verzeichnen, während die Asylzahlen um 50 Prozent im Vergleich zu vor zwei Jahren zurückgingen.

Von falschen Ängsten getrieben?

Der Wunsch von immer mehr potenziellen Eltern nach doppelter Erwerbstätigkeit festigt die Haushalte wirtschaftlich und reduziert das Armutsrisiko. Hinzu kommt, dass die Zahl der Zweitjobs in Deutschland steigt. Immer mehr Menschen sehen sich dazu gezwungen, mehrere Teilzeitstellen oder Jobs zu kombinieren, um ein ausreichendes Einkommen zu erzielen. Bei der Zweitbeschäftigung sind dabei Frauen aufgrund ihrer häufigeren Teilzeitbeschäftigung überproportional vertreten – da muss das Kinderkriegen erst noch Zeit und Platz finden, selbst wenn dadurch immerhin mehr Geld da sein sollte, und die benötigte Flexibilität muss Frau sich ja hierzulande immer noch viel zu schmerzhaft aus den Rippen schneiden, wenn sie nicht gut situiert ist.

So sehr sich Erwerbstätige wünschen, dass sie Aufgaben in der Familie heute meist partnerschaftlich aufteilen könnten, sind sie genauso sehr darauf angewiesen, dass Arbeitgeber die Beschäftigungsmodelle anpassen und die Politik endlich ihre langjährigen Versprechen nach zuverlässigeren Betreuungsmöglichkeiten nachkommt. Ganz abgesehen von den Herausforderungen von Alleinerziehenden – sie sehen und fühlen sich in diesen Punkten längst in viel zu vielen Bereichen alleingelassen und wirtschaftlich und beruflich ziemlich abgehängt.

Selbst wenn man sieht, dass immer mehr Väter ihren Lebensläufen ebenfalls die Zeiten von Unpaid Care Work hinzufügen und damit ihre wahrgenommene Beteiligung an der Elternzeit öffentlich betonen, so spiegelt das keinesfalls wider, dass Männer sehr gespalten sind, was die Elternzeit angeht: Nach wie vor gibt laut einer Umfrage von Statista aus dem Jahr 2022 immer noch knapp mehr als die Hälfte der Befragten an, dass sie drohende Einkommensverluste und einen dadurch gesenkten Lebensstandard befürchten. Etwas mehr als ein Fünftel sieht sogar die Gefahr echter Existenznöte. Immerhin weniger als die Hälfte fürchtet wohl berufliche Nachteile, diese Angst teilen sich Männer und Frauen aber grundsätzlich. Gerade in Zeiten, da die finanziellen Einbußen für viele Väter ein Argument sind, auf die Elternzeit zu verzichten, dürfte sich dieser Umstand in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wahrscheinlich sogar noch stärker auswirken.

Während die Wirtschaft sich weiter selbst lautstark bemitleidet, dass sie nicht, wie viele Jahrzehnte lang gewohnt, wächst, agiert unsere Arbeitswelt immer noch so, als sei das Kinderkriegen „eine Sache der anderen“. Und die traurige Wahrheit: Viele Mütter – aber auch Väter – haben aktuell das Gefühl, dass sie zerrissen werden zwischen Familie und Beruf. Und sie haben den Wunsch, dass das Kind nicht nur zum Leben gehört oder gar gern gesehen wird, sondern zu einem wertigen Faktor wird. Es wäre dabei einmal interessant, zu erheben, wie viele Eltern hierzulande das Gefühl von Vereinbarkeit tatsächlich noch nie selbst erlebt haben.

Vom „Karrierekiller“ zur „Existenzbremse“?

Noch sind wir in Deutschland nicht das „Schlusslicht“, was die geringe Reproduktionsquote betrifft: Die ohnehin im weltweiten Vergleich niedrigste Geburtenrate in Südkorea ist 2023 weiter gesunken, und zwar auf ein Rekordtief von 0,72, wie das Statistikamt aus Seoul mitteilte. Als Ursache für diese geringe erwartete Quote für die durchschnittliche Kinderzahl für Frauen zwischen dem 15. bis 49. Lebensjahr wurden die steigenden Kosten für die Kindererziehung sowie die Furcht vor beruflichen Nachteilen genannt. Diese Argumente dürften allerdings auch den Deutschen nicht unbekannt sein. Hinzu kommt noch, dass gerade Jüngere aufgrund der aktuellen politischen Lage, der Kriege und der Klimaveränderungen immer öfter äußern, keine Familie mehr gründen zu wollen. Neben den eigenen Ängsten benennen sie die Furcht und Sorge, dem Kind nichts bieten zu können und sich wirtschaftlich nicht genug aufbauen zu können. Kinder werden nicht mehr „nur als Karriere- Killer“ empfunden, für viele stellen sie hierzulande sogar schon „Existenzbremsen“ dar.

Die vielbeschworene Vereinbarkeit von Beruf und Familie: ein vollmundiges Versprechen, dessen Preis und Kosten wir künftig unbedingt einen anderen Stellenwert einräumen müssen im Interesse unserer perspektivischen Zukunft. Locken wir viele Familienplanende in nicht realisierbare Fallen, als gäbe es überwiegend die Wahl zwischen persönlichem Pech oder egoistisch gewähltem Sozialluxus? Wie gehen wir aktuell damit um, dass immer mehr junge Leute „in bestem Alter“ die Haltung einnehmen, in diese Welt wollen sie keine Kinder mehr setzen? Und nach wie vor müssen Frauen weiterhin überwiegend mit großen Karriere-Einbußen rechnen, als gebe es sie (wieder) nicht mehr, die Handlungsspielräume, welche Karriere und Kind durchaus zusammenbringen könnten – wenn man es (gemeinsam) nur wirklich wollte.

Kein Kinderwunsch als Pluspunkt?

Was endlich offen diskutiert wird, aber für Frauen seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis ist: Keinen Kinderwunsch zu haben, ist im Grunde ein karrierefördernder Faktor. „Unerwartet“ auszufallen, wird von Arbeitgebern viel zu oft noch so behandelt, als habe man sich eine unheilbare Krankheit eingefangen. Nachdem ein Posting von Fundraiserin und Doktorandin Riman Saleh viral geht und im Frühjahr 2025 die Debatte anstößt, was Frauen schreiben sollen, um nicht wegen einer möglichen Mutterschaft aussortiert zu werden, greift t3n-Redakteur Andreas Weck das Thema medienwirksam auf. Weibliche Bewerber sehen sich schon länger genötigt, nicht nur später betreffende Angaben wie: „Kinderbetreuung gesichert“ in ihren Bewerbungen anzugeben, mittlerweile geht man auch immer „selbstverständlicher“ dazu über, Angaben dazu zu machen, keinen Kinderwunsch zu haben oder mit der Familienplanung abgeschlossen zu haben.

Wie paradox und widersprüchlich das Thema hierzulande gehandhabt wird, zeigen die Forschungsergebnisse aus den letzten Jahren von Lena Hipp, Professorin für Strukturanalyse an der Universität Potsdam, die von Weck zitiert wird. Zwar würde sich die Arbeitswelt mehr in Richtung der gelebten Vielfalt und Gleichberechtigung bewegen – es sei aber so, dass Mütter weiterhin seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden würden als Väter oder kinderlose Frauen und Männer. Im Gegensatz zu Müttern, die deutlich seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden, hat es für Väter statistisch gesehen keine nennenswerten Auswirkungen auf ihre Einladungschancen, ob sie Elternzeit genommen haben oder nicht – und wenn ja, wie lange. Mütter müssen im Schnitt ein Drittel mehr Bewerbungen schreiben, so die traurige Wahrheit, welche aber ja erst die Spitze des Eisbergs darstellt, wenn es um die weiteren Karrieremöglichkeiten und um die spätere Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht.

Wie sehr muss also der Fachkräftemangel uns noch wirtschaftlich schmerzen und größte Lücken reißen, wenn aktuell so viele Frauen immer noch berichten, dass sie bereits in Bewerbungsprozessen „geghostet werden“ – allein aufgrund der Tatsache, dass sie gebärfähig sein könnten, vom tatsächlichen Kinderwunsch ganz abgesehen? Wir müssen uns hierzulande ernsthaft fragen lassen: Wo befinden sich der echte Platz und die belastbare Wertigkeit für unsere (wirtschaftlichen) Wunschkinder der Zukunft und deren arbeitende Eltern? Welche Chance geben wir gemeinschaftlich dem natürlichen, längst notwendigen Nachwuchs – der dann nicht nur notgedrungen geduldet und gewünscht arbeitstechnisch und organisatorisch „neutralisiert“ wird, als wäre er am besten gar nicht da? Es sollte schon mehr als ein Zeichen des tiefgreifend notwendigen Sinneswandels sein, wenn Tausende Mütter und Väter in ihren Lebensläufen den fiktiven Arbeitgeber „Unpaid Care Work“ hinzugefügt haben. Aber es dürfte vor allem einen nicht wegzudiskutierender Anfang vom längst überfälligen Aufbruch darstellen, damit wir endlich aufwachen und entsprechend agieren, um der deutschen Wachstumslüge ein Ende zu setzen.

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