Tod des Arbeitnehmers : Urlaubsabgeltungen sind beitragspflichtig
Folgt man einem Besprechungsergebnis der Spitzenorganisationen in der Sozialversicherung vom 20.11.2019 lösen Zahlungen zur Abgeltung verfallener Urlaubsansprüche jetzt Beitragspflicht aus.

Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) handelt es sich bei einem Urlaubsanspruch um einen höchstpersönlichen Anspruch des Arbeitnehmers, der weder übertragbar noch vererblich ist (Urteile vom 20.09.2011, Az.: 9 AZR 416/10 und 12.03.2013, Az.: 9 AZR 532/11). Daraus folgte, dass Urlaubsansprüche bzw. Abgeltungsansprüche für nicht genommenen Urlaub verfallen, wenn der Arbeitnehmer verstirbt.
Kann nicht dem Beschäftigungsverhältnis zugeordnet werden
Sofern Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen bei Tod des Arbeitnehmers dennoch die Zahlung eines Betrags in Höhe der Urlaubsabgeltung an Ehegatten oder unterhaltsberechtigte Angehörige vorsahen, wurden entsprechende Zahlungen demnach nicht als sozialversicherungsrechtlich relevantes Arbeitsentgelt behandelt, da dieser Anspruch als originärer Anspruch der Ehegatten oder unterhaltsberechtigten Angehörigen gegen den Arbeitgeber angesehen wurde, der nicht mehr dem Beschäftigungsverhältnis zugeordnet werden konnte (Besprechungsergebnis der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung zu Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 05./06.03.1986, TOP 6)
Anspruch auf Urlaubsabgeltung entfällt nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat hingegen im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die Rechtsauffassung vertreten, dass der arbeitsrechtliche Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses aufgrund des Todes des Arbeitnehmers verfällt (Urteil vom 12.06.2014, Az.: C-118/13) und anderslautende einzelstaatliche Rechtsvorschriften oder Auslegungen dem Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung entgegenstehen.
Anpassung der Rechtsprechung war abzuwarten
Für eine etwaige beitragsrechtliche Neubewertung der betreffenden Urlaubsabgeltungen war jedoch zunächst die unionsrechtskonforme Anpassung der bisherigen Rechtsprechung des BAG vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH abzuwarten (Besprechungsergebnis der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung zu Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 12.11.2014, TOP 4).
Anpassung ist erfolgt
Die unionsrechtskonforme Anpassung der nationalen Rechtsprechung ist u. a. mit dem BAG-Urteil vom 22.01.2019 (Az.: 9 AZR 45/16) erfolgt. Hiernach lassen sich die Bestimmungen der §§ 1, 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) unionsrechtskonform auslegen. Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG begründet nicht nur einen Freistellungsanspruch, sondern auch einen Anspruch auf Bezahlung und entspricht insoweit Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG, der den Anspruch auf Freistellung und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt. Die Vergütungskomponente des Anspruchs auf bezahlten Urlaub ist dabei im bestehenden Arbeitsverhältnis fest mit dem Freistellungsanspruch verbunden. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht zwar der Freistellungsanspruch unter, die Vergütungskomponente des Urlaubsanspruchs bleibt jedoch als Abgeltungsanspruch bestehen. Dieser Vergütungsanspruch ist noch während des Arbeitsverhältnisses bei dem Arbeitnehmer entstanden; er ist dementsprechend als (einmalige) Einnahme aus der Beschäftigung anzusehen.
Bei der Lohnsteuer
Arbeitslohn, der nach dem Tod des Arbeitnehmers gezahlt wird, darf grundsätzlich unabhängig vom Rechtsgrund der Zahlung nicht mehr nach den steuerlichen Merkmalen des Verstorbenen versteuert werden.
Ausnahme
Bei laufendem Arbeitslohn, der im Sterbemonat oder für den Sterbemonat gezahlt wird, kann der Steuerabzug aus Vereinfachungsgründen noch nach den steuerlichen Merkmalen des Verstorbenen vorgenommen werden. Die Lohnsteuerbescheinigung ist jedoch auch in einem solchen Fall für den Erben auszustellen und zu übermitteln.
Besteuerungsmerkmale der Erben
Zahlt der Arbeitgeber beispielsweise eine Urlaubsabgeltung an einen Erben oder einen Hinterbliebenen aus, ist der Lohnsteuerabzug nur nach dessen Besteuerungsmerkmalen durchzuführen. Steuerlich werden diese zu Arbeitnehmern. Gegebenenfalls ist die Steuerklasse VI zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV)).
Beitragspflicht ab dem 23.01.2019
Vor diesem Hintergrund halten die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung seit dem 20.11.2019 (TOP 1) an ihrer bisherigen Auffassung nicht weiter fest. Urlaubsabgeltungen nach Beendigung der Beschäftigung durch Tod des Arbeitnehmers erfüllen einen während der Beschäftigung erworbenen Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers und sind somit als Arbeitsentgelt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV zu werten. Diese Urlaubsabgeltungen stellen einmalig gezahltes Arbeitsentgelt dar, das nach den dafür in § 23a SGB IV vorgesehenen Regelungen der Beitragspflicht unterliegt, sofern die Abgeltung im Einzelfall tatsächlich gezahlt wird (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Die geänderte Rechtsauffassung ist für Urlaubsabgeltungen, die nach dem 22.01.2019 (Datum des oben genannten BAG-Urteils) gezahlt werden, anzuwenden.
Fazit
Problematisch ist bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung die rückwirkende Verbeitragung einer solchen Urlaubsabgeltung, wenn diese bereits zwischen dem 22.01.2019 und dem 20.11.2019 an Erben ausbezahlt wurde. Es ist nicht verständlich, dass die Beitragspflicht nicht erst für die Fälle eintritt, die nach der Veröffentlichung des Besprechungsergebnisses der Spitzenverbände in der Sozialversicherung am 20.11.2019 abgerechnet wurden, was eher logisch wäre.
Ulrich Frank
Sozialversicherungsfachwirt und Wirtschaftsjournalist