Stier meint …!
Seit dem 01.07. gilt ein weiterer Meilenstein der Digitalisierung, der das Potenzial hat, in der Entgeltabrechnung für Erleichterung, aber auch für Stirnrunzeln zu sorgen: das digitale Nachweisverfahren zur Beitragsdifferenzierung in der sozialen Pflegeversicherung. Ein Verfahren, das so elegant klingt, dass man fast meint, es würde sich von selbst erklären. Tut es aber nicht.

Zugegeben: Es ist kein Sommerloch-Thema. Aber eines, das uns durch viele kommende Sommer begleiten wird – inklusive der inzwischen zur DNA jeder neuen Regelung gehörenden Pilotphase, Push-Verfahren, Abonnements und natürlich: Initialabrufe. Wer jetzt denkt, das klinge mehr nach Netflix als nach Sozialversicherung, liegt gar nicht so falsch. Nur dass es statt Serienepisoden Elterneigenschaften gibt. Und statt Spoilern: Beitragsabschläge.
Was ist passiert? Bisher konnten Arbeitgeber während der Übergangsphase ganz schlicht von ihren Mitarbeitenden wissen wollen: „Haben Sie Kinder unter 25?“ – und diese durften einfach sagen: „Ja.“ Fertig war der vereinfachte Nachweis.
Kein Dokument, keine Urkunde, kein Scannen, kein Archivieren. Einfach Vertrauen. Das klingt nett. Und ist natürlich verwaltungstechnisch gesehen ein bisschen wie ein unbeaufsichtigtes Freibad in der Hochsaison: Es funktioniert, aber so richtig sicher fühlt sich niemand dabei.
Also: zurück in die digitale Realität. Ab Juli 2025 gibt es nun ein zentrales Verfahren mit dem wunderbar griffigen Namen DaBPV. Dahinter steckt eine Datenkaskade, die in ihrer Komplexität fast romantisch ist: Pflegekassen, Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), Deutsche Rentenversicherung (DSRV), Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) und Arbeitgeber tanzen gemeinsam den „digitalen Elternnachweis-Walzer“. Wer mit wem, wann und warum – das regeln 30-seitige Verfahrensbeschreibungen, Durchführungsgrundsätze und diverse Absätze im Sozialgesetzbuch (SGB) XI. Wer die durchliest, versteht nicht nur die Pflegeversicherung besser, sondern auch das Bedürfnis nach Urlaub.
Aber: Das Ziel ist ehrenhaft. Statt nach Geburtsurkunden zu suchen oder Mitarbeitenden Fragen über ihre Familienplanung zu stellen, soll künftig einfach per Datenabruf alles automatisch laufen. Klingt super. Theoretisch. Praktisch heißt das: Arbeitgeber brauchen geprüfte Abrechnungsprogramme und einen langen Atem.
Denn obwohl das Verfahren „automatisiert“ ist, bleibt es nicht „autonom“. Denn wenn ein Kind im Ausland lebt, adoptiert wurde oder schlicht nicht steuerlich erfasst ist – hilft keine Software der Welt. Dann heißt es wieder: „bitte Geburtsurkunde“.
Besonders charmant: das „Abonnement“-Verfahren. Klingt nach Lifestyle-Magazin, meint aber: Arbeitgeber werden fortlaufend über Änderungen informiert – etwa wenn aus „zwei Kindern“ plötzlich „drei“ werden. Oder „null“, weil ein Arbeitnehmer das Unternehmen verlässt. Natürlich darf man dann nicht einfach weiterdaten. Innerhalb von sechs Wochen ist Schluss. Datenschutz first. Wer trotzdem dranbleibt, riskiert Ärger – und keinen Serienmarathon.
Und noch ein Tipp für alle, die sich dem Ganzen verweigern wollen: Es gibt keine Ausrede. Zumindest keine gesetzeskonforme. Die Teilnahme am Verfahren ist ab dem 01.07.2025 verpflichtend. Wer meint, sich noch ein paar Monate durchzuschlängeln, wird spätestens im Dezember zur Kasse gebeten – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ohne Initialabruf bis zur letzten Abrechnung 2025 geht gar nichts mehr.
Ist das alles praktikabel? Vielleicht. Ist es sinnvoll? Wahrscheinlich. Ist es unterhaltsam? Nur, wenn man eine gewisse Freude an Abkürzungen und Datenflüssen hat. Bleibt zu hoffen, dass das System zuverlässig funktioniert und nicht das digitale Pendant zur alljährlichen „Serverwartung am Monatsende“ wird. Sonst heißt es bald: „Kind vorhanden – aber Daten verloren“.
In diesem Sinne: Schaffen Sie sich rechtzeitig einen Überblick. Holen Sie die IT ins Boot. Und atmen Sie tief durch. Denn eines ist sicher – der nächste digitale Prozess steht garantiert schon vor der Tür.
Markus Stier