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Interview – AGG-Gleichbehandlung : Was tun bei Diskriminierungsfällen?

Diskriminierung ist insbesondere in der Arbeitswelt nicht nur im Bewerbungsverfahren weit verbreitet. Dabei gebieten das Gesetz, aber auch die Moral und der Blick auf die Mitarbeitendenzufriedenheit professionelles Handeln. Was können Unternehmen konkret tun? Wie schaffen Organisationen einen adäquaten Umgang? Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung und Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Ferda Ataman, hat diese Fragen für LOHN+GEHALT beantwortet.

Lesezeit 5 Min.

Diskriminierung am Arbeitsplatz – das ist leider keine Seltenheit, sondern eher die Regel, wenn man auf den Jahresbericht 2024 blickt, den die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, im Juni 2025 veröffentlicht hat. Demnach haben im Jahr 2024 mehr als 11.000 Anfragen das Beratungsteam der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erreicht. Das sind mehr als jemals zuvor in einem Jahr. Zum Vergleich: 2019, dem Jahr vor der Corona-Pandemie, hatte die Zahl der Ratsuchenden erst bei 4.247 gelegen.

Auffällig ist dabei, dass die meisten Ratsuchenden Diskriminierung im Arbeitsleben erfahren haben. Betrachtet man die Fälle, die einen Bezug zu geschützten Merkmalen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) haben, zeigt sich: Jeder dritte Fall hat sich bei der Arbeitssuche, im Bewerbungsgespräch, am Arbeitsplatz oder beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ereignet.

Rassistische Diskriminierung am häufigsten

43 Prozent der Anfragen beschäftigten sich im vergangenen Jahr mit rassistischer Diskriminierung. Seit 2019 hat sich die Zahl der Beratungsfälle hierzu mehr als verdreifacht. Der Anteil der Anfragen zu Benachteiligungen wegen einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit lag bei 27 Prozent. Anfragen zu Benachteiligungen wegen des Geschlechts betrugen 24 Prozent, wozu auch Anfragen wegen sexueller Belästigung zählen.

Diskriminierung sei nicht nur ein Problem derjenigen, die sie erleben, betonen die Autorinnen und Autoren des Jahresberichts. Diskriminierung schadet der Wirtschaft, gefährdet die Demokratie und den Rechtsstaat. Das AGG trat 2006 in Kraft. Fachkreise empfehlen seither eine Überarbeitung und Reform, da es in vielen Fällen nicht greift.

Funktionierende Beschwerdestelle etablieren

Im Hinblick auf die Unternehmen weiß man, dass eine effektive Klärung und Bearbeitung von Diskriminierung zu einer langfristigen Bindung der Belegschaft beiträgt und damit die Stabilität einer Organisation unterstützt. Außerdem ist der Umgang mit dem Thema ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit dem Recruiting internationaler Fachkräfte. Notwendig für einen professionellen Umgang mit Diskriminierungen ist die Einrichtung einer funktionierenden Beschwerdestelle. Einen Leitfaden dafür hat die Unabhängige Bundesbeauftragte gerade veröffentlicht.

Zentrale Erfolgsfaktoren sind für diese Beschwerdestelle Besetzung und Zuständigkeit. Viele AGG-Beschwerdestellen würden wenig genutzt, heißt es im Leitfaden, obwohl sie ernsthaft betrieben würden und in der Organisation auch bekannt seien. Eine zurückhaltende Nutzung muss allerdings per se kein negatives Zeichen sein, da es auch bedeuten könne, dass andere Möglichkeiten genutzt werden, etwa über den Personalrat oder spezifische Beauftragte.

Diffuses Diskriminierungsverständnis erschwert Umgang

Was aber in vielen Fällen ein Problem bleibt, ist das diffuse Diskriminierungsverständnis in vielen Organisationen. Denn was tatsächlich unter Diskriminierung verstanden wird, kann unternehmensindividuell sehr unterschiedlich sein, obwohl das AGG besagt, dass bei der Beurteilung von Diskriminierung vordergründig die Wirkung und nicht die Absicht oder die dahinterliegende Einstellung bewertet wird (§ 3 AGG).

Das deckt sich nicht mit dem Alltagsverständnis der meisten Mitarbeitenden, die meistens ausschließlich eine absichtliche Ungleichbehandlung oder Belästigung als Diskriminierung einstufen. Um Diskriminierung also tatsächlich handelbar zu machen, gilt es, den Begriff und die Kriterien zu schärfen, ein einheitliches, organisationsweit gültiges Verständnis festzulegen und darauf aufbauend klare Handlungsleitlinien, Prozesse und Schulungsmaßnahmen zu entwickeln.

Was Organisationen darüber hinaus tun können, beantwortet die Unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, im Folgenden für LOHN+GEHALT.

Frau Ataman, welche Diskriminierungserfahrungen schildern Betroffene besonders häufig?

Jeder dritte Beratungsfall, 33 Prozent, bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bezieht sich auf das Arbeitsleben – ob bei der Arbeitssuche, im Bewerbungsgespräch, am Arbeitsplatz oder wenn jemand aus dem Job ausscheidet. Da bekommen ältere Mitarbeiterinnen keine Fortbildungen mehr, weil sich das nicht mehr lohne. Da werden Frauen sexuell belästigt oder schlechter bezahlt. Da werden Menschen mit Migrationsgeschichte rassistisch beleidigt, ohne dass der Arbeitgeber eingreift. Da werden Menschen mit Behinderungen gar nicht erst zum Bewerbungsgespräch eingeladen, weil der Aufwand angeblich zu hoch sei. Diskriminierung – vor allem in der Arbeitswelt – ist leider noch immer alltäglich.

Wie können Unternehmen ihre Bewerbungsverfahren diskriminierungsfrei gestalten?

Ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren geht schon bei der Stellenausschreibung los. Diese sollte inklusiv und möglichst neutral formuliert sein, und die Auswahlkriterien sollten objektiv und nachvollziehbar sein. Ein guter Weg sind auch anonymisierte Bewerbungsverfahren. Sie erhöhen vor allem für jüngere Frauen und für Menschen mit Migrationsgeschichte die Chance, zum Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.

Wie sollte Ihrer Ansicht nach mit Diskriminierung im bestehenden Arbeitsverhältnis umgegangen werden?

Das AGG ist hier sehr klar: Arbeitgebende sind verpflichtet, ihre Beschäftigten vor Diskriminierung zu schützen und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Sie müssen auch eine interne Beschwerdestelle einrichten. Betroffene müssen sich sicher und vertraulich an Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner wenden können – was in der Praxis, besonders bei kleineren Unternehmen, nicht ganz einfach ist.

Um Unternehmen und Organisationen zu unterstützen, haben wir erst kürzlich erstmals einen Leitfaden mit BestPractice-Beispielen erstellt, der auf unserer Website abrufbar ist. Grundsätzlich gilt: Diskriminierungsvorwürfe sollten immer ernst genommen werden und Betroffene unterstützt werden. Wenn Arbeitgeber dagegen verstoßen, riskieren sie vor Gericht, Schadensersatz oder Entschädigung zahlen zu müssen. Betroffenen lege ich immer nah, sich juristisch beraten zu lassen – das geht kostenlos auch bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Was können Unternehmen grundsätzlich tun, um Diskriminierung nachhaltig abzubauen?

Diskriminierung kann es überall geben, wo Menschen zusammenkommen. Wichtig ist, offen darüber zu sprechen. Unternehmen, die klar sagen: „Sexuelle Belästigung ist verboten, und wir nehmen das Thema ernst“ und die Ansprechpersonen benennen, fahren damit besser als diejenigen, die das Thema verschweigen. Auch Betriebsvereinbarungen oder Mitarbeitenden-Versammlungen, in denen über Belästigung und Diskriminierung gesprochen wird, sind ein guter Weg. Der Schutz vor Diskriminierung ist nicht nur ein gesetzlicher Anspruch für jede Person am Arbeitsplatz. Er ist auch aus unternehmerischer Sicht wirtschaftlich und klug.

Ferda Ataman wurde im Juli 2022 vom Deutschen Bundestag zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung gewählt. Die Unabhängige Bundesbeauftragte leitet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Ataman ist Politologin und gelernte Journalistin. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Themen Migration, Teilhabe und Diskriminierung. Vor ihrem Amtsantritt arbeitete sie unter anderem im Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration in Nordrhein-Westfalen, in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und als Journalistin, Publizistin und Beraterin.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Alexandra Buba, M.A., Wirtschaftsredakteurin.

Zum Leitfaden für die Umsetzung von betrieblichen Beschwerdestellen nach § 13 AGG: http://www.antidiskriminierungs stelle.de/studie-agg-beschwerdestellen

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