Konflikte entschärfen : Alle Macht den Mobbern?
Die Fallzahlen von Mobbing und sonstigen Konflikten am Arbeitsplatz sind weiterhin eher kontant, was auf ein Problem hindeutet, das die Unternehmen scheinbar nicht in den Griff bekommen. Laut dem Mobbing-Report des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Frühjahr 2025 sind 6,5 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland von Mobbing durch Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzte betroffen.
Ein strukturelles Hauptproblem: Führungskräfte wollen die Konfrontation mit dem Thema Mobbing meiden – es wird weiterhin viel zu selten aktiv gegen Mobbing vorgegangen. Aber warum eigentlich, wenn doch der Schaden am Ende so groß ist, dass er nicht „nur“ einzelne Opfer-Schicksale zur Folge hat, sondern eine hochgradige Systemschädigung damit einhergeht – und das immer noch scheinbar viel zu selbstverständlich?
Verhandelbarer Schaden?
Aktuelle Quellen wie eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und weitere Studien schätzen die jährlichen gesamtgesellschaftlichen Kosten auf mindestens 15 bis 25 Milliarden Euro. Arbeitsplätze gedeihen nicht, Produktivität sowie Unternehmen und Menschen nehmen Schaden, wenn Zusammenarbeit, Akzeptanz und Respekt „verhandelbar“ sind oder gar ignoriert werden dürfen. Es braucht konkrete Strategien und vor allem Intervention – begonnen mit Aufklärung und Prävention, vor allem aber mit Konsequenz und Nachhalten.
Hinnehmbare Randrealitäten?
Vor allem die Branchen, die besonders auf Fachkräfte und jegliches geeignetes Personal angewiesen sind, neigen schneller dazu, die im Zusammenhang mit Mobbing entstehenden Schwierigkeiten oder sich bereits verfestigende Zustände als mehr oder weniger als unvermeidlich hinnehmen. Dabei sind gerade sie auf effektive Methoden angewiesen, um Mobbing am Arbeitsplatz zu bekämpfen. Mobbing wird eigentlich öffentlich massiv verurteilt: Es gibt ganze Kampagnen, umfassendes Wissen und Material zur Aufklärung, anschauliche Filme und eigens zuständige Institutionen. Für Betroffene ist die bittere und böse Realität in vielen Unternehmen eine ganz andere.
Schön geschützt?
Öffentlich werben die Unternehmen für Mitarbeitende mit Mut, da heißt es: „Wir brauchen kritische, unbequeme Menschen im Team – nur so entwickeln wir uns weiter. “ Die (für die anderen) Unbequemen im Team sind dann aber schnell die (angeblich) Falschen. Denn hier entwickeln Teams Abwehrmechanismen, anstatt neugierig auf andere Sichtweisen und Veränderungen zu sein. Viel gefährlicher sind im Grunde diese (angeblichen und vordergründigen) Ja-Sager, deren Hauptziel es sein wird, ihren Status quo zu schützen. Oft versuchen Führungskräfte, zwischen allen zu vermitteln und jeder Perspektive Rechnung zu tragen. Wer es aber allen recht machen will, hat keinem „geholfen“ – denn der emotionale Stress für alle Beteiligtem bleibt, das Unrechtsbewusstsein wurde wohlwollend in die falsche Richtung „neutralisiert“ und eigentlich nicht tolerierbare Handlungen dadurch als akzeptabel im Unternehmen „salonfähig“ gemacht.
Weitreichende Ruhe?
Zentrale Fragen bleiben. „Können Mitarbeiter sich (selbst) überhaupt schützen (lassen?)“ Wie kann der oft zu schnell stattfindenden „Verselbstständigung“ systematisch – und mehr als nur „symbolisch“, Einhalt geboten werden – und das absolut sicherheitsfördernd und wirkungsvoll? Denn meist wird eben nicht gefragt: „Wer braucht jetzt Schutz und wem muss man (dafür) klare Grenzen setzen?“ Die leider falsche und nicht wirklich zielführende Frage lautet stattdessen: „Wie bekommen wir hier (möglichst schnell) Ruhe rein?“. Eine kurzsichtige Haltung – und leider teils als feige zu bezeichnende Verharmlosung – mit weitreichenden Konsequenzen, wie man im Grunde genommen in Wahrheit weiß. Denn die Folgen werden nicht nur allzu oft unterschätzt. Selbst bei sich dann weiter einschleifenden Mechanismen und auch sich überschlagenden Ereignissen werden sie weiter stur übersehen bzw. gern auch mal kleingeredet.
Verschweigendes Schönreden?
Entsprechende Schulungen, Sensibilisierungen und regelmäßige Gespräche fehlen oft aus Zeit- oder Prioritätsgründen. Mit das größte Problem bleibt: Viele beobachten Mobbing – aber sie handeln nicht. Im „besten Fall“ werden dann noch Symptome therapiert, während die Ursachen weiterlaufen. Und dann heißt es am besten obendrauf: Mitarbeitende sollen einfach „resilienter“ werden. Dieses Wegschieben fördert die Isolation und Resignation der Betroffenen und stärkt auf der anderen Seite die Mobber, durch eine Art schweigende Bestätigung.
Höhere Ziele?
Und genau so etwas hält schädliche Ungleichheit am Leben. Dies etabliert ein System, das dann eben nicht die Täter in die Verantwortung nimmt, sondern die Opfer. Die gravierenden Folgen sind: schwindende Motivation, krankheitsbedingte Ausfälle, abfallende Leistungsniveaus, das Scheitern von Projekten, innere Kündigung und Fluktuation. Der durchaus begründete Vorwurf, den man der Führung hier machen kann, ist die Unterstützung falscher Ziele und der damit verbundene Eigenanteil an der Verfestigung einer toxischen Unternehmenskultur, die sich auf diese Weise keinesfalls ändern wird.
Sozialverträgliche Lösungen?
Wer dann den Mut hat, zu sprechen, wird oft zum Problem erklärt. Aufgrund einzelner oder häufigerer Ereignisse werden die in „die Schussline gestellten“ (angeblich) schwierige Mitarbeiter auffällig. Weil die undifferenzierte Wahrnehmung in die Richtung geht, dass sie vordergründig die Konfliktsituationen am Arbeitsplatz herbeiführen, allein schon durch die wiederholte Thematisierung und eine falsche Fokussierung. Die Täter-Opfer Umkehr ist eines der gravierendsten wiederkehrenden Muster in der falschen Behandlung von Mobbing – begonnen beim Auftreten erster und weiterer Schwierigkeiten bis hin zur vermeintlich einfachsten und „einvernehmlichen Lösung“, indem „am einfachsten“ der Betroffene geht.
Fazit
Natürlich bedeutet es einen nicht unerheblichen Aufwand und oft äußerste Konsequenz, Störungen effektiv zu beenden und den Betriebsfrieden dauerhaft zu gewährleisten: Dem Arbeitgeber sind immer Instrumente gegeben, um Konflikte wirksam, nachhaltig und rechtssicher zu entschärfen oder ganz aufzulösen. Schlechte Nachrichten an die vielen „Vermeider-Führungskräfte“: Mobber hören in der Regel nicht von selbst auf – aber eine Führungskraft kann durchaus eben (s)eine bestimmte Wahl zwischen zwei Möglichkeiten treffen: nämlich, welchen Beitrag sie „dazu oder dagegen“ leisten will. Mobbing erfordert immer eine klare „Entscheidungskonsequenz“. Diese unbequeme Wahrheit zu ignorieren, ist immer eine fatale Führungskapitulation und ein Machtgewinn für die Mobber.
Dr. Silvija Franjic, Jobcoach und Fachredakteurin


