Grenzen der Steuerberaterhaftung in der Sozialversicherung
Laut einem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 16.04.2024, lässt sich aus der langjährigen Berufserfahrung eines Steuerberaters nicht ohne Weiteres auf ein billigendes Inkaufnehmen der Verletzung der Beitragspflicht in der Sozialversicherung schließen.
Zum Sachverhalt: Eine Steuerberatungsunternehmen wurde in Form einer GmbH betrieben. Für die Gesellschaft waren zwei Gesellschafter-Geschäftsführer tätig. Das Stammkapital der GmbH belief sich laut Satzung auf 90.000,00 Euro. Der Gesellschafter-Geschäftsführer A hielt seit dem 16.03.2010 37,33 Prozent der Gesellschaftsanteile, seit dem 20.03.2013 57,5 Prozent und seit dem 13.05.2014 unverändert 42,5 Prozent. Der Gesellschafter-Geschäftsführer B hielt in der Zeit vom 01.01.2012 bis zum 30.06.2017 47 Prozent der Anteile der Gesellschaft.
Einfache Mehrheit
Die Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung wurden laut Satzung mit einfacher Mehrheit gefasst. Mit den beiden Gesellschafter-Geschäftsführern A und B wurde jeweils ein Geschäftsführervertrag geschlossen, der unter anderem ein monatliches Festgehalt, Anspruch auf Urlaub und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall vorsah.
Die Deutsche Rentenversicherung führte im Steuerberatungsunternehmen vom 21.11.2016 bis zum 04.07.2017 für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 31.12.2015 eine Betriebsprüfung durch. Im Rahmen der Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass beide Gesellschafter-Geschäftsführer (A und B) aufgrund der fehlenden Rechtsmacht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis standen.
Es bestand Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die Deutsche Rentenversicherung forderte im Rahmen der Betriebsprüfung Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 97.486,14 Euro. In diesem Betrag waren 29.588,50 Euro an Säumniszuschlägen enthalten.
Widerspruch gegen Säumniszuschläge
Der Widerspruch des Steuerberatungsunternehmens gegen den Nachforderungsbescheid wegen der Erhebung der Säumniszuschläge wurde durch die Deutsche Rentenversicherung zurückgewiesen. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 24.05.2018 erhob das Steuerberatungsunternehmen beim zuständigen Sozialgericht (SG) am 20.06.2018 Klage. Zu den erhobenen Säumniszuschlägen führte die Gesellschaft an, dass sozialversicherungsrechtliche Kenntnisse bei Steuerberatern nicht vorausgesetzt werden können. Steuerberater seien zu einer solchen Beratung auch nicht verpflichtet. Die sozialversicherungsrechtliche Einordnung und Bewertung eines Beschäftigungsverhältnisses unterliege nicht den Prüfungspflichten eines Steuerberaters.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.01.2023 hob das zuständige SG den Bescheid und den Widerspruchsbescheid der Deutschen Rentenversicherung auf. Begründung: Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei rechtswidrig.
Gegen den Gerichtsbescheid des SG legte die Deutsche Rentenversicherung Berufung beim Bayerischen LSG ein. Begründung: Ein Arbeitgeber dürfe sich in Zweifelsfällen nicht mit eigenen subjektiven Einschätzungen der Rechtslage begnügen. Der Verpflichtete trage das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage. Ein Steuerberater verstoße gegen seine Sorgfaltspflicht, wenn er bei der Beurteilung der Versicherungsfreiheit keine klärende Entscheidung des Sozialversicherungsträgers einhole. Das Steuerberatungsunternehmen bzw. ihre Geschäftsführer hätten aufgrund ihrer Fachkenntnis wissen können und müssen, wann Sozialversicherungspflicht besteht, da sie ihre Kunden auch auf diesem Gebiet beraten. Zumindest hätten Zweifel kommen müssen. Die Falschbewertung der Sozialversicherungspflicht sei billigend in Kauf genommen worden.
Das Bayerische LSG wies mit Urteil vom 16.04.2024 (Az.: L 7 BA 14/23) die Berufung der Deutschen Rentenversicherung zurück. Die langjährige Berufserfahrung eines Steuerberaters oder das Versäumnis eines Statusfeststellungsantrags lassen nicht ohne Weiteres auf ein billigendes Inkaufnehmen der Verletzung der Beitragspflicht schließen.
Ulrich Frank, Sozialversicherungsfachwirt und Wirtschaftsjournalist