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Im Blick: Arbeitsrecht

Fehlende Zeiterfassung kann teuer werden: Das LAG Niedersachsen entschied, dass Arbeitgeber ohne zuverlässige Arbeitszeitaufzeichnungen das Risiko tragen, Überstundenvergütung zahlen zu müssen. Weitere Urteile des BAG und der Landesarbeitsgerichte zeigen, dass auch automatische Pausenabzüge und Wegezeiten auf Betriebsarealen arbeitsrechtliche Risiken bergen. Unternehmen sollten daher ihre Zeiterfassungs- und Pausenregelungen dringend prüfen.

ArbeitsrechtPraxis
Lesezeit 16 Min.

Überstunden ohne Zeiterfassung – ein Risiko für Arbeitgeber

Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen, Urteil vom 08.05.2024 – 8 Sa 1157/ 22

Heimarbeit, Vertrauensarbeitszeit und flexible Modelle bestimmen längst den Arbeitsalltag. Dabei rückt ein Thema schnell in den Hintergrund: die lückenlose Dokumentation der geleisteten Stunden. Die Pflicht ist eindeutig. Arbeitgeber müssen nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ein zuverlässiges System einrichten, das Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich aller Überstunden erfasst. Diese Zeiterfassung darf sich nicht auf bloßes Sammeln von Daten beschränken. Vielmehr müssen die tatsächlichen Arbeitszeiten aufgezeichnet werden.

Wie ernst die Gerichte diese Vorgaben nehmen, zeigte das Landesarbeitsgericht Niedersachsen am 08.05.2024 (Az.: 8 Sa 1157/22). In dem Verfahren ging es um eine Teilzeitkraft, die jede Woche etwa 20 Stunden mehr arbeitete, als im Vertrag stand. Das Gericht gab ihr Recht, weil die Arbeitgeberin kein funktionierendes Zeiterfassungssystem vorweisen konnte. Auch eine pauschale Behauptung der Mitarbeiterin reichte aus, denn es fehlten jegliche Arbeitgeberdaten.

Einordnung des Urteils

Mit seinem Beschluss vom 13.09.2022 (Az.: 1 ABR 22/21) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt: § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet Arbeitgeber, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Zeiterfassung einzurichten. Dieses System muss sowohl den Beginn als auch das Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Überstunden erfassen und die Daten aufzeichnen. Es genügt also nicht, ein System zur freiwilligen Nutzung bereitzustellen; das System muss genutzt werden. Die Richter begründen dies mit dem Schutz der Gesundheit der Beschäftigten: Nur wenn die Arbeitszeit verlässlich dokumentiert wird, lassen sich Höchstarbeitszeiten und Ruhepausen überprüfen.

Das LAG Niedersachsen überträgt diese arbeitsschutzrechtliche Pflicht in das Vergütungsrecht. Es macht deutlich, dass fehlende Zeitaufzeichnungen nicht nur bußgeldrechtliche Risiken bergen, sondern auch in Vergütungsprozessen fatale Folgen haben können. Das Gericht agiert hier als Bindeglied zwischen Arbeitsschutz- und Vergütungsrecht: Die Beweislastregeln bleiben formal unverändert, aber ohne Aufzeichnungen kann der Arbeitgeber den Vortrag des Arbeitnehmers nicht entkräften. So dient die Pflicht zur Zeiterfassung inzwischen vielfach als indirekte Grundlage für die Zuerkennung von Überstundenvergütung.

Die Entscheidung steht nicht allein. In einem späteren Urteil vom 09.12.2024 (Az.: 4 Sa 52/23) sprach das LAG Niedersachsen einem Arbeitnehmer Überstunden zu, obwohl dieser seine Zeiten lediglich pauschal mit „8:00 bis 18:00 Uhr“ angegeben hatte. Mangels eigener Aufzeichnungen konnte der Arbeitgeber den Vortrag nicht widerlegen, sodass das Gericht ihn als unbestritten wertete. Solche Fälle zeigen: Gerichte stützen sich auf § 138 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO). Fehlen der Gegenseite substantiierte Gegenargumente, gelten die Angaben als zugestanden.

Der Sachverhalt

Die Klägerin war in einem Dienstleistungsunternehmen in Teilzeit tätig. Laut Arbeitsvertrag hätte sie wenige Wochenstunden leisten müssen, tatsächlich arbeitete sie aber, nach eigenen Angaben, regelmäßig deutlich länger. Sie trug vor, dass während der Öffnungszeiten kontinuierlich Aufgaben anfielen und sie kaum Zeit für Pausen fand. Über viele Monate hinweg summierten sich die unvergüteten Überstunden auf etwa 20 Stunden pro Woche. Ihr Gehalt blieb trotzdem unverändert.

Die Arbeitgeberin führte weder eine elektronische noch eine analoge Zeiterfassung. Stattdessen verließ sie sich auf Vertrauensarbeitszeit. Als die Beschäftigte Auskunft über ihre Arbeitszeiten verlangte, reagierte der Betrieb nicht. Später bestritt die Arbeitgeberin die Überstunden als „frei erfunden“ und legte keine eigenen Arbeitszeitdaten vor.

Um ihre Forderung zu stützen, erstellte die Arbeitnehmerin eine Aufstellung der Tage und Uhrzeiten, an denen sie gearbeitet hatte. Diese Auflistung basierte auf Erinnerungen und Notizen. Das Arbeitsgericht lehnte die Klage zunächst ab, weil es den Vortrag für zu allgemein hielt.

Die Entscheidung

Das LAG Niedersachsen korrigierte die erstinstanzliche Entscheidung und gab der Klage statt. Dabei stellte es mehrere Punkte heraus:

Erstens: Wer eine Überstundenvergütung verlangt, muss im ersten Schritt darlegen, an welchen Tagen er von wann bis wann gearbeitet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers bereitgehalten hat. Zudem muss dargelegt werden, dass diese Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst oder ihm zuzurechnen sind. Hier legte die Klägerin eine Wochenübersicht vor, benannte konkrete Arbeitstage und Uhrzeiten und erfüllte damit die erste Darlegungsstufe.

Im Anschluss muss der Arbeitgeber substantiiert auf den Vortrag reagieren. Er muss darlegen, welche Tätigkeiten er zugewiesen hat und zu welchen Zeiten diese auszuführen waren. Die Arbeitgeberin schwieg hierzu, weil sie hierzu nichts vortragen konnte. Mangels Zeiterfassung hatte sie keine eigenen Daten. Das LAG wertete den Vortrag der Klägerin deshalb als unbestritten.

Das Gericht wies ausdrücklich auf die Pflicht aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG hin, ein System einzuführen, das Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Überstunden erfasst. Diese Pflicht umfasst nicht nur das Bereitstellen, sondern auch die tatsächliche Nutzung des Systems. Indem die Arbeitgeberin keine Arbeitszeiten dokumentierte, verstieß sie gegen diese Pflicht. Es wäre ihr dennoch zumutbar gewesen, Erkenntnisse aus einer ordnungsgemäßen Zeiterfassung vorzutragen. Kommt sie dieser Obliegenheit nicht nach, muss sie sich den Vortrag des Arbeitnehmers entgegenhalten lassen.

Das LAG betonte, dass die bekannten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess unverändert bleiben. Doch faktisch führt das Fehlen von Zeiterfassungsdaten dazu, dass behauptete Überstunden als zugestanden gelten. Es handelt sich somit nicht um eine neue Beweisregel, sondern um die Anwendung von § 138 Abs. 3 ZPO vor dem Hintergrund der gesetzlichen Zeiterfassungspflicht.

Die Revision wurde zugelassen. Unter dem Aktenzeichen 5 AZR 40/25 wird sich das BAG mit der Reichweite der Zeiterfassungspflicht im Überstundenprozess befassen.

Konsequenzen für die Praxis

Die Entscheidung zeigt klar: Wer keine Arbeitszeiten dokumentiert, geht ein hohes Risiko ein. Denn ohne verlässliche Zeiterfassung kann der Arbeitgeber den Vortrag des Mitarbeiters kaum widerlegen. Arbeitnehmer müssen lediglich behaupten, regelmäßig Überstunden geleistet zu haben; der Arbeitgeber trägt dann die Last, dies konkret zu entkräften.

Fehlende Aufzeichnungen können nicht nur zu hohen Nachzahlungen, sondern auch zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen führen. Arbeitgeber müssen ein System einführen, das alle Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden erfasst und diese Daten aufzeichnet. Verstöße können Bußgelder von bis zu 30.000 Euro nach sich ziehen.

Praxistipps für Unternehmen

Um auf der sicheren Seite zu sein, sollten Unternehmen ein objektives und verlässliches Zeiterfassungssystem einführen, das den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Überstunden dokumentiert. Dieses System muss tatsächlich genutzt und die Daten müssen aufgezeichnet werden; ob es sich dabei um eine digitale Lösung oder sorgfältig geführte Papierlisten handelt, spielt bislang keine Rolle.

Zudem bedarf es klarer Regeln dazu, wann Überstunden entstehen und wer sie anordnen darf, denn nur angeordnete, genehmigte oder zumindest geduldete Mehrarbeit/ Überstunden sind zu vergüten.

Schließlich sollten Unternehmen sich fragen, auf welche Daten sie im Streitfall zugreifen. Auch insoweit gilt es, Vorkehrungen zu treffen.

Automatischer Pausenabzug kann im Überstundenprozess nach hinten losgehen

Bundesarbeitsgericht (BAG), Entscheidung vom 12.02.2025 – 5 AZR 51/24

Pausen sind keine nette Zugabe, sondern ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitszeitregimes. Dennoch führt der hektische Alltag oft dazu, dass Arbeitnehmer durcharbeiten und automatisch gesetzte Ruhepausen gar nicht erst nehmen. Wie damit arbeitsrechtlich umzugehen ist, hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) am 12.02.2025 (5 AZR 51/24) näher beleuchtet. Die Richter machten deutlich, dass ein Zeiterfassungssystem, das bei Überschreiten bestimmter Stunden automatisch eine Pause vom Zeitkonto abzieht, kein Ersatz für eine ordnungsgemäße Pausendokumentation ist. Daher ein wichtiges Urteil – auch im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.

Einordnung des Urteils

Der Sachverhalt spielt im Spannungsfeld zwischen Arbeitszeitrecht, Tarifvertragsrecht und Vergütungsrecht. § 14 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern (TVÄrzte/VKA) verpflichtet Arbeitgeber zu einer objektiven Zeiterfassung und sieht seit Juli 2019 ausdrücklich vor, dass die „gesamte Anwesenheit am Arbeitsplatz abzüglich der tatsächlich gewährten Pausen“ als Arbeitszeit gilt.

Diese Bestimmung dient dem Arbeits- und Gesundheitsschutz, sie ersetzt aber nicht die zivilrechtlichen Regeln zur Vergütung. Zudem unterscheidet der TVÄrzte/VKA zwischen „Mehrarbeit“ (Stunden zwischen der vereinbarten Teilzeit und der regelmäßigen Vollarbeitszeit) und „Überstunden“ (Stunden über die regelmäßige Vollarbeitszeit hinaus), wobei nur Überstunden mit 15 Prozent Zuschlag vergütet werden.

Bisher hat die Rechtsprechung in Überstundenprozessen bezüglich des Nachweises von Überstunden einen substantiellen Vortrag abverlangt. Dies ist aus Unternehmenssicht – jedenfalls bislang – der Ansatzpunkt, um solche Verfahren zu gewinnen. D. h. Arbeitnehmer müssen genau darlegen, an welchen Tagen sie wie lange gearbeitet haben und ob diese Arbeitszeit vom Arbeitgeber angeordnet oder geduldet wurde. Die aktuelle Entscheidung setzt diese Linie fort, stellt aber klar, dass elektronische Zeiterfassungsdaten hierfür ausreichen und die Anforderungen an den Vortrag der Arbeitnehmer nicht überspannt werden dürfen.

Der Sachverhalt

Die Klägerin war von September 2017 bis August 2019 als Assistenzärztin in der Neurochirurgie eines kommunalen Klinikums beschäftigt. Ihre Teilzeitstelle umfasste 30 Stunden pro Woche, verteilt auf sechs Stunden täglich von 7.30 Uhr bis 13.30 Uhr.

In der Klinik galt eine Betriebsvereinbarung zu flexiblen Arbeitszeiten, die vorsah, dass bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden automatisch eine 30-minütige Pause und bei mehr als neun Stunden eine 45-minütige Pause vom Arbeitszeitkonto abgezogen wurde, wenn Mitarbeiter*innen ihre Pause nicht am Terminal ein- und austrugen. Da die Ärztin regelmäßig länger als sechs Stunden arbeitete und die Pausen aufgrund dienstlicher Erfordernisse nicht nehmen konnte, wurden ihr im Zeitraum von September 2018 bis August 2019 rund 59 Stunden als Pausen abgezogen. Sie verlangte, diese Zeiten als Überstunden einschließlich des tariflichen Zuschlags zu vergüten. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht Saarland wiesen ihre Klage ab und verlangten eine detaillierte Darlegung der geleisteten Arbeiten. Daraufhin legte die Klägerin Revision beim BAG ein.

Die Entscheidung

Der Fünfte Senat hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zurück. Nach seiner Auffassung hatte das Landesarbeitsgericht die Anforderungen an die Darlegungslast der Klägerin überspannt. Das BAG stellte klar, dass Arbeitnehmer*innen ihrer Darlegungslast genügen, wenn sie schriftlich darlegen, an welchen Tagen sie von wann bis wann gearbeitet haben. Hierfür reichte im konkreten Fall die von der Klägerin vorgelegte Aufstellung der elektronisch erfassten Arbeitszeiten aus. Das Gericht betonte, dass ein automatischer Pausenabzug kein Indiz dafür ist, dass die Pausen tatsächlich genommen wurden; er kann die konkrete Zeiterfassung nicht ersetzen.

Nach dem BAG genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber die von der Arbeitnehmerin behaupteten Arbeitszeiten lediglich bestreitet. Vielmehr muss er substantiiert vortragen, wann und warum die Arbeitnehmerin tatsächlich Pausen genommen hat oder hätte nehmen können. Das reine Bestreiten sowie der Hinweis auf den automatischen Pausenabzug sind nicht ausreichend.

Gleichzeitig stellte der Senat klar, dass § 14 TVÄrzte/VKA keine Beweislastumkehr für die Anordnung und Billigung von Überstunden begründet. Arbeitnehmer müssen daher weiterhin darlegen und ggf. beweisen, dass die durchgearbeiteten Pausen vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig waren. Das LAG muss nun erneut prüfen, ob diese Voraussetzungen vorlagen.

Konsequenzen für die Praxis

Das Urteil stärkt die Position von Beschäftigten, insbesondere von Teilzeitkräften, da typischerweise bei 30-Stunden-Verträgen (je 6 Stunden/Tag) die Frage nach der gesetzlich vorgeschriebenen Pause aufkommt. Hier müssen Arbeitgeber genau hinschauen und können sich nicht darauf zurückziehen, dass ein elektronisches System Pausen automatisch abzieht.

Arbeitgeber müssen im Streitfall darlegen, wann Arbeitnehmer tatsächlich pausiert haben oder zumindest die Möglichkeit hatten, dies zu tun. Das entspricht der vom BAG entwickelten abgestuften Darlegungslast: Der Arbeitnehmer muss seine Arbeitszeiten darstellen, anschließend muss der Arbeitgeber konkret benennen, wann der Mitarbeiter pausiert hat oder hätte pausieren können. Damit wächst der Druck, Zeiterfassungssysteme so zu gestalten, dass Beginn und Ende von Pausen zweifelsfrei dokumentiert werden.

Ferner bleibt es dabei, dass nicht gewährte Pausen zu vergütungspflichtiger Arbeitszeit werden. Da die Frage der Anordnung, Billigung oder betrieblichen Notwendigkeit von Überstunden weiterhin Arbeitnehmer*innen obliegt, ist auch in Zukunft mit intensiven Beweisaufnahmen zu rechnen.

Für Krankenhäuser und andere Betriebe mit festen Dienstplänen ist dies ein wichtiges Signal: Die bislang vielerorts praktizierten automatischen Pausenabzüge genügen weder den Dokumentationspflichten noch dienen sie als Verteidigungslinie gegen Vergütungsansprüche.

Praxistipps für Unternehmen

Um die Vorgaben des BAG zu erfüllen und das Risiko kostspieliger Rechtsstreitigkeiten zu senken, empfehlen sich folgende Maßnahmen:

Zeiterfassung modernisieren: Prüfen Sie Ihr Zeiterfassungssystem. Es sollte im besten Fall Pausen nicht automatisch abziehen, sondern Pausen in Echtzeit erfassen. Informieren Sie Mitarbeitende über die Pflicht, Pausen zu buchen, und implementieren Sie Erinnerungsfunktionen. Besonders bei Teilzeitkräften, die spontan länger arbeiten, müssen Sie vorausschauend eine Pausenregelung auch für Überstundensituationen treffen.

Betriebsvereinbarung anpassen: Passen Sie die Pausenregelungen an die unterschiedlichen Arbeitszeitmodelle an. Teilzeitkräfte sollten nicht in starre Pausenfenster gezwungen werden. Eine Betriebsvereinbarung sollte verschiedene Pausenoptionen enthalten, um auch spontane Verlängerungen der Schicht abzudecken.

Organisationspflichten ernst nehmen: Stellen Sie sicher, dass Vorgesetzte genügend Personal einplanen, damit Pausen eingehalten werden können. Schulen Sie Führungskräfte darin, Pausen aktiv zu fördern und nicht nur als Formalie zu sehen. Eine klare Kommunikation, wer wann vertreten kann, verhindert das „Durcharbeiten“.

Arbeitsweg oder Arbeitszeit? Zwei Urteile bringen Klarheit

Hessisches Landesarbeitsgericht, Entscheidung vom 31.01.2025 – 10 SLa 564/24

Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 01.07.2025 – 9 TaBV 25/25

Jeden Morgen stellt sich für Millionen Menschen dieselbe Frage: Wann beginnt eigentlich die bezahlte Arbeit? Ist es der Moment, in dem man das Werksgelände betritt, oder erst mit dem Griff zum Schraubenschlüssel, dem Anmelden am Computer oder dem Starten des Fahrzeugs? In der juristischen Praxis klingt die Antwort zunächst simpel. Der Weg von der Wohnung zur Arbeitsstelle ist Privatsache und keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Doch in Unternehmen mit weitläufigen Arealen, strengen Sicherheitskontrollen oder aufwendigen Umkleideroutinen verschwimmt die Grenze zwischen der „bloßen Anreise“ und der eigentlichen Arbeitsleistung. Zwei aktuelle landesarbeitsgerichtliche Entscheidungen – aus Hessen und Köln – verdeutlichen, wo die Linien verlaufen und welche Mitspracherechte der Betriebsrat hat.

Einordnung des Urteils

In Deutschland gilt seit langem der Grundsatz, dass der Arbeitsweg nicht zur Arbeitszeit zählt. Der Bundesgerichtshof hat dies immer wieder bestätigt: Wer morgens das Haus verlässt, ist zunächst in seiner privaten Sphäre unterwegs, egal ob zu Fuß, mit dem Bus oder mit dem Auto. Erst wenn der Beschäftigte seine Tätigkeit am vorgesehenen Arbeitsplatz aufnimmt, handelt es sich um Zeit, für die der Arbeitgeber Verantwortung trägt. Diese Abgrenzung hat mehrere Dimensionen. Zum einen dient sie dem Schutz der Freizeit – Arbeitnehmer sollen selbst entscheiden können, wie sie ihren Weg organisieren. Zum anderen soll sie verhindern, dass Arbeitgeber Wegezeiten als Arbeitszeit deklarieren müssen, obwohl sie darauf keinen Einfluss haben.

Trotz dieser klaren Linie gibt es Sonderfälle. Wird ein Beschäftigter bereits am Werkstor verpflichtet, Arbeitskleidung anzulegen, oder muss er sich vor Dienstbeginn reinigen oder desinfizieren, kann die dafür erforderliche Zeit der Arbeitszeit zugeschlagen werden. Entscheidend ist, ob diese Tätigkeiten ausschließlich dem Arbeitgeber dienen. Auch innerbetriebliche Wege können vergütet werden müssen, wenn sie zwingend anfallen, weil Umkleide- oder Pausenräume an anderer Stelle liegen und die Arbeitsorganisation das erfordert. Mit diesen Nuancen hatten sich die Landesarbeitsgerichte Hessen und Köln zu befassen.

LAG Hessen: der Fall am Flughafen Frankfurt

In dem hessischen Verfahren ging es um einen Fahrer, der auf dem Frankfurter Flughafen arbeitete. Sein Arbeitstag begann nicht mit dem Starten des Motors, sondern mit einer Reihe von Etappen: Zunächst musste er eine Sicherheitskontrolle passieren und verlor dabei wartebedingt Zeit. Dann zog er eine Warnweste an, die ihm der Arbeitgeber vorgeschrieben hatte. Anschließend stieg er in einen internen Shuttlebus und legte mehrere Hundert Meter bis zu einem Umkleideraum zurück. Dort zog er seine Dienstkleidung an – er hätte diese auch zu Hause anlegen können –, bevor er schließlich an einem Terminal die Arbeitszeit erfasste und seine Fahrtätigkeit aufnahm. Am Ende des Tages verlief der Rückweg in umgekehrter Reihenfolge. Der Mitarbeiter argumentierte, diese Wegezeiten seien keine reine Anreise, sondern durch die Sicherheitskontrollen, die Shuttlefahrt und das Umkleiden fremdnützige Tätigkeiten. Er verlangte Vergütung für die täglichen Zusatzminuten.

LAG Hessen: die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Hessen verneinte einen Anspruch. In seiner Entscheidung vom Januar 2025 stellte es klar, dass auch auf einem ausgedehnten Flughafengelände die Arbeitszeit erst am tatsächlichen Arbeitsplatz beginnt. Der Weg zur Sicherheitskontrolle und darüber hinaus bleibt grundsätzlich Teil des privaten Arbeitswegs. Selbst Wartezeiten an Checkpoints sind dem Beschäftigten zuzurechnen, da diese Kontrollen der öffentlichen Sicherheit dienen und nicht dem konkreten Betrieb. Dass der Fahrer sich vor dem Dienstbesprechungsterminal eine Warnweste überstreifen musste, änderte daran nichts.

Nach Auffassung des Gerichts war das Anlegen der Weste keine Tätigkeit, die der Arbeitgeber zwingend im Betrieb verlangte; der Mitarbeiter hätte die Weste bereits vor Betreten des Geländes anziehen können. Auch die Option, Dienstkleidung erst im Betrieb anzulegen, war freiwillig. Weil diese Handlungen nicht ausschließlich dem Arbeitgeber nutzten, gehörten sie nicht zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit.

Bemerkenswert ist, dass das LAG in seiner Begründung ausdrücklich festhielt, dass die Größe des Betriebsgeländes und die Entfernung zum Arbeitsplatz für die rechtliche Bewertung unerheblich seien. Entscheidend sei, wann der Arbeitnehmer seine geschuldete Tätigkeit ausübe. Das Gericht ließ jedoch die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu – die Richter in Erfurt werden sich unter dem Aktenzeichen 5 AZR 75/25 mit der Frage befassen, ob besondere Bedingungen auf Großarealen eine Ausnahme rechtfertigen.

LAG Köln: Rechte des Betriebsrats

Im zweiten Verfahren stritten der Betriebsrat und die Arbeitgeberin eines Logistikunternehmens vor Gericht. Auch hier lag der Schauplatz auf einem Flughafengelände, wo Mitarbeitende Frachthallen zu betreuen hatten. Der Arbeitgeber stellte Parkflächen außerhalb des Geländes bereit. Nach dem Abstellen des Autos mussten die Beschäftigten eine Sicherheitskontrolle passieren und anschließend einen rund einen Kilometer langen Weg – wahlweise zu Fuß oder per Shuttle – bis zu den Hallen zurücklegen.

Der Betriebsrat sah diese Strecke als reine Arbeitszeit an. Er beantragte die Einsetzung einer Einigungsstelle, um verbindlich festzulegen, an welchem Ort die Arbeitszeit beginne und ende. Das Arbeitsgericht gab dem Betriebsrat recht. Die Arbeitgeberin wandte sich dagegen und argumentierte, die Frage könne nicht durch eine betriebliche Einigung geregelt werden.

LAG Köln: die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Köln gab der Arbeitgeberin recht. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) kann der Betriebsrat zwar über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie deren Verteilung auf die Wochentage mitbestimmen. Diese Mitbestimmung bezieht sich jedoch auf die Lage der Arbeitszeit, nicht auf deren rechtliche Einordnung.

Die Frage, an welchem Ort die Arbeitszeit anfängt, ist eine Rechtsfrage, die sich nach dem Arbeits- und Tarifvertrag sowie nach gesetzlichen Vorschriften bestimmt. Eine Einigungsstelle darf darauf keine verbindliche Antwort geben. Die Richter hoben daher den ersten Beschluss auf und wiesen den Antrag des Betriebsrats zurück. Sie betonten, dass es zwar Betriebsvereinbarungen geben könne, in denen – zum Beispiel über die Platzierung von Zeiterfassungsgeräten – indirekt festgelegt wird, wo die Arbeitszeit beginnt. In solchen Fällen könne die Einigungsstelle zuständig sein. Im vorliegenden Fall sollte sie aber isoliert eine Rechtsfrage klären. Das sprengte ihren Kompetenzrahmen.

Konsequenzen für die Praxis

Die beiden Entscheidungen zeigen, dass die Gerichte an der Trennung zwischen dem privaten Arbeitsweg und der vergütungspflichtigen Arbeitszeit festhalten. Selbst wenn Beschäftigte vor dem Stempeln Sicherheitskontrollen passieren müssen oder sich auf einem großen Gelände orientieren, führt dies nicht automatisch zu einer vergütungspflichtigen Arbeitszeit. Voraussetzung bleibt, dass die Tätigkeiten unmittelbar der geschuldeten Arbeit dienen und nicht vom Beschäftigten auch anderweitig erledigt werden könnten. Arbeitgeber können sich darauf berufen, dass die bloße Entfernung zwischen dem Werkstor und dem Arbeitsplatz keinen Anspruch auf Bezahlung begründet.

Trotzdem sollten Unternehmen aufmerksam bleiben. Gerade in sicherheitsrelevanten Branchen oder an außergewöhnlich großen Standorten kann sich die Praxisentwicklung ändern. Das Bundesarbeitsgericht wird demnächst prüfen, ob es Situationen gibt, in denen innerbetriebliche Wegezeiten doch zu vergüten sind. Kommt es zu einer Abweichung von der bisherigen Linie, müssen Arbeitgeber handeln und ihre Arbeitszeitregelungen anpassen.

Praxistipp

Viele Fragen rund um das Thema Arbeitszeit können ins Detail gehen, und die vorstehenden Urteile zeigen, dass die Diskussionen noch lange nicht vorbei sind. Arbeitgeber sind daher gut beraten, dieses Thema ernst zu nehmen und zu analysieren, wo es Handlungsbedarf gibt.

Dr. Michaela Felisiak, Councel bei Eversheds Sutherland/ Fachanwältin für Arbeitsrecht

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