Summenbescheid nach §28f Abs. 2 SGB IV
Ein Summenbescheid nach §28f Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IV ist ein besonderes Instrument der Rentenversicherungsträger, das in der sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung zum Einsatz kommt, wenn die beitragspflichtigen Entgelte für einzelne Beschäftigte nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Verwaltungsaufwand ermittelt werden können.
Spätestens seit dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15.06.2023 (VI R 27/20), wonach die Übernahme der Arbeitnehmeranteile bei einem nicht personenbezogenen Summenbescheid keinen steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellt, ist diese Form der Beitragsnachforderung stärker in den Fokus geraten. Für Arbeitgeber kann dies auf den ersten Blick attraktiv erscheinen, da neben dem Arbeitgeberanteil auch der Arbeitnehmeranteil übernommen wird, ohne dass zusätzliche Steuerlasten entstehen.
Gleichwohl zeigt die Rechtsprechung, dass die gesetzlichen Hürden für den Erlass eines Summenbescheids hoch sind und nicht allein durch Absprachen zwischen Arbeitgeber und Prüfdienst umgangen werden können.
Rechtlicher Hintergrund und Zielsetzung des Summenbescheids
Arbeitgeber sind verpflichtet, für jeden versicherungspflichtig Beschäftigten den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu entrichten. Dieser umfasst Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die Beitragspflicht ist grundsätzlich personenbezogen festzustellen, wozu der Arbeitgeber vollständige und geordnete Entgeltunterlagen führen muss. Werden diese Pflichten verletzt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht sowie die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der Rentenversicherungsträger die Beiträge auf Grundlage der vom Arbeitgeber gezahlten Gesamtsumme der Arbeitsentgelte festsetzen. Ziel dieser Regelung ist in erster Linie die Sicherung des Beitragsaufkommens, nicht jedoch die Vereinfachung der Arbeitgeberpflichten.
Die Befugnis zum Summenbescheid greift nur, wenn die fehlende oder unzureichende Aufzeichnung ursächlich dafür ist, dass eine genaue Feststellung der Beitragspflicht nicht möglich ist. Der Gesetzgeber verlangt, dass eine personenbezogene Ermittlung nur dann unterbleibt, wenn sie einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand darstellen würde. Die Hürden für die Annahme eines solchen Aufwands sind durch die Rechtsprechung eng gezogen.
Praxistipp
Stellen Sie sicher, dass Entgeltunterlagen jederzeit vollständig und prüffähig vorliegen. Prüfen Sie auch, ob externe Lohnabrechnungsstellen alle gesetzlich geforderten Daten vollständig erfassen und aufbewahren.
Voraussetzungen und Grenzen der Anwendung
Der Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht kann sowohl durch den Arbeitgeber selbst als auch durch von ihm beauftragte Dritte wie Steuerberater oder Dienstleister erfolgen. Fehlende Mitwirkung oder die Nichtvorlage angeforderter Unterlagen werden der Pflichtverletzung gleichgestellt. Ein Summenbescheid kommt jedoch nicht in Betracht, wenn eine personenbezogene Feststellung der Beiträge ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist.
Die Gerichte betonen, dass auch bei großen Belegschaften oder komplexen Sachverhalten zunächst alle zumutbaren Ermittlungen auszuschöpfen sind. Die bloße Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer rechtfertigt keinen Verzicht auf die personenbezogene Ermittlung. Insbesondere bei erheblicher Bedeutung für die Rentenanwartschaften der Beschäftigten ist eine individuelle Zuordnung der Entgelte vorrangig. Selbst wenn nur für einen Teil der Arbeitnehmer ausreichende Daten vorliegen, ist für diesen Personenkreis eine konkrete Beitragsfestsetzung vorzunehmen. Unverhältnismäßigkeit liegt nur vor, wenn Aufwand und Ertrag in einem deutlichen Missverhältnis stehen. So kann der Verwaltungsaufwand beispielsweise dann zu groß sein, wenn eine Vielzahl von Einzelfällen mit nur geringen Auswirkungen auf die Sozialversicherungsansprüche der Betroffenen vorliegt. Entscheidend ist stets der Verwaltungsaufwand des Rentenversicherungsträgers, nicht der des Arbeitgebers.
Praxistipp
Liefern Sie bei einer Prüfung aktiv alle vorhandenen Unterlagen zu Beschäftigten. Auch Teildaten können helfen, einen Summenbescheid zu vermeiden.
Schätzung und Arten der Festsetzung
Kann die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand ermittelt werden, ist der Rentenversicherungsträger verpflichtet, diese zu schätzen. Die Schätzung muss so genau wie möglich erfolgen, wirtschaftlich vernünftig sein und auf nachvollziehbaren Tatsachen beruhen. Rechtswidrig ist eine Schätzung, wenn sie willkürlich erfolgt oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt.
Im Rahmen der Festsetzung wird zwischen personenbezogenen Bescheiden mit konkreter oder geschätzter Beitragsberechnung und Summenbescheiden mit konkreter oder geschätzter Beitragssumme unterschieden. Der Vorrang liegt stets bei der personenbezogenen Feststellung. Ein unmittelbarer Übergang zu einem Summenschätzbescheid ist nur zulässig, wenn auch eine personenbezogene Schätzung nicht möglich oder unverhältnismäßig aufwendig ist.
Kein Ermessen beim Erlass
Obwohl der Wortlaut des Gesetzes den Eindruck erweckt, der Rentenversicherungsträger könne nach eigenem Ermessen handeln, sieht die höchstrichterliche Rechtsprechung darin keine Ermessensentscheidung, sondern eine gebundene Kompetenz. Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, ist der Summenbescheid zu erlassen. Ebenso ist er teilweise zu widerrufen, wenn nachträglich personenbezogene Feststellungen möglich werden und die erforderlichen Angaben vorliegen. Arbeitgeber müssen diese Möglichkeit aktiv im Verwaltungsverfahren nutzen, da ein erstmaliges Vorbringen im gerichtlichen Verfahren regelmäßig nicht mehr ausreicht.
Gerichtliche Kontrolle und praktische Relevanz
In Streitfällen überprüfen die Gerichte die Verhältnismäßigkeit des Summenbescheids umfassend. Dabei wird insbesondere berücksichtigt, ob der Rentenversicherungsträger seiner Pflicht zur Amtsermittlung nachgekommen ist und ob alle realistischen Möglichkeiten zur personenbezogenen Feststellung ausgeschöpft wurden. Eine einvernehmliche Vorgehensweise zwischen Prüfdienst und Arbeitgeber kann später gerichtlich korrigiert werden, wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt waren.
Das Urteil des Bundesfinanzhofs hat die Diskussion über den Einsatz von Summenbescheiden neu belebt, da in bestimmten Fällen keine zusätzlichen steuerlichen Belastungen entstehen. Dennoch bleibt die sozialversicherungsrechtliche Seite entscheidend: Sozialversicherungsbeiträge dienen der individuellen Absicherung und nicht allein fiskalischen Interessen.
Fehlen personenbezogene Zuordnungen, kann dies später zu Nachteilen bei Leistungsansprüchen führen. Arbeitgeber sollten daher auch im eigenen Interesse auf eine vollständige und ordnungsgemäße Dokumentation aller relevanten Entgeltunterlagen achten. Unzureichende Aufzeichnungen stellen nicht nur eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit Bußgeldern geahndet werden kann, sondern können auch die Grundlage für einen Summenbescheid bilden, der im Zweifelsfall höher ausfällt als eine personenbezogene Nachberechnung. Für Steuerberater gilt, die Beratung im Rahmen des rechtlich Zulässigen nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz zu erbringen und Mandanten umfassend auf die möglichen Konsequenzen eines Summenbescheids hinzuweisen.
Arbeitgebern ist zu raten, die Anforderungen an Aufzeichnungspflichten und die Mitwirkung in Betriebsprüfungen konsequent zu erfüllen, um unnötige Risiken zu vermeiden und Handlungsspielräume zu sichern.
Arbeitgebern ist zu raten, die Anforderungen an Aufzeichnungspflichten und die Mitwirkung in Betriebsprüfungen konsequent zu erfüllen, um unnötige Risiken zu vermeiden und Handlungsspielräume zu sichern.
Praxishinweis
In der betrieblichen Praxis zeigt sich, dass die gesetzlichen Vorgaben und die tatsächliche Handhabung eines Summenbescheids im Rahmen einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung nicht immer deckungsgleich sind. Arbeitgeber sollten sich frühzeitig bewusst machen, dass ein Summenbescheid trotz des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 15.06.2023, wonach die Übernahme der Arbeitnehmeranteile bei einem nicht personenbezogenen Summenbescheid keinen steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellt, keineswegs automatisch die günstigste oder risikoärmste Option ist. Zwar kann die Übernahme der Arbeitnehmeranteile in bestimmten Konstellationen attraktiv erscheinen, da keine zusätzlichen steuerlichen Abgaben anfallen, dennoch darf nicht übersehen werden, dass Sozialversicherungsbeiträge der individuellen sozialen Absicherung der Beschäftigten dienen.
Markus Stier